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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Hunderte von weiblichen Namen, meist von Segenswünschen gefolgt oder mit schmeichelhaften Eigenschaftswörtern versehen, zieren die Wände Pompejis.
Einer, der ein Fräulein Psyche in sein Herz geschlossen hatte, malte den Namen PSYCHE so an die Wand, daß die Arme des Y sich zu cinem Herz zusammenschließen. Wie man sieht, ganz wie bei uns, spielte schon damals das gemalte Herz in der Liebessymbolik seine Rolle.
Für manches Liebespärchen scheinen die Mauerwände ungefähr die Rolle gespielt zu haben, zu welcher heute Liebesleutchen, die dem Briefwechsel und seinen Zufälligkeiten nicht recht trauen, die sogenannte Eselswiese unserer Tageblätter benutzen.
Aus den zahlreichen pompejanischen Inschriften dieser Art ließen sich ganze Korrespondenzen zusammen jezen. Da giebt es Grüße, Daufbezengungen, Bestellungen zum Treffen, Verwünschungen und Droh= ungen getäuschter Hälften solcher Pärchen und wer weiß, was Alles noch!
Die holde Göttin der Liebe, Frau Venus, begegnet uns oft in der verliebten Wandliteratur, war sie doch auch Spezialgöttin, Behüterin und Herrin der Stadt Pompeji . Wie sie sich dem betreffenden Schreiber erwiesen, so hallt aus seinen Zeilen entweder ihr Lob oder auch bitteres Schelten gegen sie;
der Eine bezeichnet sie mit Ehrfurchtstiteln und Schmeichelnamen, der Andere, dem es in seinen Liebesangelegenheiten nicht nach Wunsch gegangen, entblödet sich nicht der Gotteslästerung, sie eine Seelenverkäuferin zu nennen.
Nicht nur das Frohlocken über das Glück eines süßen Stelldicheins und Sehnsucht nach einem neuen, auch Zorn und Enttäuschung, auch Abneigung, Groll und Haß kommen in den Wandinschriften zur Geltung. Oft stehen hinter dem Namen der literarisch verfolgten Person sehr unfromme Wünsche, wie:" Möge Dich die Schwindsucht holen, mögest Du gehängt, gekreuzigt werden", und dergleichen Liebenswürdigkeiten mehr.
Mehrfach begegnen uns aufgereihte Zahlenposten, vor denen Wirthschaftsbedürfnisse stehen; es scheinen Haushaltsnotizen zu sein, die der Schreiber in Ermangelung eines Notizbuches an die Wand schrieb. Oder vielleicht sind ein paar Leute zusammen an der betreffenden Mauerstelle in einem Handel be= griffen gewesen und haben da miteinander gezählt und gerechnet.
Andere Inschriften haben den Zweck, allerlei Marktwaare einem geehrten Bublifum von Pompeji und Umgebung zum Kauf anzuempfehlen, also entund Umgebung zum Kauf anzuempfehlen, also entsprechen diese Anschreibungen unseren Geschäftsinseraten der Kaufleute und Krämer.
Allem Anscheine nach hat auch die ehrfante Zunft der ABC- Schüßen Pompejis fich es nicht nehmen lassen, ihr Theil zur öffentlichen Wandschriftstellerei beizutragen.
Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen! Und was ein Häfchen werden will, das krümmt sich bei Zeiten, und jung gewohnt ist alt gethan! Die alten Römer waren Meister in der Kunst der Inschriftenabfassung; sie wußten prunkende Feierlichkeit ebenso in dieser Gattung zu dokumentiren als scharf zugespiẞte Kürze. Und bereits in der Jugend regte sich dieser inschriftenfrohe Zug des Römerthums, das mit seinen Adlern auch seine Inschriften in alle Länder der den Alten bekannten Erde trug.
