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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
bin gewiß nicht für Religion und den ganzen Krimsframs, mein ganzer Glaube ist" er warf sich in die Brust, daß sie den Menschen, wenn er mehrere Tage todt ist und an zu stinken fängt, von allein unter die Erde bringen, und daß drei Pfund Rindfleisch eine gute Brühe geben. Aber sehen Sie sich diese Proletarier einmal an. Da muß eine Religion sein. Die tragen nicht wie wir die Moral in sich."
„ Ja, ich werde den Chef sogleich bitten, nich Stoß der sauerstoffreichen Blutwelle. Mehr Blut in eine andere Abtheilung zu versetzen."
,, Und ich werde ihn bitten, Sie zu entlassen!" Vor Oktober kann er mich nicht entlassen, imd dann diene ich so wie so mein Jahr ab!"
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( Fortsetzung folgt.)
in ihnen heißt soviel als mehr Stoff zur Ernährung. Der Blutdruck ist nicht in allen arteriellen( d. h. in den das Blut vom Herzen nach den einzelnen Körpertheilen führenden Adern) Gefäßen gleich groß, sondern er nimmt an Macht je weiter umsomehr ab, ist z. B. in der Armschlagader schon um die Hälfte geringer als in der Aorta( dem direkt aus dem Sperzen entspringenden größten Blutgefäße). Daß
" Die Moral," sprang Herr Müller ein,„ ia, Rechtshändig, linkshändigt. die beiden Arme und Beine eines Menschen nicht
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ich bin ganz Ihrer Meinung!" das war er stets Moral ist der Kern, die Essenz der Religion, und jeder wahrhaft Gebildete, der Moral in sich trägt, braucht nicht das, was drum und dran hängt."
Herr Müller war ein hagerer Mensch von dreißig Jahren. Er hatte ein bissiges, verkniffenes Gesicht, und der Eindruck wurde durch einen fehlenden Vorderzahn noch abschreckender. Das Haar trug er spiegelglatt gescheitelt. Jede Woche war er ein- bis zweimal betrunken. Alle Menschen seiner Umgebung pumpte er mit viel Geschick auf Nimmerwiedersehen an, und außerdem hatte er in einer früheren Stellung sich größere Unterschlagungen zu Schulden kommen lassen.
„ Ja, ich pflichte Ihnen bei, fuhr er fort,„ Moral ist die Hauptsache im menschlichen Leben und dann-" er machte eine Pause, um unsere Erwartung aufs Höchste zu spannen- der Ernst! Erust muß der Mann sein! Sehen Sie, diese Weiber dahinten, da lachen sie schon wieder!"
Er zeigte nach einem Winkel, wo zehn junge Mädchen auf kleinen Schemelchen eng zusammengefanert saßen und sich erlaubten, zu lachen und fröhlich zu sein. Grund dazu hatten sie wirklich nicht, denn von den Impigen zwanzig oder dreißig Mart, die sie monatlich bekamen, fonnten sie sich nicht einmal die Handschuhe waschen lassen, falls sie welche besaßen.
Besonders hörte man Lies heraus.
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Sehen Sie diese Weiber! Da lachen sie schon wieder!"
" Nun, dem Fräulein Weise werde ich das Lachen schon austreiben!" sagte Winder gehässig.
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Wie so?" rief ich erschreckt.
, Weil ich ihr für nächsten Ersten fündige. Ich kann das nicht länger mit ansehen!"
" Ich begreife nicht, Herr Winder, welchen Grund Sie dafür haben!"
,, Habe ich Ihnen Rechenschaft darüber zu geben?" fuhr er mich an.
„ Nein. Aber für so herzlos kann ich Sie doch unmöglich halten, daß Sie eine gute Arbeiterin ohne Grund einfach auf die Straße werfen."
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Eine gute Arbeiterin war sie' mal, ist es aber lange nicht mehr, das wissen Sie ebenso gut wie ich. Außerdem ist meiner Meinung nach das Mädchen. reif für die Friedrichstraße, und solche korrupten Elemente dürfen wir in unserem Geschäft absolut nicht dulden."
" Dann bezahlt doch Eure Arbeiterinnen besser!" fuhr ich auf." Faßt die Sache am richtigen Ende an und kommt nicht mit einer vollkommen verfehlten Moral. Und außerdem was wissen Sie überhaupt von dem Mädchen?"
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Ich war blutroth geworden vor Zorn. ,, Genügt es Ihnen, wenn die eigene Mutter im Geschäft erzählt, daß ihre Tochter sich die ganzen Nächte lang herumtreibt?"
