Und da die jüngste Tochter Dr. Hertigs das Andenken des glücklichen Bechvogels Christian Gutenbier auch in einem feinen und getreuen Herzen bewahrt hatte, so wurde er diesmal- kinderleicht, wie bei ihm nicht anders zu erwarten- aber zu seiner eigenen ungeheuren Befriedigung auch bald Bräutigam.
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Dabei spielte die Doppelliebe gar keine Rolle mehr, denn die ältere Tochter war längst verlobt und-- Christian schwur, seit er die jüngere wiedergesehen, Stein und Bein, daß er im ganzen Leben diese und nur diese geliebt habe.
Der Neigung der Phantasie, leblose Dinge zu beseelen und zu vermenschlichen, wurde besonders durch die Schiffahrt ein weiter Spielraum geboten. Alles Seltsame und Rätselhafte, was dem Seefahrer aufstieß, brachte er mit übermenschlichen Wesen, Göttern und Halbgöttern, in Beziehung und je nachdem eine Naturerscheinung der Schiffahrt günstig oder ungünstig war, wurden die betreffenden Fabelwesen als gütige Geister oder furchtbare Dämonen aufgefaßt; und derartige Personifikationen behielten einen poetischen Wert, auch nachdem aufgeklärtere Zeiten den Glauben an die Existenz dieser geheimnisvollen Wesen zerstört hatten. Sehr häufig begegnet uns die Sage von schönen Frauen, die den Seefahrer tückisch anlocken, um ihn alsdann zu verderben; es ist der sagenhafte Ausdruck der Einnerung an präch tige Buchten, Strudel, Klippen, Felspartien, welche den Schiffen, die sich ihnen näherten, Gefahr und Untergang brachten. Schon der alte Homer erzählt in seiner unsterblichen Odyssee von den Sirenen, welche, am Gestade sizend, die Schiffer mit ihrem zauberhaften Gesang anlocken und die Türichten, die der Lockung nicht widerstehen, dem Tode weihen. Eine solche Sage ist auch dem deutschen Strom par excellence, dem Rhein , eigen. Es ist die durch das Heine'sche Volkslied und dessen glückliche Komposition von Silcher allgemein bekannte Loreleysage. Die Loreley, eigentlich Lurlei, ist ein fast senkrechter, 122 Meter über den Rhein sich erhebender Felsen oberhalb St. Goarshausen im Kreise Rheingau des preußischen Regierungsbezirks Wiesbaden , noch besonders merkwürdig durch sein Echo. Seit 1861 führt durch den Felsen ein 397 Meter langer Tunnel der Nassauischen Eisenbahn. Ein berühmter Schwabe, der Dichter und Landeskonservator Prof. Eduard Paulus , machte kürzlich den Gefühlen, welche der Anblick des Lurleifelsens in ihm erweckte, in folgendem Erguß Luft( Paulus, Bilder aus Kunst und Altertum. Stuttgart 1883):„ Mir gegenüber die Lurlei, die gewaltige schief aufgeschichtete Felsmasse, die den Rhein hier zusammendrängt in einen engen, sehr tiefen Fluß. Der Felsen Der Felsen ist kahl und spärlich bewachsen mit niedrigem, steinhartem Gebüsch, mit Gräschen und bräunlichen Moosen. Ein Dampfschiff um das andere schießt vorbei, lange Wellen zurücklassend, die an das Ufer brausend und sausend wallen. Böllerschüsse krachen, wie riesige Vogelfittige fortrauschend an den drohenden Felsbrüsten.- Ein schweres Holländerschiff schleppt keuchend hinter sich her fünf andere. Wild und groß, als wollte der Rhein aus dem Bette steigen, wüten und schäumen und murren die Wellen empor an der Lurlei, die wie eine lauernde Löwin hereintritt, die Stirn gegen Abend gewendet. Ein großartiges, jähes, zähtroziges, unzerstörbares Werk, so das richtige Fußgestell für ein ehernes Kolossalbild des Fürsten Bismard." Ob diese Expektoration des schwäbischen Professors aus den Hundstagen datirt, wissen wir nicht. Originell ist der Gedanke jedenfalls. Nur schade, daß Heine selbst ihn nicht mehr erlebt und sein Lied entsprechend umgedichtet hat:„ Der große Kanzler sizet dort oben wunderbar 2c." Der geistreiche Heine wäre gewiß auch über die Schwierigkeit, welche das Kämmen des goldenen Haares mit dem goldenen Kamme dem Parodisten( im Hinblick auf die bekannten drei Haare) bereiten, leicht hinweggeglitten. Wir unserseits möchten die herrliche Idee dahin ergänzen, daß dem Kolossalbild des Fürsten auch ein Kolossalbild des Reichshunds beigegeben werden sollte und daß dem lezteren einige Züge des Professors Ed. Paulus, als Symbol der Treue, Anhäng lichkeit und Hingebung des deutschen Südens, gegeben würden.
