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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Gott sei Dank! Nun stand nur noch ein Redner auf der Liste verzeichnet. Der hatte hoffentlich ein Einsehen und machte es kurz.

Ein junger Mensch mit einem energischen, nicht gerade schönen, aber intelligenten Gesicht, dunklen, frischen Augen und schwarzem Haar ergriff das Wort. Nach seiner einfachen, aber geschmackvollen Kleidung zu schließen, gehörte er den besser situirten Schichten des Arbeiterstandes an. Das ganze Wesen des jungen Mannes gefiel mir vom ersten Augenblick an. Kurz und bestimmt faßte er sich. Ohne viele Umschweife zog er das Resultat aus der Debatte und stellte fest, daß es gleich Null sei. Mit Schöngcistereien solle man der sozialen Frage nicht zu nahe treten. Er war der Erste, der zur Sache sprach, und was er sagte, gehörte Alles zur Sache. Nachdem er kurz und bündig die Ausführungen eines Jeden in ihrer Nich­tigkeit dargethan hatte, präzisirte er den Standpunkt der Sozialdemoratie zur Ethik in einer allerdings etwas einfachen, aber doch einen klaren und nament­lich gesunden Blick ver: athenden Weise. Schließlich lehute er höflich ironisch die Bevormundung der Klasse, der er angehöre, durch die bürgerlichen Kreise ab, auch wenn diese mit dem Sozialismus kokettirten. Nicht auf den Namen, auf die Sache fäme es an. Nicht an ihren Reden und schönen Worten, sondern an ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen. Er sei das erste Mal hier anwesend, es werde auch das lezte Mal sein. Die Erfahrung des heutigen Abends hätte ihn gewißigt. Sagte es, trank sein Bier aus, bezahlte den Kellner, nahm seinen Hut und eilte davon. Alles war im ersten Augenblick baff. Ich senkte beschämt mein vergnügungssüchtiges Partei­haupt. Doch der Herr Präsident faßte sich schnell. Er eilte dem jungen Manne nach, drückte ihm die Hand und sagte ihm gerührt für den unerwarteten und schönen Genuß, den er ihm durch sein ener­gisches Auftreten bereitet hätte, seinen tiefgefühlten Dank.

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Jetzt hatten sich auch die Uebrigen von der ersten Bestürzung erholt. Prachtvoll, famos, drolliger Kerl, ist man garnicht ge=

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und so ernst,

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wohnt,-so möchte man sich alle Tage die Leviten lesen lassen schnatterte es durcheinander.

Die Sizung war geschlossen und wir begaben uns auf den Heimweg. Unter Kichern und neckischen Bosheiten, die wir uns über die rhetorischen Erfolge sagten, wandelten wir langsam unter Bäumen dahin. Die großen Redner schwiegen zumeist in dem stolzen Bewußtsein, ihr Bestes gethau zu haben. Aber das ganze, große, vorhin so schweigsame Anditorium von jungen Herrchen und Dämmchen wollte jegt zur Geltung kommen.

Sie verglichen den fanatischen Referenten mit Diogenes , der vor seiner Tonne auf dem Bauche lag und anbetend zu seiner Soune, dem Marrismus, emporstarrte und den tollkühnen Alerander, den Seeschlangeuredner, bat, ihm die segenspendende Sonne nicht durch seine ethischen Bornirtheiten zu verdunkeln.

Unsere Wege trennten sich. Ich war mit Klärchen allein, allein unter flüsternden Bäumen und der von Jasminduft erfüllten Sommernacht. Sie drückte sich fester an mich und lehnte den blonden Locken kopf an meinen Arm. Ich schlang meinen Arm sanft um ihre Taille und sah nieder in ein paar große, blaue, glückliche Augen.

Schelm", sagte ich.

Sie füßte mich rasch, als wollte sie Schlim­meres unterdrücken.

Sie hatte recht vermuthet, denn Heuchlerin!" ließ ich mich nicht zurückhalten, zu sagen.

Die großen, blauen Augen sahen mich ver­ständnißlos an. Dann huschte eine finstere Wolke über ihre freie Stirn. Pfui!" kam es troßig über ihre Lippen. Sie ließ meinen Arm los und schien geneigt, nur bei zwei Schritt Distanz meinen Friedens präliminarien zugänglich zu sein.

Ich aber erhaschte ihre Hand und zog sie wieder an mich, denn von der hohen Diplomatie verstehe ich nichts und Napoleon hatte mehr Glück bei und Napoleon hatte mehr Glück bei den Weibern als sein großer Gegner Pitt.

Durch meine energische Feldherrnthat gewannen

wir den realen Boden für freundschaftliche Aus­einandersetzungen.

"

Warum nennst Du mich Heuchlerin?" fragte sie resolut.

Auf eine korrekte Frage gehört eine korrekte Antwort.

"

Warum trittst Du mir meine schön gewichsten Schuhe schmunzig und steckst dabei das unschul­digste Engelsgesicht von der Welt oder besser vom Himmel auf?"

