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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Bei diesem Geständniß drängte mir das Blut heiß zum Herzen, doch nur einen Augenblick. Ich wurde schnell Herr meiner selbst.

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Thörin!" erwiderte ich mit einem erzwungenen Lächeln. Was hat die Liebe mit uns zu thun? Sind wir denn frei? Auch bin ich nicht zur Liebe geschaffen."

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Weshalb nicht?" verwunderte sich Grenja. Du hast ja keinen Mord auf dem Gewissen... Du kannst, Du darfst lieben... Du mußt!... Du liebst mich!... ... Ja, Du liebst mich! Die Thräne, die noch an Deiner Wimper perlt, verräth es mir nur zu deutlich. Du bist der Erste gewesen, der über mein Schicksal geweint. Von nun an gehöre ich Dir im Leben wie im Tode!... Aber sage Aber sage mir endlich, warum bist Du hier? Was hast Du cigentlich begangen?"

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Ich wiederhole Dir: Mein Schicksal will es so." Was sollte ich ihr auch gestehen? Was hätte Grenja, das naive Kind aus dem Volke, von den heiligen Kämpfen um Recht und Freiheit verstanden?

Wir brachen wieder auf. Grenja schritt aber­mals zu meiner Rechten, und zu wiederholten Malen hörte ich es im Flüsterton von ihren Lippen, daß sie mich liebe, wie sehr sie mich liebe. Zuerst wollte ich fast darüber unmuthig werden, aber nach und nach gewann die Sympathie, die ich von Anfang an für das arme, so einfache und doch so leiden­schaftliche Wesen empfunden, wieder die Oberhand.

Auf einer der nächsten Stationen, die wir noch an demselben Tage machten, gab man uns bekannt, daß unser Zug in zwei Kolonnen getheilt werden würde, da nicht alle Verbannten das gleiche Ziel hatten.

Grenjas Bestimmungsort war ein anderer, als der meine; das Schicksal, das uns heute zusammen­geführt, wollte uns morgen also wieder trennen.

Diese Nachricht war ein harter Schlag für die Arme; im ersten Moment konnte sie sich kaum fassen. Bleich und verstört blickte sie drein, das Auge ver­lor seinen Glanz, sie schien wie verſteint. Plößlich aber warf sie sich mit Ungestüm an meine Brust und begann laut zu wehklagen.

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Die Nacht brach herein. Unweit von mir fauerte Grenja in einer Ecke. Mir fielen vor Mattigkeit bald die Augen zu. Als ich jedoch beim ersten Morgengrauen wieder erwachte, schweiften meine Blicke unwillkürlich zuerst zu Grenjas Plaz hin­über... Er war leer! In seltsamer Beklommenheit suchte ich den halbdunkeln Raum vollends zu durch dringen. Mit einem Male schwanden mir fast die Siune: An einem Nagel in der kahlen Mauer hing eine weibliche Gestalt, an einem Stricke aufgeknüpft. Es war Grenja, die entseelte Seele". Jetzt erst erinnerte ich mich, während des Schlafes einen leisen Hauch und eine sanfte Berührung auf Wange und Hand gespürt zu haben, wie wenn Engelsfittiche mich gestreift oder waren es Küsse von Grenjas Lippen gewesen?

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Den Rest meines traurigen Weges wanderte ich nun wortlos dahin- ein Einsamer inmitten einer Schaar von Leidensgefährtinnen.

Jahrelang blieb ich in der Verbannung, aber das Bild des unglücklichen Mädchens lebte stets in meiner Erinnerung fort; und doch, wenn ich jetzt die Geschichte der Begegnung mit ihr niederschreibe, erscheint sie mir so fremd, als hätte ich sie nur irgendwo gehört oder gelesen und nicht selbst erlebt, wie es die Wahrheit ist.

Schnihel.& m

Wer nie gelitten, hat nur halb gelebt, Wer nie gefehlt, hat wohl auch nie gestrebt, Wer nie geweint, hat halb auch nur gelacht, Wer nie gezweifelt, hat wohl kaum gedacht. J. Burow.

Kopf ohne Herz macht böses Blut, Herz ohne Kopf thut auch nicht gut; Wo Glück und Segen soll gedeihn, Muß Kopf und Herz beisammen sein.

Bodenstedt.

Deutsche Sprachbeluftigungen. Dritte Hampfel.

Von Manfred Wittich.

in höchst anziehendes Kapitel sprachlicher Unter­suchungen und Forschungen beschäftigt sich mit den bildlichen und sprüchwörtlichen Redens­arten. Auch hier finden wir, daß den Wendungen und Ausdrücken stets eine sinnliche Wahrnehmung, eine lebendige Erfahrung zu Grunde liegt, denen nachzuspüren einen ganz besonderen Reiz hat.

