Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
füllen, mit den Interessen der Zeit mitgehen. Das Jahrhundert, in dem wir leben, erfordert es!"
Diese schönen Worte wären ja sehr angebracht gewesen, wenn wir sie nur verstanden hätten.
Statt jeder Antwort faßte Lies plöglich meinen Kopf mit beiden Händen, so start, daß sie mir die Ohren mit aller Gewalt preßte, und begann, ganz grundlos mich abzufüssen. ( Fortsegung solgt.)
Aus dem Junkerparadies.
Bilder aus Dstelbien. Von Heinz Starkenburg.
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I.
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riedrich Engels hat einmal gesagt, die Entscheidungsschlacht des deutschen Proletariats werde in den Gefilden von Ostelbien geschlagen werden. Wenn dem so ist und Vieles spricht dafür, dann scheint uns dieser Kampf um die Hochburg der Reaktion, die so lange schier uneinnehmbar schien, nicht mehr in unabsehbarer Ferne zu liegen. Zwei Anzeichen beginnender Zerseyung der feudal patriarchalischen Agrarverfassung AltPreußens wenigstens sind unleugbar: die rapide fort schreitende kapitalistische Umgestaltung des landwirth schaftlichen Großbetriebes, die an Stelle des rentenverzehrenden, vielfach in der Stadt lebenden Junkers den rationell wirthschaftenden, profitmachenden Landbourgeois sezt und das auffallend zunehmende Klassenbewußtsein des sich gleichzeitig in kapitalistisches Lohnarbeiterthum verwandelnden Landproletariats. Unter diesen Umständen ist es wohl nicht ohne Interesse, einmal eine genauere Betrachtung dieses nordöstlichen Zipfels von Deutschland vorzunehmen, dessen ganzer Charakter in jeder Hinsicht so eigenartig ist, daß es den West- und Süddeutschen, den das Geschick in jene Gegenden verschlägt, wie ein fremdes Land anmüthet.
Nie ist mir dieser Unterschied mehr zum Bewußt sein gekommen, als vor einigen Jahren bei Gelegenheit einer langen Eisenbahnfahrt, die mich nach mehrmonatlichem Aufenthalt im äußersten Südwesten des deutschen Reiches in einer Tour in den fernsten Nordosten trug. Um die Mittagsstunde war ich in Stuttgart abgefahren; so lange die Tageshelle den Ausblick gestattete, flogen die waldigen und bergigen Gefilde, die geschäftigen Bauerndörfer, die rauchenden Induſtrieſtädte Süd- und Mitteldeutschlands in bunter Abwechselung an meinem Auge vorüber. Dann fam die Nacht. Und als die Sonne wieder am Horizont erschien, wie hatte sich das Bild verändert: An Stelle des lebhaften Gemisches von Dorf und Stadt, von Wasser, Wald und Bergen ein weites, eintöniges Flachland, riesenhafte Kartoffel-, Korn- und RübenFelder so weit das Auge reichte, selten einmal von einem dürftigen Fichtengebüsch, einem schmußigen Tümpel unterbrochen; hin und wider tauchte am Horizont ein merkwürdiges Gebilde auf: wie eine Oase in der Wüste mitten in der trostlosen Einöde ein prächtiger Park, durch dessen hochstämmige Bäume ein schloßartiges Gebäude seine weißen Mauern blizen ließ, daneben ein hoher Fabrikschornstein, zwei bis drei mächtige Ställe und Scheunen, und seitwärts, ins Gebüsch verkrochen, ein paar jammervolle Kathen, deren niedrige, verschmutzte Schindeldächer sich neben ihren stolzen Nachbarn förmlich zu schämen schienen. Das waren die Herrensiße des preußischen Juuferthums, das waren die Ritterburgen des neunzehnten Jahrhunderts, von denen aus Preußens Politik ge= leitet wird.
Zuweilen hielt die Bahn, ein kleiner, rother Backsteinbau gab sich Mühe, einem Bahnhof ähnlich 311 sehen, die Schaffner schrien einen mißtönigen, seltsam klingenden Namen aus, ein paar Weiber mit Kiepen und fuallbunten aufgebauschten Röcken stiegen umständlich aus oder ein und schwaßten mit unglaublicher Geschwindigkeit ein zischendes Rauderwälsch, das keine Vokale zu haben schien, und nach ein oder zwei Minuten ging es weiter, vorbei an einem kleinen Klumpen niedriger, steinerner Häuser. Das war eine der ostelbischen Städte. Aber auch diese haben hier eine völlig andere Physiognomie, als„ im Reich"
unten die Städte und Dörfer. Zunächst darf man feine dem Namen„ Stadt" entsprechende größere Ansiedelung erwarten. Viele haben kaum so viel Einwohner wie ein süddeutsches Dorf. Ein eigentliches Stadtleben fonnte hier faum entstehen. Denn für eine kapitalistische Stadt fehlt es hier völlig au der nöthigen Industrie, von den paar Zuckerfabriken der Großgrundbesiver abgesehen; für eine klein- bürgerlich feudalistische Stadt mit Handwerker- Bevölkerung aber fehlt es an der unerläßlichen Voraussetzung eines bäuerlichen Absazkreises, denn der Gutsherr bezieht seine Gebrauchsgüter größtentheils aus den großen Geschäften der Bezirkshauptstadt, und der fast ganz naturalwirthschaftlich lebende Instmann hat weder die Bedürfnisse noch das Baargeld dazu, einen städtischen Handwerkerstand zu erhalten.
