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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
preußischen Junker den Gottjeibeinus zu sehen und ihn womöglich noch heftiger zu bekämpfen, als den bürgerlichen Kapitalisten. Vom Parteistandpunkte aus ist das zweifellos richtig, denn er bildet wohl die reaktionärste Schicht, die heut im deutschen Reich überhaupt besteht. Aber ,, sine ira et studio"- ohne Zorn und Eifer betrachtet scheint er uns heutzutage mehr eine theils komische, theils beinahe Mitleid erregende Figur zu sein. Ich glaube in der That, daß, wer diesen Typus nicht nur aus dem Parlament und Spielhagens Romanen beurtheilt, sondern in seinem eigenthümlichen Milieu auf den ostelbischen Grundherrschaften selbst kennen gelernt hat, die„ Begehrlichkeit" und den„ Lurus" der„ nothleidenden Agrarier" anders beurtheilen wird. Don Luichote, der Ritter von der traurigen Gestalt", ist es, der in ihnen in anderem ökonomischen Gewande wieder auferstanden ist. Auch sie werden erdrückt von der Last ihrer historischen Vergangenheit, wie der polnische Bauer nur in umgekehrter Weise. nur in umgekehrter Weise. Was diesen verhindert, sich zu menschenwürdigem Dasein zu erheben, ist die Jahrhunderte durch ihm angezüchtete klägliche Bedürfnißlosigkeit, verschnapste Zufriedenheit, hündische Unterwürfigkeit; er fühlt sich nicht ingrimmig als Unterdrückter, sondern demüthig als Untergebener. Was den Junker hindert, sich der ökonomischen Entwickelung anzupassen, ist das ihm Jahrhunderte durch angezüchtete, durch Erziehung und Milieu bestärkte Bewußtsein seiner selbstver= ständlichen unentziehbaren Selbstherrlichkeit, seiner Bedeutung als Kulturträger, als Repräsentant des Königs, als unentbehrliches Fundament des Staates, seines Herrscherthums von Gottes Gnaden, dem gegenüber die große Masse des Futter scharrenden Volkes garnicht mit demselben Maß gemessen werden kann. Sie ist eben nicht seines Gleichen, sie ist offenbar eine niedrigere Art Mensch( hier in Ostelbien ist es in der That beinahe so); gegen sie kann der Junker wohl hart oder nachsichtig, grausam oder milde sein, aber niemals gerecht oder ungerecht.
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Und nun passirt mit einem Male etwas Merkwürdiges: Aus dieser Kanaille tauchen eine Anzahl in die Höhe keine hervorragenden, robusten feine hervorragenden, robusten Kriegernaturen, nicht einmal feinsinnige, geistvolle Gelehrte, sondern feiste, schachernde Geschäftsleute, die in Baumwolle, Kochgeschirren und ähnlichen schönen Dingen machen, rohe Emporkömmlinge von plebejischer Gesinnung; und diese Kerle schneiden ein unheimliches Geld, sie spielen in den Städten die erste Rolle, mit ihrem Glanz kann man nicht mehr konkurriren, sie kaufen und subhastiren die alten Jittergüter, den angestammten Lebensfonds des Adels, sie drängen sich in die Beamten- und Offizierskreise, ja, sie erzwingen ein Parlament und richten den Staat nach ihrem Belieben ein. Die ökonomische, politische und gesellschaftliche Machtstellung verschwindet dem Junker gleichzeitig unter den Füßen; er sieht sich plößlich im Laufe einer Generation- auf einer schiefen Ebene hinabrollen, dem Abgrund schon nahe, bedenklich nahe!
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Was soll er thun? Hinabsteigen ins bürgerliche Leben und ums Geld arbeiten? Pfui Teufel! Das ist ja die Beschäftigung der Kanaille! Der einzige, anständige Erwerb für den Adel ist eben seine Grundrente, sein Gutsbezirk, darauf er sißt, wie ein kleiner König; und wenn er je in die Städte ging, dann war es, um als Hofmann, als Offizier oder Beamter die Leibgarde seines Königs zu bilden, nicht des „ Gehalts" wegen- das reicht meist kaum aus, um das einmal, standesgemäße" Leben zu führen sondern um der Ehre" und der Tradition willen. Aber die Rittergüter selbst gehen pleite; um rationelle Technik zwecks Profitmacherei hat sich der Junker nie gefümmert, Geldmachen ist ja plebejisch, die Getreidepreise sinken rapide dank der internationalen Konkurrenz, fanm kann man bei standesgemäßem Leben noch die Hypothekenzinsen abzahlen. Alsoder Staat muß helfen; und gierig stützt man sich auf Alles, was Rettung verspricht: Doppelwährung und Hypothekenverstaatlichung, Ausfuhrprämien und Einfuhrzölle, Antrag Kaniz und Börsenreform. Sein nobles Leben einschränken und rationell wirthschaften? Unmöglich! Man wird doch nicht mit der Kanaille fonfurriren im Geschäft" ist sie Einem ja doch
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über und die soll in allem Lurus schwelgen, während der alte preußische Adel die Groschen zählt, welche sie ihm läßt? welche sie ihm läßt? Den Kufut auch, nun erst recht! Der erste Stand im Lande darf nicht zurückbleiben. Seft her! Und wenn auch die Flasche blos einen Thaler kostet, es fuallt doch, und man träumt sich in die alten Tage zurück, als Altpreußen noch stand und die Junker an seiner Spize.
