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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

scheinlich auch einigen anderen Planeten überhaupt Leben entstehen konnte, sobald nur diese Körper so weit abgekühlt, daß eine Vernichtung der Keime nicht mehr zu gewärtigen war.

Alles Leben auf der Erde und auf anderen Welten war und ist nun lediglich verkörperter Licht­strahl, für uns ausgestrahlt von der Allspenderin Sonne. Die Kohle, welche wir in unseren Oefen brennen und mit welcher wir unsere Maschinen treiben, ist daher ebenfalls lediglich Erzeugniß der Sonnenkraft, abgelagert und aufgespeichert vor Aeonen von Jahren.

Würde das belebende Licht und die strahlende Sonnenwärme, beide einander bedingend, plötzlich einmal erlöschen und ausbleiben, so würde schon am zweiten Tage die fürchterliche, eisige Temperatur des Weltraumes, welche Pouillet durch eine, aller­dings nur Annäherungswerthe gebende, Berechnung 31t minus 142° C ermittelte, vom Himmel her= niedersteigen und die gesammte Lebewelt, einschließlich der Menschheit, innerhalb weniger Tage vernichten.

Wie vorhin erwähnt, sind nun eine erhebliche Anzahl kleinerer Weltförper hinsichtlich ihrer Lebe­welt, ihrer physikalischen und chemischen Verhältnisse, iberhaupt ihrer ganzen Eristenz völlig auf das Kraft­und Stoffzentrum, die Sonne, angewiesen.

Vier Bälle mittlerer Größe, die Planeten Merkur, Venus  , Erde und Mars  , umkreisen die Sonne in ca. 57, 107, 148 und 226 Millionen Kilometer Entfernung, dann folgen in 350 bis 450 Millionen Kilometer Sonnenentfernung eine große Anzahl merfwürdiger, winziger Weltförper, die Planetoiden oder Asteroiden, von denen bis jetzt ca. 300 bekannt find, hierauf noch vier Riesenwelten, allerdings der Sonne an Größe längst nicht nahe kommend, die Planeten Jupiter  , Saturn, Uranus   und Neptun, und zwar in 774, 1418, 2851 und 4470 Millio­nen Kilometer Sonnenferne.

Das weite Gebiet durchstreifen endlich noch Schaaren von Kometen und Meteoriten, Trümmer untergegangener Welten, welche ersteren durch Schia­parelli in Mailand   als Anhäufungen von letteren, verbunden mit Kohlenwasserstoffverbindungen, erkannt

wurden.

Dieses große Gefolge der Sonne erfordert aber gesonderte Betrachtung und muß daher hier von Weiterem abgesehen werden.

stets fern geblieben wären. In der neuen Kunst hat der moderne Gedanke seinen thätigsten und muthigsten Vorkämpfer gefunden: ein guter Theil seines Seh­nens und Hoffens, viele seiner Ansprüche und For= derungen, an deren klarer und deutlicher Aussprache ihn brutale Willkür hindert, reden täglich in Flammen­worten zu unzähligen, unter dem Schuße einer un­antastbaren Macht. antastbaren Macht. Was verschlägt es, daß diese Kunst von der großen Wehrzahl unserer Aesthetiker und Kunstkenner in Acht und Bann gethan ist, ledig lich weil ihnen, troß redlicher Absicht, noch immer die Formel fehlt, sie in der unendlichen Neihe der geschichtlich überkommenen Begriffe ungezwungen ein­zuordnen?

Ist ihre Eigenart darum auch nur einem Ein zigen entgangen, ihre Wirkung auch nur einem all Jener geschmälert worden, die sich ein offenes Auge und Ohr für das Schöne bewahrt haben, unter welcher Gestalt es ihnen auch entgegentreten möge?

Viele freilich wittern zwar den mächtigen Sturmes­hauch einer neuen Epoche menschlicher Geschichte, sind aber nicht im Stande, auch nur eine der vermeint­lichen Errungenschaften der alten Zeit preiszugeben, und sind bestrebt, um Alles eine Versöhnung zwischen dem Alten und Neuen anzubahnen, oder doch wenig stens den Sieg der neuen Welt so lange als möglich hinauszuschieben. Vor Allem die Verfechter der Theorie von dem ewigen, für alle Zeiten muster­gültigen Schönen, die in dem raschen Flügelschlag einer neuen, aus eigener Kraft schöpfenden Kunst­periode eine arge Gefährdung der Normen und Geseze befürchten, wie sie durch das vergleichende Studium der Kunstwerke vieler Jahrhunderte von ,, berufenen Federn" festgelegt sind.