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Die Entstehungsgeschichte dieser Städte" führt vielmehr meist auf eine sehr charakteristische Quelle zurück. Die Junter benußten ihren Ueberschuß au Kartoffeln und Gerste von jeher mit Vorliebe dazu, Schnaps zu brennen und Bier zu brauen. Dies nügte ihnen jedoch nur, wenn ein genügender Absatz dafür vorhanden war, und da nach früherem Recht die Ausschankgerechtigkeit ein Privilegium der Städte war, ihnen aber sehr viel daran lag, durch direkten Verkauf an ihre Bauern und Komorniks" von diesen einen nochmaligen Profit zu gewinnen, so setzten sie Alles daran, ihre kläglichen Bauerndörfer zu Städten erkiären zu lassen, was ihnen in der Regel auch ohne große Schwierigkeiten gelang. Seitdem sind die Bauern fräftig„ gelegt" und die heutige Bewohnerschaft dieser Niederlassungen setzt sich vorwiegend zusammen aus einem fast ausschließlich jüdischen Stamm von Kleinhändlern und Schantwirthen.
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In der That, wenn man etwa am Freitag Abend in einem dieser kleinen Nester über den Marktplaß geht, fühlt man sich unwillkürlich nach Palästina versetzt. Da sind alle Läden geschlossen, auf den Steintreppen spielen dunkellockige Kinder, auf der selten fehlenden Bank vorm Hause aber fist in Feiertagskleidern, Sabbathsruhe und Sabbathsfreude auf dem Angesicht, die gesammte meist sehr zahlreiche Familie. Es sind höchst charakteristische Typen, die man hier zu sehen bekommt. Ist doch auch das strengorthodore, kleinbürgerlich- patriarchalische Juden thum nirgends in Westeuropa mehr so rein und ausgeprägt erhalten, wie hier in den Kleinstädten ausgeprägt erhalten, wie hier in den Kleinstädten Ostelbiens, namentlich in Posen und Schlesien . Hier, in den finderreichen Familien des Ostens, ist die unversiegliche Quelle der jüdischen Lebenskraft, aus der immer wieder die überschüssige junge Generation -arm und ohne Stüße, aber mit einem durch Generationen aufgespeicherten Schatz von Arbeitskraft, kapitalistischer Beanlagung und bewundernswerther Bedürfnißlosigkeit hinauszieht in die größeren Städte, namentlich Posen und Breslau , um dort ihr Glück zu machen". Und meistens gelingt es ihnen hochzu machen“. Und meistens gelingt es ihnen hochzukommen, so daß sie dereinst als Konfektionär oder Grossist, neuerdings auch als Arzt und Rechtsanwalt, in der Lage sind, ihre Söhne weiter nach dem Westen zu schicken, nach Berlin , der Stadt, wo das Gold wächst für Den, der es zu finden weiß.
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Ein Typus, der dem Fremden besonders auf fällt, ist das schöne Judenmädchen". Ein länglich ovales Gesicht mit scharf orientalischem Schuitt, aber oft klassisch schönen Zügen, mit dunklem, bräunlich gelbem Teint eine Farbe wie altes Elfenbeinumrahmt von einer lastenden Fülle tiefschwarzen, umrahmt von einer lastenden Fülle tiefschwarzen, glänzenden Haares, ein Paar ebenso schwarze, mandelförmige Augen, sehr volle, rothe Lippen, eine üppig entwickelte, aber doch schlanke und graziöse Figur, furz, Gestalten, die eigentlich garnicht anders heißen furz, Gestalten, die eigentlich garnicht anders heißen können, als Ruth oder Judith, hier aber mit Vorliebe ſentimental- zärtliche Namen, wie Täubchen, Röschen, Blümchen erhalten. Der Tphus ist so einheitlich, daß man zuerst glaubt, lauter Schwestern vor sich zu haben. Leider dauert die Schönheit nicht an; die Jüdin verblüht früh. Nach den ersten Geburten namentlich, oft schon Mitte der Zwanziger, ist sie eine stark beleibte, unbeholfene Matrone ge worden, die das ästhetische Gefühl nicht mehr in Erregung zu versezen vermag.
