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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
-also- ja ich habe mit Eugen geredet, wissen Sie, wie nur eine Mutter mit ihrem Sohn reden kann! Er hat mir fest versprochen, von dem Mädchen zu lassen. Er sieht ja selbst ein, daß es sein Unglück ist. Zwei bis drei Tage war er bei mir, und dann ist er wieder zu ihr. In meiner Todesangst habe ich mich so weit erniedrigt, daß ich zu der Dirne selbst hingegangen bin. Fußfällig habe ich sie angefleht, sie solle mir meinen Sohn zurückgeben. Und das Weibstück hat geweint, mich gestreichelt und gefüßt und gesagt, sie könne es nicht! Sie könne es unmöglich sie liebe Eugen - sie hätte ja sonst Niemand, den sie wirklich lieben dife; sie wolle ihm Arbeit verschaffen, und wenn er sie auch schlägt und beschimpft behielte ihn; aber den Tag, wo er ihr nicht mehr gefiele, ließe sie ihn laufen, jage sie ihn fort; so lange müsse er aber bei ihr bleiben; wenn er ginge, würde sie ihn der Polizei übergeben, und was dann geschähe, könnte ich mir selbst ausmalen. Aber so gern sie mir auch soust zu Willen sei, sie fönne ihn nicht freigeben, sie liebe ihn und, so lange sie liebe, kenne sie feine Rücksichten und Gesetze. Es würde auch unnüß sein, Eugen zu zwingen, er würde doch stets, so oft sie es nur wünsche, zu ihr zurückkehren."
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sie
" O, Herr Geiger, denken Sie, all diese Schmußereien, retten Sie meinen armen Eugen
aus den Krallen dieſes Weibsbilds. Ich beschwöre
Sie, Herr Geiger."
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" Ja, gnädige Frau, was in meinen Kräften ſteht aber ich weiß nicht
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"
„ Ja, das Weib sagte mir, daß es Sie einmal sehr geliebt hätte."
"
"
Sooo!?"
Viel mehr als Eugen, und daß sie Engen eigentlich nur als Vetäubungsmittel betrachte und sich eben deshalb schon so an ihn gewöhnt hätte, daß sie ihn nicht missen könne."
Sooo!? Wo wohnt Lies jetzt?" Sie sagte es mir.
" Ja, Frau Salle , ich werde mir morgen Nachmittag frei nehmen, gehen wir zusammen zu ihr." „ Ich soll noch einmal in die Wohnung jener Dirne gehen? Jich eine anständige Frau!!!" rief Frau Salle nicht ohne Pathos.
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bitten, mir gegenüber nur über Dinge zu urtheilen, in die Sie Einblick haben."
"
Wie meinen Sie das, Herr Geiger?!"
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" Ich meine, daß Ihr Sohn vielleicht schuldiger ist, als das Mädchen ist, als das Mädchen die Dirne, wie Sie stets so liebevoll sagen.- Das Mädchen ist ein armes Geschöpf, dem man einfach alle anderen Existenzbedingungen abgeschnitten hat, und die man nun zwingt, aus ihrem Körper, das ist ja das Einzige, was man ihr ließ, Kapital zu schlagen. Nicht immer aus Leichtsinn gnädige Frau- nicht immer aus Leichtsinn, sondern nur um zu leben, und in diesem Kampf sind alle Wittel erlaubt. Aber wenn ein junger Kerl solch ein Waschlappen, solch ein leichtsinniges, trauriges Mannsbild ist, daß er sich- aeh gnädige Frau, Sie sparen mir das. Ja, Frau Salle, und wenn es zehnmal Ihr Sohn ist, und wenn es mein bester Freund wäre, an solchem Menschen ist nichts zu bedauern; der verdient!! Ja also, gnädige Frau, wir wollen gehen." Frau Salle machte ein Gesicht, als ob sie beim Erdbeersuchen eine Blattwanze erwischt hätte, schwieg aber.-
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Wir wanden uns durch ein Labyrinth von Straßen. Endlich da wohnte sie also! In diesem alten Hause mit dem finsteren, verrußten Aussehen, in dem Alles nach Müllkuten, kleinen
Sie umhalste mich und weinte. Kind, wie es bebte und zitterte.