Sie sah mich fragend an. das gethan?"

" Wann hätte ich

Heute Abend bei den Bürgerlichen, eine ganze Viertelstunde hindurch."

Jetzt fing die Kleine unbändig an zu lachen. " Ist mir garnicht eingefallen. Da hast Du wohl von vergangenen Tagen geträumit."

Jezt war die Reihe an mir, sie verständnißlos fragend anzublicken. Lügen konnte Klärchen nicht. Warum sollte sie auch lügen? Ueberdieß besaß ich ein Kriterium. Ich blickte auf ihre Füße. Aber im klaren Mondschein verlengneten die blankgewichsten Schuhe meine viertelstündigen Anstrengungen. Ergo hatte ich einen anderen Fuß getreten, ergo war ich auch von einem anderen Fuß getreten worden. Ich mußte lachen und unwillkürlich an das stillver­gnügte Lächeln unserer einstigen Freundin denken. Lieschen", blizte es in mir auf.

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Und Lieschen" stimmte die Kleine verständniß­innig ein.

Zur Strafe für meine Dummheit wurde ich eine Viertelstunde lang ausgelacht. Schließlich aber schworen wir gemeinsam der arglistigen Here furcht­bare Rache.

Der kleine Zwischenfall war erledigt und wir schwelgten weiter in Wonne und Liebe und malten uns eine rosige Zukunft aus, durch keinen Streit, fein Unglück getrübt. Bor, der alte Knabe, trabte schwerfällig hinterbrein und knurrte nur sein: nrr, Kurr", als wollte er sagen: Wird schon schief gehen, wird schon schief gehen!" Verständniß­loser Köter! War doch selbst einmal jung gewesen.

Hus dem Papierkorb der Beit..

Am Chiemsee. ( Zu unserem Bilde.) Von den größeren bayerischen Seen hat der Chiemsee durch die reiche Fülle seiner landschaftlichen Reize von jeher die größte Anziehungskraft auf den reisenden Fremden aus­geübt. Namentlich seit Bayerns prachtliebender Herrscher Ludwig II. auf Herrenwörth , der größten der drei im Chiemsee gelegenen Inseln, eines seiner prunkvollsten Schlösser hat errichten lassen, gehört der Besuch des Chiemsees zu jenen Reise- Eindrücken, die sich keiner, der den Wanderstab zur Reise nach dem bayerischen Hochlande ergreift, mag entgehen lassen. Im Versailler Stil erbaut, im Geschmack jenes Monarchen, dem nachzueifern der unglückliche Bayernfürst vor Allem bestrebt war, blickt das zierliche Schlößchen auf die hellgrünen Fluren des Sees hinaus ein stummer und doch so unendlich be­redter Zeuge jüngst vergangener Pracht und Herrlichkeit!

In eine andere Stimmung versezt uns freilich das Gemälde, das der Maler unseres heutigen Bildes vor uns entrollt. Er führt uns nach einem der entlegensten Theile des Nordufers des Chiemsees. Es ist kurz nach Sonnenaufgang. Im ersten Frühroth des aufgehenden Tagesgestirns erstrahlen die Gipfel der nahen Gebirgs­rette. Auf die träge, ruhig athmende Wasserfläche malt der Wiederschein der ersten Sonnenstrahlen glipernde, fankelnde Lichtstreifen; ein schwaches Roth färbt die dem Osten zugekehrten Seiten der hohen Waldriesen, die das 11fer umfäumen. Tiefer Frieden ruht auf dem einsamen Landschaftsbilde; ruhigen Schrittes wagen sich die Thiere des Waldes aus dem Dunkel, das noch die zerklüfteten, laubbeschatteten Gestade deckt, in die frische Helle des in goldigem Frühlicht strahlenden Ufers. Ein wehmüthiges Gefühl mag den durch Krankheit oder Berufspflichten in den hohen, dunklen Mauern der Städte Festgehaltenen überkommen, wenn sein Blick auf den Herrlichkeiten des lachenden Sommermorgens weilt, wie ihn der Maler auf unserem Bilde festgehalten. Wohl Dem, der mit Eichendorff singen fann:

Fliegt der erste Morgenstrahl Durch das stille Nebe: thal, Rauscht erwachend Wald und Hügel: Wer da fliegen kann, nimmt. Flügel.

Und sein Hütlein in die Luft Wirst der Mensch vor Lust und ruft: Hat Gesang doch auch noch Schwingen, Nun, so will ich fröhlich singen.

Ueber Vampyrismus. Unter Vampyrismus versteht man den Glauben mancher Völker, die Geister gewisser Verstorbener pflegten Lebenden, am liebsten ihren eigenen Anverwandten, das Blut auszusaugen und sie dadurch zu tödten. Dieser schaurige Aberglaube ist namentlich unter der slavischen und griechischen Bevölkerung ver­breitet. Dem Ursprung des Vampyrglaubens in allen Einzelheiten nachzugehen sind wir leider nicht im Stande, doch ist der Glaube, es sei den Geistern Verstorbener möglich, den Nachlebenden lebles zuzufügen, uralt und findet sich bei den verschiedenartigsten Völkern, z. B. bei den Kelten, den Finnen, den Dayaks auf Borneo , den Hindus usw. Den Vampyren ähnliche Wesen waren ferner die Lamien und Empusen der Griechen, Unholde, die in Ge­stalt schöner Weiber Jünglingen das Blut aussogen; ebenso lebten die Strigen", Spufgeschöpfe des römischen Volks­glaubens, vom Blute und Marke der Kinder.