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„ Dieses alte" ich blieb nicht mehr in den Grenzen des Anstandes, so etwas zu behaupten! Ich versichere Sie, daß es nicht wahr ist." ,, Sagen Se' mal, Herr Geiger, was geht Sie denn Fräulein Weise an?"
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Weil ich das Mädchen von Kind auf kenne." So, so! Nun kann ich mir Vieles erklären!" " Wenn Sie nicht mein Vorgesetzter wären, für diese Worte müßten Sie Rechenschaft geben!"
Was? Sie wollten mich zur Rechenschaft ziehen? Sie junger Mensch, Sie?"
" Ja! Ich halte es für eine Brutalität, ein Mädchen auf die Straße zu werfen, wenn Sie doch nur ihren Ruin vor Augen sehen!"
„ Herr Geiger, daß wir nach dem Vorgefallenen nicht mehr zusammenarbeiten können, ist klar."
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Von Dr. T.
ewöhnung thut viel bei Menschen und Thieren, und Sitte bei den ersteren nicht weniger. Die vorsorgliche Mutter trägt den Säugling auf dem rechten Arme, damit er zum noch unbeholfenen Greifen die rechte Hand frei habe; mit der rechten muß er das hingereichte Spielzeug erfassen, mit ihr grüßen, Hand geben und dergleichen mehr, und alles aus der Besorgniß, daß sonst das Kind links" werden könnte. Sieht man ein Kind mit der linken Hand solche Verrichtungen vollziehen, so fällen wohl die Meisten das leichtfertige Urtheil, daß man schon die erste Erziehung des Kindes vernachlässigt habe; das Kind würde ungeschickt bleiben. Die an den Kleidungsstücken für das weibliche Geschlecht angebrachten Schleifen, Schlingen, Spanjen, Haken, Desen sind darauf berechnet, das Zusamnien knöpfen, Zusammenhaken, Zusammenschnüren mit der rechten Hand vorzunehmen. Die Röcke der Knaben und Männer haben die Knopflöcher links, die Knöpfe rechts. Die Form vieler Geräthe und Haushaltungsgegenstände ist derartig, sie mit der rechten Hand zu ergreifen und zu handhaben. Das Kind, das den Löffel oder das Messer mit der Linken führt, erhält stets zurechtweisung, später auch roohl
Strafe.
Müßte da nicht schon seit Jahrhunderten bei uns die Linkshändigkeit völlig ausgerottet sein? Daß die Rechtshändigkeit ein uraltes Erbstück unseres Geschlechtes, daß die linke Hand stets minderwerthig war, ergiebt sich schon aus dem Namen. Im Lutei nischen, Griechischen und Altkeltischen hat" links" auch die Nebenbedeutung„ unheilbringend", bei einem Indianerstamme Nordamerikas heißt die rechte die große Hand", die linke die, die nichts verstelit," und die Samoaner nennen sie die, die thöricht zugreift." Was von rechts kommt, bringt Glück, was von links, Unglück, und in den verschiedensten Sprachen finden sich Redensarten, Sprüche, Spritchwörter, welche der Rechtshändigkeit den Vorzug gel en. Linkshändige halten Manche sogar für eine Art Krüppel und berufen sich dabei auf die Statistik, weil nach der Schäßung eines berühmten Wiener Anatomen, des Prof. Hyrtl, ungefähr zwei Prozent aller Menschen Linkshänder sein sollen, nach der bes englischen Arztes Dr. Ogle sogar 44 Prozent, und darunter bedeutend mehr Männer als Frauen. Der erstere Prozentsaz scheint in geschichtlichen Zeiten immer derselbe geblieben zu sein, denn, wenn nich der Bibel( Buch der Könige) unter den 26000 Kriegern aus dem Stamme Benjamin 700 lints= händige Steinschleuderer sich befunden haben, so cr= giebt sich daraus die Durchschnittsziffer von 2 Pro zent Linkshändern. Wenn wir nun durch weitere Untersuchungen erfahren, daß z. B. bei 57 LinksHändern, die genügende Auskunft über ihre Ver wandtschaft geben konnten, nicht weniger als 27 linkshändige Blutsverwandte sich fanden, daß in einer und derselben Familie in drei aufeinander folgenden Generationen Linkshändigkeit auftrat, so streifen wir damit schon das bisher noch immer recht dunkle Gebiet der Vererbung und gelangen zu dem Schlusse. daß den Erscheinungen der Rechts- bezw. Linkshändigkeit gewisse Eigenthümlichkeiten der körperlichen Organisation zu Grunde liegen, auf die wir jetzt näher eingehen wollen.*
Bei der hohen Lage des Herzens und der kurzen Halswirbelsäule erhalten durch den Herzschlag die Brustglieder und der Kopf ungeschwächt den ersten
schienenen Buches„ Der Mensch und seine Rassen" sein sollte, * Anmerkung: Wer im Besitz des bei Dietz er= vergleiche die Abbildungen auf Seite 62-64.
