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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

lannt, ihr Nachdenken zu stören und ein gleichgültiges Gespräch zu führen. In sich zusammengesunken saß er da, mit aschfahlem Gesichte und gesenkten Lidern, und er kostete kaum von den Leckerbissen, die man auftrug. Die Seelenkämpfe, die er ausgestanden hatte, hatten ihn gebrochen, und in den wenigen Stunden des Nachmittags war er um Jahre gealtert. Er hatte keine Rettung, keine Hülfe mehr gesehen, und von Angst und Scham getrieben, hatte er nach der Waffe gegriffen, um durch den Tod von eigener Hand die Schuld zu büßen. Aber schandernd ließ er die Ptole wieder sinken, als er ihr faltes Gisen an der Schläfe fühlte, und ein fürchterliches Grauen erfüllte seine Seele bei dem Gedanken an das namen= lose Nichts, in dem der Mensch nach seinem Tode aufgeht. Der Wille zum Leben rang in ihm mit seinem Stolze, und nach qualvollem Schwanken kam er endlich zu dem Entschlusse, sich zu demüthigen und die Folgen seines Fehltrittes zu tragen. Leben, leben wollte er um jeden Preis, und wenn er auch mit Schimpf und Schande aus dem Amte gejagt werden und mit mühseliger Arbeit seinen Unterhalt erwerben sollte.

Nun saß er in dumpfem Brüten bei dem fest lichen Mahle und starrte, ganz in seine Gedanken versunken, theilnahmilos vor sich hin. Der weite Saal mit den geputzten heiteren Menschen schien vor seinen Augen zu versinken, und er sah sich wieder als unschuldigen Knaben an dem mageren Tische seines Vaterhauses sizen, wo oftmals Schmal Ihm war, als ob er hans Küchenmeister war. wieder die liebe, treue Stimme seines Vaters hörte, wenn er zur Zither seine Lieblingsweise sang: Ueb immer Tren und Redlichkeit bis an dein fühles Grab."

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Er zerdrückte eine Thräne, die ihm ins Auge stieg, und hastig griff er nach dem Weinglas und leerte es auf einen Zug. Der edle Rebensaft durchriefelte seine Adern feurig und schien ihm neuen Muth zu geben. Vielleicht durchzuckte es ihn plötzlich ist dir das Glück noch einmal günstig, vielleicht vertuscht der Aufsichtsrath die Sache, damit es keinen Skandal giebt und die Aktien nicht im Kurs zurückgehen. Sein Leichtsinn überredete ihn fast, es anzunehmen, zum wenigsten schien ihm nicht alle Hoffnung verloren, seinen guten Namen zu retten und seinen Schwiegersohn nicht bloßzustellen. Er stürzte noch ein Glas hinunter, da traf ihn ein Blick seiner Frau und ohne Zögern erhob er sich, um seine Gäste zu begrüßen. Freilich zitterte seine Stimme anfangs, aber allmälig wurde sie fester. ,, Und meine lieben Freunde," schloß er, zum Schluß noch eine Ueberraschung: ich stelle Ihnen meine Tochter und Eugen Waldow als Brautpaar vor."

Endlich war der Glückwunschschwall vorüber, und nachdem der Konsistorialrath noch eine salbungs­volle, mit Bibelsprüchen reich verbrämte Glückwunsch­rede vorgetragen hatte, wurde die Tafel aufgehoben. Der Wein hatte nach und nach eine allgemeine Fröhlichkeit hervorgerufen, auch Strecker war red­selig geworden, denn er hatte zum Schrecken der Konsistorialräthin drei Flaschen Wein vertilgt. In zwangloser Unterhaltung promenirte man in den Nebensälen, und nachdem die Tafel aus dem Speise­saal geräumt war, lockten Baß und Geige das junge Volk zum Tanze. Die alten Damen sahen dem Treiben der jungen Welt zumanche hoffte, auch manche hoffte, auch ihre Tochter heute an den Mann zu bringen und die älteren Herren hatten sich fast ausnahmslos in ein entfernteres Zimmer zurückgezogen, wo sie bei geschlossenen Thüren einer ganz besonderen Unter­haltung pflogen. Sie drängten sich um einen großen Tisch, au dessen Kopf der Konsistorialrath throute. Auf dem Tische lagen kleine Häufchen Gold und Banknoten, vor dem Konsistorialrath der größte. Es herrschte tiefe Stille, man hörte mur das Klatschen der Karten und das Ticken der kost baren Stuzuhr.

Alle Blicke haften mit gespanntem Ausdruck auf dem Bankhalter, der mit unerschütterlicher Ruhe die Karten vertheilt: Wer kauft?" quäft seine fettige Stimme. Niemand?" Dann legt er seine Karten um: Elf, dreizehu, zwanzig. Einundzwanzig ge= winnt." Von allen Seiten schiebt man ihm Gold­stücke zu, die er zufrieden einsackt.

