Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

denn in so einem elenden Neste ist doch kein Mensch, mit dem sich Unsereiner, der die Welt kennen gelernt hat, abgeben kann."

Entzückt von diesen prächtigen Worten, ergriff ich, zum Zeichen, daß ich desselben Sinnes sei, die Hand meines neuen Freundes und schüttelte sie herzhaft.

,, Gut, so duzen wir uns, wie es Freunden zu­kommt," sagte er." Du wirst mir zuerst aus der Klemme helfen, später helf' ich Dir. Leih mir bis heut über acht Tage eine Mart. Sonntag Nach mittag holst Du mich zu einem Spaziergange ab, da bekommst Du sie wieder."

Gegen eine solche Bitte gab es natürlich keinen Einwand; es galt, eine Freundespflicht zu erfüllen, und so zog ich das Portemonnaie.

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Ach," rief er, als meine Silberstücke in der Sonne funfelten, Du hast ja massenhaft Geld!" Nur zwei Mark fünf ig!"

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Schadet nichts, da gieb nur noch fünfzig Pfen­nige, so viel brauche ich grade.... So, ich danke! Nächstens helf' ich."

Dabei erhob er sich, und wir schritten langsam der Stadt zu. Unterwegs erzählte er mir einige Abenteuer von der Walze, schimpfte kräftig auf seinen Meister und versicherte, daß er ihn schon tirre" machen werde. In der Stadt blieb er plötzlich vor einem Wirthshause stehen und sagte:

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Wenn Du etwa Lust hast, ein wenig Abend brot zu essen, so laß Dich nicht abhalten. Ich leiste Dir Gesellschaft."

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Nein, ich esse jetzt nichts," erwiderte ich, ,, aber wenn Sie wenn Du essen willst, so geh wenn Du essen willst, so geh ich gern mit hinein und trinke ein Glas Bier. Ich muß ein wenig mit dem Gelde sparen," fügte ich leiser hinzu.

Wir traten ins Wirthshaus. Mein guter Freund bestellte eine Portion Schweinebraten und zwei Glas Bier. Ach was, Du ißt eine Vortion mit!" rief er plöblich. Frau Wirthin, zweimal Schweine­braten!"

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Ich protestirte ein wenig, aber dann kam mir der Gedanke, daß es vielleicht unhöflich sein könnte, dem kaum gewonnenen Freunde bald einen Korb zu ertheilen und so willigte ich ein. Der Braten war vorzüglich und machte der Wirthin alle Ehre. ,, Essen und Trinken hält Leib und Seele zu­sammen," bemerkte mein Freund, als er sah, daß ich einen gesegneten Appetit hatte.

Als der Braten verzehrt und die Gläser geleert waren, legte er zehn Pfennige auf den Tisch und sagte: " Jeßt gieb Deine Mark heraus, dann reicht es."

Meine Mark?" fragte ich verblüfft.

Noch eine Kraftprobe.

Von H. Vogel.

ie gräßlichen Menschenschlächtereien, in denen der blutgiertolle Jwan IV. länger als zwanzig

Jahre wüthete, der sich für einen von Gott begnadeten, mit Gott untrennbar vereinten Gott­menschen erklärte, und von dessen Thaten in den Nummern 19 und 20 der Nene Welt" cinige ge­schildert wurden, erinnern mich an andere Grausam­keiten, welche unter einem Monarchen im Westen Europas begangen wurden, ohne daß ein Murren des Volkes damals laut wurde.

Am 5. Januar 1757 wurde auf die Person des Königs von Frankreich , Ludwig XV. , ein Attentat von einem armen Schwachsinnigen, einem stellenlosen Bedienten, unternommen. Dieser, Namens Damien, verwendete als Mordinstrument ein Federmesser, mit dem er den König wie mit einer Stecknadel ver­lezte.( Voltaire sagte: ,, une piqûre d'épingle".) Der Schuldige erklärte beim Verhör, daß er dem Könige nur eine Mahnung habe geben wollen, und das ist nicht ohne Wahrscheinlichkeit. Die Wahl des Juſtrumentes und die Natur der Verwundung lassen es glauben. Das Parlament, dem er aus­geliefert wurde, richtete sich nach dem Reglement, begnügte sich jedoch nicht damit, ihn zum Tode zu verurtheilen. Von seinem monarchischen Eifer hin­gerissen, und um sich auf Kosten eines Schwach sinnigen dienstbereit zu zeigen, bestimmte es, den­selben tausend Tode einen nach dem anderen erleiden selben tausend Tode einen nach dem anderen erleiden zu lassen. Das Urtheil, welches buchstäblich befolgt wurde, lautete: daß man auf einem Feuerbecken die Hand verbrenne, die die Mordwaffe geführt hatte, daß man ihm dann den Leib aufschneide und in die Wunden geschmolzenes Blei gieße; nach diesem schreck­lichen Vorspiel solle er von vier Pferden zerrissen und auf den Scheiterhaufen geworfen werden.