Nach mehr als 1800 Jahren fühlen wir bein Durchblättern der Zangemeisterschen Sammlung, die etwa den dritten Theil aller Wandinschriften umfaßt, den Schreibern nach, welche Empfindungen und Ge danken sie beschäftigten, aufregten in wohlthnender und schmerzhafter Weise! Wir ersehen aus diesen Geplauder der redenden Wände Pompejis: Dort lebten vor beinahe zwei Jahrtausenden Menschen, Menschen wie wir, deren Fühlen und Denken, Thun und Lassen bestimmt wurde genau wie das unsere heutigen Tages von jenen zwei großen Triebfedern alles menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns: Leidenschaft und Interesse!
Aus dem Papierkorb der Beit.
Obdachlos.( Zu unserem Bilde.) Wie still es geworden ist! Langsam gleitet die klare Winternacht hernieder. Die Nacht über eine Obdachlose. Müde und traurig steht das arme, verlassene Mädchen da, ohne Heimath, ohne Eltern, ohne Schuß und Schirm. Wohin soll sie sich flüchten, wo soll sie die lange, bange Nacht zubringen? Und was wird morgen aus ihr werden und übermorgen?- Und all die trüben, kommenden Tage! Sie sieht keinen Ausweg, keine Rettung! Still und mit dumpfer, lastender Trauer denkt sie an ihr Elend, an das Elend der Heimathlosen, die ein unbarmherziges Schicksal hinausstößt in die Welt und hohnlachend der Noth und Verzweiflung überläßt.
Aus Seumes Apokryphen.
Wenn wir in unseren öffentlichen Verhältnissen sagen, man müsse das Beste wählen, so heißt das blos: man muß thun, was weniger schlecht ist, denn das Gute wird man uns schon zu verwehren wissen.
Ein gewöhnlich großer Mann hat sein Vergnügen, Alle rund um sich her mit der Allmacht seiner Kraft nieder zu drücken und eine Welt vor sich auf den Knieen zu sehen; ein rein großer Geist sucht so viel wie möglich Alle mit sich auf gleichen Fuß zu sehen und fühlt sich dann in seiner größten Würde, wenn Alle in dem Gefühl der ihrigen neben ihm stehen. Wer einen Baum aufrichtet und hält, ist ausgemacht stärker, als wer ihn niederschlägt. Wer nur auf Kosten der Vernunft und des Menschenwerthes herrschen kann, hat das System der Ohnmacht ergriffen. Wo sich die Kleinen vor den Großen bücken, sind gewiß die Großen vor den Kleinen nie gehörig sicher. Der Mensch giebt seine Würde auf, aber er wird nie der Freund Dessen, der sie ihm abnimmt.
Ob die Weiber so viel Vernunft haben wie die Männer, mag ich nicht entscheiden, aber sie haben ganz gewiß nicht
so viel Unvernunft.
Wenn die Staaten ursprünglich mit mehr Vernunft und Gerechtigkeit eingerichtet wären, würden weniger gewaltsame Empörungen zu fürchten sein.
Die Tyrannei hält immer gleichen Schritt mit der Niederträchtigkeit, und das Privilegium mit der Dumm heit. Es wird der Welt nie an Tyrannen fehlen, da sie voll Weggeworfenheit( Verworfenheit) und Sklavengeist ist.
Mich schlägt bei meinem Blick in die Welt nichts mehr nieder, als daß ich so viel Gesichter sehe, die ihre Ansprüche auf irgend ein Privilegium auf die Nase gepflanzt haben.
Um unter der preußischen Armee einen Ehrenposten zu haben, mußte man Edelmann sein. Es ist( bei Jena 1806) echt adelig gegangen. Wenn unser Adel nur seine Steuerfreiheit, seine Frohne und seinen Dienstzwang rettet, ist er Jedermanns Sklave, der ihm seinen Unsinn behaupten hilft.
Eine Nation, welche nur durch einen einzigen Mann gerettet werden kann und soll, verdient Peitschenschläge. Bei Ulm und Austerliz und Jena hat sich unser Stocksystem in seinem ganzen Glanze gezeigt.
