Christenmenschen in die Kirche gehen, femmen wir im schwarzen Bock" zusammen, wo ein ausgezeichnetes Münchener Eberlbräu extra für uns angestochen wird. Stöder und Reichensperger werden sich gewaltig ärgern, wenn sie das erfahren; wir haben aber nach dem einen wie nach dem andern nichts zu fragen. Glauben Sie aber nicht, daß da blos gekneipt wird, oder gekartet oder politisch gekannegießert; nein, wir haben auch unser Andachtsbedürfnis und wollen auch erbaut sein, vem Pfarrer freilich nicht und auch nicht vom Freidenkerpfarrer. Was den lezteren betrifft, so sind wir der Ansicht, daß für jeden vernünftigen Menschen die christlichen Dogmen längst eine abgetane Sache sind und halten es daher für reine Zeitverschwendung, wenn man Sonntag für Sonntag beweisen hört, daß Christus ein Mensch gewesen ist, wie alle andern Menschen auch, und daß die Bibel ebensowenig unfehlbar ist, wie irgend ein anderes Buch, und dergleichen. Das kommt uns vor, wie wenn man einem, der schon tot ist, immer noch mit Stich und Hieb zu Leib rückt, um ihn noch toter zu machen. Heutzutage tut etwas anderes not, als beständig in religiöser Aufklärung zu machen, besonders in Kreisen, welche schon längst aufgeklärt sind. Ja, wenn in der Freidenkergemeinde belehrende Vorträge gehalten würden, aus den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft, da doch der Arbeiter ohne­hin so wenig Zeit hat, die von Tag zu Tag anwachsenden Schäze der Wissenschaft kennen zu lernen, würden wir unter Umständen auch dahin gehen. So aber ziehen wir es vor, uns auf unsere eigene Weise zu erbauen. Wir halten nämlich die Neue Welt" und in der Sonntags­frühmesse werden die belehrenden Artikel der neuesten Nummer vor­gelesen( die Erzählungen liest man zu Hause für sich) und hernach wird eine gemütliche Diskussion über das Gelesene eröffnet. Wer etwas zu bemerken, zu fragen, zu beanstanden hat, bringt es vor, ein Wort gibt das andere, man lärt sich gegenseitig auf, regt sich wechselseitig an und geistig erquickt geht man Mittags auseinander. So halten wir es schon gegen zwei Jahre. Und nun hören Sie, geehrter Herr Re­dakteur, welche Erörterung sich über Nummer 20 entsponnen hat.. Es betraf das Gedicht: Die beiden Könige" von Emanuel Geibel  . Als das Gedicht vorgetragen wurde, stuzten wir ein wenig, und manche von unserer Gesellschaft rissen sogar schlechte Wize darüber. Poesie hat das Ding verflucht wenig, äußerte einer, ein Schriftsezer, der sich besser auf Gedichte versteht als wir andere, weil er schon mindestens ein ganzes Schock Lyriker gesezt hat. Auch ist der Reim in der vierten Strophe unrein, sezte er hinzu: Zorn und geschwor'n sind nicht gleichtönend. Ich weiß nicht, meinte ein anderer, was da Merkwürdiges passirt iſt, wenn zwei Könige wegen eines Frauenzimmers einander totschlagen. Auch könnten es ebensogut zwei Bauernburschen sein, die wegen eines Mädels sich gegenseitig windelweich prügeln. Ein dritter fing mit dröhendem Bierbaß zu singen an:

"

Zwei Löwen gingen einst selband In einem Wald spazoren

Und haben da vor Wut entbrannt

Einander aufgezohren.

Hi ha hopsasa,

Balleri, Juchheirassa,

Von England nach Amerika  

In einem Wald spazoren.

Eine ungeheure Lachsalve folgte, worauf der Sänger fortfuhr: Da kamen eines Tags daher

Des Wegs zwei Leute edel,

Die fanden von dem Kampf nichts mehr

Als beider Löwen Wedel.

Hi ha hopsaja 2c.

Daraus geht nun für Groß und Klein

Die weise Lehr hervor:

Selbst mit dem besten Freunde dein

Im Walde nie spazor!

Hi ha hopsafa 2c.

Die humoristische Stimmung, welche dieser Gesang hervorrief, wurde noch gesteigert, als der Schriftsezer sagte: man fönnte den Inhalt des in Rede stehenden Geibel  'schen Gedichts viel kürzer mit einem Vers à la Klapphorn ausdrücken, etwa so:

Zwei Könige liebten ein Frauenzimmer.

Das war sehr schlimma; doch es tam noch schlimmer. Sie packten einander wütend am Kragen

Und haben sich mausetot geschlagen.

Meine Herren, begann ein vierter, ein Mechaniker, ich bitte Sie, das Gedicht nicht von der komischen Seite zu nehmen. Ich finde darin eine allerdings etwas versteckte Moral. Der Dichter wollte diese beiden Könige als Muster und Vorbild aufstellen. Es gab Zeiten, wo ein solcher Anlaß zum casus belli geworden wäre, der ganze Nationen in einen fürchterlichen Krieg verwidelt hätte. Hat doch sogar im griechischen Altertum eine ähnliche Ursache den berühmten trojanischen Krieg ent­zündet. Ganz Griechenland   rückte gegen Troja aus, weil der Trojaner­prinz Paris   die schöne Helena   dem Menelaos, König von Sparta  , ent­führt hatte. Die Geschichte berichtet von zahlreichen Kriegen, die um noch weit geringfügigere Ursachen ausgebrochen sind. Wie schön, wie edel war es daher von diesen beiden Geibel  'schen Landesvätern, daß sie die Sache in höchsteigener Person zum Austrag brachten, statt das

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Blut ihrer Untertanen um einer Schürze willen vergießen zu lassen. Da fällt mir eine Pfeffel'sche Fabel ein, welche überschrieben ist: Rezept wider den Krieg.

