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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
sodann über die Landesgrenze geschafft. In Rom wurde das bei etwaiger Grenzverrückung gebrauchte Ochsengespann sammt seinem Lenfer dem Jupiter ,, geweiht", d. h. getödtet. In Montenegro werden noch heute Ochsen, Pferde und Schweine wegen Tödtung oder schwerer Verletzung von Menschen durch den Friedensrichter abgeurtheilt, unter Beiziehung ihres Herrn, und wenn dieser keine Geldbuße zahlen will, zum Tode, gewöhnlich durch Steinigung, verurtheilt, wobei der Eigenthümer den ersten Stein wirft.
Bei allen arischen Stämmen läßt sich bezüglich der Thierstrafe eine ältere ursprüngliche Auffassung und eine später firchlich beeinflußte unterscheiden. Die Erstere ist in den germanischen Volksrechten, wenn auch verdunkelt, noch nachweisbar. Nach dem westgothischen Volfsrecht darf der Eigenthümer, wenn er unbefugt weidende Thiere auf seinem Grundstück antrifft, diese nach seinem Hause führen und drei Tage einbehalten, und in dieser Zeit ihnen nur Wasser, fein Futter reichen. Im alemannischen Recht muß der Herr, dessen Hund den Tod eines Menschen verursacht hat, die Hälfte des Wehrgeldes des Getödteten bezahlen; verlangt der Berechtigte mehr, so wird ihm der Hund ausgeliefert, aber über seine Schwelle aufgehängt, bis er stückweise abfällt. Aehuliche Rechtssäße, wonach schadenstiftendes Federvieh und Ziegen auf handhafter That in genau umschriebener Form umzubringen oder zu verstümmeln waren, kehren in anderen germanischen Rechten wieder. Die Thierpfändung ist überhaupt der letzte Ausläufer direkter strafrechtlicher Thierhaftung.
Thierstrafen und Thierprozesse treten besonders im Mittelalter in Deutschland , wie in fast ganz Europa , sowohl vor weltlichen als geistlichen Gerichten hervor. Im dreizehnten Jahrhundert berichten die Chronika davon aus Frankreich , vereinzelt auch aus dem nachbarlichen Flandern , sodann aus Deutschland , Italien , Sardinien , England und Schweden .
Von den eigentlichen Thierstrafen sind zu trennen die Thierbannungen, d. h. zauberische Beseitigung der Thiere zum Zwecke der Nache oder Strafe. Gegenstand der Bannung können Individuen, aber auch unbestimmte Massen, selbst ganze Thierarten sein. Die zauberische Beseitigung gesellschaftlicher Feinde ruht bald in den Händen des Volkes oder auch be= liebiger Laien, bald kommt sie nur gewissen Individuen oder Kreisen zu, so dem Häuptling oder der Klasse der Zauberer und Priester. Während die Volts- und Laienbannung willkürlich und regellos betrieben wird, unterliegt die staatliche und priesterliche bestimmten Regeln. Als erstes Bedürfniß stellt sich gewöhnlich die Beseitigung massenhaft auftreten der gemeinschädlicher Thiere dar, die sich von Fall zu Fall nicht bekämpfen lassen.
Der Naturmensch sieht sich den Verwüstungen und Verheerungen der Massenthiere gegenüber ohn= mächtig, er läßt sie in dumpfer Apathie über sich ergehen. Erst unter dem Einflusse mehr oder minder animistischer Ideen sucht er sich durch Gegenzauber des unheimlichen Feindes zu erwehren.
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Während sonst den Jotasanda, einem Stamme der Omaha- Indianer das Berühren und Tödten von Reptilien und Würmern untersagt ist, dürfen sie, sobald das Ungeziefer die Maispflanzungen vernichtend befällt, einige davon mit geröstetem Mais kochen und essen und der Nest verschwindet sofort. Premierlieutenant Herold erzählt im Deutschen Kolonialblatt", daß im Januar 1892 Heuschreckenschwärme die Felder Agomes im Togoland verwüsteten und daß der König von Kuna durch ein seinen Leuten gegebenes Tödtungsverbot die Thiere zur Milde zu bewegen suchte. Der Häuptling von Jo dagegen bat seinen Fetisch, allen Heuschrecken, die sich in den Jo- Farmen niederließen, die Zähne stumpf zu machen. In beiden Fällen wird der Feind durch übernatürliche Mittel, also durch Zauberei abgewehrt, dort beruht er auf einem Opfergedanken, hier auf dem Keim einer Rachestrafe.