gleich lang sind und, mit gleicher Muskulatur verschen, um mehrere Millimeter differiren, sei hier nebenbei erwähnt. Meistentheils ist der rechte Arm stärker entwickelt, weil die rechte Schlüsselbeinschlagader näher am Herzen aus der Aorta entspringt als die linke, weil sie den Blutstrom früher und ungeschwächter erhält als die der linken Seite. Wenn nun aber bei den oben erwähnten zwei Prozent Menschen in der Weise eine Versetzung der beiden Gefäße eintritt, daß die linke Schlüsselbeinschlagaber näher dem Herzen, die rechte aber etwas entfernter vor ihm entspringt, dann kommt größere Truckkraft in den linken Arm, der folglich auch mehr in Gebrauch genommen wird, und der LinksHänder ist fertig. Jetzt begreifen wir, wie verkehrt alles Zureden und sogar Strafen sind für die vermeintliche schlechte Angewöhnung."
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Wir können aber noch einen Schritt weiter gehen, und da will ich zuvor zum besseren Verständniß daran erinnern, daß infolge der Kreuzung der Nervenstränge die Muskulatur der rechten Körperhälfte ihren Nervenstrom vom linken Großhirn, und umgekehrt die Muskulatur der linken Körperhälfte den ihrigen vom rechtsseitigen Großhirn empfängt. Nun sind die beiden Hemisphären des Großhirns ( Seite 24 von„ Der Mensch und seine Rassen") nicht etwa vollständig gleichwerthig, sondern bei der Mehrzahl der Menschen behauptet die linke ein lebergenicht über die rechte. Aus der Abbildung a. a. D. ist ersichtlich, wie reich an Windungen das Gehirn ist, und nach Paul Broca liegen in der dritten Stinwindung der linken Großhirnseite bei den meisten Menschen jene Nerven, auf denen das Sprachvermögen beruht, das Sprachzentrum". Professor Rüdinger besigt 19 Gehirne geistig hervorragender Männer, und an 18 von diesen läßt sich erkennen, daß sie linkshirnige Sprecher" gewesen. In der zweiten Stirnwindung derselben Seite ist ein Nervenapparat enthalten, dem die Aufgabe obliegt,„ durch Zusammenfassung gewisser Gedächtnißbilder mit solchen Nervenströmen, durch welche gewisse Muskelgruppen der rechten Hand in Thätigkeit gesetzt werden, jenen komplizirten Vorgang, den wir als Schreiben be= zeichnen, auszulösen"( M. Alsberg). Auch für andere Thätigkeiten der Hand behauptet die linke Großhirnseite ein lebergewicht über die rechte; die Träger solche Gehirne sind Rechtshänder. Hat aber die rechte Großhirnseite ein lebergewicht über die linke, bezw. gewisse Theile über die entsprechenden der anderen Hälfte, dann zeigt sich Linkshändigkeit.
2Ber jemals linkshändige Zeichner beobachtet hat, dem fiel sicherlich auf, daß diese zumal im Anfange ihrer künstlerischen Thätigkeit die Thierkopfprofile nach rechts richten. Diese Beobachtung ist äußerst wichtig, denn sie beweist uns, daß Linkshändigkeit nicht etwa ein Produkt neuerer Zeit ist, der Anfang eine Art von Degeneration, sondern daß schon in jenen frühesten Zeiten jenseit aller geschichtlichen Daten bei den prähistorischen Menschen der sogenannten Renthierzeit sie sich zeigte. Auf den Zähnen des damals bei uns lebenden Mammuth, auf den Geweihen des einst in Südfrankreich und Süddeutschland weidenden Renthieres zeichneten oder rizten einige kunstfertige Hände allerlei Thiergestalten ( 5. 116, 117 a. a. D.) und die überwiegende Mehrzahl dieser Gestalten zeigt die Köpfe nach der linken seite gerichtet; sie wurden mit der rechten Hand verfertigt, aber die sehr wenigen Gestalten mit öpfen nach rechts gerichtet schufen wahrscheinlich begabte Linkshänder. Auch dies berechtigt zu dem Schlusse, daß, wie es in frühester Zeit der europäischen Menschheit schon Linkshänder gab, sie auch in fernster Zukunft nicht fehlen werden, aber milder behandelt, als leider noch öfter in der Gegenwart.