Die Fene Welt

Nr. 15

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Komm, laß uns die Todten feiern! Unser Herz ward stark und still; Droben zieht ein Heer von Reihern, Das den Frühling bringen will.

Jochen Duggen.

Kriminalgeschichte von Dietrich Theden.

M

II.

onate waren vergangen. Auf dem Schimmel­hofe war Manches anders geworden. Die alte Dore hatte ihre Augen schon wenige Wochen nach Davids Auswanderung für immer ge­schlossen, und eine junge, fräftige, blühende Dirne war an ihre Stelle getreten. Sie stand etwas im Rufe der Leichtfertigkeit, aber gerade das hatte Jochen für sie eingenommen, wenn er es sich auch nicht eingestanden hatte. Es war öde in dem Hause geworden; warum sollte es so sein? Lag es nicht an ihm selbst, Abhülfe zu schaffen? Und er wollte sie schaffen. So nahm er die Dirne troß ihrer bedenklichen Empfehlung. Aber als sie da war und ihm un den Bart ging und den Haushalt ver­nachlässigte, da drehte er ihr verächtlich den Rücken und ignorirte sie. Er hätte sie fortjagen mögen, aber es lohnte nicht mehr. Der Hof mußte bald verkauft werden, und dann mochte werden, was wollte. Bis dahin hielte er es schon aus.

Und der Hof fand einen Käufer. Der Bruder eines benachbarten Bauern hatte eine reiche Bauern­tochter aus der Marsch geheirathet und suchte sich anzukaufen; da kam ihm der Schimmelhof durchaus gelegen. Die Gebäude waren im besten Stande, der Boden ertragfähig, der Viehstand vortrefflich; auf der anderen Seite waren völlig ausreichende Baar­mittel so konnte das Geschäft leicht abgeschlossen werden.

Und in acht Tagen sollte nun schon die Ueber­gabe des Hofes an den neuen Besizer und seine junge Frau stattfinden.

Jochen saß im Wohnzimmer. Er war allein, wie fast in der ganzen Zeit. Nur die Pfeife war sein ständiger Begleiter. Er blies mechanisch vor sich hin; aber fie rauchte nicht mehr, sie mußte aus­gebrannt sein. Jochen merkte das nicht. Er saß tief zusammengesunken, die Ellbogen auf die Kniee gestüzt, und starrte ins Leere. Hinter der gefurchten Stirn schienen die Gedanken rastlos zu arbeiten, hin und wieder zuckte es ihm nervös über das Ge­

* Aus ,, Hohe Lieder", Berlin , Schuster& Loeffler, 1896.

Frühlingsleben.

Don Franz Evers. *

In erwachende Gefilde Kehrt nun Licht und Leben ein, Und uns scheinen Glanzgebilde Still und segnend nah zu sein.

sicht, und die Lippen bewegten sich wie im Murmeln, ohne daß ein Laut hörbar wurde. Jetzt hob er die Arme zur Seite und richtete sich empor. Er lehnte sich in den Stuhl zurück und schaute verständnißlos auf den Schreibsekretär ihm gegenüber. Richtig, der Sekretär, an dem der Vetter seine wenigen Schreibereien besorgt hatte. Der Rundbogen, der die Schreibplatte bedeckte, war niedergelassen, und Jochens Auge haftete an dem Lederbeschlage, der das Schlüsselloch zum Geldspind zierte. In dem Fache hatten er und Dore nach dem Verschwinden des Bauern nach den Papieren geforscht.... Sie waren nicht dagewesen. Natürlich! Der Bauer war mit der Absicht der Auswanderung fortgegangen und hatte sie mitgenommen. Er brauchte sie für das Schiff und zur Legitimation bei dem Notar, der die Vollmacht zum Verkaufe des Hofes ausstellen mußte. Sie hatten das Beide überlegt, aber doch nach­gesehen. Dores welke Hände hatten das Fach und den ganzen Sekretär durchstöbert, und sie hatte jedes Papier nnd jeden kleinen Fezen geprüft. Umsonst!

