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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

an sich heran, als sie an dem vagabundenhaft aus= sehenden kleinen Bengel vorüberschritten, damit ihr Kleidchen seinen unsauberen Nock nicht streife. Aber auch das Mädchen hatte ihn erblickt und Mitleid stahl sich in das junge Herz.

Mama," sagte sie halblaut, die Hand der Mutter leise drückend. Sieh doch den armen Buben! Er ist gewiß recht hungrig! Willst Du ihm nicht etwas schenken?"

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Die Mutter nickte. Wie gut sie ist, die Kleine!" dachte sie gerührt, und ihre Schritte einhaltend, langte sie nach ihrem Portemonnaie.

und den Laden verlassend achtlos an ihm vorüber­schritten. Und da wurde er es blizartig gewahr, schritten. Und da wurde er es blizartig gewahr, wie einer der Herren ein Päckchen Schinken so lose in die äußere Tasche seines Mantels schob, daß ein gut Theil der Papierhülle darüber hinausragte. Jezt näherte er sich raschen Schrittes dem Ausgange, noch ein Augenblick, und er mußte dicht an seine Seite treten. Schipp flirrte es vor den Augen, sein Athem stockte. Ein leiser, hastiger Griff und das Päckchen lag in seiner Hand.

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Da schlug der kurze, schrille Aufschrei des kleinen " Da, bring ihm dies!" sagte sie, indem sie eine Mädchen an sein Ohr, und mit solchem Entsetzen Münze in die Hand des Kindes legte.

Das Mädchen aber, das den Burschen nicht aus den Augen gelassen hatte, blieb, schon im Begriffe, auf ihn zuzueilen, wie angewurzelt stehen. Und auf schrie sie ängstlich:" Mama, er stiehlt!"

Gedankenlos um sich starrend, hatte Schipp plöz­lich bemerkt, daß er dicht an der Glasthür eines Charkutierladens stand, und gierig bohrte sich sein Blick auf die ihm durch die blanke Scheibe verlockend entgegenlachende leckere Waare. Wenn er da ein­träte! Wenn er bäte, ihm ein paar Handvoll von den Schinken und Wurstabfällen zu geben! O, mit dem Geringsten würde er zufrieden sein.

Mehrere Käufer befanden sich im Laden. Schipp sah es genau, was sie wählten, wie sie den Kauf­preis abzählten, die kleinen Bündel zu sich steckten

Im Regen.( Zu unserem Bilde.) Hört Ihr sie aufs Pflaster klatschen, die kalten Regentropfen? Der Sommer ist vorüber. Ein fröstelnder Wind streicht durch die Gassen. Der Südländer, der an ewige Sonne gewöhnt ist, hüllt sich fluchend in seinen Mantel und eilt, was er kann, daß er nach Hause kommt. Nach Hause? Ja, wenn es dort so traulich warm wäre, wie an einem deutschen Kachel­ofen. Aber in Italien   hat man sich auf den Winter schlecht eingerichtet. Der rauchige Kamin wärmt nicht, und der Steinboden unter den Füßen noch weniger. Es fröstelt Einen, wenn man sie nur ansieht. Ein wahres Glück, daß die Sonne bald wieder scheint, die warme Sonne Italiens  , die in wenig Minuten das verdrieß­lichste Gesicht wieder lachen macht. Wirklich? Auch das verhärmte Gesicht der Armuth, die im schönsten Gottes­garten der Erde hungert? Nein, das traurige Gesicht, aus dem das Elend grinst, paßt nicht in den hellen Sonnen­schein. Begreift jeßt der Leser vielleicht, warum der Maler die Mutter mit den beiden Kindern in Lumpen die ver­regnete Steintreppe hinabsteigen läßt? Die trostlose Regen­landschaft wird hier zum Spiegelbild des menschlichen Innern. Müde Regenstimmung in der Natur und im Herzen dieser Armen. Tick! Tick! Tick! flaticht es draußen auf die Steine. Tick! Tick! Tick! pocht drinnen im Herzen die Sorge endlos und eintönig, wie draußen der Regen.

