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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsveilage.
neuen Stelle, die er dann annahm. Dann würde sie immer bei ihm sein. Brauchte garnicht mehr Stunden weit zu laufen mit der Kiepe auf dem Rücken. O! Sie hatte es immer gern gethan. Gewiß! Wenns nöthig wäre, würde sie es noch drei Jahre thun. Aber der Herbst fing schon an. Dann weichten die Lehmstrecken auf. Und dann kam der Winter mit seinem Schnee. Und der Bruch=
schaden wurde auch immer schlimmer. Besser wars doch, daß die drei Jahre um waren... daß sie ihn heute zum letzten Male ging, den Weg mit der Kiepe.
Zum letzten Mal!
Sie fonnte es kaum begreifen, daß nun Alles anders werden sollte. So viel schöner! So viel besser! Ordentlich in den Beinen spürte sie es. Ganz jung kamen ihr die alten Gliedmaßen vor, so viel leichter ging sichs beim letzten Mal.
Die Leute im Felde kannten sie alle, und sie kannte auch Jeden. Wo sie vorbeiging, rief sie die Tageszeit hinüber zum Gruß. Heute klang es ganz besonders freudig. Es war ja das letzte Mal!
Und die Leute richteten sich auf von der Arbeit. Sie dankten ihr freundlich. Dann sahen sie ihr nach, wie sie weiter ging mit dem Brot in der Kiepe zur Stadt, zur Post.
,, Die alte Frau! Sie quält sich ehrlich um Friz. Na, er verdients auch. Er friegt ja jetzt eine Stelle. Sie wirds gut bei ihm haben. Es ist ihr zu gönnen... der alten Frau."
So sagten die Leute, wenn sie vorbei war. Sie hörte nichts davon. Munter ging sie der Stadt entgegen. Zwanzig Jahre jünger kam sie sich vor. Sie malte sich aus, wies sein würde bei Fritz auf der neuen Stelle. Sie führte ihm die Wirthschaft. Natürlich! Sie war ja noch rüstig. Das konnte sie noch eine ganze Weile. Und später, wenn er
,, Ueber allen Gipfeln ist Ruh."( Zu unserem Bilde.) Wanderers Nachtlied.
Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquidung füllest, Ach, ich bin des Treibens müde! Was soll all der Schmerz und Lust? Süßer Friede,
Komm, ach fomm in meine Brust.
Ein Gleiches.
Ueber allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vöglein schweigen im Walde; Warte nur, balde
Ruhest Du auch.
Mögen die beiden herrlichen Nachtlieder Goethes mit ihrer tiefen Stimmung des Friedens und der Sehnsucht nach Frieden jede andere Erklärung unseres heutigen Bildes erjegen, in welchem der Künstler versucht hat, all die Ruhe festzuhalten, die uns aus den beiden Liedern des Weimarer Dichterfürsten so wundersam anweht.
Die katilinarische Verschwörung. Zahlreiche Bewegungen im geistigen, politischen oder sozialen Leben der Völker sind für die Nachwelt nicht nur unlöslich mit dem Andenken an die Persönlichkeiten, die sie geschaffen oder eine führende Stellung in ihnen eingenommen, verknüpft, sondern es ist sogar das Urtheil über sie durch die Vorstellung über ihre Führer und Träger, namentlich durch ihre moralische Werthung, stark beeinflußt Die Volksmeinung sieht leicht darüber hinweg, daß die großen Erscheinungen der Weltgeschichte und die gewaltigen, oftmals scheinbar so p: ößlichen Umwälzungen im fulturellen Leben nie die Schöpfung Einzelner, sondern der stillen Arbeit ungezählter Tausende sind, die freilich für das Ange der Nachwe't in tiefes Dunkel gehüllt ist: sie liebt es, die wichtigen geschichtlichen Begebenheiten in einzelnen hervortretenden Persönlichkeiten zu krystallisiren und deren Charakter, wohl auch Erfolge, zum Maßstabe für die Beurtheilung der geschichtlichen Vorgänge zu nehmen. Eines der besten Beispiele hierfür ist die landläufige Vorstellung von der sogenannten fatilinarischen Verschwörung. Weil ihr An
dann heirathete, nun, dann gabs auch noch Arbeit für sie. Dann waren doch Kinder zu warten, und so.
Im Wege würde sie Niemand sein. Ganz gewiß nicht. Eine alte Frau braucht so wenig Play. Eine Kammer war sicherlich übrig für sie. Und wo Zwei essen, werden auch Drei satt.
