Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
die Heuschrecken das Feld. Den Fluch hätten sie ertragen, den Schrecken eines Prozesses mit allen Chikanen und Instanzen hielten sie nicht stand!
Im Jahre 1587 wurden die Weinberge zu St. Julien in Savoyen durch grüne Raupen unheimlich verwüstet. Man suchte, bevor man zu strengeren Maßregeln griff, dem Bösen durch öffent= liche Gebete und feierliche Prozessionen entgegenzu= treten, wobei der geistliche Richter es nicht ver= fäumte, darauf aufmerksam zu machen, daß ehrliches Zehntengeben viele Insekten vertreiben könne. Diese vorläufigen Anstrengungen sind nöthig, sagte der Richter, weil man nicht mit zu großer Hast gegen die Würmer handeln darf, da ja Gott Pflanzen und Früchte nicht blos für die Menschen gemacht hat, sondern auch, um die Insekten am Leben zu erhalten Da aber diese Vorkehrungen ohne Erfolg blieben, mußte man schärfer gegen die Verwüster losgehen. Der Schaden wurde tarirt und von jetzt ab war die Sache allen Kniffen der Advokatenpraxis überlassen. Die Vertheidigung der Geladenen konute von allen Mitteln Gebrauch machen, mochten sie nun die Form oder das Wesen der Sache betreffen. Nach allerlei Verzögerungen fam man zur Verhandlung. Die Aukläger zitirten heilige und profane Schriftsteller, verglichen die Verwüstungen, über welche sie flagten, mit denen, die vom. falydonischen Schweine angerichtet wurden, und schilderten all die Grenel der Hungersnoth, die durch die Schuld der vernichtenden Insekten ihnen vor der Thür ständen. Aber der Advokat der Insekten blieb die Antwort nicht schuldig. Er sei hier sprechend eingeführt.
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Von Euch ernannt, die Vertheidigung dieser armen kleinen Thiere zu führen, muß ich sofort darauf aufmerksam machen, daß die ganze Verhandlung unpassend ist, weil sie Thiere sind. Ein Wesen, welches keine Vernunft besißt und keinen freien Willen hat, kann keine Missethaten begehen und darf darum nicht als Missethäter vor den Richter gerufen werden. Die Thiere sind von Natur ftumm; sie können auf die Beschuldigung nicht autworten, sie fönnen keinen Vertheidiger wählen, der sie vertreten soll, sie können in feinem Schriftstück ihre Rechtsgründe darthun. Und welche Strafe wollt Ihr gegen ste aussprechen? Den kirchlichen Bann? Wollt Ihr also mit dem schärfsten Schwert der Stirche unvernünftige Thiere treffen, die feine Sünde gethan haben und keine thun können? Diese Strafe paßt auch für sie in feinerlei Weise. Der Bann ist ein Verstoßen aus der Kirche und diese Thiere sind nie in der Kirche gewesen; dabei trifft der Bann nicht den Körper, sondern die Seele, die ihr ewiges Heil dadurch verliert. Dies sind Gründe genug, un an den Bann nicht bei Thieren zu denken, um die keine unsterbliche Seele haben. Doch wenn ich auch auf die Sache selbst eingehen muß, auch davor schrecke ich nicht zurück. Konnten meine Klienten je eine Missethat begehen, hier sind sie jedenfalls durchaus unschuldig. Was sie thaten, thaten sie im vollsten Recht. Sie haben die Früchte des Feldes verzehrt; wohlan! Gott selbst gab ihnen dazu das Recht. Oder sind sie nicht vor dem Menschen erschaffen? Und hat sie Gott nicht gesegnet und ihnen nicht geboten, sich zu vermehren? Wie konnten sie aber ohne Nahrung diesem Befehl nachkommen? Beweis genug, daß die Thiere von Natur bestimmt sind, die Früchte, welche die Erde erzeugt, zu verzehren. Und kein anderes Gesetz, als das der Natur, ist auf sie anzuwenden. Das römische Recht, das kanonische Recht, das Völkerrecht treffen hier nicht zu. Nur das Naturrecht hat hier eine Stimme, und das Naturrecht verurtheilt sie nicht.
Und endlich giebt es noch einen Grund, der meine Klienten durchaus freispricht. Sie haben nicht nur von ihrem Rechte Gebrauch gemacht; sie sind hier Werkzeuge in Gottes Hand, um die Menschen für ihre Sünden zu strafen. Wer sie also verurtheilt, der empört sich gegen Gott, der sich ihrer zu unserer Züchtigung bediente.
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Auf Grund alles Dieses beantrage ich für die Insekten, die ich vertheidige, das Nichtschuldig!" Wenn auch solch eine warme Vertheidigung oft nicht fruchtlos blieb, so war damit die Sache doch feineswegs zu Ende. Es folgte Replik und Duplif.