Aus dem Norden Chinas erzählt der ostasiatische Lloyd, daß unter der Tang- Dynastie die zahlreichen Krokodile jener Gegend durch einen Präfekten da= durch vertrieben wurden, daß er eine die Thiere zum
Ablassen vom Menschenfraß ermahnende Schrift aufsezte, verbrannte und ins Wasser warf; die Götter unterſtüßten den Präfekten , der sonst wohl seinen Stopf hätte lassen müssen, und die Thiere verließen das Land. Auch im Orient war und ist das zauberische Unschädlichmachen von giftigen Schlangen berische Unschädlichmachen von giftigen Schlangen und ähnlichem Gewürm weit verbreitet. Nach Marfus 16, 18 prophezeit der Herr selbst seinen Jüngern, daß sie Schlangen aufheben" werden.
In Denisli( Kleinasien ) zog ror nicht langer Zeit ein frommer Muhamedaner über die Felder und las den Koran gegen die Heuschrecken, indem er behauptete, daß sie hierdurch getödtet werden. Die Albanesen an der Ri a wollen Henschrecken und Rebenkäfer durch Bestattung einiger Exemplare unter Absingung eines Klagegesanges vernichten. Ein slavonisches Thal wurde 1866 arg von Heuschrecken heimgesucht. Dem Bewohner eines Dorfes glückte heimgesucht. Dem Bewohner eines Dorfes glückte es, ein recht großes Exemplar dieser Schädlinge zu fangen. Die Dorfältesten saßen über die Gefangene zu Gericht und verurtheilten sie zum Tode. Darauf zog man mit vielem Lärm zum nahen Fluß und warf das Thier unter allerlei Verwünschungen ins Wasser. Slaven und Germanen verfolgen den Wolf mit Zaubersprüchen und die Südslaven Wölfe und Füchse mit dem Exorcismus. Die griechische Kirche Füchse mit dem Exorcismus. Die griechische Kirche wandte unmittelbar gegen schädliche Thiere außer dem Weihwasser auch Exorcismen an.
Im mittelalterlichen West- und Mitteleuropa : in Frankreich , Deutschland , Dänemark , Holland , in der Schweiz und Tirol, in Italien , Spanien und Portugal , sowie in Kanada , Brasilien und Peru fam vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich, die kirchliche Bannung vor, und zwar stets gegen ungezählte liche Bannung vor, und zwar stets gegen ungezählte Mengen gemeinschädlicher Thiere, wie Mäuse, Natten, Maulwürfe, Heuschrecken, Käfer und andere Ju sekten, Raupen, Engerlinge, Schnecken, Blutegel, Schlangen, Kröten, in Südfrankreich auch Störche, in Deutschland Sperlinge und am Genfer See Aale. In Kalabrien wurde die Malediktion noch neulich gegen ein einzelnes gefährliches Thier, einen Wolf, angewendet.
Aus der langen Reihe von Thierbannungen resp. Thierprozesse seien hier nur einige mitgetheilt.
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Der erste urkundlich nachweisbare Prozeß spielte im Jahre 1320 vor dem geistlichen Gericht zu Avignon gegen die Maikäfer. Zwei Erzpriester wir geben im Folgenden Carus Sternes Mittheilung begaben sich in vollem Ornate auf die beschädigten Grundstücke, zitirten alle die unmündigen Maitäfer im Namen des geistlichen Gerichts vor den Bischof und drohten ihnen im Falle des Nichterscheinens mit dem Kirchenbann. Zugleich wurden sie durch Anschlagen des Aufrufs auf vier nach allen Himmelsgegenden gerichteten Tafeln benachrichtigt, daß ihnen in der Person des Prokurators ein ge= richtlicher Beistand und Vertheidiger ordnungsmäßig bestellt sei. Leßterer betonte denn auch im Namen seiner zum Termin nicht erschienenen Klienten bei der gerichtlichen Verhandlung, daß sie gleich jeder anderen gotterschaffenen Kreatur ihr Recht beanspruchen müßten, ihre Nahrung zu suchen, wo dieselbe zu finden, und entschuldigte ihr Ausbleiben damit, daß man vergessen habe, ihnen wie üblich freies Geleit zur Gerichtsstätte und zurück zu sichern. Das Urtheil lautete dahin, daß sie sich binnen drei Tagen auf ein ihnen durch Tafeln bezeichnetes Feld zurückzuziehen hätten, woselbst Nahrung genug für sie vorhanden sei und daß die Zuwiderhandelnden als vogelfrei behandelt und ausgerottet werden sollten.
bestellt sei.
