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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Das wurde mir erst nach und nach klar, und dann fiel mir auch sofort mein Bruder ein. Ich nicht allein, er sollte mit verloren sein? Nein, das ging nicht, ging auf keinen Fall; es war genug, wenn Einer zum Opfer fiel. Aber wie das eine Opfer unmöglich machen, wie?..

Ja, wenn ich nun auch das Geld verloren hätte; ich Jenem den Schein gegeben und mein Ehrenwo: t? Aber meines Bruders Name stand da, der war nicht wegzubringen; wie war da zu helfen?... Ja, dann mußte ich ihn schon gefälscht haben.

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( Fortsetzung folgt.)

Die Entwickelung der Theorien und die Namengebung in der Chemie.

Von H. Vogel.

ie Chemie ist heute ein so bedeutender Faktor in unseren wirthschaftlichen und industriellen Verhältnissen, daß man dem Fortschritt der menschlichen Kultur im neunzehnten Jahrhundert nicht mit Verständniß folgen fann, wenn man sich von dieser Wissenschaft nicht einen gewissen Ueberblick angeeignet hat. Aber Mancher möchte wohl gern auch etwas von dieser Chemie verstehen, doch hat er gehört, daß in derselben immer neue Theorien und Formeln auffommen, von denen eine der anderen widersprechen soll; andererseits stößt man auf chemische Namen, mit denen man sich die Zunge zerbrechen könnte, wie jetzt wieder bei dem neu vorgeschlagenen Denaturationsmittel für Margarine: Dimethylamido­azobenzol. Man weiß nicht, auf welche Silbe man da den Ton legen soll und seht lieber von dem Versuche ab, sich davon einen Begriff zu machen. Judeß, wie mit vielen anderen Dingen, ist es auch hier nicht so schlimm, wenn man es nur beim rich­tigen Ende aufaßt; und wenn man sich dann einiger maßen damit vertraut gemacht hat, muß man ge= stehen, daß es kaum wieder ein so geistreich und kunstvoll aufgebautes System der Benennungen giebt, wie das der Chemifer.

Wenn die Chemifer von alten und neuen Theorien sprechen, so stellen sie diese nicht in Gegensatz zu= einander, denn die sogenannten modernen chemischen Theorien fußen auf den älteren und sind nur Ver­vollständigungen derselben, ebensowenig wie ein Gegensatz zwischen der Theorie Fouriers und der von Karl Marr besteht, letztere vielmehr nur eine Klärung und Weiterführung der Ideen des Ersteren ist. Nichts ist daher besser geeignet, über diese scheinbaren Widersprüche aufzuklären, als ein Blick auf die geschichtliche Entwickelung der wissenschaft­lichen Chemie. Unmerklich macht man dann selbst die Entwickelung derselben mit und kommt schließlich ebenfalls auf den modernen Standpunkt. Dabei Dabei kann man sich freilich nicht auf Einzelheiten ein­lassen, sondern darf nur die Summe des Geschaffe­nen jeder Periode und das Leitmotiv derselben be= trachten.

Als sich die Chemie auf die Grundlage jeder exakten Wissenschaft stellte, auf die Theorie von der E istenz der Atome, als kleinster, untheilbarer Theilchen der Körper, fand man, daß sich eine chemische Verbindung verschiedener Urstoffe oder Elemente dadurch von einem Gemenge derselben unterscheidet, daß die Eigenschaften der chemischen Verbindung nicht mehr den Eigenschaften der Ele­mente entspricht Quecksilberori d, eine Verbindung von Quecksilber mit Sauerstoff, ist ein rothes Pulver, während Sauerstoff ein farbloses Gas und Queck­silber ein flüssiges Metall ist, und daß, wie der englische Chemiker John Dalton 1803 zuerst er­kannte, die Elemente in den chemischen Verbindungen nicht wie in mechanischen Gemengen in jedem beliebigen Verhältniß enthalten sein können, sondern nur in ganz bestimmten. So fand er, daß Quecksilberoryd stets aus 8 Gewichtstheilen Sauerstoff und 100 Gewichts­theilen Quecksilber festeht. Es mußten also in den chemischen Verbindungen die einzelnen Atome so eng aneinander gelegt oder gefettet sein, daß diese