Nun ist die Ableitung allgemein gültiger Kunst­gefeße auf Grund der Vergleichung von Kunstwerken älterer und neuerer Zeitepochen stets eine mißliche Sache: entweder man versucht von ihr die Nichtig keit der sattsam bekannten, auch von Laien in ihrer nichtssagenden Seichtigkeit längst erkannten Schlag­wörter vom ewig Schönen" und" ewig Wahren" abzuleiten, oder man unterfängt sich, den Geist von lebendigen, blutwarmen Kunstwerken, von denen jedes eine eigene, fraftvolle Jndividualität bekundet, 311 destilliren, auf Flaschen zu ziehen, und auf jede dieselbe Etiquette zu kleben: im guten Vertrauen auf die Leichtgläubigkeit und den Stumpfsinn des Publikums, das ja gewohnt ist, seine eigene Ueber­zeugung willig nach der seiner vermeintlichen Lehr­meister zu modeln.

Vielleicht läßt man auch all jene fatalen Ge­

Altes und Neues aus dem Reiche der Tonkunft. sellen, die es gewohnt sind, ihre eigenen Wege zu

Von Adolf Lubnow.

III.

Das deutsche Volk und seine musikalischen

Klassiker.

enn wir dem vielgebrauchten Schlagwort: ,, Wir leben in einer Uebergangszeit" auf irgend einem Gebiete unbedingte Geltung beimessen dürfen, so ist es das der modernen Kunst. Zwar tobt der erbitterte Kampf noch auf allen Ge­bieten fort und der endgültige Sieg der alten oder der neuen Kunst ist noch in ein fernes Dunkel ge= hüllt, doch beweist gerade die unversöhnliche Heftig­keit, mit der die Verfechter der alten und der neuen Richtung einander bekämpfen, daß zwischen beiden Kunstanschauungen ein breiter Riß klafft, den nichts 311 überbrücken im Stande ist. Der moderne Ge­danke das unwiderstehliche Verlangen nach einem freien, von ökonomischen und dogmatischen Fesseln jeder Art ungehemmiten Ausleben der Persönlichkeit, das ideale Streben, der Zukunft die Bahnen für eine freiere, edlere Menschheit zu ebnen hat die Seele Jedes, den er in seine Bande geschlagen, mit fühnerem Thatendrange erfüllt und auch der Kunst seinen fraftvollen Stempel aufzudrücken gewußt. Ja, gerade sie, die auch da eine laute und vernehmliche Sprache redet, wo das Auge an den eindringlichsten begrifflichen Mahnungen in Wort und Bild achtlos vorübergleitet und das Donnerivort des begeisterten Agitators wirkungsvoll verhallt, hat ihm Kreise er= schlossen, die ihm nach Erziehung und Weltanschauung

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gehen, einfach bei Seite und hält sich an die natür­lichen Bundesgenossen, die Vertreter einer in usum delphini zugerichteten nüchternen und ehrbaren Kunst

geht es sich doch so schön auf der breiten, mit Pappelbäumen bepflanzten Landstraße, wo das Auge nach beiden Seiten frei und ungestört ausschweifen kann, ungehindert durch dunkle, geheimmißvolle Wälder, hohe Thürme, kühne, ragende Berggipfel.

Aber nicht mit dieser längst abgestandenen Theorie wollen wir uns heute beschäftigen, sondern mit einer anderen, gleichfalls vornehmlich in der jüngsten Zeit gegen die neue Kunst ins Feld geführten Anschauung. Man behauptet, die neue, auf dem Boden einer neuen Zeit und auf Grund neuer Kunstanschauungen herangewachsene Nichtung in der Musik gefährde den durch die Kulturarbeit von Jahrhunderten gewonne nen Schazz musikalischer Bildung des deutschen Volfes. Was die Heroen unserer Tonkunst vom 17. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts Großes geschaffen, sei allmälig geistiges Eigenthum des Volkes geworden sei allmälig geistiges Eigenthum des Volkes geworden und bis in seine untersten Schichten heruntergefickert: frivol sei es, durch die Propaganda für eine junge, plötzlich aufgetauchte Kunst den mühsam errungenen Kulturbesitz des Volkes zu vernichten. Aufgabe der folgenden Zeilen sei es, zwar nicht das Verhältniß der modernen musikalischen Kunst zum Volke, aber wohl die vermeintliche, bis in die untersten Volks­flassen reichende Popularität unserer musikalischen Klassiker mit wenigen Worten zu beleuchten.