Die Bismarcksche Laus. In Schwarz' und Kuhus Norddeutschen Sagen, Märchen und Gebräuchen( Leip­ zig  , 1848) findet sich nach mündlichem Bericht folgende Sage: Südlich von Bismarck   steht noch der Thurm einer Kirche, wo ehemals die Stadt gestanden haben soll, bis sie im Striege zerstört wurde und nun ihre jezige Lage erhalten hat. Der Thurm aber führt weit und breit den Namen der Bismarckschen Laus und uns wird erzählt, daß man früher mit großen Opfergaben zu dieser Kirche gewallfahrtet sei, und diese seien auch nöthig gewesen, da oben an der Epiße des Thurmes eine große Laus an einer Nette gelegen, die täglich mehrere Pfund Fleisch gefressen.

Gedankensplitter.

Als die wunderbarsten Kriegsforbeeren sich auf die Stirn des deutschen Denkers niedersenkten, da tönte wie ein fröhliches Halali durch unsere Tagespresse die Kunde von dem Niedergang nicht nur des verkommenen fran­ zösischen   Volkes, nein, gleich der ganzen lateinischen Rasse. Glüdlicherweise entscheidet fein Jena   und fein Sedan   über das wahre Verhältniß zwischen Romanen und Germanen; wir haben überhaupt nicht die einzelnen Erscheinungen auf beiden Seiten ihrer Zahl und ihrem Werthe nach

packte ihn die Entdeckung seiner ihm selbst noch kaum bewußten That, daß, obgleich er im Gewühle hätte leicht entwischen können, er garnicht daran dachte, sich und seine heißbegehrte Beute in Sicherheit zu bringen. Regungslos blieb er stehen, kaum wissend, was um ihn nun vorging.

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Ein Dieb, ein Dieb!" scholl es von allen Seiten um ihn her, obgleich keiner der Rufer noch wußte, wer der Dieb sei, noch was gestohlen worden. Auch ein Schußmann war, Umfrage haltend, alsobald zur Stelle.

Die Mutter des kleinen, weißen Mädchens gab Auskunft, und die leere Tasche des Bestohlenen nebst dem corpus delicti in der Hand des Misse­thäters legten Zeugniß.

Schipp versuchte nicht zu leugnen. Sprachlos,

2.

Aus dem Papierkorb&

Seit

gegeneinander abzuwägen, sondern die beiden Lebensfräfte, aus denen ihre wechselnde Fülle entspringt, miteinander zu vergleichen, Wenn wir das thun, wenn wir durch die äußere Hülle auf den Kern blicken, so werden wir er­kennen, daß es sich um einen Vorrang nicht handeln kann. Beide Welten, die romanische wie die germanische, steken gleichberechtigt nebeneinander, sie sind einander noth wendig, wie zwei Hälften, die sich ergänzen. Sich zu vermählen, nicht sich zu befelden, ist ihre Aufgabe. Es wäre gut, schon in den Schulen das Verständniß dieser Beziehung anzubahnen, statt ihm entgegen zu arbeiten. Manche sehr aufgeklärte Lehrer lassen sich zu Ungunsten der Romanen gewisse Verschweigungen, Bemäntelungen, Uebertreibungen zu Schulden kommen, weil sie die Vater­landsliebe für eine höhere Tugend halten als die Wahr­heitsliebe; aber hätte jene solche Förderungsmittel nöthig, so wäre es schlecht um das Vaterland bestellt. Hüten wir uns davor, die Germanen als die auserwählte, gott­begnadete Rasse zu betrachten; weder sie allein, noch die Romanen allein sind die Träger der heutigen Gefittung, sondern beide zusammen.