Nur wenigen mag es bekannt sein, daß die Sage von der Lurlei keineswegs„ ein Märchen aus alten Zeiten" ist, sondern erst aus diesem Jahrhundert stammt. Die sorgfältigsten Nachforschungen haben ergeben, daß kein einziger Schriftsteller früherer Zeiten das Mindeste von der verführerischen Nire weiß, welche am Lurleifelsen dem vorüberfahrenden Schiffer so verderblich gewesen. Den ersten Keim zu der Sage legte Clemens Bren tano durch eine Ballade, deren Stoff nach seiner ausdrücklichen Erklärung frei von ihm erfunden war. Dieses Gedicht handelt weder von Nixen noch Sirenen, sondern von einer jungen Bürgerstochter in Bacharach , die vom Bischof der Zauberei beschuldigt wird, weil viele Männer sich wegen ihrer Schönheit in sie verlieben. Sie selbst aber fühlt sich unglücklich, weil ihr Schaz sie betrogen und verlassen hat, und erfleht den Tod. Der Bischof, von ihrer Schönheit gerührt, gibt Befehl, sie ins Kloster zu führen; unterwegs aber blickt sie noch einmal vom Felsen nach ihres Liebsten Schloß und stürzt sich dann in den Rhein . Lediglich auf Grund des Namens Lurlei( Lei bedeutet Schieferfels) hatte Brentano das Mädchen Lore Lay genannt. ( Die weitere Entwicklung der Sage mag man bei Strodtmann, Heines Leben und Werke 1. Buch, Kap. 9 nachlesen).
Unser Bild führt den Lesern die plastische Verkörperung der Loreley - Nire durch den berühmten Bildhauer Robert Cauer vor; es ist eine üppige mit allen verführerischen Reizen ausgestattete Mädchengestalt von übermenschlicher Größe und Schönheit, wohl geeignet, auf den Schiffer einen unwiderstehlichen Zauber auszuüben und ihn alle Gefahren übersehen zu lassen. Sehr weise hat der Künstler gehandelt, daß er sich nicht an den Buchstaben des Heine'schen Liedes gehalten und die Jungfrau dargestellt hat, wie sie sich frisirt, sondern daß er ihr die Leier in die Hand gab, womit sie ihren Sirenengesang begleitet. Das im Lied gewiß poetisch wirkende Bild einer ihr goldenes Haar mit goldenem Kamme kämmenden Frau würde in plastischer Darstellung einen höchst prosaischen, wo nicht einen komischen Eindruck hervorbringen. Wir erinnern an unsere Ausführung in Nr. 10 der„ N. W. ", Jahrgang 1883 zu Kanoldts Iphigenie auf Tauris.
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Es drängt sich uns bei dieser Gelegenheit die Frage auf, ob wohl die Loreley des Bildhauers in annähernd gleichem Grade auf das Interesse der Volkskreise rechnen kann wie die Loreley des Dichters. Loreley des Dichters. Bei näherer Erwägung müssen wir diese Frage verneinen. Unter allen Künsten ist heutzutage die Plastik die unpopulärste, im Gegensaz zum alten Griechenland, wo sie die volkstümlichste Kunst war, und beispielsweise eine neue Statue des Phidias oder Praxiteles ein Ereignis war, das alle Schichten der Bevölkerung aufs lebhafteste interessirte. Woher rührt das? Zunächst werden wir den Grund darin zu suchen haben, daß bei uns so viel wie nichts geschieht, im Volk das Verständnis für bildende Kunst im allgemeinen und für die Bildhauerei im besonderen durch Belehrung zu erschließen; wozu der weitere vielleicht noch erheblichere Umstand tritt, daß die im eigentlichen Sinne öffentlichen Bildwerke( wozu wir die in Museen aufgestellten nicht rechnen können) nicht geeignet sind, den Sinn für die Plastik zu bilden. Unsere öffentlichen Bildwerke sind fast durchweg Porträts, Statuen oder Büsten, in denen das eigentliche Wesen der Plastik, die Darstellung der menschlichen Körperschönheit, nur sehr selten zur Geltung kommit. Ihr Werth liegt in der geistigen Bedeutung des Konterfeiten, nicht in der Schönheit seiner körperlichen Formen. Aber, wird