Die reue Welt

Nr. 49

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Bus Zeit und Einsamkeit.

Mur Deine Hände laß' mich pressen Und leise träumen vor mich hin!.. Vielleicht... vielleicht kann ich vergessen, Wie ich so müd' und elend bin!

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Von Ludwig Lessen.

Ich bin bei Dir! Des Abends Schatten Schleicht schwarz durch's Fenster,- und der Wind Berrt von dem Baum die letzten matten Herbstblätter, die geblieben sind!...

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Mit Dir allein!... und Nacht! und Träumen!... Wie lang ist's her, und doch wie schön! Der Morgenthau tropft von den Bäumen, Das glänzt und glißert, wo wir gehn!. Schon ist des Kukuks Ruf erklungen, Weiß prangt des Schlehdorns Blüthenkleid!... Mein Arm um Deinen Hals geschlungen, Und rings die Waldeseinsamkeit!.

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Mit Dir allein!... Wir wandeln wieder Den Weg, der vor dem Thore liegt. Ein Frösteln geht durch Deine Glieder, Eng hältst Du Dich an mich geschmiegt!

Der Teufelsfinger.

Novelle von Wladimir Korolenko. Deutsch von W. Thal.

I.

Is ich ben Fluß erreichte, sank der Abend Is ich den Fluß erreichte, sank der Abend hernieder. Eine frische Brise strich über das breite Wasser, das sich nach allen Richtungen hin kräuselte, während starke Wellen an das steile Ufer schlugen.

Kaum hatte der Fährmann die Glocken unseres Gespannes vernommen, da lief er auch schon zu seiner Fähre und wartete auf uns. Bald war die Telega* hinaufgesezt, und wir stießen ab. Nach und nach verschwand das Ufer, es entfloh gleichsam, von den trüben Wellen, die daran schlugen, entführt.

Mit uns fuhren noch zwei andere Wagen über den Fluß. In dem einen befand sich ein Mann von bereits vorgerücktem Alter, von starkem und energischem Aeußeren, den man seiner Kleidung und seinen Manieren nach für einen Dorffrämer halten

* Telega, Kutsche.

Um uns die Nacht... vom Städtchen spielen Die Lichter her so geisterhaft...

Und unter wogenden Gefühlen

Sprichst Du von Deiner Mutterschaft!...

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Die Lampe brennt... Ein Berg von Flocken Thürmt sich vor'm Fenster, weiß und groß!. Ein Stübchen eng, doch warm und trocken, Und unser Kind auf Deinem Schooß! Ein Tisch... ein Stuhl... so herzlich wenig, Daß jeder Hoffnungstraum zerrinnt! Und doch so reich wie mancher König: Zwei Menschen, die mein eigen sind!-

Durch's Gitterfenster meiner Zelle Bricht grau der Tag.

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Ich bin allein! Die Sorge fauert auf der Schwelle Und von den Wänden grinst die Pein!... Und alle Träume sind verschwunden,

Und alle Hoffnungen verschneit!

Das Wort versagt!... Die Hand gebunden!... Allein in Zeit und Einsamkeit!

konnte. Die drei jungen Leute, die der andere Wagen trug, schienen eher Städter zu sein.

Der Krämer, der seinen Rockfragen hochgeklappt hatte, um den Wind zu vermeiden, blieb unbeweglich sizen und schenkte seinen Reisegefährten nicht die geringste Aufmerksamkeit. Die Anderen zeigten sich dagegen lebhaft, lustig und mittheilsam. Der Eine dagegen lebhaft, lustig und mittheilsam. Der Eine von ihnen, welcher einäugig und dessen einer Nasen­flügel aufgerissen war, sang und begleitete sich dazu auf einer Harmonika; er sang ein seltsames Lied, dessen eintönige Melodie mir schließlich Unbehagen verursachte. Zeitweise riß ihm der Wind ein Stück der Melodie sozusagen von den Lippen und zerrte sie wie ein Echo über das Wasser. Der Zweite hielt in der einen Hand eine Flasche und in der anderen ein Glas und stieß mit meinem Kutscher an. Was den Dritten anbetraf, einen kräftigen Burschen mit schönem, ausdrucksvollem Gesicht, so lag er auf dem Rücken ausgestreckt auf der Bank seiner Ribitka, hatte die Arme unter den Nacken geschoben und betrachtete mit schwermüthigen Blicken die Wolken, die sich am Himmel ballten.

1897

Seit zwei Tagen begegnete ich unaufhörlich diesen vier Personen. Auf dieser Reise nach dem Hauptort des Bezirkes, wohin mich ein dringendes Geschäft rief, treffe ich den Krämer in seinem zweirädrigen Wagen und die jungen Leute in ihrer Kibitka auf jeder Station, wenn sie nicht schon vorher ein­getroffen sind und mich erwarten. Und jetzt finde ich sie wieder auf dieser Fähre.

Neugierig frage ich meinen Kutscher, wer die Leute sind.

Das ist Kosjuschka und die Seinen," murmelte er. Ich frage weiter, denn ich habe nie von diesent Kosjuschka etwas gehört, doch der Mann flüstert eine immer undeutlichere Antwort. Augenscheinlich hatte er Furcht, sie fönuten ihn hören.

Ich zucke die Achseln und richte meine Blicke wieder auf die Strömung. Ueber den dunklen Wogen flattern Schaaren großer weißer Vögel, Möven ähnlich, mit unruhigem Flügelschlage und wildem Gekrächz. Häufig stößt einer von ihnen ins Wasser, taucht Stopf und Hals hinein, um dann wieder, einen Fisch im Schnabel, zu seinem Schwarm zurückzukehren.