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Das ist 11. E. die Psychologie des preußischen Junkers: sein Lurus ist die künstliche Selbsttäuschung eines Bauferotteurs, seine Begehrlichkeit" ist die rathlose Wuth des gestürzten Königs von gestern, sein freches Pochen auf die Gewalt ist der Verzweif= lungstrotz des Mannes, der heute siegen oder morgen sterben muß.
Die soziale Ergänzung des Junkers ist der Komornif", der Landproletarier. Er bedeutet, rein wirthschaftlich betrachtet, die elendeste Klasse Ostelbiens, ja wohl beinahe des ganzen nordwestlichen Europas ; unter dem Gesichtspunkt der sozialen Stellung dagegen ist es die klasse, welche die Entwickelung dazu bestimmt hat, die gesellschaftliche Revolution Ostelbiens in die Hand zu nehmen, indem sie die ehemaligen unselbstständigen und hülflosen Anhängsel der vereinzelten Gutswirthschaft zu einer selbstständigen und bedeutsamen Klasse zusammenschweißt.
Bis vor knapp einem Vierteljahrhundert herrschte auf den junkerlichen Gutshöfen noch die gute, alte Zeit. Der Besizer baute fast ausschließlich Getreide, das mit gutem Gewinn nach Skandinavien , England, Holland abgesetzt wurde, und er baute es auf traditionelle Weise mittelst der Arbeit seiner Justleute. Dieser Instvertrag ist ein charakteristisches Ueberbleibsel aus feudalistisch- naturalwirthschaftlicher Vergangenheit. Erstensmal besteht der Vertrag nicht zwischen dem Unternehmer und dem einzelnen Arbeiter, sondern zwischen Jenem und der ganzen Familie des Arbeiters. Zweitens wird die Arbeitsleistung fast garnicht- auch heute noch mit Geld bezahlt, sondern in Lebensmitteln vergütet. Drittens bestehen eigentlich keine streng abgegrenzten Bestimmungen über Leistung und Gegenleistung, sondern dieselben bestimmen sich noch ziemlich patriarchalisch: Die vorhandenen Arbeitskräfte müssen die vorhandene Arbeit bewältigen, und der Gutsherr hat dafür den eintretenden Naturalbedarf jeder Art bei seinen Komorniks zu befriedigen.
Daß der Arbeitnehmer bei dieser Arbeitsverfassung nicht besonders gut wegkommt, liegt wohl auf der Hand, da das Urtheil über das vorhandene Bedürfniß beim Herrn liegt. Dieser fann seinerseits hiernach die Arbeitskraft des Instmanns aufs Unerhörteste ausbeuten; in der Erntezeit namentlich läßt er arbeiten, so lange es überhaupt möglich ist, nämlich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang; und Pausen scheinen ihm ein großer Lurus. Die Bedürfnisse des Instmannes dagegen beurtheilt er äußerst souverän. Wohnung z. B. hat er ihm kontraktlich zu liefern. Wie diese aber auszusehen hat, davon steht nichts im Vertrag; und ehe er sich herbeiläßt, die elende Behausung, über die man beinahe wegspringen kann, einmal auszubessern, muß schon der völlige Einsturz und drohende Neuaufbau in gefähr licher Nähe sein. Wenn seinem eigenen Kinde ein Pickel weh thut, wird angespannt und nach der Stadt zum Arzt gefahren; aber wenn ein Inſtenkind die Diphtherie hat, so ist doch immer noch sehr zu überlegen, ob die Pferde auch nicht überanstrengt werden, denn die kosten Geld und sind schließlich mehr werth, wie die Menschen. Bekannt ist das frivole Wort eines schlesischen Magnaten, der einem Besucher seine neuen Schweineställe gezeigt hatte und auf dessen Wunsch, die„ Leutewohnungen" zu besichtigen, antwortete: Die sehen Sie sich man lieber nicht an, hier wohnen die Schweine besser, wie die Menschen."