Unter allen äußeren Zwecken, welchen die Wissenschaft dienen kann, giebt es gewiß feinen edleren als den: die Völker zu versöhnen und zu befreunden. Die wahre Wissenschaft ist international und sie betrachtet dies troz schwarzer" und rother" Internationale als einen Ehren­titel. Daß der große Krieg( der von 1870/71 ist gemeint), welcher so viele Verhältnisse in Verwirrung brachte, auch auf dem Gebiete der Wissenschaft seine Nachspiele fand, erscheint begreiflich; weniger, daß hier die Herausforderung nicht immer von den Franzosen ausging. Nach solcher Niederlage war alle Leidenschaftlichkeit entschuldigt, nach solchem Siege alle Großmuth geboten. Es hat aber unter den französischen   Gelehrten nicht an solchen gefehlt, welche sich in ihrem unparteiischen Urtheil durch ihren patriotischen Schmerz nie beirren ließen, und wiederum unter den deutschen Gelehrten nicht an solchen, die rein wissenschaftliche Gelegenheiten zu politischen Ausfällen miß­brauchten. Wer nicht meint, der Friede sei nur eine Pause, um für den allgemeinen Krieg zu rüsten, der muß wünschen, daß die zerrissenen Bande wieder zusammengeknüpft werden, ja, fester als sie es waren, und für diese Auf­gabe haben sich gerade die Männer der Wissenschaft zu begeistern. Sie würden ein Unrecht begehen, wollten sie nicht jeden Anlaß ergreifen, den Mißstimmungen und Miß­verständnissen unter den Völkern entgegen zu wirken. Hugo Schuchardt  .

Die Wissenschaft sei das Gewissen der Menschheit. Hildebrand.

Wo die Sinnlichkeit an die Vernunft grenzt, ist sie gewiß immer schön.

mit halboffenem Munde stand er da. Als man ihm aber das entwendete Päckchen Schinken abnahm, da krampfte sich etwas in seinem Innern zusammen und eine heiße, schwere Thräne trat in seine Augen. Ich bin so hungrig!" drängte sich's auf seine Lippen. Aber Angst und Schrecken ließen ihn den Schrei hinabwürgen.

Ein dichter Knäuel Neugieriger hatte sich um die Gruppe gebildet und der Schutzmann, der den kleinen Delinquenten auf die Wachtstube abführte, hatte Mühe, sich durch die Menge Bahn zu brechen. " Der Lotterbube!" sagten die Einen voll Ent­rüstung. So jung und schon so verdorben!" klagten mitleidig die Anderen.

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Mama, welch ein häßlicher Junge!" flüsterte das kleine Mädchen, noch ganz erschreckt an der Hand der Mutter ihren durch den Vorfall unterbrochenen Spaziergang fortsetzend. Wie gut, daß wir ihm nichts geschenkt haben. Er hätte es wirklich nicht verdient."

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" Ja, es ist ein böser Knabe," erwiderte die Mutter streng. Nach kurzer Pause fügte sie aber mit mildem Tone hinzu: Er wird nun seine ver­diente Strafe erhalten. Wenn Du aber mein gutes Kind bist, so wirst Du ihn in Dein Abendgebet einschließen und Gott bitten, daß die Strafe ihn bessern möge."

Und das kleine, weiße Mädchen versprach, daß es für den häßlichen, bösen Buben beten werde.

Epigramme.

Memento.

Die Todten laßt ihre Todten begraben! Vergeßt, wie so nichtig all, was wir haben, Und jäet der Zukunft Felder!

Denn ihrer Vergänglichkeit denkend, säße Die Menschheit noch heute in Höhlen und fräße Das Kraut mit den Thieren der Wälder!

Ehre."

Die Ehre ist ein falter Göße, Das erste der Selbstsucht- Geseze; Und was sie deckt mit ihren Gründen, Ist oft die scheußlichste der Sünden. Mensch.

Unser Leib ein Thier unser Geist ein Gott Unser Herz zwischen Beiden die Scheide: Der Thiere Herr, der Götter Spott, Sind wir doch mehr als Beide!

Protestantische Orthodoxie. Das war vor Zeiten paradox; Doch heut begreift es jeder Ochs: Es ist das leidige Reformiren, Wogegen Luthers   Enkel protestiren.

Räthsel- Ecke.

Bilder Räthsel.

& Me- eR

Auflösung der Dante- Elsen

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Diener

Olten

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mänderungsaufgabe in Nr. 8:

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Richter

- Oder.

Nadel

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Narbe Leine Onkel Nebel- Eden Rose- Krater Gase Riese Elba- Solon Sorgen.

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Der Londoner   Kongreß."

Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Edgar Steiger  , Leipzig  , Oststr. 14, richten.

Berantwortl. Redakteur: Edgar Steiger  , Leipzig.- Verlag: Hamburger Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Auer& Co., Hamburg.- Druck: Max Bading, Berlin  ,