Es berichten zwei Augenzeugen über diese Ge­fution; der eine von ihnen, Bouton, war ein vom Militärdienst Losgekommener. Michel Chevalier theilt diese Berichte mit. Nach denselben bemächtigte man sich des unglücklichen Verurtheilten um 6 Uhr Mor­gens und führte ihn von vorbereitender Förm'ichkeit zu Förmlichkeit, bis er Nachmittags um 32 Uhr Unter diesen Vor­auf dem Grèveplatz ankam. bereitungen waren die spanischen Stiefeln, in denen er anderthalb Stunden bleiben mußte. Erst um 412 Uhr wurde er zur Hinrichtung entkleidet. Gemäß den Vorschriften des Urtheils wurde ihm die Faust gebrochen und mit glühenden Zangen gezerrt, was

Nun, achtzig Pfennig der Braten und dreißig die Henkersknechte mit einem außerordentlichen Gifer Pfennig das Bier!"

Ich soll der Braten bezahlen?"

Wer denn? Hab ich Dir nicht gesagt, daß ich meine fünfzehn Böhmen brauche? Was Du für ein Mensch bist und wie Du mir vorkommst! Wenn Du knauserig bist, will ich Dir nächsten Sonntag auch das Bratengeld wiedergeben. Mir soll's nicht darauf ankommen. Nee- so'n schofler Bruder bin ich nicht!"

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Er sprach diese Worte mit solcher Lebhaftigkeit, daß die anwesenden Gäste ihre Blicke auf uns richteten. Ich war tief teschämt. Der Schuster erhob sich und mit einem leichten, vornehmen Adjes" eilte er zur Thür hinaus. Ich wollte ihm nachlaufen und ihn fragen, wie er heiße und bei welchem Meister und in welcher Straße er arbeite, stieß aber in der Hast einen Teller vom Tische und blieb ob dieses Ereignisses wie angewurzelt stehen. Die Gäste stimmten ein Hohngelächter an, die Wirthin jedoch tröstete mich mit dem Bemerken, daß der Schaden nicht groß sei, da der Teller nur vierzig Pfennige foste. Ich gestand ihr heimlich, daß mein Geld nur auf Braten und Bier ausreiche, nannte den Meister, bei dem ich arbeite, und beiheuerte, daß ich mich nach acht Tagen ciufinden und den Teller bezahlen werde. Die gute Frau traute nach einigem Zögeru meinem ehrlichen Gesicht und ließ mich ziehen.

Ju ernste Gedanken versunken und um meinen In ersten Wochenlohu erleichtert, wanderte ich heim nach meiner Bodenkammer. ( Fortsetzung folgt.)

ausführten. Nachdem der Henker mit eben solcher Gewissenhaftigkeit Blei in die Wunden gegossen, band man ihn an die Stricke, welche die Pferde ziehen sollten. Man bemühte sich dabei, ihn un­aussprechliche Schmerzen" erleiden zu lassen. Die Pferde, welche starke Thiere waren, versuchten mehrere Male vergeblich, ihm die Glieder aus­zureißen. Wüthend, daß ihnen das nicht gelang, stießen die Henkersknechte Flüche aus. Damien bat sie, nicht zu fluchen, sie möchten nur ihr Handwerk ausüben, er grolle ihnen deshalb nicht; sie möchten auch für ihn zu Gott bitten. Zwei Priester waren dabei; er schrie ihnen zu: Süßt mich, ihr Herren!" Einer von ihnen froch unter das Seil eines Pferdes und gab ihm wirklich einen Kuß. Da die Pferde nicht im Stande waren, ihn zu viertheilen, obgleich die Gelenke ausgerenkt wurden, nahm der Henker sein Messer, sagte seinen Gehülfen, dasselbe zu thun, und sie schnitten ihm nun Arme und Beine ab. Den noch athmenden Körper warfen sie dann in die Flammen. Es war etwa 612 Uhr.

