Schon mancher hat sich dadurch verlocken lassen und hat grau­same Enttäuschungen erleben müssen. Wir wollen die verun­glückten Kolonisationsversuche der dreißiger, vierziger und fünf­ziger Jahre nur erwähnen. Gar mancher bedenkt eben nicht, daß drüben der Boden ein ganz anderer ist, der erst studirt sein will; gar mancher, der vorher noch nie Ackerbau getrieben, findet drüben, daß seine Muskeln zu schlaff geworden sind und schießlich finden alle, daß Urbarmachung und Bewirtschaftung eines Grundstücks überhaupt mehr Ausdauer und Mittel er­fordern, als man sich hat vorreden lassen.

Weit schlimmere Erfahrungen als im Norden haben die Aus­wanderer im Süden Amerikas gemacht. Man weiß, wie seiner zeit eine große Anzahl Auswanderer nach Brasilien verlockt wurde, dort angekommen, sich in allem enttäuscht, dem Elend preisgegeben und von den brasilianischen Behörden mit großer Härte behandelt sah.

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Auf Versprechungen ist überhaupt in solchen Fällen nicht viel zu geben. Auch in neuester Zeit ist dafür ein Beispiel beizu bringen. Der Regierung einer Republik in Südamerika - der Name tut nichts zur Sache scheint viel daran gelegen zu sein, ackerbautreibende Kolonisten in ihr dünnbevölkertes Gebiet zu zichen. Sie suchte durch ihre Vertreter in Deutschland Ver­bindungen, und diese Vertreter fanden auch eine Anzahl von Leuten, die unter gewissen Bedingungen bereit waren, nach Süd­ amerika überzusiedeln und sich dort anzubauen. Sie hofften Sie hofften den Kern einer Ansiedelung zu bilden, die sich mit der Zeit erweitern und mächtig werden sollte. Man wendete sich nun direkt an die Regierung jenes südamerikanischen Staates, worauf eine Denkschrift von derselben einlief, in der sie die Verhältnisse ihres Gebietes auseinandersezte. Es wurde unter nicht allzu günstigen Bedingungen Land versprochen, doch sollten die An­siedler von den politischen Rechten der Eingeborenen ausge­schlossen bleiben. Man wurde stuzig und ließ die Sache einst­weilen liegen; indessen kam ein bekannter Weltreisender, der furz zuvor jenes Land bereist hatte, nach Europa zurück und man war so vorsichtig, ihn in dieser Sache um Rat zu fragen. Er lachte hell auf. Die Regierung habe gar kein Land, sagte er. Alle die Landstriche, die dort vielleicht zur Kolonisation ge

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eignet seien, befänden sich in den Händen großer europäischer Kaufleute. Das Schlimmste aber seien die drüben sich wieder­holenden sogenannten Revolutionen", die weniger politische als räuberische Unternehmungen seien. Wenn ein revolutionärer" General an der Grenze Truppen sammle, um gegen die Haupt­stadt zu ziehen, so nehme er auf seinem Wege an beweglichem Gut alles mit, was zu erreichen sei. Es würden mit aner­kennenswerter Gewissenhaftigkeit zwar für alle bei diesen Re­quisitionen geraubten Gegenstände Bons ausgestellt, allein diese Bons hätten den einzigen Fehler, niemals eingelöst zu werden. Auf diese Mitteilungen eines durchaus glaubwürdigen Mannes stand man natürlich von jeder weiteren Unterhandlung ab.

Wenn schon bei einer Regierung so etwas vorkommt, was mag erst von den privaten Agenten privater Gesellschaften ge­leistet werden!

Wenn aber die Verlockungen der Agenten sich auch ver­doppelt haben, die Auswanderung ist doch gefallen! Das hat seine zwei Gründe. Einmal ist die Zahl der Auswanderungs­lustigen und Auswanderungsfähigen denn doch nicht so groß, daß jedes Jahr die gleiche Zahl an den Scehäfen erscheinen könnte; zum andern sind die Verhältnisse in Amerika schlechter geworden. Viele sind enttäuscht zurückgekehrt, da sie sich mit der politischen Freiheit allein nicht abfinden lassen konnten. Wenn drüben auch das Heimstättengesez besteht, welches dem Farmer ein unpfändbares Grundeigentum sicher stellt, so muß man doch ein solches Grundeigentum erst haben und zweitens muß es so viel tragen, daß man davon leben kann. Dann erst hat das Heimstättengesez einen Wert. In Amerika hat auf den wirtschaftlichen Aufschwung" der unter den heutigen Verhält­nissen unvermeidliche Niedergang folgen müssen, der in New­ York einen großen Krach" verschiedener Banken neuerdings herbeigeführt hat.

