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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

welcher mich zu sprechen wünsche. Ich wußte nicht, wer es sein könnte, denn der einzige Verkehr, den ich noch hatte, war Ernst Sauer, und Ernst hatte selten Zeit, mich aufzusuchen. Tags saß er auf seinem Schusterschemel, in den Abendstunden besuchte er die Kunstschule, und einen Theil der Nacht las er. Ich wußte also wirklich nicht, wer es hätte sein können; Mutter kannte ja auch Ernst.

,, Kennst Du ihn nicht?"

" Nein, aber er kommt mir sehr bekannt vor, den Namen habe ich nicht verstanden."

Ich ging vor. Ja, was ist denn das? Ist das nicht Walter Schneider? Das ist ja prächtig! " Herr Gott noch mal, laß Dich doch mal ansehen; bist Du aber groß und breit geworden, ein Kerl wie' n Bär! Und Schmisse hast Du auch! Na, Dich haben sie wohl tüchtig zusammengewaschen, das kann ich mir denken!"

,, Nein, ganz gut gestanden und unter Anderem dem Einen von den Bonzen ein wunderhübsches An­denken vom Ohr bis zur Nase mit auf diesen Lebens­weg gegeben."

Ja, war denn das noch derselbe wie früher? Ich hätte nie geglaubt, daß seine ehemals so zier­liche Hand einst das Napier und nicht die Feder führen würde.

,, Nu, sage mal, Walter, ich glaube, wohl bald fünf Jahre haben wir uns nicht gesehen. Wie es mir ergangen ist? Da ist nicht viel zu sagen; ich bin eben in ein Geschäft gekommen und soll Kauf­mann werden, das heißt bin es schon offiziell. Ich möchte mich aber gern verbessern und Schuhpußer werden, das sagt mir mehr zu; so, nu weißt Du's! Und nun erzähl Du mal!"

Ich bin doch kein Volksredner? Na, aber, weil Du von jeher so'n Kameel warst, will ich Dir's mal sagen. Also, als meine Eltern todt waren-"

" Deine Eltern sind gestorben!? Armer Junge! Ich kondolire!"

Mach doch keine Umstände, waren ja schon alte Leute, ist doch ganz naturgemäß, daß sie vor uns sterben. Gott , schmerzlich ist es ja, aber man muß es überwinden. Also ging ich eben zur Uni versität und habe nu studirt. Ja, ja, bin ein altes Haus, schon neuntes Semester!"

"

Und was hast Du denn studirt, wenn man fragen darf?"

Hm, hm, eigentlich.

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nu man studirt ja blos so pro forma, eigentlich garnichts Bestimmtes, ich hab mich in Allem umgesehen"

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,, und kann nichts" lag mir auf der Zunge. " Und werde mal nächstens in irgend was pro­moviren."

" Ja, verzeih, mit irgend was mußt Du Dich doch speziell befaßt haben?"

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" Ja, na also, entweder nehm ich Botanik oder Philosophie als Hauptfach, oder, oder, na, ist ja doch blos Formsache. Ich sage Dir, überhaupt die ganze Sache mordslangweilig. Dieser Schwindel! Jeder geht da seine ausgetretenen Pfade und kräht, als ob er das Ei des Kolumbus gelegt habe. Alles fauler Zauber, Sohn. Ich gehe überhaupt nicht mehr hin. Wenn man so mal in diese Ledernheit rein­geguckt hat, friegt man's wirklich satt!"

Ja, was machst Du denn jetzt sonst?"

"

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Garnichts, trink Bier dazu und rauch wohl auch mal' ne Zigarre, eine echte, mein Sohn!" " Ja, aber, um Himmelswillen, Walter, das ist doch nicht Dein Ernst?"

" Nee, oller Knabe! Siehst Du denn nicht ein, Mensch, daß die ganze Sache eine furchtbare Hühner­stiege ist. Um die Arterhaltung dreht sich doch Alles."

Ja, aber was soll denn' mal aus Dir wer­den? Ich hatte Dich schon immer als Dekan der Berliner Universität gesehen."

Was aus mir werden soll, ist doch meine Sache! Jott, ich werde ja doch nicht alt, da hat es doch feinen moralischen Hintergrund! Die paar Jahre, die ich noch habe, will ich doch wenigstens möglichst vergnügt leben."

, Laß Dich doch gleich in's Narrenhaus sperren!" ,, Nee, allen Ernstes, Jörge, ich hab' vorigen Winter Gelenkrheumatismus gehabt und einen Herz­fehler bekommen. Der Kitt schaut faul aus! Eines

schönen Tages duster!"

