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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Schwester des berühmten Humanisten Reuchlin   war, der sich namentlich durch seine Studien auf dem Ge­biete der griechischen Sprache einen unsterblichen Namen erworben hat. Hier lernte der frühreife Knabe die Literatur der Griechen und Römer, an denen sich die aus dem Schlafe des Mittelalters er­wachten Geister jener Zeit verjüngten, in der Ur­sprache lesen, und seine Talente und sein Fleiß waren so groß, daß er schon nach zweijährigem Studium an der Universität Heidelberg  , d. h. fünfzehn Jahre alt, den Titel eines Baccalaureus erhielt. Weil man ihn seiner Jugend wegen nicht zum Magister machen wollte, zog er nach Tübingen   und promovirte dort mit Glanz. Und jetzt seßte es sein Großonkel Reuchlin  durch, daß er, kaum einundzwanzig Jahre alt, als Professor nach Wittenberg   berufen wurde. Hier wußte er die studirende Jugend durch packende Vor­lesungen für das Studium der Alten zu begeistern und trug dadurch wesentlich zur Umgestaltung und Hebung der zeitgenössischen Gelehrtenbildung bei. Als Luther   seinen Kampf mit Rom   begaun, schlug sich Melanchthon auf seine Seite und wurde von da an der gelehrte Beirath und Dogmatifer der Reformation, ja, man könnte geradezu sagen, die wissenschaftliche Hebamme der protestantischen Theologie.

Wir haben durchaus nicht die Absicht, mit den theologischen Händeln jener Zeit, die für uns mo­derne Menschen nichts als mittelalterliche Kuriositäten sind, unsere Leser zu langweilen. Wenn selbst einem Melanchton bei den spisfindigen Streitigkeiten über die Bedeutung von Brot und Wein beim Abendmahl bor   der rabies theologorum( der Streitwuth der Theologen) graute, wie sollten wir an den dog­matischen Haarspaltereien über diese Dinge Gefallen finden? Genug, daß wir wissen, daß Melanchthon stets bemüht war, die erhitzten Gemüther zu besänf­tigen und zwischen ihren streitigen Ansichten zu ver­mitteln, genug, daß er, der die geschlossene Macht der katholischen Kirche   wohl zu schäßen wußte, den protestantischen Seften stets Frieden und Einigkeit empfahl und gern selbst auf die eigene Meinung zum Wohl des Ganzen verzichtete. Inwiefern diese Friedensliebe humanistischer Toleranz entsprang, in­wiefern sie auf professorale Bequemlichkeit zurück­

zuführen ist, will ich hier nicht untersuchen. Jeden fals erntete der Friedensstifter, wie das meist zu geschehen pflegt, keinen Dank. Die lutherischen Streit­hähne verkeßerten ihn und verbitterten ihm den Rest seines Lebens mit ihrer Rechthaberei, und als er 1560 starb, war es mit der erträumten Einigkeit der Protestanten und Reformirten für immer vorbei. Philipp Melanchthon   hat die besten Kräfte und die schönste Zeit seines Lebens in solchen dogmatischen Streitigkeiten zersplittert. Das allein schon müßte einem vorurtheitslosen Beobachter Beweis genug sein, daß wir es hier wohl mit einem großen Sprach schulmeister, einem hochgelehrten Philologen, nicht aber mit einem wissenschaftlichen Denker höheren Ranges zu thun haben. Ein Blick auf die philo­sophischen Leistungen des Reformators wird dieses herbe Urtheil bestätigen.

Während die italienischen Philosophen der Ne­naissance, so schon der etwa hundert Jahre ältere Nikolaus von Cues   und der um ein Menschenalter jüngere Giordano Bruno  , mit der verknöcherten Scholastik, d. h. der in lauter theologische Spitz­findigkeiten auslaufenden Philosophie der mittel­alterlichen Kirche, endgültig brachen und das Denken über Gott   und Welt auf die großen naturwissen­schaftlichen Entdeckungen ihrer Zeit zu gründen be= strebt waren, blieb Melanchthon bis an sein Lebens­ende durch und durch Scholaftifer, d. h. er benzte das philosophische Handwerkszeug, das ihm das griechische und römische Alterthum hinterlassen hatte, lediglich dazu, die Lehren der Bibel, wie sie der Protestantismus   verstand, noch einmal zu beweisen. Und während ein Nikolaus von Cues   und ein Giordano Bruno   dem Abgott der mittelalterlichen Scholastiker, dem griechischen Philosophen Aristoteles  , den Krieg erklärten, um Plato   an seine Stelle zu setzen, war einem Melanchthon der verchristlichte Aristoteles sein A und O. Ja, seine Uebereinstimmung mit den Theologen des katholischen   Viittelalters war so groß, daß er sogar die Naturlehre( Phyfit) und Naturbeschreibung ganz auf die Lehren des Aristoteles  begründete. Und das in einer Zeit, da eben Kopernikus  sein unsterbliches Werk über die Bewegung der Ge­stirne geschrieben hatte, das den theologischen Himmel