Vorweg müssen wir freilich bemerken, daß wir dem Begriff der Popularität in der Musik die engsten Grenzen ziehen müssen. Die Volksthümlichkeit des Grenzen ziehen müssen. Die Volksthümlichkeit des

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musikalischen Kunstwerks ist an ganz andere Bedin­gungen und Voraussetzungen geknüpft als z. B. eid des poetischen. Die Schäße der Dichtung sind Ge­des poetischen. meingut: sie sind Jedem, dem es um poetischen Genuß, um Bereicherung und Vertiefung seiner litera­rischen Bildung zu thun ist, mühelos zugänglich. Das musikalische Kunstwerk äußert dagegen erst in der Reproduktion seine Wirkung; selbst das einfachste Kunstlied bedarf zu seiner Wiedergabe einer lange und sorgfältig geschulten menschlichen Stimme und der Klavierbegleitung, und welch ungeheueren Apparat von Menschen und Instrumenten erfordern erst die komplizirtesten, oder höchststehenden Musikgattungen, wie die Sinfonie und Oper! Dazu tritt noch ein zweites Moment: die Wirkung des poetischen Kunst­werks kann sich jederzeit auf den Einzelnen erstrecken; es erheischt nur die denkbar geringsten materiellen Opfer; dagegen verlangt die Aufführung eines den eben genannten Musikgattungen angehörenden Kunst­wertes einen unerhörten Aufwend von materiellen Mitteln und die Theilnahme einer nach Hunderten, ja Tausenden zählenden Zuhörerschaft. Und da das musikalische Kunstwerk im Gegensatz zum poetischen seine Wirkung eben nur in der Reproduktion ausübt, sind unzählige, sind alle fern von den großen Ver­fehrsplätzen Lebenden von den Genuß jener Kunst­werke, deren Aufführung nur durch die Betheiligung eines Massenpublikums ermöglicht wird, ausgeschlossen, oder sind ihn sich nur gelegentlich zu verschaffen im Stande. Diese leßte Thatsache hat im Verein Stande. mit dem allmäligen, durch eine Reihe von ökonomi­schen und anderen Gründen bedingten Schwinden der musikalischen Bildung in den breiten Schichten unseres Volkes mehrere unserer meistgenannten musikalischen Klassiker dem großen Publikum längst entfremdet. Am Augenscheinlichsten tritt diese Er­scheinung bei dem Verhältniß unseres Volkes zur Händelschen Kunst zu Tage. Das Andenken an diesen Meister ist heute fast ausschließlich an seine Oratorien geknüpft; seine Opern werden zumeist nicht einmal von den Fachleuten gekannt, und Manches aus seinen Instrumentalfompositionen taucht nur zeit­weilig in den sogenannten historischen Konzerten in denjenigen von unseren Großstädten auf, in denen sich ein regeres Mufifleben entfaltet. Leider hat das Verständniß für das Oratorium, das eben in Händel   seinen genialsten Vertreter gefunden hat, und die Pflege dieser eigenartigen Kunstform troß aller Bemühungen in den letzten Jahren eher ab­als zugenommen. Nicht zum Mindesten infolge der unumschränkten Herrschaft der Oper, der dem Orato­rium am nächsten stehenden Kunstform, die den Sinnen reizvollere, abwechselungsreichere Unterhaltung und den Nerven stärkeren Rizel zu bieten im Stande ist. Zudem hat die Oper mit der schnellen Ausbildung der Gesangs- und Instrumentalmusik gleichen Schritt zu halten, ja sie zu überflügeln vermocht, während nach Händel   das Oratorium immer selten kultivirt worden ist und keinen zweiten Vertreter gefunden hat, der sich mit dem Schöpfer des Messias  " und Israels   in Egypten" auch nur vergleichen ließe. Und mit der Pflege der genannten Kunstform hat auch das Verständniß für die Eigenart der Kunst ihres größten Meisters abgenommen, ist vielleicht in weiten Streisen sogar erloschen. Nur einzelne Säße aus Händelschen Oratorien sind ins Volk gedrungen und haben theils bei kirchlichen Aufführungen dauerndes Bürgerrecht erlangt, wie das" Hallelujah" aus dem Messias", theils sich auch in reinem Instrumental­gewande Freunde erworben, wie der Chor: Seht, er kommt mit Preis gekrönt", aus Judas Makka­ bäus  ". bäus". Daß wir trotz alledem Aufführungen von Händelschen Oratorien, zumal in Norddeutschland, nicht gar zu selten begegnen, müssen wir den Dank dafür vornehmlich den Lehrerseminaren, vielleicht auch einzelnen Gymnasien und Volksschulen zuwenden, in denen die Mühe und Opferwilligkeit verständniß­voller Musikpädagogen dem Auditorium Händels noch immer eine Heimstätte bereitet.

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Nicht minder schwer als Händel hat auch der zweite große Tondichter seiner Periode unter dem Wandel der Zeit und der Ungunst der Verhältnisse gelitten, Johann Sebastian Bach  . Das Verständniß für seine Klaviermusik setzt die vollendete Beherrschung