Auch hier können wir wegen des lleberreich­thums an bereit daliegendem Stoff nur andeuten thums an bereit daliegendem Stoff nur andeuten und in ausgewählten Beispielen die Sache klar zu machen suchen, um die es sich handelt.

Man vergegenwärtige sich nur einmal die ge­ringe Kraft, welche abgegriffenen Redensarten ein­wohnt für den modernen Hörer an folgendem Beispiel: Da hat Einem seine Waschfrau den Stehkragen zu steif gestärkt, so daß ihn derselbe bei jeder Wendung des Halses reibt. Die Empfindung ist zu schwach, um als Schmerz bezeichnet werden zu können, sie ist ihm nur lästig und er drückt dies aus, indem er sagt: Die Sache genirt mich." Hinter diesem harmlosen Wörtlein genirt" liegt, wie die Sprachforschung festgestellt hat, nichts Geringeres als eine ganze Hölle, das Thal Ge­Geringeres als eine ganze Hölle, das Thal Ge­hinnom, die Hölle der althebräischen Mythologie. Eigentlich sagt also Derjenige, welcher erklärt, daß sein Stehkragen ihn genirt, er fühle Qualen und Schmerzen, wie ein Verdammter im Thale Gehin­nom. Dieses Beispiel ergiebt vollkommene Klarheit darüber, daß zu der Zeit, wo sprüchwörtliche Wen­dungen und Redensarten entstehen, jedes Wort ganz gegenständlich gefaßt und verstanden wurde; daß aber allmälig der ursprüngliche herbe Sinn nur noch aber allmälig der ursprüngliche herbe Sinn nur noch bildlich und abgeblaßt zur Geltung fam. Ja, schließlich wurde der alte Sinn garnicht mehr gefühlt und verstanden.

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Jede gute Ehegattin weiß, was es bedeutet, wenn der Herr Gemahl einmal über die Schnur gehauen hat!" Auch so eine Redensart! Woher ist das Bild, welches dieser Nedensart zu Grunde liegt, entnommen? Da muß ich den Leser einladen, mit mir auf den Bauplaz der Zimmerleute zu gehen. Da werden die langen Baumstämme zunächst von Rinde und Splint befreit, so daß sie ungefähr und roh viereckig sind, jest gilt es aber, die scharfen roh viereckig sind, jest gilt es aber, die scharfen Eden herauszuhauen. Dazu ist das Einhalten einer genau geraden Linie nothwendig, die der Art den Weg vorweist. Längs des Balkens, von einem Ende bis zum anderen, wird eine Schnur an zwei Nägeln befestigt und straffgespannt, die mit Röthel einge­rieben worden ist; einer der Werkleute faßt sie in der Mitte, zieht sie empor und läßt sie schnell zurück­schnappen. Bei ihrem Niederfahren zeichnet die Schnur auf dem Holz eine ganz genau gerade Linie vor, nach welcher sich der Werkmann beim Vierkantighauen des Balfens zu richten hat. Haut er daneben, so sind zwei Fälle möglich: entweder haut er zu wenig weg, das ist sein Schade, da hat er noch einen Hieb dran zu wenden: oder im zweiten Falle haut er zu viel weg, er haut über die Schnur, eigentlich nur über den Schnuranschlag, oder über den durch diesen Schlag bezeichneten rothen Strich nach dem Kern des Stammes zu. Kern des Stammes zu. Das ist ein Fehler, der sich nicht mehr verbessern läßt. Der abgehauene Spahn ist weg, die gerade Linie ist gestört.

Die gesammte Kultur des deutschen Mittelalters ist nach einer feinsinnigen Beobachtung Franz v. Löhers vorwiegend eine Holzkultur gewesen. Es darf uns deshalb nicht Wunder nehmen, daß in den bildlichen Redensarten der Umgangssprache unseres Volkes sich so zahlreiche Beziehungen auf das Werk des Zimmer­manns finden, die gewöhnlich um gleich wiederum im Werkmannsbilde zu bleiben ,, den Nagel auf den Kopf treffen."

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Beiläufig bemerkt, ließe sich aus dem deutschen Wort- und Sprachschaz ein förmliches hohes Lied der Arbeit, und zwar der Handarbeit, herauslesen ohne jede Mißdeutung oder falsche Auslegung des heute noch vorhandenen Sprachgutes. Alle Hand­

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werke und Berufe mußten Beisteuer leisten zu diesem. Da werden Pläne geschmiedet", Ränke ,, gesponnen", Verschwörungen angezettelt", Staatseinrichtungen ,, untergraben", Seelen gefischt", kurz, alle Be­rufe und Gewerbe müssen Wendungen und Ausdrücke liefern, mit denen allgemein menschliche Thätigkeiten bildlich bezeichnet werden.