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So etwas raffinirt Grausames sind Wilde nicht fähig, an ihren Gefangenen auszuüben. Der Hof und die Bevölkerung waren bei der Hinrichtung Alle Fenster des Gr veplazes Damiens zugegen. waren zu hohen Preisen vermiethet. Die Reichsten, die Höchstgestellten ergößten sich an dem Schauspiel wie die Aermiſten, und trøßdem heuchelte der Ton der damaligen französischen Gesellschaft Empfindsam­feit. Die Höflichkeit und die Galanterie ist nie so ausgeprägt gewesen, als zur damaligen Zeit, in der

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man namentlich das Schäferspiel übte. Aber die Zustände änderten sich in Frankreich schneller, als die Spieler dachten. Schon 36 Jahre nach dieser Hinrichtung, am 21. Januar 1793, fiel auf dem nämlichen Grèveplay das Haupt des Sohnes und Thronfolgers Ludwigs XV., das. Ludwigs XVI., infolge seines landesverrätherischen Treibens, obwohl derselbe weniger grausam als sein Vater war.

In Rußland marschirt die Weltgeschichte etwas weniger schnell, als in Frankreich ; aber still stehen bleibt sie auch dort nicht. Ob 36 oder 360 Jahre vergehen, eines Tages ist auch hier das Volk heran­gereift und fordert seine Menschenrechte und beseitigt dann Den, der sich dieser Forderung widersetzt. Die Freisprechung von Wjera Sassulitsch, die 1878 von den Petersburger Geschworenen erfolgte, sei für die russischen Machthaber ein Menetekel in jeder Hinsicht.

Der ungerechte Haushälter.

Von Otto Senft.

In der weiten Halle des Hauptbahnhofs der Residenzstadt stand der Nordschnellzug zur Ab­fahrt bereit. Es war ein falter September morgen, und dicke Schwaden weißen Nebels wallten in der Luft. Fröstelnd ging der Stationsvorsteher auf dem Bahnsteig auf und ab und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf die große Stationsuhr. Ein verschlafener Schaffner rollte den polternden Post­farren herbei und ein paar Hoteldiener schleppen Koffer und Packete in die Wagen. Da springt der Beiger auf 7, der Stationsvorsteher winkt mit der Rechten Abfahren", ein schriller Pfiff und der Zug setzt sich langsam in Bewegung.

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In einem Coupé erster Klasse hatte ein hagerer Herr mit energischen, freilich etwas verlebten Gesichts­zügen Platz genommen. Es war der Geh. Kommerzien­rath Friedrich Strecker, Generaldirektor der Ver­einigten Fabriken für Eisenbahnmaterial zu Neu­stadt," Stadtverordneter, Kirchenältester, Mitglied des Schulfollegiums usw., furz, eine Ordnungsfänle erster Klasse, eine unerschütterliche Stüße von Recht und Sitte. Die biederen Neustädter hätten ihren Chren nicht getraut, wenn sie gehört hätten, wie ihr verdienter Mitbürger jetzt in seinem Coupé vor sich hinsummte:

" Ja, beim Souper, da kann man was erleben, Ja, beim Souper im Chambre separé, Wenn man so ganz dem Leichtsinn hingegeben Dabei strich er sich seinen Schnurrbart, den er heute sorgfältiger als sonst gefärbt zu haben schien, und lächelte zufrieden. Ein netter Käfer, die Adele. Vielleicht..?" Er blinzelte lüstern. Ja, ja, für so eine Nacht in der Residenz gäbe ich gern eine Woche in Neustadt."

Der Gedanke an Neustadt riß ihn aus seinen angenehmen Zukunftsträumen, seine Stirn umwölkte sich und zögernd zog er aus der tiefen Brusttasche seines lleberrodes eine dicke Brieftasche hervor. Zahl So viel auf Zahl schrieb er nieder und addirte. fann es nicht sein, ich muß mich irren," murmelte er erschreckt und rechnete wieder und wieder. Es ist nicht anders, fünfzehntausend sind es rund. Ja, das Spiel und diese Weiber."

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Er erhob sich und durchmaß das Coups mit. hastigen Schritten. Troß, seines dicken Reisepelzes fror ihn: Und nächste Woche wird mit dem Quartals­abschluß begonnen und der Aufsichtsrath kommt." Er blieb am Fenster stehen und preßte seine heiße Stirn gegen die Scheibe. Wenn ich mit dem ärmsten Haidebauern tauschen könnte, der hier in dieser Einöde kümmerlich sein Leben fristet. Das Beste freilich wäre, du stürztest jetzt hinaus." Er hob schon die Hand, um das Fenster herunterzulassen. Aber noch ist ja nichts verloren," tröstete er sich wieder, der Jude muß dir wieder helfen, und es soll das erste und letzte Mal sein, daß ich aus der Kasse..." Er stockte und sah sich um, als wenn er einen Lauscher fürchtete. Wenn es entdeckt würde," murmelte er, und es überlief ihn heiß vor Angst und Scham." Pah, es wird schon Alles gut gehen, Rosenfeld schafft mir das Geld, und wenn bei der Revision Alles stimmt, dann wird Nie­

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