Auch die Kläger bewiesen ihr Recht aus der Bibel. Gott habe den Thieren nur das grüne Kraut überlassen; er habe dem Menschen die Herrschaft über alle Thiere gegeben; noch Noah habe er dies wiederholt: Eure Furcht und Schrecken sei über alle Thiere auf Erden, über alle Vögel unter dem Himmel und über Alles, was auf dem Erdboden kriecht, und alle Fische im Meer seien in Eure Hand gegeben. Alles was sich reget und lebet, das sei Eure Speise, wie das grüne Kraut, habe ich Euch Alles gegeben ( 1. Mos. 9, 2 u. 3). Daraus schlossen sie, daß Alles nur für den Menschen geschaffen sei. Auch behaupteten sie, daß die Macht der Kirche, ihren Bann fluch auszusprechen, unbegrenzt sei, daß vernunftlofe fluch auszusprechen, unbegrenzt sei, daß vernunftlose Thiere oft durch heilige Männer in den Bann ge= than seien und daß Thiere, als Geschöpfe Gottes, selbstredend dem kanonischen Recht unterworfen seien.
Aber was auch für und gegen die Thiere ge= sagt wurde, das Ende der Sache stand schon von vornherein sest und in so fern sind die Vertheidigungen mit Recht eine bloße Form genannt. Dar auf nahm der Prokurator des Bischofs das Wort gegen die Vorgeladenen. Er erkannte an, daß die Insekten vielleicht von Gott zur Strafe gesandt seien; aber neben Gottes Gerechtigkeit stellte er dessen Liebe, welche die Strafe nur zu dem Zweck sende, um zur Reue zu stimmen und dann Vergebung zu schenken. Wohlan! So sprach er zum Schluß zum Richter, wir sehen diese Bürger mit Thränen in den Augen, sie flehen tiefgerührten Herzens um Vergebung für ihre Sünden und sie rufen die Hülfe der Kirche an, das Schwert wegzunehmen, welches über ihren Häuptern hängt, da ihnen eine vollständige Hungers noth droht. Darum beantrage ich, daß Ihr die Thiere verurtheilt, mit ihrer Schädigung aufzuhören und daß Ihr zugleich den Bürgern die gewöhnlichen Gebete und Bußen auferlegt.
Der Richter gab diesem Nothschrei Gehör und urtheilte, natürlich in lateinischer Sprache, folgendermaßen:
Im Namen und in der Kraft Gottes des Allmächtigen, Vaters und Sohnes und heiligen Geistes, der hochseligen Mutter unseres Herrn, Maria, und auf Befehl der seligen Apostel Petrus und Paulus , und die Gewalt benußend, die diese Gegend uns verleiht, ermahnen wir diese Insekten schriftlich, bei Strafe des Verfluchens und des Banns, innerhalb eines Tages diese Gegend zu verlassen und solche nicht mehr zu beschädigen. Sollten sie solchem nicht nachkommen, so verfluchen wir sie und thun fie in den Bann, wobei wir jedoch den genannten Bürgern vorschreiben, daß sie, um vom Allmächtigen von dieser vorschreiben, daß sie, um vom Allmächtigen von dieser Plage befreit zu werden, eifrigst gute Werke und demüthige Gebete pflegen und übrigens sich aller Blasphemie und aller anderen Sünden, besonders offenbaren, zu enthalten, dabei aber die Zahlung ihrer Zehnten ohne Kürzung zu leisten haben. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Amen!
Im Anfang des vorigen Jahrhunderts führte ein Franziskanermönch einen Prozeß gegen Ameisen, die ein dem heiligen Antonius geweihtes Kloster unterminirten und ihm das Korn raubten. Daß die Vorgeladenen hier Ameisen waren, gab den Anklägern zu der Bemerkung Veranlassung, daß sie Thiere seien, deren Neigung dem Evangelium schnurstraks seien, deren Neigung dem Evangelium schnurstraks widerstreite und die darum sogar vom heiligen Franziskus verflucht seien, der doch sonst alle Geschöpfe als seine Blutsverwandten betrachtete und sie zu grüßen pflegte: Bruder Wolf, Schwester Schwalbe usw. Aber das gab zugleich dem Advokaten der Verflagten Veranlassung zu einer warmen Fürsprache für seine Klienten. Er bewies, daß diesen Thieren nicht nur die Pflicht auferlegt sei, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, sondern daß sie auch in Ausübung dieser Pflicht dem Menschen in Sparsamkeit übung dieser Pflicht dem Menschen in Sparsamkeit und Vorsorge, in Fleiß und gegenseitiger Liebe, in Frömmigkeit und Religiosität vorleuchteten; sie seien Frömmigkeit und Religiosität vorleuchteten; sie seien doch von allen Thieren die einzigen, die ihre Todten zu Grabe trügen. Auch bewies er, daß sie früher als die Mönche im Besiz dieser Gegend gewesen seien, und daß es daher unrecht und gewalthätig sei, sie durch den Bannfluch zu verjagen. Seine Klienten würden beim Schöpfer Berufung einlegen,
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der die Kleinen ebensowohl wie die Großen erschaffen und jeder Art ihren Schußengel gegeben habe. Sie wollten den Mönchen durchaus nicht das Recht bestreiten, mit allen menschlichen Mittelu wider sie zu streiten, aber sie bestritten das Recht, den Bannfluch wider sie zu schleudern.
