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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

und theuerstes Stüd. Daneben, die wie eine Schnecke zusammengerollte, das ist die Seele einer Betschwester. Mit fünfzig Jahren heirathete sie und hat nun die einer Schauspielerin eingetauscht. Ihre Seele ist schon bestellt; ein etwas abgelebtes Fräulein will sich dieselbe zulegen, wenn sie nach dem Karneval noch keinen Gatten haben sollte. Auch die Seele eines Redakteurs habe ich da, doch diese ist wohl nichts für Sie. Dem früheren Besizer war sie auch hinderlich, sie ist zu aufrichtig und stolz; drum Aber hier verkaufte er sie, er braucht feine mehr. Aber hier diese Professorseele! Wie?- Meinen Sie nicht auch, daß sie geeignet wäre?- Sie ist sehr ge schmeidig und anpassungsfähig! Wie?!"

Sie sah aus, wie ein großer, magerer Regen­

wurm und wand fich blißschnell von einer Seite zur anderen. Doch in einem Winkel sah ich eine andere und sagte:

"

Ach nein, diese paßt mir wohl nicht! Aber was ist die dürre dort für eine, die so faul am Boden hinkriecht?"

Ei, die!

-

Da haben Sie recht! Das ist eine Prachtseele und würde sich vorzüglich für Sie Nur etwas theuer, sehr theuer. Es ist eignen. aber eine Kommerzienrathsseele. Noch sehr gut Der ursprüngliche auf einige Jahre zu tragen. Der ursprüngliche Besizer ist fürzlich geadelt worden und hat sie des­halb umgetauscht gegen die eines abgehausten Barons! Wollen Se se?"

-

Sie war zwar sehr theuer, baare fünfhundert

Mark und feinen Pfennig weniger verlangte der Graue für das häßliche, abgebrauchte Ding und meine gute, schöne Scele noch obendrein. Sie that mir einen Moment wirklich leid. Doch weshalb war sie immer so vorwigig. Eine andere Seefe mußte ich haben, somit blieb mir feine andere Wahl, als zu zahlen.

Vorsichtig, damit ihm keine entweiche, fischte er die verlangte aus dem Glassack, hieß mich den Mund öffnen und schob sie hinein. Bald fühlte ich, wie im Körper etwas Schleimiges herunterkroch, sich ein passendes Fleckchen suchte, wo sie sich jedenfalls niederlegte und schlief; wenigstens wurde ich niemals von ihr belästigt.

( Schluß folgt.)

Antigone.( Zu unserem Bilde.) Wohl keine der zahlreichen altgriechischen Sagen vermag an tief er­schütternder Tragit sich dem Mythus zu vergleichen, der mit dem Herrscherstamm der Labdakiden, dem Königshause der Stadt Theben sich verknüpft.

Wie dieses, unaufhörlich verfolgt vom Haß der Götter, im grauenvollen Ende des Oedipus, des Vatermörders und Gatten der eigenen Mutter, seinen tiefsten Fall er­lebte, das ist unlängst an dieser Stelle kurz geschildert worden. Allein mit dem Untergang des Oedipus und seiner Mutter Jokaste   hatte sich das Schicksal des Hauses nicht erfüllt.

Verslucht vom eigenen Vater, den sie zur Stadt hinausgejagt, waren die beiden Söhne des Oedipus, Eteofles und Polyneikes in wildem Bruderkampf ent­brannt und Einer durch des Anderen Hand gefallen.

Schien nun auch endlich Ruhe und Frieden im lange und schwer heimgesuchten Theben einzuziehen, so wurde doch der Tod der beiden feindlichen Brüder zur Ursache neuen Unglücks.

Während nämlich Kreon, der Bruder der Jokaste, Eteofles als König und Vertheidiger der Stadt mit allem Prunk bestattete, verbot er bei Todesstrafe, der Leiche des Vaterlandsverräthers Polyneifes die gleichen Ehren zu

erweisen.

Dem aber widersetzte sich Antigone  , die Schwester des Verstorbenen. Treu dem geheiligten Gebot der Götter, das ihr mehr galt als Menschensagungen, bedeckte sie den todten Leib mit Erde und spendete ihm die vorgeschriebenen Weihegüsse.

Von Anfang an der Tragweite ihres Schrittes sich flar bewußt, gestand sie, als man sie gefangen vor den hochfahrenden Tyrannen schleppte, darum auch offen ihre That ein. Und stolz, eine echte, hochgesinnte Tochter ihres Vaters, mit dem sie einst freiwillig das Elend und die Trübsal der Verbannung theilte, stieg sie ins Grab­gewölbe ihrer Ahnen, in dem der grausame und feige König sie einmauern ließ.