"
Das arme
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, Ach, Georg, daß Du nun endlich kommst, endlich. Wenn Du wüßtest, wie ich mich nach Dir gebangt habe, die lange Zeit; wie ich mich nach Dir gesehnt habe. Ach! Wärst Du nur ein Jahr früher gekommen!! Aber nun verläßt Du mich doch nicht mehr, nein, jezt nicht mehr! Sieh mal, ich will ja wie ein Hund und wenn Du mir nur ein freundliches Wort giebst."
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Ich schwieg. Nicht, daß ich ihr vielleicht gram gewesen wäre, aber mir wirbelte Alles im Kopf.
Sie machte sich von mir los, trat einen Schritt zurück und sah mit ihren großen Augen voll in die meinen, wie sie es tausendmal gethan hatte, wenn sie wissen wollte, wie ich über irgend etwas dachte.
,, Ja, es ist wahr, Georg, ich kann es nicht mehr! Ich hab ja kein Anrecht mehr auf Dich." ,, Aeeeh", seufzte sie plötzlich auf und preßte die Hand gegen die Brust, als ob sie dort einen Schmerz empfände.
"
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Nein! Nein!! Ich muß ja noch leben!! nur so lange. Ich will ja noch Alles, Alles gutmachen!-" ( Fortseyung folgt.)
Nirgends Sonne! Solch ein echtes Massenquartier für großstädtisches Elend!
Klopfenden Herzens stieg ich die schmalen, ausgetretenen Stufen hinan. Eine Arbeiterfrau mit wirren Haaren, fahlem, wie ausgesogenem Gesicht eilte mit einem Kind auf dem Arm an mir vorüber. Das Kleine glich einer Meerkaze.
Frau Salle bewegte mehrmals ihre Nasenflügel und goß dann schnell etwas Parfüm auf das Taschentuch, welches sie sich vor das Gesicht hielt. Lies' Wirthin, ein Weib, dem Gemeinheit und Kuppelei auf dem Gesicht standen, öffnete. Ja, es thäte ihr leid. chen wäre nicht zu Hause.
Wann sie wieder käme? Das wäre unbestimmt.
Das Fräulein Lies
Ich drückte ihr eine Mark in die Hand: wir
Sie sind hier Mutter und haben nur diese möchten warten. Rücksichten," sagte ich ungehalten.
" Ja, ja, Sie haben Recht, Herr Geiger," kam es kleinlaut, zurück.„ Ja, ja, ich ergebe mich darein. Morgen Nachmittag also erwarte ich Sie."- Auf die letzten Worte hin wäre ich am liebsten nicht mehr zu ihr gegangen.
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Himmel Herrgott Donnerwetter noch mal!! Was gingen mich denn fremde Leute an, wo ich selbst nicht ein noch aus wußte? Was war mir jetzt noch Lies? Doch nur ein hohler Zahn in meiner Erinnerung, der mich jedes Mal schmerzte, wenn ich versehentlich darauf biß. Ja, ja- ich hatte sie einmal sehr lieb gehabt. Ich hatte sie auch jetzt noch im guten Angedenken. und min sollte ich sie wiedersehen, und durchseucht von Gemeinheit Aeech! Efelhaft!!
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Aber
durchjaucht
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Und was war mir denn Eugen? Doch nur die komische Figur eines Trauerspiels.
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Als ich am Nachmittag des nächsten Tages zu Frau Salle fam, erwartete sie mich schon in GalaUniform. Lachsfarbenes Seidenkleid, Spigen fragen, Blumenhütchen, Sonnenschirm. Ihre gestrige Untröstbarkeit war auch einer breiten Gemüthsruhe gewichen.
Verzeihen gnädige Frau, wir gehen doch zu feinem Sommerfest?!"
,, Herr Geiger, das können Sie als Herr nicht begreifen. Sehen Sie, so etwas imponirt der= artigen Mädchen inmer."
Ich zuckte die Achseln.„ Derartige Mädchen?" „ Ja, solchen Dirnen, die nur an Putz und Flitter hängen; die nur darauf ausgehen, Söhne anständiger Eltern zu verführen. Die-
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Guädige Frau, ich möchte Sie ganz gehorsamst
Bitte, bitte, wir möchten nur herein kommen. Hier wohne das Fräulein Lieschen. Das Fräulein Lieschen wäre nur mal runter zu eine Kollegin gegangen. Ob sie das Fräulein Lieschen holen solle? Nein! nein, wir würden warten.
