Die eeue Welt
Nr. 7
Spielkinder.
( Fortsetzung.)
Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
it einem Schlage riß mich dieser Unglücksfall aus meinem früheren Leben heraus. Ich ging nicht mehr in den Thiergarten und auf den Hof, und wenn ich wirklich einmal dorthin fam, so waren es andere Dinge als Zeckspielen, Prügeln und Stockwerfen, die mich in Anspruch nahmen. Ich begann mich für Naturwissenschaften zu interessiren, Schmetterlinge, Stäfer und Pflanzen zu sammeln, aber auch der Literatur blieb ich nicht fremd. Ich verschlang ohne Wahl, wenn auch nicht ohne Urtheil, Gutes und Schlechtes, erzog mich am Börne und Heine, las auch Lessing , ein wenig Schiller und Goethe.
Mit Innigkeit nahm ich freiheitliche Ideen auf und theilte meinen Freunden das Gelesene mit. Man bemächtigte sich längst abgethaner Fragen mit einem wahren Feuereifer. Stundenlang diskutirte man und überbot einander in menschenfreundlichen Bestrebungen. Man wollte Alle beglücken, alles Böse und Schlechte aus der Welt schaffen. Jeder fühlte soviel Liebe in sich, daß er mit Leichtigkeit einen Ring hiervon um den ganzen Erdball hätte schmieden können.
Eugen Salle, der zukünftige Börsianer, machte sofort die Angelegenheit zu einer Privatsache ging in Allem bis zum Aeußersten, nicht aus Ueberzeugung, sondern nur, um uns zu überbieten.
Walter Schneider jedoch faßte Alles vom kritischen Standpunkte auf. Er wiederholte jeden Satz zweimal, hackte die Worte ab, sprach jede Silbe so scharf und deutlich, als ob sie von Gold wäre und nicht verloren gehen dürfe, machte Auszüge über das Besprochene und griff stets das auf das Heftigste an, was er den Tag vorher vertheidigt hatte.
Nur Albert Nickel, der hübsche, dumme Junge, zeigte wenig Verständniß, aber desto mehr Aufmerksamkeit. Mit gespizten Ohren lauschte er unseren Worten, ohne auch nur einen Schatten des Sinns zu erfassen, und sagte dann blindlings zu Allem„ Ja“. Wir vier fünfzehnjährige Bengel, wir waren die Großen, die Edlen, die Freien!
Mit einer Stoiferruhe sahen wir Allem entgegen, was uns zustoßen könnte. Wir hoben stolz unser Haupt und blickten Jeden über die Schulter an. Wir fühlten uns so unendlich erhaben über alle kleinlichen Wünsche der Menge; selbst die Angehörigen wurden uns fremd, und wir sahen in ihnen nur armselige Menschenkinder, die im Bann er erbter Vorurtheile" seufzten.
Wohl acht Wochen waren so hingegangen, da fand ich, als ich von der Schule nach Haus tam, einen Brief vor:
"
,, Lieber Georg! Sei heute um vier Uhr bei mir, ich hätte Dir etwas sehr wichtiges mitzutheilen. Eugen."
Sehr und wichtig waren je sechsmal unterstrichen. Wozu der Brief? Warum konnte er mir das nicht so sagen, daß ich zu ihm kommen sollte, da wir doch in demselben Hause wohnten?. Was konnte er nur wollen?
Wirklich, ich war neugierig! Es mußte etwas sehr Erustes sein! Ich machte mich auf Alles gefaßt! Jedoch wollte ich jeglichen Gewaltmaßregeln widersprechen, da wir doch noch nicht in dem Alter wären, um die Welt aus ihren Angeln zu heben.
Nach dem Mittagbrote mußte ich Vater stets aus der Zeitung vorlesen, da er seine Augen nicht anstrengen sollte. Ich las heute unaufmerksam und zog mir des Defteren Verweise zu.
Aber ich war so aufgeregt, so voller Erwar tung, daß es mir vor den Augen flirrte. Es mußte etwas ganz Großartiges sein, denn sonst hätte er nicht geschrieben.
Schlag vier Uhr stand ich vor seiner Thür und schon kamen Walter und Albert die Treppe herauf. Walter trug einige Bücher unter dem Arm und hatte seine Stirn in ernste Falten gelegt. Albert hatte einen schwarzen Anzug angezogen, sich mit weißen Handschuhen geschmückt und gab sich ein sehr feier liches Aussehen. Als ich ihn fragte, was dieser Unsinn zu bedeuten habe, lächelte er nur und sah mich mitleidig an, weil ich nicht einmal die Größe und Erhabenheit dieses Augenblickes begriffe.