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haste nicht jesehn

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Zappen so viel ist sie immer noch werth; vielleicht machst Du da noch Eroberungen."

Hypochondrie ist vollkommen zeitgemäß, Hypo­chonorie macht einen der besseren Eindrücke bei einem jungen Menschen. Ich habe drei Jahre lang' nen Herzfehler gehabt, aber jetzt ist er, Gott sei Dank, wieder ausgeheilt!"

Er verstand, was ich meinte. ,, So, so! Für verrückt habe ich Dich ja immer gehalten, aber für so blödsinnig doch nicht!"

" Ja, Du bleibst doch zum Abend bei mir?"

Gott soll mich bewahren, mein Junge! Familien­stumpfsinn und den liebenswürdigen Schwerenöther spielen! Nee, mein Engel, das kannst Du von mir nicht verlangen. Ein Glas trinken wir nachher- oder am liebsten gleich."

" Ja, aber nur ein Glas!"

,, Mehr als acht am Abend trinke ich selten. Na, tomm schon, wir wollen gehen, wir können ja nachher weiter miteinander reden."

Er hatte sich erhoben, und es fiel mir sein schwer fälliger Gang auf. Man konnte nicht sagen, daß er hinkte, und doch schleppte er etwas beim Gehen. Er sagte mir auch, daß ihm das Gehen schwer fiele, und er leicht ermüde.

Ja, wo wollen wir denn hingehen, Walter?"

Er nannte mir ein sehr unangenehmes Lokal, welches ich zwar nur vom Hörensagen kannte, dessen Name aber schon stets in mir einen gelinden Ekel hervorrief.

,, Nee, Mann, da gehe ich nicht hin!"

,, Ach, sei doch kein Kameel! Komm nur mit!" Und er bat mich so lange, bis ich mitging, trotz­dem ich ihm unverblümt sagte, daß ich diese Tingel­tangel nicht liebe.

Blechmusik, Stadtbahnbögen mit gellendem Wider­hall, zwischendurch das Brausen und Poltern der Züge; chinesische Lampions, Fächer und farbige Bänder dekoriren kindlich die kahlen Ziegel und verschwimmen halb in der rauchblauen Luft. Die Wände sind von einer braunen Holztäfelung überzogen, die schwer eichenen Tische und Stühle bilden einen unange­nehmen Gegensatz zu der puppenhaften Ausschmückung.

Im Mittelgang drängt sich der Menschenstrom. Vor der Musik staut er sich. Kellner mit silbernen Epauletten auf der Achsel winden sich mit erhobenen Speisebrettern gleich Schlangenmenschen durch die Menge und fordern das Publikum auf, doch weiter zu gehen."

Walter wollte gerade vor der Musik Plaz nehmen, doch eine derartige Folterqual konnte ich meinen Nerven nicht zumuthen und bat ihn, in der äußer sten Ecke des Saales uns einen Platz zu suchen.

Da saßen junge Leute mit tadellosen Scheiteln, blassen Gesichtern, aufgewirbelten Schnurrbärten; man sah ihnen die Wuth an, mit der sie sich ami­siren wollten, und doch langweilten sie sich so herz­siren wollten, und doch langweilten sie sich so herz­lich. Aber was blieb ihnen anders übrig, um die nach des Tages Mühen und Arbeiten dieser war Friseur vielleicht, der Schuhmacher, der Kaufmann

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stumpf gewordenen Sinne zu fizeln, als zu diesen Gewaltmitteln zu greifen, diesem Lärm, dieser auf regenden, schlechten Musik sich hinzugeben, die Damen Damen ! mit nur den Männern eigenthüm­lichen Gedanken zu betrachten.

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Da waren selbst alte, in Unehren ergraute Fami­lienväter und fragwürdige Existenzen aller Art zu= sammengewürfelt. Und die Damen, mit denen sie dort saßen! Halbseide ja, sogar Baumwolle! Pöbelhafte Baumwolle!

Ich begann mißgestimmt zu werden und mich über jene Leute an den Tischen zu ärgern, wie über­haupt von jeher alles Gewöhnliche ein kribbelndes Mißbehagen in mir hervorries.

Ich drang darauf, daß wir bald wieder gingen, aber Walter gab nicht nach. Ich sollte doch nicht aber Walter gab nicht nach. Ich sollte doch nicht so griesgrämig sein, hier wäre es doch sehr hübsch, und ich sollte mir doch die vielen hübschen Mädchen ansehen, zum Beispiel die, die dort hinter mir säße; es wäre zwar eine halbe aber das müsse man ihr lassen, blizsauber wäre sie doch, troß alledem noch blissauber, die kleine Ströte!