entgötterte und unsere Erde, die das ganze Alter­thum und Mittelalter für den Mittelpunkt des Weltalls gehalten hatte, zu einem winzigen Planeten eines der Millionen Sonnensysteme degradirte!

Man braucht nur Giordano Bruno   zu lesen, um die überwältigende, ja berauschende Wirkung der Kopernikanischen That auf einen freien Denker­geist zu begreifen. Wie ein Aufjauchzen nach Jahr­tausende langem Alpdruck klingt die Melodie von der unendlichen Sternenwelt und der kleinen Erde aus allen seinen Schriften uns entgegen. Was sagt dagegen unser Melanchthon dazu? Solche Un­gereimtheiten, im Widerspruch mit dem Augenschein und dem klaren Zeugniß der heiligen Schrift, öffentlich zu behaupten, sei nicht wohlanständig und gebe ein schlechtes Beispiel!"

Ich denke, dieser eine Ausspruch genügt, um den Denker Melanchthon  , als ganz gewöhnlichen mittelalterlichen Scholaftifer zu entlarven. Und wenn wir uns erinnern, daß es ein römischer Papst war, der die Deditation des Kopernikanischen Buches entgegennahm, von dem der Schulmeister Deutsch­ lands   so absprechend urtheilte, so möchte man in der That hinter die ewig wiederholte Behauptung von dem geistbefreienden Einfluß der Reformation ein Fragezeichen setzen. Wie wenig der mittelalter­liche Aberglaube von den Reformatoren überwunden war, dafür haben wir zahlreiche Beispiele. So war 3. B. Melanchthon nicht allein von dem Einfluß der Gestirne auf die natürlichen Anlagen und die Schick­sale der Menschen überzeugt, sondern er glaubte auch an anderweitige Vorbedeutungen, an weis­sagende Träume aller Art und an mancherlei Sput, den der Teufel theils in Gemüthern, theils in der Außenwelt treiben soll.

Nein, die Urheber der großen Umwälzung, die die mittelalterliche Kulturwelt mit ihrem engen körperlichen und geistigen Horizont zertrümmerte und die Geister entfesselte, sind feine zaghaften, aber­gläubischen Theologen gewesen. Die Buchdrucker­kunst und das Schießpulver, der Kompaß und das Teleskop waren die eigentlichen Revolutionäre jener Zeit. Doch darüber ein anderes Mal.

Aus dem Papierkorb der Beil.

Verlassen.( Zu unserem Bilde.) Weit draußen auf dem wogenden Meere sind sie, in der unendlichen Wasser­wüste. Sturmgepeitschte Wolfen jagen über den Himmel und die Wogen sprigen ihren weißen Gischt hoch empor zum Verdeck des Schiffes. Aber dazu lachen sie, die fühnen, wetterharten Männer: der Sturm ist ja ihre Musik und Wolfen und Meer sind von Jugend auf ihre Heimath gewesen. Aber plöglich dringt ein Schredens­ruf an ihr Ohr: Leck an Bord! Und nun wirds ein Kampf mit den Elementen, ein Kampf auf Leben und Tod. So lange noch ein letzter Hoffnungsstrahl in den Seelen glimmt, ringen die Matrosen mit der wilden Fluth. Umsonst! Das Meer, das gierige, gefräßige Ungeheuer, es will heute wieder seine Beute haben. Noch suchen sich Einige in die schwachen Boote zu retten und entfliehen so dem gewissen Tode, um vielleicht dem Hunger in die Arme zu stürzen. Nun werden sie umhergetrieben, ohne Zielspähend irrt das Auge der Unglücklichen nach dem Horizont aus, ob feine Hülfe nahe ist. Tage lang treiben sie umher und der Hunger frißt wie brennendes Feuer und der Durst quält sie. Immer wilder und todes­banger werden die Mienen Dal da zeigt sich ein dunkler Punkt in der Ferne und wächst und naht aber zu spät! Zu spät die Hülfe für die Verlassenen auf dem Meere.