Endlich öffnete uns Eugen. Er hatte sich möglichst fein gemacht, sogar eine helle Kravatte vorgebunden. Er lud uns mit einer zuvorkommenden Handbewegung ein, näher zu treten, und bat uns, leise zu gehen, da seine Mutter Kopfschmerzen hätte.
Er führte uns einen Gang hinunter und öffnete die Spindenstube: so ein kahler, unwirthlicher Raum, darin uraltes Gerümpel, ein paar Kasten und Kisten, ein paar Holzstühle, und in einer Ecke eine Unmenge leerer Flaschen. Was sollten wir hier?
Schweigend trat er an das Fenster und wandte sich dann mit unendlicher Feierlichkeit zu uns um.
,, Liebe Freunde, ich habe Euch hierhergerufen, um-" er suchte in allen Taschen, rannte aus dem Zimmer und kam nach einer Weile mit einem Stück Papier wieder herein, dann riegelte er die Thür ab und nahm wieder am Fenster seinen Plaz. Wir waren so erwartungsvoll, daß wir kaum zu athmen wagten. Er räusperte sich und las:
„ Ich will einen Verein gründen! Hört! Hört!! Ach was! denkt Mancher, es giebt soviel Hunderte von Vereinen, immer die dummen Konventionalstrafen, Eintrittsgelder, Beiträge, langweilige Landpartien mir kann das ganze Vereinswesen gestohlen bleiben! Man hat nur immer Placereien!
-
Ja! Placereien hat man auch bei mir! Mehr, viel mehr als bei jeder anderen Verbindung! Ich gründe, oder will vielmehr gründen den Verein der Geistesbrüder!
Was ich will, was ich beabsichtige! Ihr sollt es hören!
1897
Ich will Freiheit im Denken; Freiheit in den Anschauungen; Freiheit, Freiheit, selbstlose Freiheit in unseren Handlungen! Ich will den Menschen zum Menschen machen und den Kampf aufnehmen gegen eingefleischte Unrechte, gegen Geld- und Geburtsaristokratie und hauptsächlich gegen alles konven tionelle Lügenhafte!
Der Verein soll sich für's Erste jeder politischen Färbung enthalten; wir wollen nicht Kleinstädter, nein! wir wollen Weltbürger sein! Und unseren größten Stolz wollen wir darein sezen, Menschen zu sein, die sich soviel als irgend möglich von jeglichem Vorurtheil befreit haben! Unsere Religion soll und muß ein einfacher Theismus und sonst nichts Anderes sein. Unsere Aufgabe soll sein, mit Gut und Blut für unsere Anschauungen einzustehen und nie feige fleinlicher Ursachen wegen sie zu verleugnen! Wir wollen soviel wie möglich armen, verblendeten Menschenkindern, die, von Vorurtheilen befangen, sich nicht über ihre fleinlichen, spießbürgerlichen Ansichten hinwegheben können, die Augen öffnen und sie bekehren zu dem neuen Evangelium der Freiheit!!!
Möge der Verein lange Jahrhunderte hindurch gedeihen, wachsen und blühen, und mögen glücklichere Enkel den Nußen unserer selbstlosen Bemühungen ernten!!
Oft werden wie zwar verkannt werden. Viel werden wir zu kämpfen und zu dulden haben, aber endlich werden wir doch siegen!
Und dräut der Winter noch so sehr Mit grimmigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher, Es muß doch Frühling werden!!!!
Nachdem Eugen geendet hatte, stellte er sich in Pose und machte eine kühne Handbewegung, als ob er sagen wollte: So, nun komm heran, Jahrhundert!
Walter ergriff eines seiner Bücher und blätterte hastig darin. Albert wiederholte dreimal die an sich sinnlose Phrase:... und nicht feige fleinlicher Ursachen wegen sie zu verleugnen." Dann ging er auf Eugen zu und streckte ihm seine weißbehandschuhte Rechte entgegen:
"
Jawoll! und nicht feige fleinlicher Ursachen wegen sie zu verleugnen!" sagte er gerührt.
Nur ich war damit wenig einverstanden. Ich. liebte kein Vereinswesen und fühlte heraus, daß Eugen aus der guten Sache Geschäft machen und alle Aemter an sich reißen würde. Er, als der Gründer des Vereins, wollte natürlich das große Wort führen. Und richtig! Schon zog er ein zweites Bettelchen aus der Tasche.
" Ich selbst bin gern bereit, die Stelle eines ersten Schriftführers zu übernehmen. Fürs Erste beantrage ich, daß eine Vereinsbibliothek gegründet wird, da der Verein auch einer literarischen Richtung huldigen soll. In diese Bibliothek dürfen nur Bücher aufgenommen werden, die unserer freiheitlichen Tendenz beistimmen;„ Nieriz" ist ausgeschlossen. Beiträge müssen vorher einer Prüfungs