Am meisten ausgebildet und in ein gewisses System gebracht hat den Vampyrglauben die slavische und griechische Bevölkerung. Nach ihrem Glauben sind die im Kirchenbanne Gestorbenen dazu verflucht, im Grabe keine Ruhe zu finden, sondern als Vampyre weiter leben zu müssen. Bei einem solchen Verstorbenen treten die äußeren Kennzeichen des Todes im Grabe nicht ein: Haare und Nägel wachsen weiter, der Körper verwest nicht. Um Mitternacht erhebt sich der Vampyr aus seinem Grabe und geht auf Nahrung aus; er fällt seine nächsten Anverwandten einen nach dem anderen an und tödtet sie durch Aussaugen des Blutes. Die Gemordeten gehen der ewigen Seligkeit verlustig, wenn sie nicht vollends gleichfalls zu Vampyren werden.

Zweise sohne hat dem Vampyrglauben in den Ländern griechisch- katholischer Kirche der Glaube der Geistlichkeit Vorschub geleistet, die Unverweslichkeit sei ein Zeichen des Fluches und der Verdammniß und deute auf Besitz­ergreifung des Leichnams durch den Satan hin. Ter römischen Kirche ist dagegen bekanntlich Unveriveslichkeit vielfach als Beweis der Heiligkeit erschienen.

Weiteste Ausdehnung scheint der Vampyrglauben erst in den beiden letzten Jahrhunderten erhalten zu haben. In manchen Gegenden befand sich das Volk infolge des fürchterlichen Vampyrschreckens Jahre hindurch in einer geradezu fieberhaften Aufregung. Im ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts schoß eine ganze Vampyr- Lite­ratur aus der Erde: sie ist großentheils verzeichnet in einer 1734 erschienenen Schrift des Diafonus Ranft mit

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dem charakteristischen Titel: Traktat vom Käuen und Schmaßen der Todten in Gräbern, worin der wahren Beschaffenheit der ungarischen Vampirs und Blutsaugern näher getreten wird."

Noch die letzten Jahrzehnte haben erwiesen, wie tief der Vampyrglaube sogar innerhalb der schwarz- weiß rothen Grenzpfähle, trotz des Schulmeisters von Königgräß im Volke wurzelt. In den Jahren 1872 und 1873 famen zwei Grabschändungen in den westpreußischen Städten Kantrzyno und Schwetz , die auf Grund des Vampyr glaubens erfolgt waren, zur gerichtlichen Verhandlung. In beiden Fällen war das Grab des vermeintlichen Vampyrs, in Kantrzyno eines jungen an der Schwind­sucht verstorbenen Mannes, dessen Angehörige mit dem gleichen Leiden behaftet waren, geöffnet, dem Todten der Kopf mit einem Spaten abgetrennt und ihm zu Füßen gelegt worden!

Wie unbedeutend und geringfügig will uns nicht die Aufklärungs- und Kulturarbeit so vieler Jahrhunderte dünken, wenn wir im eigenen Lande derartigen krassen Ausgeburten des finstersten Wahns begegnen!

Dichtung und Kunst haben, so fremdartig dies flingt, dem Vampyrglauben eine poetische Seite abzugewinnen gewußt. E. T. A. Hoffmann hat im zweiten Bande seiner Novellensammlung Die Serapionsbrüder " eine durch feinen besonderen Titel gekennzeichnete, nur wenig gekannte Vampyrgeschichte hinter.asjen, gegen deren Schreckniß die unheimlichsten Erzeugnisse seiner dämonischen Phantasie verblassen. Lord Byrons Erzählung Der Vampyr " ist unvollendet geblieben: sie hat den Stoff zu der noch heute bekannten gleichnamigen Oper Marschners gegeben, in der der Titelheld" einen förmlichen Kontraft mit dem Bösen abschließt, nach dem es ihm gegen die Opferung von drei Jungfrauen in vierundzwanzig Stunden vergönnt ist, noch ein Jahr unter den Menschen zu wandeln. L.

Polnische Sprüchwörter.

Wüßte das Pferd seine Kraft zu nüßen, Bliebe kein Einziger darauf sigen.

Wem nicht Natur Verstand verlich, Der kauft auch in Paris ihn nie.

Nachdruck des Inhalts verboten!

Berantwortlicher Redakteur: Gustav Macasy in Leipzig. - Verlag: Hamburger Buchdru.teret und Verlagsanstalt Aner& Co. in Hamburg .

Druck: Mar Vading in Berlin .