Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeiiage.

Atom und Molekül zu unterscheiden. Wenn die Wenn die einem Molekül entsprechende Menge einer Substanz tu Dampfform denselben Raum einnimmt, wie 2 Ge­wichtstheile Wasserstoff, dann muß auch angenommen werden, daß 1 Molekül Wasserstoff aus 2 Atomen besteht, und die Formel für 1 Molekül Wasserstoff muß Hz sein.

Eine Ergänzung fand die Atomtheorie durch ben zuerst von Frankland und Kolbe aufgestellten Begriff der Werthigkeit oder Valenz oder atom­bildenden Kraft der Elemente, wonach ein Atom des einen Elementes sich immer mit einer bestimmten Anzahl von Atomen anderer Elemente verbindet. Man unter­scheidet darnach ein-, zwei-, dreiwerthige Elemente usw. So zeigt sich der Kohlenstoff als vierwerthig, indem man fand, daß sich 1 Atom desselben stets mit 4 Atomen einwerthiger Elemente oder mit 2 Atomen zweiwerthiger oder 1 Atom dreiwerthiger und 1 Atom einwerthiger Elemente usw. verbindet. Verbindungen, in denen ein Element mit weniger Atomen, als es zu binden vermag, verbunden ist, bezeichnet man als ungejättigte.

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Bei den hierbei unternommenen Arbeiten stellte sich das Bedürfniß heraus, die von Berzelius   seinerzeit mit recht unvollkommenen Hülfs­mitteln festgestellten Aequivalentgewichte mit den in­zwischen hergestellten verfeinerten Apparaten und Methoden nochmals festzustellen. Es ergab sich dabei, daß die Atomgewichte keineswegs in dem einfachen Verhältnisse zueinander stehen, das die Berzelius  'schen Zahlen gezeigt hatten. Berzelius  hatte z. B. das Atomgewicht für Kohlenstoff 6 gefunden, jetzt ergab sich nicht das Doppelte davon, sondern 11,983; das des Brom hatte Berzelius  = 80 gefunden, jetzt ergab es sich= 79,763; das des Stickstoffs hatte Berzelius 14 gefunden, jetzt ergab es sich 14,006 usw. Diese neuen Atomgewichte sind also nur durch bessere Juſtrumente und Methoden genauer bestimmt als die alten. Sie widerlegten aber eine von Prout ausgesprochene Ansicht, daß die Atom­gewichte aller Elemente Vielfache des Wasserstoff­atoms seien und die Elemente selbst nur eigenthüm liche Verdichtungen desselben. Aber es konnte doch eine Reihe von Regelmäßigkeiten nicht übersehen werden, die zwischen den Atomgewichten und den physi­falischen Eigenschaften der Elemente bestehen. Dies veranlaßte Mendelejeff und Lothar Meyer  , die Elemente nach ihren Atomgewichten zu einem spiralig geordneten periodischen System zusammen zu stellen. Sie wiesen darauf hin, daß die Eigen­schaften der so geordneten Elemente, der Steigerung des Atomgewichtes entsprechend, zu- resp. abnehmen und sich nach einem regelmäßigen Intervalle wieder ähneln. Die Regelmäßigkeiten erwiesen sich in dieser Beziehung so groß, daß Mendelejeff, auf ihnen fußend, manche Atomgewichte verändern, sogar noch unbe­fannte Elemente ankündigen und ihre Eigenschaften angeben konnte. Und diese von mancher Seite be­lächelten Ankündigungen fanden ihre vollste Bestätigung durch die Mittheilung, die Lecoq de Boisbaudran  1875 über ein von ihm entdecktes und Gallium genanntes Element machte, das sofort als das von Mendelejeff als Ekaaluminium angekündigte Element erkannt wurde, und dessen Eigenschaften mit den von Mendelejeff angegebenen übereinstimmten. Noch zwei andere von Mendelejeff angekündigten Elemente wurden einige Zeit darauf entdeckt und die Angaben Mendelejeff's über dieselben bestätigt: Germanium und Scandium. Diese auf wissenschaftlicher Forschung begründeten Ankündigungen stellen sich würdig der= jenigen Bessel's an die Seite, der 1823 anfündigte, daß hinter dem Uranus   noch ein Planet um die Sonne freisen müsse, welcher 1846 fast gleichzeitig von Galle   und Adams in dem heute Neptun   be­nannten wirklich gefunden wurde. Da noch einige Lücken in dem System bestehen, ist die Entdeckung von einer Reihe Elementen noch zu erwarten.