Jochens Pfeife entglitt den Zähnen und fiel polternd zu Boden. Er bückte sich mechanisch, um fie aufzuheben. Der geschnigte hölzerne Kopf war etwas zur Seite gerollt. Jochen mußte den Siz verlassen, um ihn wieder zu erreichen. Er steckte prüfend den Finger in die Oeffnung, ging an den Ofen und klopfte die Asche aus. Und wieder zurück zum Sekretär. Hinter der durchbrochenen Krönung desselben lag ein umfangreiches Packet in braunem groben Papier, mit der Aufschrift:" Feinster Porto­ rico ." Das holte er herunter. Er sah aus dem Fenster und stopfte dabei die Pfeife, füllte auch den leeren Beutel, den er wieder zu sich steckte, und stellte das Packet an seinen Plaz zurück. Dann stand er wieder am Fenster. Draußen lachte ein heller Herbst­sonnenschein; es war ein schöner Tag, wennschon im Oktober. Die Obstbäume im Garten waren schon fahl geworden, und ein schwacher Wind trieb mit den dürren Blättern zwischen den Blumenbeeten, auf dem Rasen und auf den Kieswegen sein Spiel. Die Buchen am Fahrwege neben dem Garten waren fahl­gelb geworden, der nahe Wald winkte nicht mehr im friedlich satten Grün des Sommers, sondern hatte das bunte Schellenkleid des Herbstes angelegt. Selbst der Himmel schien ein Widerspiel des ewigen Wechsels der Erde: er war klar und wolfenlos, doch sein

1897

Träume wollen sich entschleiern, Voll von Psalmen ist der Wind Komm, laß uns die Todten feiern, Die mit uns im Bunde sind!

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lichtes Blau verhüllt wie mit einem dünnen weißen Schleier. Die lustigen gefiederten Sänger, die im Blüthenmeer der Bäume und dann zwischen den reifenden Früchten ihr munteres Wesen entfaltet hatten, waren verschwunden. Nur eine einzelne Krähe stolzirte zwischen geknickten Sonnenblumen und äugte mißtrauisch um sich.

Jochen rieb an dem Fußboden ein Zündholz in Brand und ging rauchend hinaus.

Dem Wohnzimmer gegenüber, jenseits des Flurs, lag Dores Kammer. Dort hatte sie alle die langen Jahre gewohnt, dort war sie gestorben. Jochen öffnete die Thür und fah hinein. Die Fenster waren halb verhangen. Das Zimmer lag wie im Schatten. Eine Er warf dumpfe Moderluft schlug ihm entgegen. die Thür hastig ins Schloß. So rasch hatte er es nicht wollen; es hallte durch das ganze Haus.

Er trat auf die Dreschtenne und schritt in den Pferdestall. Die Pferde waren auf dem Felde; er hatte nicht daran gedacht. Im Kuhstall war Alles in Ordnung; eine Magd hantirte mit dem Futter, duftendem Heu, das sie dem Vieh in die steinernen Ninnen schob. Er wanderte auf den Hof. Ein Schwarm Tauben flatterte vor ihm auf. Sollte er auf das Feld gehen und nach der Arbeit der Knechte sehen? Er war erst Vormittags dort gewesen. Aber was soust? Aus der Ferne drang der Knall eines Schusses gedämpft herüber. Er horchte. Es war Jagdzeit. Das war es. Jagen wollte er. Er ging zurück. Die große Tenne schien ihm nach dem hellen Tageslicht düster, die Stube unfreundlich. So nahm er ohne Zögern Jagdtasche und Doppelflinte vom Nagel und hing sie um. Der Weg zum Gehölz war furz, bald umfing ihn der Buchenwald . Das Laub unter seinen Füßen raschelte und das aus der Jagd­tasche heraushängende Pulvermaß schlug hin und wieder mit metallenem Klang an einen der Horn­knöpfe der Joppe. Der blaue Rauch der Pfeife ent­schwebte in dünnen verschwimmenden Wolfen. den stark gelichteten Wipfeln der Buchen rauschte es eintönig, den entfärbten Blättern am Boden gesellten sich neue, die todestrunken aus der Höhe hernieder flatterten und bei jedem Auffallen ein knitterndes Geräusch erregten, ein dürftiges, letztes Lebewohl auf der Wanderschaft von lichter Höhe zum Grabes­dunkel der Erde.

In

Jochen Duggen blieb horchend stehen und spähte