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Gedankensplitter.

Dem Volfe muß seine Geschichte gegenwärtig bleiben, wenn es nicht sich selber verlieren soll.

Simrot.

Die Wahrheit zu bemänteln ist jeder Zeit die schlechteste Politik.

Die Sterne scheinen neidlos ineinander. Wenn mir Jemand meine Gedanken stiehlt, mache ich mir nene.

Aus Seumes Apokryphen.

Görres.

Der Krieg ist furchtbar und gräßlich, aber noch gräßlicher ist ost, was man Friede nennt, wo Bieonegie ( Ausbeutung) und Kastenwesen das Volk in Sklaverei

und zur gänzlichen Verdumpfung und Entän erung alles Menschenwerthes herabstößt. Und es wäre schwer zu be­stimmen, ob der Krieg oder dieser Friede mehr Grenel habe.

Ich hatte die Fußgicht und hinfte traurig und jeder Tritt kostete Ueberlegung. Festen Schrittes flirrte mir auf dem breiten Steine ein Enafssohn in einer Halbuniform entgegen. Sonst weiche ich Jedem aus; jetzt blieb ich stehen, der Fuß machte das Seitwärtstreten schmerzlich. Nun," gloßte und schnurrte mich der Held an, was wird's?" Berzeihen Sie, ich muß wohl weichen; denn Der es scheint, ich bin noch nicht so lahin wie Sie." Mann dachte doch nach, schwieg und ging, und ich hinkte fort.

Syrische Scke.

Am Strom.

Von Franz Evers  .

ier Burschen wandern die Straße her; Auf der Brücke schwenken sie noch den Hut Und ziehen hinaus,

Es leuchtet der Strom und der Himmel glüht, Es ist Alles in eitel Licht getaucht; Auch du, mein Herz.

Die Burschen fingen; wie das mich lockt; Voll über die Brücke klingt ihr Lied, Fern her, so fern..

Meine Seele sinnt den Wellen nach; Die trugen den Burschen ein Leuchten nach Ins Weite.

Es leuchtet der Strom; es leuchtet die Erde; Es leuchtet in meinem Herzen Das helle Burschenlied.

Räthsel- Ecke.

Räthsel.

Das Schusterhandwerk trieb der Hans, Und Alle sagten: Ja, der kanns!" Doch plötzlich fiel dem Meister ein, Er wollte nicht länger Schuhmacher sein. Zwar hört er die Mahnung aus manchem Mund: " Das Handwerk hat doch goldnen Grund." Doch er versette jedes Mal:

Der Handwerksmann hat nichts als Qual, Muß schneiden und nähen fort und fort: Oder hämmern und mit m das Wort: Ich sage dem Handwerksstand Ade, Ich kann das Wort mehr mit st,

Ich will es zu etwas bringen auf Erden, Und darum will ich ein Kaufmann werden." Zu sehr war er darauf erpicht,

Er ließ das Wort mit t sich nicht Und kaufte mit wahrhaft findischer Freude

Das Wort mit n und Wolle und Seide.

Doch kurz nur war die Freude, und dann Hob rasch das Wort mit d auch an;

Bald wars mit dem Geld, den gesparten vorbei, Das Wort mit h kam an die Reih; Gerichtsvollzieher, Sorgen und Noth,

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Im ganzen Haus teinen Bissen Brot, Und Hansens Weib so weit ist's gekommen! Hat sich und den Kindern das Leben genommen. Nun kam die Reue, als er sie sah, Das Wort des Räthsels mit ch; Verzweifelt rief er:" O, Ihr Lieben!

O wär' ich beim Wort mit st geblieben!"

Auflösung des Bilder- Räthsels in Mr. 6: Schweninger  .

Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Edgar Steiger  , Leipzig  , Oststr. 14, richten.

Berantwortl. Redakteur: Edgar Steiger  , Leipzig  . Verlag: Hamburger Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Auer& Co., Hamburg.- Druck: May Bading, Berlin  .