Mit den verbesserten Hülfsmitteln und Apparaten vermehrten sich rasch die Fortschritte der Chemie. Nur au die einflußreichste derselben wollen wir hier erinnern, an die Entdeckung des Spektralapparates durch Kirchhoff und Bunsen  . Ihm ist der größte Theil des Fortschrittes der Chemie in den letzten 40 Jahren zu danken. Außer dem oben genannten Germanium und Scandium entdeckten Kirchhoff und

Bunsen   mit demselben 1862 noch das Caesium und Nubidium, Crookes und Lamy 1862 das Thallium und Neich und Richter 1863 das Indium.

Die meisten Arbeiten aber erstreckten sich jetzt auf das Gebiet der organischen Chemie oder der Kohlenstoffverbindungen. Durch Auswechselung, Einschaltung und Addition immer neuer Atomgruppen erreichte man eine Zahl von Verbindungen, die einen Laien geradezu schwindeln machen könnten. Und doch sind es nur kleine Atomgruppen, wie die Methyl­gruppe( CH3  ), die Carbonylgruppe( CO), die Hydro: ylgruppe( HO), die Amidogruppe( NH2), die Azogruppe( N2) und die Nitrogruppe( NO2), deren Ein- und Ausschaltung diese ganze Mannichfaltigkeit bewirkt. Aber gerade die große Zahl der entdeckten Verbindungen ermöglicht es, dieselben in bestimmite Reihen und Abtheilungen zu rangiren, wodurch man von denselben ein so gut zu überblickendes System erhält, wie es die beschreibenden Naturwissenschaften noch nicht besitzen. Dabei gelang es, eine ganze Reihe von Verbindungen fünstlich herzustellen, von denen man früher geglaubt hatte, daß sie nur durch eine vermuthete besondere Kraft des lebenden Orga­nismus, die Lebenskraft, gebildet werden könnten. Mit der Herstellung des künstlichen Harnstoffes wurde 1823 von Wöhler der Anfang gemacht, und jetzt stellt man nicht nur die verschiedensten ätherischen Dele und Arome von Pflanzen künstlich her, sondern auch den Farbstoff der Strappwurzel und des Indigo und den wirksamen Bestandtheil des Kaffees.

Aber je mehr man in der Erforschung der Kohlenstoffverbindungen vorschritt, desto öfter zeigte es sich, daß Verbindungen genau dieselbe Atomzahl enthalten konnten und doch höchst verschiedene Eigen­schaften besaßen. Solche Verbindungen nannte man isomer. Man erkannte, daß man sich nicht länger damit begnügen konnte, in den Formeln und Namen den Gesammtgehalt der Verbindungen an einzelnen Atomen wiederzugeben, sondern, daß man durch die Formel auch die Stellung und Verbindungsweise der einzelnen Atome und Atomgruppen im Molekül zu­einander zum Ausdruck bringen müsse. So entstand ein neuer Zweig der theoretischen Chemie, die Strukturlehre, angeregt zuerst von dem unlängst verstorbenen Kekulé. Sie erörterte speziell die Ab­hängigkeit der äußeren Eigenschaften einer Verbindung von der Zusammenseßung ihrer Moleküle. Sie suchte dies auch in den von ihr gewählten neuen Formeln auszudrücken, die daher kein Gegensaz, sondern eine Vervollständigung der früheren waren. Die physika­lischen Eigenschaften wurden immer mehr nicht als zufällig, sondern als nothwendige Folgen der näheren Zusammensetzung und als werthvolle Hülfsmittel zur Erforschung ihrer chemischen Konstitution betrachtet. Wir wollen die Bedeutung dieser Strukturformeln an einem Beispiel erläutern. Pyrocatechin, Resor in und H.  , drochinon sind in ihren physikalischen Eigen­Pyrocatechin schaften recht verschiedene Körper. schmilzt bei 104" C., frystallisirt in rhombischen Prismen und wird durch Eisenchlorid grün gefärbt; Resorcin   schmilzt bei 118° C., krystallisirt in rhombischen Tafeln und wird durch Eisenchlorid dunkelviolet gefärbt, und Hydrochinon schmilzt bei 169° C., krystallisirt in hexagonalen Prismen und wird durch Eisenchlorid grünlichgelb gefärbt. Die Moleküle aller dieser drei Verbindungen bestehen aus je 6 Atomen Kohlenstoff, 6 Atomen Wasserstoff und 2 Atomen Sauerstoff, dementsprechend wäre die Formel Ce Ho O2; aber diese Formel gäbe auch nicht die geringste Vorstellung davon, worin der Unterschied derselben besteht. Man weiß nur, daß diese drei Körper Verbindungen einer Atomgruppe, genannt Benzol, von 6 Atomen Kohlenstoff und 6 Atomen Wasserstoff sind, in welchem die 6 Kohlenstoffatome ringförmig aneinander gekettet sind, und wo an jedes Kohlenstoffatom 1 Wasserstoffatom angeschlossen ist. In dieser Atomgruppe, die den Kern von vielen tausenden chemischen Verbindungen bildet, den so= genannten aromatischen Verbindungen oder Benzol­derivaten, sind nun in unseren 3 Verbindungen je 2 Atome Wasserstoff durch die Hydrorylgruppe( HIO) ersetzt. Man kann also die Verbindungen Diory­benzole nennen und ihnen die Formel ce Co., geben. ( Wie oft eine Atomgruppe in einer Verbindung ent­