Einen weiteren Fall theilt Frizz Rühl in Zürich aus den Aften eines 1497 vor dem geistlichen Gericht zu Lausanne verhandelten Maifäferprozeß mit. Bischof Benedikt beauftragte den Leutepriester Schmid, den verwüstenden Engerlingen auf dem Friedhofe zit Bern ein lateinisches Monitorium folgenden Inhalts zu verkünden:" Du unvernünftige, unvollkommene Kreatur, du Inger! Deines Geschlechts ist nicht gewesen in der Arche Noah. Im Namen meines gnädigen Herrn und Bischofs von Lausanne , bei der Kraft der hochgelobten Dreifaltigkeit, vermöge der Verdienste unseres Erlösers Jesu Christi und bei Gehorsam gegen die heilige Kirche gebeut ich Euch
Allen und Jeden, in den nächsten sechs Tagen zu weichen von allen Orten, an denen wächst und entspringt Nahrung für Menschen und Vieh." Im Fall des Ungehorsams wurden die Engerlinge auf den sechsten Tag, Nachmittags ein Uhr, vor den Nichterstuhl des Bischofs nach Wiflisburg geladen. Da sie nicht famen, erhielten sie noch einen Aufschub. Dann aber erging die zweite Sitation an die„ verfluchte Unsauberkeit der Inger, die ihr nicht einmal Thiere heißen noch genannt werden sollt." Da die Engerlinge auf nichts hörten, erfolgte endlich die Erkommunifation: Wir, Benedift von Montferrat, Bischof von Lausanne, haben gehört die Bitte der großmächtigen Herren von Bern gegen die Inger und uns gerüstet mit dem heiligen Kreuz und allein Gott vor Augen gehabt, von dem alle gerechten Irtheile fonimen. Demnach so graviren und be: laden wir die schändlichen Würmer und bannen und verfluchen sie im Namen des Vaters, des Sohnes und heiligen Geistes, daß sie beschwört werden in der Person Johannes Parrodeti, ihres Beschirmers, und von ihnen garnichts bleibe denn zum Nußen menschlichen Brauchs."
Ein Bischof von Lausanne spricht den Bann gegen Blutegel aus, die seinerzeit die Salme ver= unreinigten; ein Priester that die Aale des Genfer Sees mit so glücklichein Erfolg in den Baun, daß noch heutigen Tages dort keine mehr gefunden werden! Im Kurfürstenthum Mainz wurden Pferdefliegen vom Bann getroffen und schon 1121 hatte ihn der heilige Bernhard gegen die Fliegen geschleudert, die seine Zuhörer plagten.
Noch viele andere Stücklein wissen die alten Chroniken davon zu berichten, dazu auch von förm lichen Prozessen, in denen Anwälte der Verklagten auftraten. Auch hierfür seien einige Beispiele gegeben.
In der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts wurden die Felder von Autun in der Provence arg von Mänsen heimgesucht. Man ging den Bischof um Hülfe an und dieser ließ die Mäuse dreimal vorladen. Als sie vor dem geistlichen Gerichtshof nicht erschienen, bestellte er ihnen von Amtswegen einen Vertheidiger, der die Sache der Abwesenden vertreten sollte. Die Wahl fiel auf den Vorsitzenden des Parlaments von Air und Arles , den berühmten Chasseneur. Mit Eifer entledigte er sich seiner schweren Aufgabe. Er wies sofort nach, daß die Vorladung unzureichend sei; es gelte hier das Interesse der Mäuse und die Vorladung müsse folglich in jedem Kirchspiele geschehen. Er forderte, daß dies jetzt stattfände und man gab seiner Forderung nach. Der Termin zum Erscheinen war in der Vorladung zu kurz genommen. Es sei den Mäusen nicht möglich gewesen, zu erscheinen, sagte er, um so weniger, da die Kazen in allen Dörfern auf der Lauer lagen. Nach der Chronik von Arles wurden etwa zur selben Zeit die Gemarkungen der Stadt durch Heuschreckenschwärme verwüstet. Deshalb wurden sie vor das Gericht bestellt, indem Gerichtsdiener auf den Feldern die Vorladung laut verkündigten. Auch hier erschienen die Geladenen nicht und man gab ihnen in dem angesehenen Advokaten Martin einen Vertheidiger. In seiner Vertheidigungsrede führte derselbe etwa Folgendes aus:„ Der Schöpfer bedient sich der Thiere, um die Menschen zu strafen, wenn sie sich weigern, den Zehnten der Kirche zu entrichten. Die Heuschrecken, die man verklagt, sind die Werkzeuge in der Hand Gottes, deren er sich bedient, um die Menschen auf den Weg des Heils, der Buße und Steuerleistung zurückzuführen. Deshalb darf man sie nicht verfluchen, sondern muß die Schäden, die sie verursachen, ertragen, bis es Gott gefällt, etwas Anderes zu verfügen." Der Staatsanwalt war anderer Ansicht. ,, Gott ", meinte er, hat die Thiere nur zur Wohlfahrt der Menschen erschaffen und die Erde trägt nur die Früchte zum Kultus der Neligion und zum Genusse des Menschen. Da nun die Heuschrecken diese Früchte verschlingen, muß man sie verfluchen." Es kam zu scharfen Auseinant ersegungen, die damit endeten, daß der Gerichtshof die Heuschrecken verfluchte und zum Verlassen der Gegend aufforderte. Der Vertheidiger legte gegen dieses Urtheil Berufung ein, aber unterdessen räumten