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Verkettung nicht auf mechanischem Wege aufgehoben werden kann; ferner können diese Verbindungen sich nur bilden, wenn die verschiedenen Elemente in einem bestimmten Verhältniß darin zu Gruppen sich vereinen. Diese kleinsten Gruppen von Elementen nannte man Moleküle, während man die kleinsten Theilchen der Elemente, die in diese Gruppen treten lönnen, Atome nannte, Begriffe, an denen die Chemie auch heute noch festhält. Die verschiedenen Elemente bezeichnen die Chemifer auch zum leichteren Verständniß in den verschiedenen Sprachen durch bestimmte Buchstaben, und als man die Gewichtsverhältnisse feststellte, in denen dieselben Verbindungen untereinander eingehen, bezeichnete man nach dem Vorschlage von Berzelius mit diesen Buchstaben gleichzeitig die Gewichtsmengen, in denen das Element in Verbindungen eintrat. Wir haben oben bemerkt, daß sich 100 Gewichtstheile Queck­silber mit 8 Gewichtstheilen Sauerstoff zu 108 Ge­wichtstheilen Luecksilberoryd verbinden; andererseits fand man, daß sich 8 Gewichtstheile Sauerstoff mit 1 Gewichtstheil Wasserstoff zu 9 Gewichtstheilen Wasser verbinden. Es ist also in der Verbindung mit Sauerstoff 1 Gewichtstheil Wasserstoff gleich werthig oder äquivalent 100 Gewichtstheilen Quecksilber, denn in diesen Mengen verbindet sich jedes derselben mit 8 Gewichtstheilen Sauerstoff. Man bezeichnet daher mit den Buchstaben IIg nicht Quecksilber schlechthin, sondern 100 Gewichtstheile desselben, mit dem Buchstaben O nicht Sauerstoff schlechthin, sondern 8 Gewichtstheile desselben und mit dem Buchstaben H 1 Gewichtstheil Wasserstoff. mit dem Buchstaben H 1 Gewichtstheil Wasserstoff. Man nannte daher diese Buchstaben Aequivalent zeichen, und die Gewichtsverhältnisse, in denen die verschiedenen Elemente in chemische Verbindungen eintreten, Aequivalentgewichte. Man fand auch, daß sich viele Elemente in verschiedenen Verhält nissen miteinander verbinden können; z. B. fönnen sich 8 Gewichtstheile Sauerstoff nicht nur mit 100 Gewichtstheilen Quecksilber oder 1 Aequivalent verbinden, sondern auch mit 200 Gewichtstheilen oder 2 Ae., uivalenten desselben. Man nannte letztere Verbindung zur Unterscheidung von ersterer Queck­silberorydul. Ebenso lernte man außer Kupferoryd ein Kupferort dul, außer Eisenoryd ein Eisenorydul kennen, ja auch eine Verbindung beider mitein­ander, ein Eisenoryduloryd. Ebenso lernte man Verbindungen der Metalle mit anderen bei gewöhn­licher oder höherer Temperatur gasartigen Elementen fennen, und auch hier zeigten sich mehrere Verbin­dungen derselben Elemente. Die Verbindung von 1 Aequivalent Chlor mit 1 Aequivalent Quecksilber nannte man Quecksilberchlorür, die von 1 Ae.ui­valent Chlor mit 2 Aequivalenten Quecksilber Queck­filberchlorid. Man nennt wohl auch ersteres mit einem Bulgärnamen Kalomel und letzteres Sublimat, aber diese Namen geben keinen Begriff davon, aus was der Körper besteht. Ebenso kennt man ein Quecksilberbromür und ein Quecksilberbromid, ein Quecksilberjodür und ein Quecksilberjodit und ein Quecksilbersulfür und ein Luecksilbersulfid. Man endet immer die Verbindung, die reicher an Metall ist, auf die Silbe ür", und die ärmer daran ist, auf die Silbe id". Das gewöhnliche Kochsalz be= steht aus 1 Aequivalent des Metalles Natrium und 1 Aequivalent des Gases Chlor. Aber wenn man das nicht weiß, aus dem Namen Kochsalz" erfährt man es nicht, wohl aber gleich aus dem chemischen Namen desselben, Natriumchlorid, oder der Formel Na Cl. Andere salzartige Verbindungen sind nicht so einfach zusammengesetzt; sie enthalten wohl alle Metalle oder metallartige Verbindungen, aber sie sind in denselben nicht mit einfachen Elementen, sondern mit Atomgruppen verbunden. Solche Ver­bindungen bezeichnet der Chemiker, indem er die Bezeichnung für die betreffende Atomgruppe, meiſt Säure genannt, dem Namen des Metalles anhängt. So bezeichnet man eine Verbindung von 1 Ae ui­valent Natrium( Na) mit 1 Aequivalent wasserfreier Salpetersäure( NO3 ) mit dem Namen Natrium­nitrat( von Nitrum, Salpeter), die entsprechende Verbindung mit Schwefelsäure Natriumsulfat( von Sulfur , Schwefel). Man nennt zwar auch erstere Man nennt zwar auch erstere Verbindung mit dem Vulgärnamen Salpeter und

letztere Glaubersalz, aber diese Namen geben feinen Aufschluß darüber, woraus die betreffende Verbin­dung besteht.