Wohl suchte dieser, eingeschüchtert von den dunklen Weissagungen des greisen Sehers Teiresias  , bald das Ge­schehene ungeschehen zu machen, Antigone dem Tode zu entreißen.

Umsonst. Es war zu spät. Als man die Gruft er­brochen hatte war die Gesuchte eine Leiche.

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Mit ihrem Schleier hatte sie sich aufgehängt und so ihrem an Schmerz und Thränen überreichen Leben selbst ein Ziel gesetzt.

Kolonialpolitisches. Wenn einmal in späteren Zeiten die Geschichte des legten Drittels unseres Jahrhunderts geschrieben werden wird, so muß zweifellos die Kolonial­politik darin einen hervorragenden Plag einnehmen, ins­besondere die politische Theilung des afrikanischen Kon­tinents, die ein besonderes Interesse erregen dürfte. Merkwürdige Dinge spielen sich da vor unseren Augen ab. Staaten, die nie an die Erwerbung überseeischer Befizungen gedacht haben, treten als Solonialmächte ersten Ranges auf, wenigstens wenn man die Fläche des beanspruchten Territoriums dabei als Maß­stab annimmt. Der Flächenraum der Ländereien, welche Deutschland   im Verlaufe der lezten zehn Jahre( 1895 wurden diese Säße geschrieben) theils als Kolonie, theils als Schutzgebiet erworben hat, wird zu etwa 5%, Millionen Quadratkilometer berechnet, also fast zehnmal so viel, als die Größe des deutschen Reiches beträgt.

Das Gebiet des Kongostaates ist mehr als siebzig Mal so groß, als das Königreich Belgien  . Die soge­nannte erythräische( am Rothen Meer gelegene) Kolonie Italiens   ist fast ebenso groß, als das Königreich selbst. Spanien   macht im nordwestlichen Afrika   allein Anspruch auf ein Territorium von 700 000 Quadratkilometern. Frankreichs   Kolonien in Afrika  , Asien  , Amerika   und in der Südsee umfassen 44 Millionen Quadratkilometer, davon allein 3 Millionen in Afrika  : das Mutterland ist etwa 536 400 Quadratkilometer groß. Dabei ist ganz

Aus dem Papierkorb der Zeit.

abgesehen von den alten Kolonialstaaten Großbritanien, Holland   und Portugal  , von denen ersteres bei der Thei­lung Afrikas   natürlich auch nicht zu kurz gekommen ist.

Der größte Theil dieser Ländereien ist, wenigstens was Afrika   betrifft, nur ganz oberflächlich erforscht; immerhin weisen die Karten dieses Kontinents, im Ver­gleich etwa mit den vor zwanzig Jahren erschienenen, einen ganz bedeutenden und erfreulichen Fortschritt auf. Eigenthümlich berühren nur auf den modernen Karten die zahlreichen bunten Linien und Flächen, welche die Grenzen der Kolonien angeben sollen, Grenzen, die ohne jede Rücksicht auf wirthschaftliche, geogra phische und ethnographische Verhältnisse, rein zufällig entstanden sind. Wenn ein neuerer For schungsreisender einige Tage früher in eine Gegend kam, als ein anderer, so zog er die Flagge seines Landes auf, und mit einem Schlage hatte sein Vaterland einige Tausend Quadratmeilen Terrain gewonnen.

Freilich, mit der Erhaltung und Entwickelung solcher Flächenräume geht es nicht so schnell, dazu bedarf es viel ähriger Opfer an Blut und Geld, und die Herren Aftionäre, die an Kolonialgesellschaften, sowie an Handels. und Plantagenunternehmungen betheiligt sind, müssen wohl recht alt werden, ehe sie Dividenden einstecken fönnen. Die schönen Zeiten der Sklaverei sind eben vor­über, während welcher England, Holland  , Spanien   und Portugal   sich rasch aus ihren Kolonien bereichern konnten. Vieljährige Arbeit und bedeutendes Anlagekapital sind heutzutage nöthig, damit die Enkel die Früchte des Fleißes(?) und Unternehmungsgeistes ihrer Vorfahren genießen fönnen.

Gedankensplitter.

Oskar Lorenz.

Zur Ausbildung von gemessenen Lebensformen, dessen, was man Anstand nennt, gehört Zeit, darum haben sie Naturvölker: Araber, Neger, Indianer und die obersten Faulenzerklassen der Vollfulturvölfer. Innerhalb der Vollkultur ist in dieser Beziehung der Offizierstand be­sonders bevorzugt, dessen äußere und innere Lebens­verhältnisse den hier in Betracht kommenden Eigenschaften am meisten entgegenkommen.