Wo wäre denn Vernunft und Recht? Ich sehe nichts als Büttel und als Knecht! Man stürmt und braust und peitscht nach Noten Den Sklaven hier, dort den Heloten.
Der Staat sollte die Wohlhabenheit Aller zu befördern suchen, befördert aber nur den Reichthum der Einzelnen. Wo man anfängt, den Krieger von dem Bürger zu trennen, ist die Sache der Freiheit und Gerechtigkeit schon halb verloren.
Der Ruhm ist gewöhnlich das Grab der Ehre; und die Ehre selten der Weg zum Ruhm. Aber wer den Ruhm und die Macht in Beschlag nimmt, stempelt die Ehre nach Gutdünken und macht Goldmünze aus Glockenspeise.
Wer ist der Mann? fragen Andere. Wer ist der Herr Vater? fragt der Deutsche.
Wer bei gewissen Anblicken nicht die Vernunft ver. liert, muß wenig zu verlieren haben.
" JB Deinen Pudding, Sklav, und halt das Maul!" war die Ordonnanz der alten Tyrannei. Die neue rückt etwas weiter und sagt:„ Gieb Deinen Pudding, Sklav, und halt
Eine Nation hat immer mehr nöthig, gegen ihre bereichernde und durch ihren Reichthum herrschende Klasse, innern Feinde, die Pleonekten( die Plusmacher, die sich würden wir heute sagen) zu wachen als gegen ihre äußeren. Selten ist eine Nation durch ihre äußeren Feinde zerstört worden.
Wenn ich nur noch zwei Sekunden zu leben habe, will ich noch mit meinem lezten Athemzuge rufen: Wollt Ihr euch retten, so rottet die Privilegien aus. Es giebt selten eine Schurkerei, die nicht irgend ein sogenannter großer Mann in der Geschichte mit seinem Beispiel so gestempelt hätte, daß sie in einem anderen mit Euphemis. mus( in beschönigender Redewendung) genannt wird.
Wenn sich nur Niemand fürchtete, zu sagen, was die Sache ist, so würden alle Sachen besser gehen.
Mit dem Degen kann man wohl zuweilen beweisen daß man Muth hat, aber nie, daß, man Ehre besitzt; oft geht daraus das Gegentheil hervor. Ehre und Recht werden nur durch Vernunft dokumentirt; nie durch Waffen. Es ist, als ob man eine Schurkerei durch die andere umstempeln wollte. Ehre kann man mit den Waffen be haupten, aber nie erwerben: dadurch erwirbt man nur Ruhm, oft das Gegentheil von Ehre.
Gedankensplitter.
Vor der Logit und dem Lächeln der Zivilisation schwindet vor Allem der Aberglaube, der das meiste zur Entwickelung des Wahnsinns beiträgt. Lombroso .
Jm thätigen Leben der Geschichte ist es offenbar daß nie etwas Großes durch einen einzelnen Menschen geschah, sondern durch die Entwidelung vieler, an deren Spize freilich immer der Thätigste stand.
Räthsel- Ecke.
Räthsel.
Achim v. Arnim.
Ich habe die hübsche Frau Grete gesehen Schon oft nach dem Markt mit dem ganzen Wort gehel Sie hat das Talent, daß sie viel dort entdeckt, Was wenig nur kostet und Hansen doch schmeckt! Man sieht ihrem ganzen Verhalten es an, Nur sehr wenig Wirthschaftsgeld giebt ihr der Manu Und dennoch ist glücklich ihr Sinn und zufrieden, Sie durfte ja selber ihr Schicksal sich schmieden; Sie könnte in Saus und in Braus heute leben, Hätt' Peter die Eins statt der Zwei sie gegeben. Doch als er sie freien kam, schlug sie ihn aus, Obwohl er der Herr war im prächtigsten Haus; Denn die Eins ohne Fuß und mit Dehnung der Mitte In der Zweiten war hans in der ärmlichen Hütte.
Auflösung des Bilder- Räthsels in Nr. 1: Gummimantel.
Nachdruck des Jnhalts verboten!