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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

elektrischen Strome durchflossen werden, er läßt ihn los und eine Feder zieht ihn zurück, sobald der Strom unterbrochen wird. Diese Bewegungen be­nußte der Engländer Wheatstone, um durch sinn­reiche Vorrichtungen einen Zeiger auf diejenigen Buch­staben einer Scheibe rücken zu lassen, welche angezeigt werden sollten. Seine Zeigertelegraphen waren die ersten, die in England zu weiterer Verbreitung gelangten; denn in dem industriellen England mußte diese den Verkehr so mächtig fördernde Erfindung zuerst allgemeinere Einführung finden..

Ein sehr störender Mißstand war jedoch, daß durch diese Einrichtungen eine Nachricht nicht firirt, daß kein bleibendes Dokument geschaffen werden fonnte, auf welchem eine Depesche in ihrem Wort­laut jahrelang aufbewahrt werden konnte. Als daher der Amerikaner Samuel Morse in den Jahren 1844 und 1846 einen praktischen Schreibtelegraphen konstruirt hatte, verdrängte dieser sehr bald alle früheren und gleichzeitigen Erfindungen. Der Morse 'sche Schreibapparat, der heute noch auf außerordentlich vielen Telegraphenämtern in Gebrauch ist, benutzt ebenfalls einen Elektromagneten. Sobald der Strom auf der einen Station, etwa in Berlin , geschlossen wird, so wird auf der anderen Station, z. B. in Hamburg , der Elektromagnet, um welchen die von Berlin ausgehende Drahtleitung herumgeführt ist, seinen eisernen Anker anziehen. Der Anker sitt an einem Messinghebel, dessen eines Ende mit herum­gezogen wird; infolgedessen muß sich das andere Ende aufwärts bewegen. Dieses trägt einen Stift, dessen Spize dadurch gegen einen mittelst eines Uhrwerks vorbeigezogenen Streifen Papiers gedrückt wird. Damit entsteht auf dem Papierstreifen ein Eindruck, der erst aufhört, wenn der Strom in Berlin ge= öffnet wird, und der Elektromagnet in Hamburg deswegen seinen Anker losläßt. Es ist leicht ein­zusehen, daß man aus längeren und kürzeren Ein­drücken, Strichen und Punkten, die man beliebig hervorzurufen im Stande ist, ein Alphabet zusammen setzen kann, so daß man jede Nachricht bequem zu telegraphiren und schriftlich aufzubewahren im Stande ist.

Da übrigens bei dem beschriebenen ursprünglichen Stiftschreiber die Striche und Punkte nicht sehr deutlich sind, so wurde er bald durch den Farb­schreiber ersetzt. Hier wird beim Niedergang des Anfers ein in ein mit Farbe gefülltes Kästchen tauchendes Farbrad etwas gehoben und gegen das Papier gedrückt, wodurch blaue Eindrücke auf dem Papierstreifen entstehen. In dieser Form ist der Apparat u. A. auch bei der deutschen Reichstelegraphie in Gebrauch.

Ein sehr wichtiger Theil des Morse 'schen Schreib­telegraphen ist noch der Schlüssel oder Taster, durch den es ermöglicht wird, daß jede Station, die eine Batterie, einen Schreiber und Taster besißt, vermittelst derselben Drahtleitung eine Depesche so­wohl absenden als empfangen kann. Auf einem Untersaz stehen drei Messingsäulchen, von deren mittlerer die in die Ferne führende Leitung abgeht; eine der anderen, sagen wir die links befindliche, ist durch einen Draht mit dem einen Pol der Batterie verbunden, während von der rechts befindlichen ein Draht zum Schreiber und von da in die Erde führt. Ein Messinghebel, dessen stählerne Achse in dem mittleren Säulchen befestigt ist, wird für gewöhnlich durch eine Feder so gehalten, daß er eine metallische Verbindung zwischen dem mittleren und dem rechts befindlichen Säulchen herstellt. Kommt also durch die Leitung ein Strom, so geht er durch das rechte Messingsäulchen zum Schreiber und setzt diesen in denjenigen Zeitintervallen, in welchen er geschickt wird, in Thätigkeit; die Station empfängt eine Depesche. Soll sie dagegen von ihr abgesandt werden, so wird der Hebel des Tasters durch einen Druck mittels eines Handgriffs niedergedrückt, und so das linke Messingsäulchen mit dem mittleren metallisch ver­bunden. Infolgedessen geht jetzt der Strom von der Batterie in den Leitungsdraht, so daß er nach der nächsten Station und in deren Schreibapparat gelangt.