Die Löwen fielen mit den Bären In einen fürchterlichen Krieg; Wie Wasser floß in beiden Heeren Das Blut. Der flatterhafte Sieg Wand diesem hier, dort jenem Kronen. Der Kern der beiden Nationen

Lag schon im trunknen Sand verscharrt. Schach Löwe rief den Leopard

Um Beistand an. Die fernen Zonen Der Tobolskiten und Huronen Verstärkten des Czar Bären Macht. Der schlaue Bez, ein weißer Lappe, Ward just beim Anfang einer Schlacht Zum Heer der Bären eingebracht; He! warum kriegt man, Oheim Rappe?" Sprach er zu einem Grenadier Aus Polen  . Den unsern foppte."

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Weil der Fürst der Leuen Lappereien!" Rief Pez; Ha, Brüder, ihr seid dumm Wie Menschen! Laßt die Narrn sich schlagen, Und fehrt in eure Höhlen um: Was gilts, sie werden sich vertragen?" Die Nachbarn brummten Pezens Rat Von Glied zu Glied. Im Hui erfuhren Die Gegner ihn durch die Panduren Der Vorwacht. Hauptmann und Soldat 3og ab, bis auf die zwei Monarchen. Sie mochten bitten, brüllen, schnarchen Umsonst! man ließ sie flehn und drohn. Und weil sie unter beiden Schaaren

Zum Glück die feigsten Memmen waren, So schlichen sie sich auch davon.

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Ich finde es recht unartig von den beiden Majestäten, bemerkte Elsbet, die schmucke Wirtstochter, welche einige Zeit die Unterhaltung mit angehört hatte, daß sie um das Mädchen raufen wie um eine Kuh, als ob es sich von selbst verstünde, daß sie des Siegers Eigentum sein müsse, gleichviel ob sie ihn liebt oder verabscheut. Wäre ich an deren Stelle gewesen, ich wäre dazwischen getreten und hätte gesagt: Gemach, meine Herren, stecken Sie Ihre Schwerter ganz ruhig wieder ein und Lassen Sie mich selbst entscheiden, welchem von euch beiden ich angehören will. Wahrscheinlich hätte ich dann beiden einen Korb gegeben, in den sie sich hätten teilen können. Und ein Korb ist noch immer nicht so schlimm als das Schwert des Gegners im Leibe. Mulier taceat, brummte der griesgrämige Doktor in den Bart, der ab und zu unserer Früh­meß anwohnte. Laut aber sagte er: Immer besser so, als wenn der Dichter den Stoff im Sinne der Vorrednerin zu einem mehrbändigen Roman verwässert und den Leser durch eine endlose Reihe sentimentaler Rühr, respektive Großmutszenen und hohler Phrasendreschereien hin­durchgequält hätte. Wenn ich sage gequält, so meine ich natürlich nur die handvoll Leser von Verstand, nicht die große Kundschaft der Leihbiblioteken, welche derartigen Quark mit Heißhunger verschlingt. Unsere Dichter sind aber leider Gottes so wie sage ich nur gleich? na naiv meinetwegen, daß sie meinen, jeder Roman müsse sich um eine Liebes- und Heiratsgeschichte drehen; als ob das Menschenleben nicht auch von anderen, zum Teil weit mächtigeren und männlicheren Triebrädern in Bewegung gesezt würde, von Triebrädern, welche viel interessantere Konflikte und erschütterndere Katastrophen bewirken. So kommt es, daß die meisten Romane, statt in die Beleuchtung der Poesie gerückte Lebensbilder zu sein, vielmehr eine phantastische, erlogene Welt vorführen, wie sie weder war, noch ist, noch jemals sein wird, kann oder soll. Selbst die wenigen wahrhaft bedeutenden Romanschriftsteller, welche in der Tat großartige Freskogemälde aus dem Menschen- und Völkerleben der Gegenwart entwerfen, glauben, diese ihre Gemälde in einen erotischen Rahmen spannen zu müssen, wobei es sich in der Regel immer darum handelt, ob die Verliebten in den alleinseligmachenden Hafen der Ehe einlaufen können oder nicht. Sogar ein Schiller hat seinen Wallenstein mit der mir unausstehlichen Theklafigur verunziert. Und da die Wiese Amors schon an allen Ecken und Enden abgegrast ist, so martern sie ihr eigenes großes und kleines Hirn und den Geist ihrer Leser mit szenischen und psychologischen Subtilitäten, die ebenso originell als unwahr sind. Da lobe ich mir den kleinen Roman in unserem Gedicht, der neben dem Vorzug der Wahrheit den der Kürze hat. Was liegt daran, ob Könige oder Kanzlisten die Helden sind, ein König ist auch ein Mensch sozusagen.

Da es bereits zwölf Uhr geschlagen hatte, wurde die Versammlung geschlossen. Doch wurde mir als Schriftführer der Auftrag erteilt, Ihnen, geehrter Herr Redakteur, über unsere Verhandlung Bericht zu erstatten, was ich so treu als möglich hiemit getan habe.

Indem ich Ihnen zugleich für die gediegene Belehrung und Unter­haltung, die Sie uns durch die" N. W." jederzeit verschaffen, auf­richtigen Dank fage, verbleibe ich hochachtungsvoll Ihr ergebenster

N., 15. Juli 1884.

K. Fischer, Buchbinder.