So ging es eine Weile fort. Dichter Tabaks­qualm erfüllte das Gemach, auf Fenstersimsen, Stühlen und Schränken standen Wein- und Sekt­gläser, und mancher der Gäste schien des Guten schon zu viel zu haben. Verkauft!" sagte plöglich der Konsistorialrath und bemühte sich vergebens, seinen Aerger zu verbergen. Wer nimmt die Bauk?" Natürlich der Hausherr, Herr Geheimrath!" tönte es von allen Seiten, und ohne vieles Sträuben folgte Streder diefem ehrenvollen Rufe; der Wein hatte ihn aller Urtheilskraft beraubt, so daß er garnicht überlegte, wie er seine etwaigen Spielverluste decken sollte. Aber das Glück war ihm günstig, er gewann und gewann, während der Konsistorialrath mehr und mehr zusammenschrumpfte. Der Einsatz war nicht niedrig, und daher hatte er schon einen stattlichen Haufen vor sich aufgethürmt, als der Diener an die sorgfältig verschlossene Thür pochte und meldete, daß die Herrschaften aufbrächen. Man sah nach der Uhr: Erst ,, Erst zwei!" aber als gehorsame Ehemänner mußten die Herren dem Rufe folgen. Mit Händedruck und Danksagungen für den Abend verabschiedeten sie sich von ihrem Wirthe, welcher, vom Wein fast völlig überwunden, unfähig war, fie bis zur Thür zu ge= leiten. Die Lichter verschwammen vor seinen Augen, und halb in Traume hörte er, wie unten Wagen vor­fuhren, er hörte Lachen und Gutenachtrufe. Schwer­fällig erhob er sich, da fällt sein Blick auf das Gold, das er im Spiel gewonnen, und wie ein Bliz durch ." Mit zuckt ihn der Gedanke:" Vielleicht?..." bebenden Händen wühlt er darin herum, er nahm noch einmal seine Sinne zusammen und mit einiger Anstrengung gelang es ihm, zu zählen: tausend, zwanzig, vierzig, sechzig, hundert, murmelte er- sechzehntausend!" rief er plöglich und eine aus­Den gelassene Lustigkeit bemächtigte sich seiner. Donauwalzer pfeifend, schwankte er nach der Ecke, wo die Flaschen standen, und nachdem er einer Veuve Cliquot den Hals gebrochen hatte, schlürfte er mit Gier ihren süßen, prickelnden Inhalt und schleuderte das leere Glas mit einem Juchzer an die Decke, wo es flirrend in tausend Scherben sprang. Daun raffte er, fortwährend fichernd, seinen gleißenden Gewinnst zusammen und stopfte ihn in seine tiefen Taschen, Goldstücke und Banknoten durcheinander. Als er damit fertig war, ergriff er den schweren, filbernen Armleuchter auf dem Spiegeltisch, an dessen Kerzen sich die Gäste die Zigarren angezündet hatten, und verschwand mit seiner goldenen Last in sein Comptoir. Adele, zu Dir ist mein liebster Gang, bester Gang," sang er mit rauher Stimme und suchte taumelnd die Ecke zu erreichen, wo der Geld­schrank stand. Da fiel der Schein der Kerzen auf das lebensgroße Bild des Fürsten Bismarck, das von dem Aufsichtsrath hier aufgestellt war, und bei dem Flackern des unsicheren Lichtes schienen sich die Züge des Alten zu beleben und voller Hohn zu lächeln. He?... was siehst Du mich so höhnisch an," lallte der Trunkene... ich hab Dich eigent­,, ich hab Dich eigent­lich niemals recht leiden können... bist immer so ein schneidiger Junker gewesen?... Warum lachst Du?" braust er plötzlich auf und hebt die Faust zum Schlage gegen den gemalten Bismard. Da verliert er das Gleichgewicht, er taumelt und greift hastig nach dem Nahmen, um sich aufrecht zu er­halten. Aber er reißt den eisernen Kanzler mit sich, und krachend stürzt das Bild um, den Trunkenen unter sich begrabend. Tiefe Stille, nur die Kerzen des Leuchters kniſtern leise; da schlägt plötzlich kuat­ternd eine mächtige Feuer arbe in die Höhe, die gierigen Flämmchen haben die ölgetränkte Leinwand, die den Fürsten Bismarck vorstellt, ergriffen und nach wenigen Minuten brennt das Zimmer lichterloh.

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" Fener! Fener!" gellte es schrecklich durch die stillen Straßen Neustadts, aber alle Hülfe kam zu spät. Mit Mühe gelingt es einigen wackeren Männern noch, die halbohumächtige Frau und Tochter Streckers über die raucherfüllte Treppe in Sicherheit zu bringen; über die rancherfüllte Treppe in Sicherheit zu bringen; es war, als hätte das entfesselte Element nur auf die Rettung dieser Unschuldigen gewartet; eine hohe die Rettung dieser Unschuldigen gewartet; eine hohe Flammensäule schlug aus dem Giebel und bald stürzte das Dach mit einem Donnerkrach zusammen, unter seinen Trümmern den Verbrecher begrabend.