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Das Wohnungselend auf dem Lande wird noch verstärkt durch das Scharwerker"-Wesen. Der Instvertrag ist, wie erwähnt, ursprünglich ein Vertrag mit einer Arbeiterfamilie, deren Kinder als Gesinde auf dem Hof dienen müssen und die zur Landarbeit ihre gesammten Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen hat. Wo es mun nicht möglich ist, die heute heute meist fest bestimmte Anzahl von zwei oder drei
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Arbeitskräften aus der Familie zu stellen, da muß der Instmann seinerseits einen, auch zwei der soge= nannten Scharwerfer oder Hofgänger halten. Dieser ist juristisch Gesinde der Instfamilie; er erhält von ihr Wohnung, Kost und Lohn; ökonomisch ist er ausschließlich Arbeitnehmer des Gutsherrn, der aber direkt mit ihm eigentlich in gar keinem Rechtsverhältniß steht. Daß dies sittlich in jeder Hinsicht einen ähnlich degravirenden Einfluß ausübt, wie das Schlafburschenwesen beim städtischen Proletariat, iſt offenbar. Der Guteherr fann aber natürlich diese Verdoppelung seiner Arbeitskräfte nicht entbehren, da der Lohn und Entgelt( nämlich die ökonomische Unterhaltung der Instfamilien) ja beinahe gleich hoch bleiben würde. Deshalb sträubt er sich mit Händen und Füßen gegen eine Abschaffung dieses Gebrauchs, der auch in der That nur mit der Instverfassung selbst zu Grunde gehen wird.
Verhältnißmäßig besser sah es mit der Deckung des eigentlichen Nahrungsbedarfs aus, da die Höhe desselben in der Regel feststeht. Gerade hier aber hat nun die wirthschaftliche Entwickelung eingegriffen und den ganzen Boden der Instverfassung unterminirt. So lange der Junker wesentlich Getreide baute und überhaupt der alte Schlendrian im Wirthschaftsbetrieb herrschte, war die Lage der Komornikfamilie eine leidlich erträgliche. Sie hatte außer dem beim Hause gelegenen Krautbeet" für Gemüse und dergleichen Anspruch auf den Ertrag eines Feldstückes von bestimmter Größe im herrschaftlichen Felde, das„ Lenteland", dessen Lage der Gutsherr bestimmte und das gemeinsam mit dem Herrschaftsland bestellt wurde. Außerdem wurde ein bestimmter Theil von der Mahd" und dem„ Erdrusch", z. B. je der zehnte oder zwölfte Scheffel, den Mähern und Dreschern überlassen und unter fie am Ende nach Köpfen der Arbeitskräfte vertheilt, endlich wurden die Leutekithe" auf der herrschaftlichen Weide mit geweidet, Streu und Brennholz, Pilze und Beeren aus dem herrschaftlichen Walde nach Bedarf geholt 2c.
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Da kam die moderne Entwickelung der Landwirthschaft: An Stelle der Weide trat die Stallfütterung, und das Weideland wurde aufgetheilt, die Forstkultur verbot die unrationelle Ausnutzung der Forsterzeugnisse und die Komornits wurden mit zehn Mark Holzgeld dafür abgefunden. Die Saat-, Mäh- und Dreschmaschinen fürzten die Arbeit aufs Stärkste ab. Wo früher sechs bis acht Monate im Jahr vom Ende der Ernte bis Anfang der Saat mit Dreschen hingingen, leistet jetzt die Maschine dasselbe in noch nicht so viel Wochen. Die Folge ist einmal, daß der Komornik, der früher das ganze Jahr durch beschäftigt war, jezt Monate lang herumlungert, arbeitslos und in gewissem Sinne auch verdienstlos, denn neben dem Gesammit- Naturalentgelt war immer auch für die Arbeitstage ein wenn auch winziger Geldlohn von ein paar Groschen üblich ge= wesen. Vor Allem aber ist sein Lebensmittelbezug aufs Empfindlichste dadurch eingeschränkt; denn mit der verminderten Arbeit, die für die Gesammtleistung erforderlich ist, hat der Gutsherr auch den NaturalGewinnantheil beschränkt; statt des zehnten bis zwölften giebt er jetzt nur noch den dreißigsten bis dreiunddreißigsten Scheffel.
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Was aber am einschneidendsten wirkte, das ist der Umstand, daß unter dem Einfluß der sinkenden Getreidepreise der ostelbische Getreidebau überhaupt in riesigem Maße zurückging und dem Hackfruchtbau Plaz machte. Freilich, der Gutsherr machte ein gutes Geschäft, wenn er sich der Entwickelung anpaßte und statt Weizen und Roggen Zuckerrüben und Kartoffeln baute, Schnaps brannte und Stärke fabrizirte. Aber was hatte der Komornit davon? Die Zuckerrüben fonnte er nicht essen, und die Kartoffeln, die er jetzt massenhaft erhielt, machen zwar satt, geben aber fast gar keinen Nährstoff. Fleisch war in den Instkathen inimer nur ein Feiertags= gericht gewesen. Das Landproletariat, das sich bis dahin von den Früchten des Feldes in Gemeinschaft mit selbstgezogener Milch, Butter, Käse und Giern leidlich genährt hatte, sah sich jetzt, zumal auch die Kuhhaltung, wie erwähnt, theils fortfiel, theils eingeschränkt wurde, und das geringe„ Holzgeld" den Werth der Walderzeugnisse nicht annähernd er
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