Diese Andeutungen mögen zum Verständniß des zierlichen Wunderwerkes, welches unsere Gedanken mit der Schnelligkeit des Gedankens über hunderte

und selbst tausende von Meilen. trägt, genügen; denn natürlich können wir nicht auf alle technischen Einzelheiten der Ausführung eingehen.

Spielkinder.

( Fortsetzung.)

M

Roman von Georg Hermann .

an weihte mich in die verschiedenen kleinen Mysterien des Betriebes ein, gab mir Briefkopierbücher zum Registriren und andere holde Beschäftigungen, welche wie die ver­körperte Langeweile mich schon den ersten Tag an­gähnten.

Enttäuscht und mißgestimmt ging ich, als Abends das Geschäft geschlossen wurde, langsam die breite Treppe hinunter, da schlug mir Jemand auf die Schulter. Erstaunt wandte ich mich um.

"

Georg!" Lies!"

Also, wie ich es geahnt hatte, wir waren in demselben Geschäft, nur weil sie in einem anderen Stockwerk arbeitete, war sie mir nicht zu Gesicht gekommen.

"

"

*

Du trauerst ja, Georg!" Mein Vater

-

, Du armer Junge!"

ist gestorben!"

-

Eine ganze Welt von Liebe und Mitleid lag in den drei Worten. Schweigend gingen wir bis zur nächsten Straßenecke, plöglich nahm sie meinen Arm. " Komm, Georg!" " Wohin, Lies?" " Bu mir!"

"

Wohnst Du nicht bei Deiner Mutter?"

,, Mutter hat wieder geheirathet, und da hab ich mich von ihr getrennt." Es klang so hart, als ob man auf einen Stein schlüge.

,, Aber, liebste Lies, ich muß nach Haus, und was soll ich denn bei Dir?"

" Thu's mir zu lieb, ich koche uns einen Kaffee, und wir plaudern miteinander. Ich hab' Dir so viel zu sagen!"

Ja, aber Lies, ich muß ja nach-" Ach, fomm, fomm!"

Und wieder wie damals sah ich sie wie gebannt immerfort und immersort von der Seite an.

War das Weib schön! Berauschend!

Die Beweglichkeit dieses warmblütigen Menschen­findes! Wie sie mit verhaltenem Athem meinen Worten lauschte, wie sie lachte, wie sie mir lachend auf die Finger schlug, wie sie wieder sich an mich auf die Finger schlug, wie sie wieder sich an mich schmiegte! Bewegung! Bewegung! Pulfirendes, zuckendes Leben!- Ich biß mir auf die Lippen, ich ballte die Fäuste, denn sonst wäre ich ihr vor aller Welt um den Hals gefallen und hätte sie gefüßt.

Da durchzuckte es mich wie ein elektrischer Schlag. Im Augenblick wurde es mir klar, daß ich mit jeder Faser meines Herzens an ihr hing, daß sie mir mehr war, als Mutter und Geschwister, daß ich sie liebte, und daß ich ohne sie nicht würde leben können.

Vergebens versuchte ich gegen diese Leidenschaft anzufämpfen. Wie eine tüdische Krankheit, im Augen blick überkam sie mich.

Lies' Zimmer, in dem ich nun bald heimischer war wie in meinen eigenen, war eine kleine, an sich ganz einfach möblirte Mansardenstube. Aber Lies ganz einfach möblirte Mansardenstube. Aber Lies hatte sie ohne große Ausgaben so schmuck und wohn­hatte sie ohne große Ausgaben so schmuck und wohn­lich hergerichtet, daß Einem schon mollig zu Muth lich hergerichtet, daß Einem schon mollig zu Muth wurde, wenn man sie betrat. Von dem buntbestickten Sophaschoner bis zum Blumenstrauß auf dem Tisch und dem geblümten Geschirr in der Ecke, Alles ath= mete Anmuth und Geschmack.

Lies warf hastig Hut und Jacket auf das Sopha, nahm meinen Kopf zwischen beide Hände und füßte mich. Aber warte," unterbrach sie sich, ich muß uns ja einen Kaffee machen, und Du hast gewiß auch Hunger. Viel habe ich zwar nicht zum Abend­essen."

Sie lief in den Winkel, um ihre Schäße aus­zukramen.

Ich sagte ihr, daß ich keinen Hunger hätte und mich ernstlich weigere, irgend etwas zu mir zu nehmen.