Aber so weit wars noch garnicht. Gleich würde Friß nicht heirathen. Erst hatte sie ihn für sich, ihren Friz! Ganz allein für sich. Und so gut war er zu ihr... so gut!
Das würde ein Leben werden! Ein glückliches Leben! Dafür konnte man schon zur Stadt laufen jede Woche mit der Kiepe.
Drei Jahre sind lang. Aber nun waren sie vorbei. Heute wars das allerlegte Mal. Wenn sie heute nach Hause ging, dann hatte sie ihre Pflicht erfüllt. Dann fam Friz. In acht Tagen war er bei ihr, sie zu holen.
Unter solchen Gedanken merkte sie garnicht, daß die Stadt näher und näher kam. Als die drei Stunden um waren, stand sie am Schalter.
Die Leute auf der Post kannten sie schon. Sie nickten ihr freundlich zu. Sie ließen sie nicht warten. " Na, nun fommt er wohl bald?" fragte der Mann, der ihr das Brot aus der Kiepe abnahm. Wie leuchteten ihre Augen auf!
" Ja! Nun kommt er bald! In acht Tagen. Heut bringe ich das Brot zum letzten Mal!" „ Na, das ist schön! Da können Sie sich freuen!" " Ja, das kann ich. Und das thue ich." Die Kiepe war leer. Wie leicht sie sich trug! Nun blieb noch der Heimweg, nachdem sie ein bischen geruht.
Fragen Sie erst am Briefschalter. Der Sekretär hats bestellt. Es ist was für Sie angekommen," sagte der Mann, als sie gehen wollte.
Die alte Frau that, wie ihr geheißen. Der
*
Aus dem Papierkorb der Zeit.
stifter in den Augen der Menschheit von jeher als verworfene, sittenlose Kreatur, als Inbegriff aller Sünden und Laster galt, wurde auch die Verschwörung lediglich als frevles Attentat einer vaterlandslosen Rotte auf Recht und Obrigkeit betrachtet. Eine derartige Vorstellung thut jedoch den historischen Thatsachen offen Gewalt an. Die katilinarische Verschwörung war das Produkt durchaus verfaulter und unhaltbar gewordener sozialer Zustände, die zum gewaltsamen Ausbruch drängten. Daß gerade ein Katilina, ein Mann von nichts weniger als makelloser Vergangenheit, an die Spitze der Verschwörung trat, ist für unsere Beurtheilung dieser belanglos: daß Männer, denen die Empörung als einziger Ausweg aus ihrer Knechtschaft erschien, an ihren Führer nicht den Maßstab bürgerlicher Sitte und Ehre, sondern lediglich der Kühnheit und Entschlossenheit anlegten, ist nicht verwunderlich. Roms trostlose soziale Zustände um die Mitte des vorchristlichen Jahrhunderts, die maßlosen Lurus neben dem furchtbarsten Elend duldeten, hat Sallust, der Geschichtschreiber der katilinarischen Verschwörung, mit grellen, aber treuen Farben gemalt. Größte Beachtung verdient in seiner Darstellung die Rede, mit der Katilina in seiner Behausung seine Genossen vor dem entscheidenden Schritte anfeuert; namentlich ist der mittlere Theil für unsere Erkenntniß der damaligen sozialen Verhältnisse wichtig und möge deshalb in freier Ueberseßung folgen:
,, Seit das Regiment unter Befehl und Macht einiger Weniger gekommen ist, sind diesen beständig Könige und Statthalter zinsbar, zahlen ihnen Völker und Nationen Tribut; wir Anderen alle, brave und tüchtige Männer, Adlige wie Nicht- Adlige, sind zum gemeinen, ohnmächtigen Pöbel geworden und gerade Denen dienstpflichtig, die bei einem starken und geordneten Staatswesen vor uns zittern müßten. So sind denn Ansehen, Macht, Ehre und Reichthum insgesammt bei Jenen oder bei ihren Günſtlingen; uns haben sie Gefahren, Schmach, Verurtheilungen und Noth gelassen. Wie lange wollt Ihr das noch dulden, die Ihr doch Männer von Kraft und Muth seid? Ist nicht ein ehrenvoller Tod besser als ein Leben voll Schmach und Schande, frechem Uebermuthe zum Gespött? Aber bei Allem, was Göttern und Menschen heilig ist der Sieg liegt ja in unseren Händen! Uns blüht die Jugend, uns beseelt seuriger Muth: Jene hat die Last der Jahre und üppiger Ausschweisungen entnervt. Es gilt nur den Anfang zu machen; das Uebrige wird sich von selbst finden. Skann es denn Jemand, dem ein Mannesherz im Busen schlägt, ruhig mit ansehen, daß Jene ihre Reichthümer damit verprassen, daß sie neue Meere anlegen und Berge abtragen, während es uns sogar am
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Beamte reichte ihr ein Blatt hinaus. Mit Blaustist war ihr Name darauf geschrieben.