TOH 2

=

=

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halten ist, drückt man durch Vorsetzung der griechischen Silben: mono einfach, di zweifach, tri dreifach, tetra vierfach usw. aus.) Aber diese Formel bezeichnet wohl, aus welchen näheren Atom­gruppen die Verbindungen zusammengesetzt sind, aber wodurch sie sich voneinander unterscheiden, ist aus dieser Formel nicht zu ersehen. Das Unter­scheidende bei ihnen ist die Stellung der Hydroryl­gruppen. Stellen wir uns den Benzolkern durch folgendes Sechseck vor,

H C

HC

CH

HC

CH

C H

so können die Hydroxylgruppen folgende Stellungen einnehmen:

HC

HC

оп C

OH C

OH C

HC

CH

HC

CH

COH

CH

HC

COH

HC

C H

C H

C OH

CH

Erstere Stellung, die man die Orthostellung nennt ( vom Griechischen Orthós, gerade), ist die dem Pyrocatechin eigene; man deutet dieselbe durch den Anhang 1,2 an die Formel an: C6H4( OH) 2( 1,2) und nennt die Verbindung Orthodioxybenzol. Die zweite Stellung nennt man die Metaſtellung( vom Griechischen Metá, zwischen) und ist die des Resorcin, man deutet sie durch den Anhang 1,3 an die Formel an: C6H4( OH) 2( 1,3) und nennt die Verbindung Metadiorybenzol. Die dritte Stellung nennt man die Parastellung( vom Griechischen Pará, entgegen); sie wird durch den Anhang 1,4 angedeutet und ist die des Hydrochinon, dessen Formel also C6H4( OH) 2( 1,4) ist und die Paradiorybenzol genannt wird.

Diese Namen und Formeln zeigen also nicht allein, woraus die Verbindungen entstehen, sondern auch, wodurch sie sich von einander unterscheiden.

Auch das neue Denaturationsmittel der Mar­garine( man müßte eigentlich nicht sagen die Mar­garine, sondern das Margarin, ebenso wie man sagt das Benzin und das Chinin; aber da Margarine ein Ersatz für die Butter sein soll, und Butter im Deutschen weiblich ist, so hat man auch im Deutschen aus Margarin   ein weibliches Wesen gemacht), das Dimethylamidoazobenzol, ist ein Abkömmling des Benzols, in der aber zwei Benzolferne durch eine Azogruppe( N2) miteinander verbunden sind, indem außerdem in jedem Benzolfern ein Wasserstoffatom in der Orthoſtellung durch die Methylgruppe( CH3  ) und in einem Benzolkern ein anderes Wasserstoffatom durch die Amidogruppe( NH2) erfekt ist. Es hat also die Formel: C6H4( CH3  ) N2C6H3( CH3  )( NH2)( 1,2).

Tait wollen wir es für heute genug sein lassen. Aber auch jeder ernsthafte Laie wird nun einsehen, daß diese chemischen Namen, über die zu wißeln ja recht leicht ist, außerordentlich wichtige Hülfsmittel zur schnellen Verständigung der Chemiker untereinander sind, und zwar nicht nur der derselben Nation, sondern der aller Kulturvölker. Diese Nomenklatur ist auch durch gemeinschaftliche Arbeit der Chemiker der ver­schiedenen Länder entstanden und ein wirklich lebendiges und lebenskräftiges Volapük. Der Italiener kann die holländische Bezeichnung für komplizirte Verbindungen verstehen und umgekehrt. Höchstens sind einzelne Buchstaben der betreffenden Sprache akkomodirt. Deutsche und Holländer schreiben z. B. Phosphor­pentachlorid, Italiener schreiben: Fosforopenta­

chlorido.

Die neuen Crispine.

Die alten Pfaffen, die laß ich in Ruh,

Die stahlen doch noch den Reichen das Leder Und flickten den Armen damit die Schuh. Doch mit den heutigen bleibt mir zu Haus; Ob auf der Kanzel, ob auf dem Katheder, Ein umgekehrter Crispin ist Jeder: Zwar haben sie nicht verlernt das Gemaus Doch stehlen sie jezt den Armen das Leder Und machen den Reichen Stiefel daraus.