Noch merkwürdiger vielleicht als diese Vertheidigung der Prozesse und noch mehr geeignet, nachzuweisen, wie tief solcher Aberglauben im Verstand der ersten Männer Wurzel geschlagen hatte, bezeugt Folgendes:
Schon im dreizehnten Jahrhundert war ein berühmter Jurist dagegen zu Felde gezogen, daß man Thiere vor den Richter bringe, da sie Gutes und Böses nicht zu unterscheiden vermöchten. Und am Ende des sechzehnten Jahrhunderts bestreitet eine in Antwer, en erschienene Abhandlung alle Prozesse gegen vernunftlose Thiere, bei welchen von Missethat keine Rede sein könne, und nennt sie„ lächerlich, ungereimt, grausam und barbarisch". In der Mitte des siebzehnten Jahrhunders bezeichnete ein Mönch die Thiererkommunikation als einen ungereimten Aberglauben, der nur geeignet sei, der Religion und dem Glauben zu schaden, und der dem Wesen des Bannes widerstreite, und der nur den getauften Menschen treffen könne. Die obengenannte juristische Abhandlung fand aber keinen ungetheilten Beifall. In einer Gegenschrift betonte ein berühmter Theologe allerdings, daß man die Verfluchung des alten Bundes mit dem kirchlichen Bann vermischt habe, und doch ist derselbe Theologe der festen Ueberzeugung, daß der Bannfluch, gegen schädliche Thiere geschleudert, oft von kräftigfter Wirkung sei, und giebt zum Be weis ein treffendes Beispiel: Ein spanischer Bischof verurtheilte von der Spize eines Berges die Mäuse, innerhalb dreier Stunden die Felder, die sie verwüsteten, zu räumen. Und siehe! Sofort schwammen sie in großen Schaaren durch den Ozean nach einer wüsten Insel, wohin der Bannfluch sie verwiesen hatte. Auch der schon genannte Chasseneur giebt in einem Werke über die Erkommunikation der Insekten was übrigens unter seinen neunundsechzig juristischen Abhandlungen die erste Stelle einnimmt die Vorladung und dann Bann gegen Insekten zu und zwar bezeichnet er Beides als das kräftigste Mittel, welches dem Menschen zu Gebote steht, um schädliche Insekten zu bekämpfen".
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Aber was half der Widerspruch einiger erleuchteter Männer? Die große Mehrzahl hielt es mit dem thörichten Gebrauch, und darum darf uns nicht Wunder nehmen, daß noch in unserem neunzehnten Jahrhundert der Sekretär der königlichen Akademie von Savoyen schreiben durfte:... Alle diese Dinge seien gut und nüßlich, man müsse das Prinzip derselben mit Ehrfurcht aufnehmen und nur den Mißbrauch bekämpfen!"
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Neben dieser firchlichen Bannung erhielt sich aber da und dort noch die primitive Laienbannung, theils als privates Zaubermittel, theils als allgemein anerfannte Sitte. In Deutschland zum Beispiel gaben sich im sechzehnten Jahrhundert fahrende Schüler und dergleichen damit ab, Ratten und Mäuse zu vertreiben. So verbannte 1538 zu Mößkirch ein Abenteurer gegen Belohnung in der Christnacht alle Natten aus der Stadt. Aus anderen Städten und Dorf= markungen werden nach deutschem Volksglauben gemetuschädliche Thiere durch die Fürbitte Heiliger ( St. Ullrich, Cyriakus, Priminius) ferngehalten. Auf dent Domstift in Trier nistet und ruht keine störende Schwalbe. In manchen Kirchen findet man keine Mücke. Auf dem Schloß Neuburg im Thurgau vertrieb ein fahrender Scholar alle Mücken auf ewige Zeiten. Der Nattenfänger von Hameln verbannte dort die Ratten in einen nahegelegenen Berg. dem württembergischen Städtchen Boll wurden die schädlichen Schneegänse von der frommen Gräfin von Aichelberg durch eine hölzerne Banngans vertrieben. Das Vertreiben der Kohlaugen wird noch jezt in Westfalen durch eigene Besprecher" geübt, die den Thieren durch horizontal gelegte Holzstäbchen den von ihnen einzuschlagenden Weg anweisen. Bei dieser Gelegenheit wollen wir auch an die Sitte der Thüringer erinnern, welche die Kohlangen mit dem Rufe:„ dort( im Nachbardorf) ist Kirmeß !" vertreiben.
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