Bierkandt, Naturvölker und Kulturvölker. Am meisten Unkraut trägt der fetteste Boden. Shakespeare  , Heinrich IV." Das Wesen des Reichthums beruht in seiner Herr­schaft über die Menschen.

Rustin.

Jeder denkt an sein Haus, Niemand an das Vater­land. Aus selbstsüchtigen Hausvätern entsteht ein schlechter Staat. Wo soll auch Gemeinsinn herkommen in einem Land, wo Jeder mit Privilegien schachert und auf den Nacken des Anderen zu treten sucht? Wo man einseitig Pflicht aufbürden will und nach Gesetzen richtet, die nicht bekannt gemacht sind, und deren Seele wieder das Vor­recht zum Tode der Gerechtigkeit ist?

Ein Glück für die Despoten, daß die eine Hälfte der Menschen nicht denkt und die andere nicht fühlt.

Dem Eroberer sind die Menschen Schachfiguren und eine verwüstete Provinz ein Kohlenmeiler. Mit wenigen Ausnahmen sind die großen Helden die großen Schand­flecken des Menschengeschlechts. Selbst Miltiades hat seinen Charakter problematisch gelassen.

Die meisten beträchtlichen Güterbesizer in allen Staaten sind Leute, die keinen Begriff haben von dem, was der Staat ist und was er von dem Bürger und der Bürger von ihm fordern kann und muß. Sie schreiten also grob pleoneftisch einher und nehmen in ihren Au­maßungen den Stock, den Strick und die Bayonetspizze zu Hülfe, und glauben vielleicht gar, Alles, was sie damit fönnen, sei auch Recht. Das nennen sie sehr passend ausübende Gewalt; denn von Gerechtigkeit ist selten ein Fünfchen dabei.

Das Resultat der Privilegien daher ist: Ihr sollt Alles thun, damit wir Alles haben; und wir bewilligen, daß ihr geben sollt.

Seume  .

Napoleon III.   war sehr übel auf seinen Vetter Na­poleon Joseph Karl Bonaparte( auch Plon- Plon, oder der rothe Prinz genannt) zu sprechen. Als daher sein kleiner Sohn Lulu ihn nach dem Unterschied der beiden Worte accident( zufälliges Ereigniß, unglücklicher Zufall) und malheur( Unglück) fragte, antwortete der Herr Papa: Wenn der Herr Vetter ins Meer fiele, so wäre das ein accident, wenn er aber wieder herauskäme, ein malheur.

Schnihel.

Die Drossel und der Wiedehopf Geriethen aneinander,

Wer wohl im Wald von Beiden sei Der Vogelschaar bekannter.

Die Drossel sprach: Mein Spottgesang Verschafft mir immer Achtung.

Du kannst nur hüpfen und Dein Schopf Kommt da nicht in Betrachtung."

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Der Wiedehopf erhob das Haupt: " Ich brauch nicht fremde Schminke, Mich kennt der Wald, die ganze Welt Du fragst warum? Ich stinke!" Heinr. v. Reber( Lyrisches Stizzenbuch) Der Unglüdliche. A.: Ich Armer bin zum Unglück geboren, Verwandte und Freunde hab ich verloren. Allein bin ich."

B.: Starben sie Alle zugleich?" A.: Sie leben, aber sie wurden reich."

Mittel.

J. F. Castellt.

Beschwerlich war der Bettler Zahl, Sie flagten über kranke Glieder, Man schickt sie in das Hospital Und Keiner kam zum Betteln wieder. Abraham Kästner.

Die erlaubte Rache. Eine Rache ist süß, die nimm an dem hämischen Tadler: Kränke, wenn Du es kannst, ihn durch ein Meisterwerk todt. K. B. Garve.

Sei dumm!

An Mops.

Das wünsch ich dir zum neuen Jahr! Warum?

Weil Dummheit in dem alten Jahr So manchen Esels Glück gebar; Darum

Sei dumm!

Christian Dan. Schubart.

Rechtsstudium.

Mein Sohn, Du hast, wie sich's gebührt, Mit allem Fleiß das Recht studirt; Doch um Prozesse gut zu führen, Mußt Du die Richter nun studiren. P. W. Henser.

Was hilft es, der Gerechtigkeit die Augen zu verbinden, Umsonst ist da das Band; Wollt ihr sie besser binden, So bindet ihr die Hand.

2. N. Göz.

Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Herrn G. Macasy, Leipzig  , Oststraße 14, richten.

Verantwortlicher Redakteur: Gustav Macasy in Leipzig  . Verlag: Hamburger Buchdruckerei und Berlagsanstalt Muer& Co. in Hamburg  .

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Druck: Mar Babing in Berlin  .