Es hat einmal ein preußischer Minister, Graf zu Eulen­burg, gesagt, um das Auswanderungsfieber zu dämpfen, müsse man einem Volfe die Heimat möglichst lieb machen, d. h. In­ftitutionen schaffen, unter denen es sich behaglich fühle. Ob dieser Minister wohl als Prophet in der Wüste gesprochen hat?

Eine Produktiv- Genossenschaft.

Ein Bild aus dem deutschen Arbeiterleben von S. Grosz. ( S. Illustration Seite 593.)

Das neunzehnte Jahrhundert, auch vielfach das eiserne" genannt, hat fast in allen Zweigen der gewerblichen Arbeit einen großartigen Umschwung hervorgerufen. An die Stelle des ehrsamen Handwerksmeisters, der emsig mit Gesell und Lehr­bursch seine Tagesarbeit vollbrachte, ist die Fabrik getreten, die unter Zuhilfenahme der mannichfaltigsten Maschinen die Produktion bis ins Unendliche ausgedehnt hat. Fast alle Branchen des Handwerks sind in das Bereich der modernen, fabrikmäßigen Herstellung gezogen worden, und dies alles ist so rasch ge­gangen, daß den Anhängern der Zunft es heute noch nicht flar geworden ist, wie bald es ein Ende hat mit der alten Herrlichkeit und wie bald neue, fräftigere Organisationen überall siegreich sich eingebürgert haben werden.

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Auch das Gewerbe der Schiffszimmerer mußte mit der Einführung der eisernen Schiffe zu Grunde gehen. Noch vor 20 Jahren zählte der Holzschiffbau an der deutschen Nord- und Ostseeküste zu den blühendsten Gewerben; jezt sind die meiſten Werften eingegangen, und die wenigen, welche noch existiren, bauen nur noch fleinere Küstenfahrzeuge, oder behelfen sich mit Reparaturen.

Die Schiffszimmerleute selbst haben infolge dieser Umgestaltung eine harte Leidensperiode durchgemacht. Viele haben dem Hand­werk den Rücken gekehrt, manche haben sich entschlossen dem Eisenschiffbau zugewandt- und das war das Beste, was sie

in ihrer Lage tun konnten, während der Rest sich durch Reparatur- und andere Arbeiten auf den Wersten kümmerlich durchschlägt.

Wir haben hier also ein Bild vor uns, wie in faum einem Menschenalter ein viele tausende von Menschen beschäftigendes Gewerbe total zu Grunde gegangen ist, indem es der neuen Technik, den Anforderungen der Zeit zum Opfer fiel. Jeden­falls eine sehr lehrreiche Thatsache, die manchem in alten Anschauungen Befangenen die Augen zu öffnen geeignet ist.

Wenn wir diese Zeilen vorausschicken, so geschieht es einesteils, um ein interessantes Faktum zu konstatiren, andernteils aber, um dem Leser ein kleines Bild von der Lage des deutschen Schiffszimmerergewerbes zu geben. Der eigentliche Zweck dieses Aufsazes ist, über eine deutsche Produktivgenossenschaft, eine Arbeiterorganisation zu berichten, deren Entstehung vorzugs­weise auf die oben geschilderten Zustände zu sezen ist.

Im Januar 1873 hatte sich der Allgemeine deutsche Schiffs= zimmererverein in Hamburg konstituirt und seine Organisation über sämmtliche Hafenstädte Deutschlands ausgedehnt. Er zählte zirka 3000 Mitglieder( mehr als 5000 wirklich gelernte Schiffs­zimmerer gab es überhaupt wohl in Deutschland nicht). Die Organisation war eine gute und wurden demzufolge die Löhne in den bedeutendsten Hafenstädten ohne Arbeitseinstellung ent­sprechend erhöht. Wo es zur Arbeitseinstellung kam, wurde