Schuß der Armen gegen Schwindsucht.

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Von Dr. K.

Is vor nicht langer Zeit der Schreckensruf ertönte: Die Cholera ist in Hamburg ! da überlief ein Gruselu ganz Deutschland , und auch die Muthigen fühlten eine Gänsehaut; und dabei beherbergen wir in unserer Mitte einen viel unheimlicheren Feind, der Jahr aus, Jahr ein zahl= lose Opfer dem Sensenmanne überliefert, der aber nicht mit so lautem Kriegsruf einherschreitet, wie die Cholera, sondern still und heimlich am Ver­nichtungswerke arbeitet; das ist die Lungenschwind­Aus Hamburg famen damals an jedem sucht. Tage ganze Spalten in den Zeitungen; mit dem Vergnügen über schauerliche Vorgänge, das dent menschlichen Geschlecht angeboren ist, entsetzte sich ein Jeder schon beim Frühstücskaffee über die Neuigkeiten aus der durchseuchten Hansestadt. Wo lasen wir dagegen in den Tagesblättern etwas über die Schwindsucht? Wenn Jemand die Welt nur aus den Zeitungen kennen würde, so würde er der Lungenschwindsucht vielleicht eine ähnliche Bedeutung beilegen wie etwa den Masern; aber die Statistiken der Großstädte und die Todtenlisten der Kranken­häuser reden ganze Bände. Ein Siebentel der ganzen zivilisirten Welt stirbt an der Lungen­schwindsucht!! Und dieser Feind sollte nicht die Mühe werth sein, einen Kampf bis aufs Messer mit ihm zu führen? Sollten nicht seine Eigenschaften und Gefahren und seine Bekämpfung immer und immer wieder von Neuem gepredigt werden? Sollten nicht Wissenschaft, private und öffentliche Wohl­thätigkeit, Staat und Gesetz sich einmüthig die Hand reichen zu diesem Werke, anstatt phlegmatisch die Dinge ihren Lauf gehen zu lassen? Das Unter­nehmen ist allerdings nicht zu unterschätzen, denn in der ganzen Welt hat die Schwindsucht ihre Heim­stätte aufgeschlagen, von der Tropensonne bis nach den Eisfeldern Grönlands ; freilich behagen ihr die kälteren Klimata weniger gut, aber zum Theil nur deswegen, weil dort der Verkehr von Mensch zu Mensch ein minder reger ist; fast ganz verschont bleiben nur sehr kalte oder sehr hochgelegene Ort­schaften.

Umisomehr wüthet die Krankheit in den Groß­städten Europas , wo ihre Opfer nach Tausenden zählen, wo die armen Schwindsüchtigen die ständigen traurigen Gäste der Krankenhäuser bilden, um nach langem Siechthum ihr Leben aus uhauchen; wo jedes Haus eine solche Tragödie zu berichten weiß, freilich nicht in den Villenvierteln, aber in den Arbeiter­vorstädten; denn Noth und Sorge, fümmerliche Nah­rung und dumpfe, elende Wohnungen ebnen ihr die Wege; die Kinder, die bleich und schmächtig die Armuth ihrer Herkunft erzählen, ohne den Mund aufzuthun, sie sind es zunächst, die den Keim der Krankheit später aufnehmen oder schon beherbergen und die Schwindsucht oft als einziges Erbstück vom schwindsüchtigen Vater übernehmen. Freilich, auch aus den wohlhabenden Klassen erliegt so Mancher. - Kein Alter ist vor der Krankheit sicher; doch scheint es beinahe wie eine Tücke, daß die meisten Todesfälle zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Jahre erfolgen, daß sie im besten Alter, wenn die Kinder noch nicht erwachsen und die Bedürfnisse am größten sind, der Familie den Ernährer ent­reißt.

Diesem Gegner stehen wir unter den heutigen hygieinischen Verhältnissen fast machtlos gegenüber! Und doch, wie klein ist er; nur ein dünnes Stäb­chen, den dreihundertfachsten Theil eines Millimeters lang; Koch gebührt das große Verdienst, den Er­reger der Schwindsucht oder Lungentuberkulose, den Tuberkelbazillus, entdeckt zu haben. Heute kann ihn jeder Arzt mit dem Mikroskop betrachten; der Ba­zillus nimmit bestimmte Farbstoffe sehr schwierig auf, hält sie aber dann außerordentlich fest. Man färbt daher den Auswurf mit Karbolfuchsin, einem rothen Farbstoff, und entfärbt wieder mit Schwefelsäure; dann behält nur der Tuberkelbazillus die rothe Farbe zurück und läßt sich leicht als rother Strich

erkennen.