Da wurde sie böse. Ich sollte mich nicht so haben, und was das überhaupt zu bedeuten hätte, ob ich vielleicht meinte, daß sie es mir nicht gerne gäbe? Soviel könne sie von ihren fünfzig Mark doch er­übrigen, daß es ihr nicht auf ein Butterbrot anzu­fommen brauche.

Diese und noch viele andere Nächte kam ich sehr spät nach Haus, und noch heute wundere ich mich, wo ich all die Ausreden herbekam, mit denen ich meiner Mutter gegenüber trat.

Mutter war so zartfühlend, nie in meine An­gaben Zweifel zu seßen, sie ahute wohl den Zu­sammenhang, sah aber ein, daß Vorwürfe hier doch unnüz wären.

Ja, und wenn sich für mich auch später manche herbe Stunde, manche schlaflose Nacht an den Namen " Lies" knüpfte, so denke ich jener ersten Monate unserer Liebe doch stets als der glücklichsten und ungetrübtesten meines Lebens. Ich liebte und wurde geliebt. Lies that Alles, was sie mir nur an den

Augen absehen konnte. Augen absehen konnte. Sie war mir willig und folgsam wie damals, als sie noch ein Kind war und wir zusammen im Thiergarten umherliefen. Ihr vielfach fokettes Gebahren stellte sie vollkommen ein, ja, als ich versuchte, für Bildungsgüter in ihr Interesse zu erwecken, ergriff sie auch jene mit Eifer. Abendlang konnte sie gespannt lauschen, wenn ich ihr aus meinen Lieblingen vorlas. Wie herzlich konnte sie lachen, glockenhell, silbern! Wie tiefernst konnte sie werden!

Aber im Geschäft sprachen wir, wie auf still­schweigendes Uebereinkommen, nicht miteinander. Wenn wir uns dort zufällig einmal sahen, so trafen sich blizschnell unsere Blicke, und in Lies' Augen zuckte es dann schelmisch auf. Wie oft lachten wir daheim, und wie stolz waren wir darauf, daß Nie­mand dort auch nur unser Verhältniß ahnte. Denn bei soviel Schönheit selbstverständlich, wurde Lies im Geschäft viel umworben. Man brachte ihr Blumen­sträuße, Theaterbillets, Konfituren. Lies aber ver­stand mit feinem Spott Alle heimzuschicken.

Unser Verhältniß war wirklich ein glückliches, und es hatte auch nichts Unmoralisches; kein un­schickliches Wort, feine verschleierte Andeutung. Wir waren gerade, als ob wir jung verheirathet gewesen wären, und gerade, als ob wir jung verheirathet gewesen wären, begann sich auch nach zwei bis drei Monaten ohne äußeren Grund unsere Leidenschaft für einander abzufühlen. Wir hatten uns körperlich und seelisch vollkommen fennen gelernt und fingen schon manchmal an, einander recht herzlich überdrüssig zu werden, aber Reiner wagte das zu gestehen. Oft mieden wir uns Tage lang, um uns dann wieder mit desto größerer Leidenschaft einander zu ergeben.

Und dann begann Lies sich langsam aber stetig wieder von mir zu entfernen. Ihr Interesse für die geistigen Güter des Menschen verblich und erlosch endlich gänzlich, und ihre volle Aufmerksamkeit wandte sie wieder jenen anderen zu, welche ich die welt­lichen nennen möchte; all jenen Genüssen, die uns für Augenblicke in Taumel und Rausch versezen und nur Leere, Dede und Kazenjammer in uns zurück­lassen.

Und während ich ihr zuerst meinen Stempel auf­gedrückt hatte, begann sie plötzlich mich mehr und mehr zu beeinflussen; während ich früher viel und nicht nur Schöngeistiges, sondern auch manches all­gemein Naturwissenschaftliche getrieben und gelesen, wurde ich jetzt denk- und lesefaul. Abendlang konnte ich daheim mich auf dem Sopha räkeln und träumen. Von wem träumte ich? Von Lies- o, sie war so schön so berauschend die Poesie dieser schlanken, weißen Glieder! Mutter bat und bat, ich sollte mich in Steno­graphie, Englisch und Französisch vervollkommnen, und ich hatte auch den festen Vorsaz, es zu thun, aber ich konnte ihn nicht ausführen, immer wieder Lies und Lies. O, sie war so schön, so be= rauschend, die Poesie dieser schlanken, weißen Glieder!

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Ich sank vollkommen zum Narren ihrer Launen herab, und sie regierte mich wie eine Marionette.