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Nicht anders als ein Lob des betreffenden Hand­werks kann es betrachtet werden, wenn Eltern oder Lehrer von einem Zöglinge erklären: er paßt auf wie ein Heftelmacher". In unserem Maschinen­zeitalter werden freilich die winzig kleinen Schlingen und Heftel von Draht, wie sie unsere Frauen und Mädchen zu ihren Kleidern brauchen, nicht mehr so mühsam hergestellt wie zu jener Zeit, zu der die Redensart entstand. Damals war jedes dieser kleinen Kunstwerke eine Schöpfung der Hand des zünftigen Herrn Nadlermeisters, seiner Gesellen und Knappen. Nun denke man sich einen Bönhafen, einen Nicht­angehörigen der Zunft, einen Nichteingeweihten, der zuschaut, wie ein solches Ding gemacht wird; mit welcher Ruhe, Sicherheit und vor Allem mit welch aufmerksamer Geduld liegt der Erzeuger eines solchen heftels seiner Arbeit ob! Der Zuschauer hätte längst das Kribbeln in Händen und Füßen bekommen und wäre auf und davon gelaufen, wenn er dazu ver­urtheilt worden wäre, ein einziges solches Dingelchen zu machen, da gehört Sizefleisch dazu, da muß man aufpassen, eben wie ein Heftelmacher!

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Einem anderen wackeren Beruf können wir bei dieser Gelegenheit eine Ehrenrettung angedeihen lassen, der ehrsamen Zunft der Bürstenbinder. Man fennt die Redensart: trinken, zechen, oder wenn es nicht etwa eine zartbesaitete Leserin übel vermerken will, saufen wie ein Bürstenbinder. Diese Redeblume hat mit dem wackeren Gewerbe der Bürstenerzeuger ganz und garnichts zu thun; hinter diesen Bürstenbindern stecken ganz andere Leute, nämlich die Herren Studenten. In den Universitätsstädten des Mittel­alters wohnten die Beslissenen der Wissenschaft ent­weder als Miether bei einem Magister der freien Künfte oder in besonderen Stiftshäusern. Nach dem gemeinsamen Säckel( lateinisch bursa, fran­zösisch bourse, d. h. Börse), aus dem sie infolge­dessen verpflegt und beherbergt wurden, nannten sie ihr Wohnhaus Bursa " und dieser Ausdruck wurde dann auch auf die gemeinsam hausende Schaar selbst angewendet.... Endlich begann man das auch Bursche ausgesprochene Wort als einen Plural( Form der Mehrzahl) zu verstehen, weil es eine Mehrzahl bezeichnete, und bildete nun den Singular( Form der Einzahl): der Bursch. Eine Hauptbeschäftigung der studentischen Bursche aber war das Trinken; das nannte man dann auch kurz: bürschen. Dieses Wort aber wurde im Volksmund mit bürsten, das man ja bürschten aussprach, zusammengeworfen; und nun war es nicht mehr weit dahin, Einen, der sich auf das Handwerk des Bürstens gründlich verstand, einen Bürstenbinder zu nennen."( Wustmann.) Neben bürsten sagte man auch burschiren für mächtiges Zechen, und der prächtige Humorist Fischart nennt sich selbst mit Züchten einen unschuldigen Bürsten­binder." In der Trunkenenlitanei fordert sein Held Grandgoschier seine Gefährten auf, ihm zuzutrinken mit den Worten: Mir zu, ich bin ein Bürsten­binder." Und er will damit sagen, daß seine aus­gepichte Gurgel fleißigem Zutrunk recht wohl ge­wachsen sei.

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Eine große Menge sprüchwörtlicher Redensarten, Bilder und Vergleiche, namentlich des älteren deutschen Sprachschazes, sind der biblischen Geschichte ent= nommen. Einen ausnehmend großen Menschen be­zeichnete man wie ja auch heute noch- als einen Goliath oder einen Enatssohn. Wenn Einer bei einem Tausche übers Ohr gehauen wurde und für ein werthvolles Stück einen Pappenstiel einge­handelt hat, sagt man noch heute, er habe um ein Linsengericht sein Recht der Erstgeburt, d. h. sein Recht als Haupterbe, verhandelt und vertandelt.

Selbst in das blutige Kriegswesen und Soldaten­leben hinein fanden solch fromme Bilder und Rede­wendungen Eingang, wofür in der Sprache und in den Liedern der frummen Landsknechte manch er­bauliches Beispiel zu finden ist.