Ein ganz anderes Angesicht zeigt die Stadt an
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den Markttagen. Der Markt ist das wichtigste Glied der ganzen Stadt; in keiner fehlt daher ein geräumiger Marktplatz, zuweilen besteht sie fast nur aus einen solchen. Die charakteristische Bauart der slavischen Ansiedelungen ist eigentlich das sogenannte„ Runddorf", eine Nachahmung der alten Wagenburg: Die Häuser umschließen, eng aneinander gedrückt, einen freisrunden Plaz, auf den von außen nur eine geräumige Einfahrt führt, der gegenüber in der Regel die Kirche liegt. Dies ist jedoch nur der ältere Typus, in Feindesland erfunden. Der zivilisirte
und im deutschen Osten vorherrschende ist das sogenannte Straßendorf. Es liegt stets am Knotenpunkt zweier sich schneidender Chausseen. Einer der vier dadurch entstandenen Winkel ist durch Parallelwege quadratförmig zum Marktplatz abgegrenzt, und dieser rings eng mit Häusern bebaut, alsdann sind die vier den Plaz abgrenzenden Wege nach beiden Seiten als Straßen weitergeführt, doch sind in den kleinen Städten oft nur die beiden Hauptchausseen und höchstens noch der Weg zu dem vor der Stadt liegenden Bahnhof völlig bebaut. Diese Art der Anlage läßt sich deutlich bei allen mir bekannten ostdeutschen Städten nachweisen.
Der Markttag ist für die Bewohner, was die Börsenzeit für den Großhändler: Die auf wenige Stunden, auf einen Vormittag zusammengedrängte Hauptarbeitszeit der ganzen Woche. Der Typus, der dann die Stadt beherrscht, ist der polnische Bauer. Die hohen Kniestiefel, die knallrothe Weste, der bis zu den Knöcheln reichende Kaftan, mit Schnüren und doppelreihigen Messingknöpfen besetzt, die viereckige Polenmüße auf den bis zum Kragen herabfallenden fettglänzenden Haaren machen ihn schon von Weitem kenntlich. Auch für ihn ist der Markttag ein wichtiger Tag; nicht daß er, wie früher wohl, seine Waare feilzuhalten käme. Der Bauer hat eine instinktive Abneigung gegen die Geldwirthschaft, er verkauft nur, so viel er muß, um das bischen Baargeld, das er braucht, einzunehmen, und das, was er verkauft, fauft meist der umherziehende Kornhändler und Viehhändler daheim auf dem Dorfe auf. Wenn er dennoch meilenweit hereinkommt in die Stadt, so thut er es einmal, um einzukaufen; was er einstmals in eigener Wirthschaft herstellte, jezt aber an die Maschinenarbeit hat abgeben müssen: Möbel, Werkzeuge, Küchen- und Hausgeräth, Kleidung und Schuhwerk, dazu Kolonialwaaren, wie Tabak, Kaffee, Cichorien, furz, den ganzen Kleinbedarf einer ärmlichen Hauswirthschaft findet er hier in den zwei Dutzend Läden des städtischen Marktplazes vor.
Daneben aber steht eine zweite wichtige Funktion des Markttages: es ist der Tag der amtlichen Handlungen. Obwohl die Schöffen- und Zivil- Sizungen in der Regel geflissentlich auf andere Tage verlegt werden, ist doch der Markttag der arbeitreichste Tag für die Gerichtsbeamten; und ebenso für die Verwaltungsbeamten, denn neben Testament- und Grundbuch- Sachen sind es namentlich die polizeilichen und standesamtlichen Meldungen, welche der Bauer am Markttage abmacht. Der Amtsrichter, welcher die freiwillige Gerichtsbarkeit unter sich hat, kommt an diesem Tage erst spät zum Mittagessen. In seinem Vorzimmer da drängt es sich, wer kennt die Völker, nennt die Namen!" noch von Menschen, wenn der Kollege Prozeßrichter längst zu Hause sich das Mittagessen schmecken läßt. Besonders schwer aber haben es die Unterbeamten; der Gerichtsschreiber krizelt sich die Finger blutig und der Dolmetscher redet sich den Mund fusselig.
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Und alles dies wird dadurch erschwert, daß der richtige Bauer absolut kein Verständniß für die Natur des kapitalistischen römisch- modernen Rechts hat, dem er sich hier unterordnen muß. Es geht dies so weit, daß er oft völlig außer Stand ist, ein Gut oder einen Streifen Landes oder einen entstandenen Flurschaden auch nur annäherungsweise in Geld abzuschäßen. Der Rechtsanwalt des Städtchens er hat heute von sieben bis zwei sein Bureau offen- ist dann in heller Verzweiflung, denn seine Klienten wollen in hundert Fällen Dinge, die juristisch unmöglich sind; sie haben ein Rechtsgefühl und rechtliche Anschauungen, in die sich der„ wissenschaftlich" gebildete Jurist absolut nicht hinein versezen kann,