Eine elende Dachstube. Ein wenig Gerümpel, man hätte es auch noch Möbel nennen können. Ein altersschwacher und ein rückenmarkfranker Stuhl. Ein Mahagoni- Spind. Eine Nußbaum- Kommode. Le'de hatten wahrscheinlich früher einmal Politur gehabt. Ein Spiegel mit Stockflecken und breitem, verstaubtem Goldrahmen. Papierblumen. Chinesische Fächer in allen Größen, Formen und Farben, überall da, wo sie nicht hinpassen. Ein ungemachtes Bett mit wenig einladenden Bezügen. Auf dem Fußboden einige Stücke schmutziger Wäsche. Gott ! Gott ! Hier wohnte sie.
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Ja, wenn ich das mit ihrem Zimmer von ehemals verglich, da Alles Anmuth, Geschmack und Sauberkeit; und hier aeh!- unglaublich!
Frau Salle hielt sich noch immer ihr Taschentuch vor die Nase.
Historische Skizze von Friedrich Thieme.
( Schluß.)
anz gewaltig war die Aufregung, die sich aller Anwesenden bemächtigte. Die Deputirten beantragten Kellners sofortige Verhaftung. Schließlich begnügten sie sich mit dem Versprechen des Obervierherrn, er werde die Stadt ohne Erlaubniß des Raths und der Gemeinde nicht verlassen. Kellner hielt Wort und blieb, während die meisten seiner Kollegen die Stadt verließen. Er blieb trob der Wuthausbrüche des Volkes, das Tag und Nacht drohend und schimpfend sein Haus umlagerte, seinen Unmuth nicht nur in Worten, sondern auch in Spottreimen und Liedern Luft machend:
,, Kellners Tochter hat eine hohe Brost( Brust), Daran hängt Kapellendorf , das Schloß; Heinze Kellner alleine,
Der wäre gern daheime."
Solche und andere Verse wurden gesungen, und der Haß erreichte einen so hohen Grad, daß der Verfolgte es für flüger erachtete, sich heimlich in die nahegelegene Vitikirche zu flüchten, wo er sich zwei Monate lang in einem Raume über der Orgel versteckt hielt.
Die Versuche Sachsens , des Aufstandes Herr zu werden, gossen Del ins Feuer. Die Bürgerschaft hielt mehr zu Mainz , und als gar die nach lesterer Stadt abgefertigte Gesandtschaft von säch= sischen Bewaffneten überfallen und nach Weimar gefangen abgeführt wurde, erreichte die Entrüstung ihren Höhepunkt. Kellner, der inzwischen in sein Haus zurückgekehrt war, wurde gefangen genommen und peinlich verhört. Das Schicksal dieses Mannes bezeichnet eine der dunkelsten Epochen des tollen Jahres. Es hätte genügt, ihn vor Gericht zu stellen, und wenn der Nachweis seiner Schuld ge= führt war, streng zu bestrafen, statt dessen wurde der 70 jährige Greis, der allerdings durch seine anmaßenden Worte die Gemeinde zum höchsten Zorn gereizt hatte, in qualvoller Weise gefoltert, um schließlich, nachdem er unter den Händen der Folterknechte so ziemlich Alles gestanden hatte, was man von ihm verlangte, am 28. Juni 1510 zum Tode geführt zu werden. Es gilt hier dasselbe, was Wilhelm Blos in seinem Werke:„ Die französische Revolution" über die Schreckensperiode sagt:„ Das lag im Geiste einer von so furchtbaren Erregungen durchzitterten Zeit." In der Person Kellners verkörperte sich den Unzufriedenen der verhaßte Feind, man hielt ihn aller möglichen Verbrechen und sogar Ich öffnete unwillkürlich die Thür und trat auf des Verraths der Stadt an Cachsen für fähig, den Flur.
" Nun, was gedenken gnädige Frau für das Mädchen zu thun?"
Sie nahm das Tuch fort und sah mich er= schrocken an. Wie meinen Sie das, Herr Geiger?"
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Nun, was Sie- Ich schwieg. Draußen regte es sich, man hörte Flüstern, dann etwas lauter: Nein, ich bleibe nicht hier!"
"
Bei diesen Worten durchrieselte es mich, als ob mich ein elektrischer Schlag getroffen hätte. Wie gut kannte ich diese Stimme!
Lies!!"
,, Georg!!"