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,, Es traf vor einer Viertelstunde ein. Wir habens gleich hier behalten, weil Sie heute doch famen. Sie sparen so den Botenlohu."
Sie nahm das Blatt in Empfang und drehte es rechts und links. Ein Telegramım! Was konnte das sein? Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Vielleicht war das Eramen schon aus. Friz zeigte ihr's an. Gewiß hatte er ein gutes Zeugniß. Draußen wollte sie's lesen. So recht behaglich auf einer Bank draußen vor der Stadt in den Anlagen. Nicht hier, wo die Leute ein und ausgingen. Die brauchten ihr die Freude nicht anzusehen. Draußen vor der Stadt hatte sie Zeit und Ruhe. Da konnte sie's lesen, ihr Telegramm. Diese Freude, die ihr Friß machte! Am Ende kam er schon früher. Am Ende kam er schon heut oder morgen. Draußen würde sie's lesen.
Vor der Stadt in den Anlagen stand eine Bank. Dort setzte sie sich nieder. Bedächtig entfaltete sie das Papier, um es nicht zu zerreißen. Sie hatte noch nie ein Telegramm in der Hand gehabt. Nein, dieser Friz. Ihr solche Freude zu machen beim letzten Mal.
Sie begann zu lesen. Es waren nur wenige Worte. Indem sie las, schien sie von innen heraus zu wachsen. Ihre Augen vergrößerten sich. Mit einem Mal sank sie zusammen. Kein Ton kam über ihre Lippen. Unten an der Bank blieb sie liegen.
Leute gingen vorbei. Sie sahen die ohnmächtige Frau. Sie hoben sie auf.
"
Einer sah das Blatt an der Erde. Er nahm es auf und las:„ Friz hatte Unglück beim Baden. Er ist nicht mehr. Kommen Sie bald! Gott tröste Sie!" Unter den Händen der Leute schlug die alte Frau die Augen auf. Ein einziger schriller Schrei ging aus ihrem Munde:
„ Todt!"
Nöthigsten gebricht? Daß sie zwei und mehr Häuser besigen, während wir nirgends ein Obdach finden? Sie kaufen Gemälde, Bildsäulen, kostbare Gefäße, reißen neue Bauten ein und führen dafür andere auf: sie verschleudern und verprassen ihr Geld auf alle mögliche Weise und können es dennoch trotz aller Ausschweisungen nicht klein friegen. Uns dagegen bedrückt zu Hause die Noth, auswärts dringende Schuldenlast; unsere Lage ist elendiglich, noch trauriger unsere Zukunft. Was besigen wir denn noch außer dem erbärmlichen nachten Leben?"
Diese Ansprache beweist zur Genüge, daß es nicht rohe Mordbuben, sondern zumeist Gequälte, denen nur ein gewaltsamer Aufstand Aussicht auf Besserung ihrer jammervollen Lage bot, waren, die sich um Kati ina schaarten. Bekanntlich wurde die Revolution in Rom im Reime erstickt; Katilinas Heer wurde im Jahre 62 bei Fäsulä aufgerieben, sein Führer fiel tapfer kämpfend. Das aristokratische Senatsregiment hatte gesicgt ob zum Heile Roms? Der Boden für die Alleinherrschaft wurde mehr und mehr geebnet; endlich bestieg 31 Jahre nach Unterdrückung der katilinarischen Verschwörung Augustus den Kaiserthron; nach 43 Jahren folgte Tiberius , nach 68 Caligula !
Gedankenspliffer.
L.
Es wird nicht besser in der Welt, als bis es unr noch eine einzige Rasse von Knechten giebt: Stiefelknechte. „ Die vierzig Pinsel," heißen die vierzig Mitglieder der Akademie, welche aus den Gelehrtesten des Landes besteht.
Schnikel.
Die Gebildeten.
Wirklich! Gebildet, so nennt Ihr Euch, Ihr Herren und Damen,
Weil Jhr, ladkirt und frisirt, hübsch zu scherwenzeln versteht!
Seht, welch niedlicher Hund! Wie abgerichtet und artig! Wie er Euch schwänzelnd begrüßt welcher ge bildete Hund!
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Nachdruck des Inhalts verboten!
Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Herrn G. Macasy, Leipzig , Oststraße 14, richten.
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