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" Ach, laß mich aus damit!"

Ich that es. Wo sizt sie denn?"

"

"

Ach, sich doch' mal, sie hat so einen famosen­so einen trozigen Zug um die Lippen, so etwas Welt­verachtendes! So' was gefällt mir stets, weißt Du!"

Ich fuhr zusammen.

Ja, ist das nicht Lies? Natürlich! Natürlich ist sie es!

Ja, ich werd' doch' mal versuchen, mich da heranzumachen. Aber ich glaube, ein Herr sitzt dabei. Na, wenn er das will und satisfaktionsfähig ist- Doppel- Terz, Durchzieher, eins sißt sicher!"

Er martirte die Hiebe mit einer leisen, wippen­den Handbewegung.

Ich sah hin. Ich konnte zwar von dem Herrn nichts sehen, da er durch Andere verdeckt war, er­blickte aber plötzlich eine nach dem Bierseidel langende Hand, und an der theatralischen Bewegung, an dem feinen abgezirkelten Schwung erkannte ich, daß es Eugen war.

"

Weißt Du, ich muß sie mir doch mal ansehen!" Und damit hatte sich Walter schon erhoben und be= gab sich nach dem Tische, wo sie saß. Er kam zurück.

"

Blizsauber; blizsauber! Ein Mädel wie Milch und Blut! Nein, die muß ich haben, auf jeden Fall! Den Laffen, der dabei sitzt, wird sie schon abwimmeln."

"

Ach, laß doch den Unsinn sein! Du vertrödelst ja blos die Zeit, es geht doch nicht."

" Da sollst Du mich mal kennen lernen!" Und er begann mir Geschichten zu erzählen, daß, wenn nur die Hälfte davon wahr gewesen wäre, der selige Don Juan in der Hölle beschämt hätte erröthen müssen.

,, Ja, aber ein Blizmädel ist sie doch! Die muß ich auf jeden Käse haben, sag' ich Dir!"

Und er versuchte auf alle Arten und Weisen sich Lies bemerkbar zu machen, lächelte, trank ihr zu, ging öfters an ihrem Platz vorüber, und ich glaube, wenn wenn man ihm den Kopf abgeschlagen hätte, wäre er unbedingt noch zu Lies hinüber­geflogen. Es ging ihm wie Reinecke mit den Hühnern.

Wirklich! Nach einer Weile stand Lies auf und ging den Mittelgang hinunter. Walter stieg ihr, ohne daß ich es hätte verhindern können, sofort nach und sprach sie an. Sie lächelte, indem sie ihm ant­wortete, und dieses Lächeln, das ihr so gut stand, kannte ich. Es war dasselbe Lächeln, das sie stets aufsetzte, wenn sie mit ihrem Willen durchdringen wollte, dasselbe, welchem ich niemals hatte wider­stehen können. Nach einer Minute kehrte Walter zurück.

Die Woche fängt gut an," sagte er frohlockend. Ich hab' mich in aller Gile für morgen um acht Uhr verabredet. Ach! Du willst mich Weiber kennen lehren! Du? Nee! Da mußt Du früher aufstehen, Sohn! Ich hab' auch in aller Gile von ihr er­fahren, daß sie ein Verhältniß hat, das sie aber möglichst bald abwimmeln will. Weißt Du, der Laffe da, das Ohrfeigengesicht da drüben. Aber er kommt mir doch scheußlich bekannt vor."

" Ja, kennst Du ihn denn nicht? Es ist ja der Obermime von den Geistesbrüdern'!"

" Wie? Was? Du sprichst in Brezeln, Sohn!" Eugen Salle ist es!"

"

,, Herr Gott noch' mal! Daß das aber so' n geschniegelter Prolet werden fönnte, hätte ich doch nicht gedacht!"

Das war alle Freundschaft, die Walter noch für ihn empfand.

,, Und kennst Du vielleicht auch das Weib, mit dem er da siẞt?"

" Jawohl! Es ist Lies Weise."

In diesem Augenblicke kam sie an mir vorbei. Sie wurde blutroth und warf mir einen Blick zu, als ob sie mich fressen wollte. Ich begriff nicht, wie diese Augen, die früher oft mit Innigkeit auf mir geruht hatten, einen derartigen Ausdruck anneh­men, wie diese Lippen, die mich tausendmal gefüßt, sich so hochmüthig mir gegenüber schürzen konnten. " Da ging sie ja wieder!"

" So?" sagte ich im gleichgültigsten Tone, der ,, Na, umdrehen kannst Du Dich ja doch einmal, mir zu Gebote stand.