Diese Säuren sind meist Verbindungen des Sauer­stoffs mit einem anderen Elemente, so die Schwefel­säure eine solche des Sauerstoffs mit Schwefel. Aber Sauerstoff kann sich mit Schwefel auch in mehreren Verhältnissen verbinden; so giebt es neben Schwefelsäure noch eine schweflige Säure, unter­schweflige Säure 2c.

Während man die Verbindungen der Säure mit Metallen auf die Silbe" at" endigt, endet man die der schwefligen und salpetrigen Säure auf die Silbe it" und spricht von einem Natriumsulfit und Natriumnitrit usw. Man sieht, jede Aenderung einer Silbe des Namens bedeutet eine bestimmte Aenderung in der Zusammensetzung.

Vei der Untersuchung der gasartigen Verbin­dungen der pneumatischen Chemie( von pneuma, Luft) fand 1811 der Italiener Amadeo Avogadro , daß sich die gasförmigen Elemente nicht nur nach bestimmten Gewichtsverhältnissen miteinander ver­binden, sondern auch nach bestimmten und zwar immer ganz einfachen Naumverhältnissen. So fand er, daß sich 1 Naumtheil Wasserstoff mit 1 Raumtheil Chlor zu 2 Raumteilen Chlorwasser­stoffsäure verbindet, aber auch, daß sich ein Raum­theil Sauerstoff mit 2 Naumitheilen Wasserstoff zu nur 2 Raumtheilen Wasserdampf verbindet. Avogadro fand, daß sich auch andere Gase und Dämpfe theils mit, theils ohne Verdichtung stets in denselben ein­fachen Raumverhältnissen bilden, und daß das ſpezi­fische Gewicht der Gase und Dän pfe dabei stets proportional dem Aequivalentgewicht derselben ist. Das veranlaßte ihn, zu erklären, daß gleiche Raum­theile von Gasen und Dämpfen eine gleiche Anzahl von Molekülen enthalten. Auch dieses Avogadro 'sche Gefeß, das wegen scheinbarer Anomalien erst von mancher Seite bestritten wurde, wird jezt allgemein anerkannt. Aber diesen neuentdeckten Beziehungen trugen die bis dahin gebrauchten Ae uivalentzahlen nicht immer Siechnung. Denn 1 Gewichtstheil Wasser­stoff nimmt den doppelten Raum ein, als 8 Gewichts­theile Sauerstoff, und die gebildeten 9 Gewichtstheile Wasser nehmen in Dampfform denselben Raum ein, wie 8 Gewichtstheile Sauerstoff. Hatte man sich einmal überzeugt, daß gleiche Raumtheile von Gasen und Dämpfen auch die gleiche Anzahl von Mole­külen enthalten, so blieb nichts Anderes übrig, als anzuerkennen, daß bei der Bildung von Wasser je 2 Moleküle Wasserstoff sich mit 1 Molekül Sauer­stoff verbinden. Man kam sonach für Wasser nicht mehr zu der Formel HO, sondern zu der Formel H 2 O. Damit aber diese Formel auch fernerhin für Berech nungen als Grundlage dienen fönne, mußte man das Gewicht für 1 Aequivalent Sauerstoff verdoppeln, also zu 16 annehmen. So gab die Formel H2O nicht nur das Gewichtsverhältniß des Wasserstoffs, wenn er sich mit dem Sauerstoff zu Wasser ver­bindet, an, nämlich wie 2: 16, sondern auch, daß im Wasserdampf 2 Raumtheile Wasserstoff mit 1 Raumtheil Sauerstoff verbunden sind. Für Salz­säure war eine solche Aenderung der Formel nicht nöthig, da sich hier 1 Raumtheil Chlor mit 1 Raum­theil Wasserstoff zu 2 Naumtheilen Salzsäuregas verbindet. Aber auch die unveränderte Formel CIH hatte jezt noch die Bedeutung, daß sie auch das Raumverhältniß der in der Verbindung enthaltenen Elemente bezeichnet. Eine derartige Revision der chemischen Formeln wurde zunächst durch Gerhardt und Laurent angeregt, und vor etwa 30 Jahren vor­genommen, und auf diese Revision bezieht sich der Ausdruck alte und nene" Formeln. Daraus er= giebt sich aber auch, daß sich die neuen Formeln nicht im Gegensatz zu den alten befinden, sondern nur eine Erweiterung ihrer Zedeutung darstellen und nicht nur wie die alten Formeln die Gewichts-, sondern auch die Raumverhältnisse ausdrücken, in denen sich verschiedene gasartige Elemente miteinander verbinden können. Die neueren Gewichtszahlen nennt man aber nicht mehr Aequivalentgewicht, sondern Atomgewicht, und stellte damit die Chemie vor die Aufgabe, das Wesen der Atome zu ergründen. Man begann auch bei den Elementen selbst zwischen