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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
die Basuto- Neger, ihre Jungen verfertigen sich Schild und Speer und führen im Felde ganze Fechtübungen auf. Ebenso üben sie sich im Schleudern von Wurffeulen und sind kleine Künstler im Modelliren von Thonfiguren. Die Mädchen unterhalten sich ähnlich wie die unseren mit Seilspringen, Ringeltänzen und Sandbacken. Sie sind sehr geschickt im Formen von Töpfen und richten sich richtige Hütten von Kraut und Zweigen ein. Auch die Kinder der AustralAuch die Kinder der AustralNeger kennen den Reigentanz, Versteck und Haschen. Sie zeigen sich, nach Dr. Jung, beim Spiel von übersprudelnder Lebenslust. Wenn sie spielen, ist ein Kreischen und Lachen, daß der ganze Kraal widerhallt. Während des Spiels sehen die Alten zu und geben ihrer unverhohlenen Freude häufig ebenso lauten Ausdruck, wie die wilden Sprößlinge."
Hat das Kinderspiel so einerseits gewissermaßen internationalen Charakter, so besißt es andererseits auch wieder nationale Eigenschaften. Die geistige und moralische Individualität der Völker prägt sich darin aus. Was die Alten treiben, spielen die Jungen, ein Beweis mehr für die Nachahmungssucht, die schließlich jedem Spiele zu Grunde liegt.
So sind z. B. die Spiele der Chinesenkinder durchzogen von dem Schachergeist, der Grausamkeit und dem Artistenthum, das dem ganzen Volke innewohnt. Mädchenspiele kennt der Chinese überhaupt nicht. Die strenge Abgeschlossenheit, in der das weibliche Geschlecht aufwächst, die entseglichen Qualen, die es durch die Verstümmelung der Füße erdulden muß, lassen die Lust zum frohen Umhertummeln garnicht aufkommen. Der Spielplaß der Knaben ist dagegen der Dorfanger. Hier üben sie ihre Jongleurfünste, bei denen die Erwachsenen die Zu schauer bilden, hier halten sie Pfandhaus" und schachern in offenen Buden. Kein Chinesenjunge macht sich ein Gewissen daraus, seinen Spielgefährten etivas abzugaunern, ebenso strupellos begeht er die empörendsten Thierquälereien, fein Insekt ist vor seinen Brutalitäten sicher. Leibesübungen, die irgend welche Kraft erfordern, sind ihm fremd, dafür leistet er aber wieder Besonderes in allen Artistenstückchen. Theaterspiel, Drachensteigen, Federball und ähnliche Sachen bilden einen Haupttheil seiner Zerstreuungen.
Ganz anders die Kinder der Japaner. In ihren Spielen liegt Geist. Sie geben ihre Kindergesellschaften und laden die Gäste nach vorgeschriebenen Formen ein. Als Unterhaltung dienen Aufführungen, deren Inhalt dem wirklichen Leben abgelauscht ist. Hochzeiten, Begräbnisse, Gastmähler usw. werden von den kleinen mit großem Geschick mimisch dargestellt.
bekannt. Läßt die Kulturwelt indessen den Knaben zunächst auf dem Knie seine Reitversuche machen, so sezen minder zivilisirte Völker, wie Beduinen, Araber, Kirgisen usw., das Kind schon auf das Roß, bevor es gehen kann.
Zum Schluß noch ein Beispiel für die Nationalisirung des Kinderspiels, das uns Allen täglich vor Augen steht. Das deutsche Mädchen kopirt am liebsten die sorgende Mutter, die umsichtige Hausfrau, der deutsche Knabe dagegen, speziell der preußisch- deutsche, der Sohn des Militärstaats, er fenut kein höheres Vergnügen, als das Soldatenspiel. Helm und Degen bilden die Prunkstücke auf seinem Geburtstags- oder Weihnachtstisch.
Ist das Kinderspiel so gewissermaßen ein Spiegel für die jeweilige Geistesrichtung eines Volfes, so hat es andererseits auch wieder kulturhistorischen Werth. Längst vergangene Tage, deren Denken und Fühlen, Handeln und Wandeln lange vergessen ist, erwachen im Spiele der Kinder zu neuem Leben. im Spiele der Kinder zu neuem Leben. Nichts ist so konservativ wie die Jugend; ohne dickleibige Folianten zu studiren, ohne auch nur zu wissen, was je sich vor Jahrtausenden begab, spielt sie noch heute dieselben Spiele, die schon unsere Voreltern in der Urheimath des Menschengeschlechts erfreuten.
So findet man z. B. die Nachklänge uralter Runenlieder in jenen Verschen, mit denen der deutsche Bauernjunge im Frühling seine Weidenpfeife schneidet. Wenn er da ruft:
Bapf, zapf Pfeife! Auf dem Mühlendeiche Steht ein Mann,
Der heißt Johann,
Der hat so rothe Strümpfe an. so ist das noch ein direkter Hinweis auf den rothstrumpfigen Wassermann, der den Mühlbach schwellt und Regen bringt, sobald man ihn mit der Pfeife lockt.
Noch älter als diese Reime müssen die Verschen und Sprüche sein, mit denen die Kinderwelt die Thiere in Feld und Haide ruft. Man findet sie in beinahe gleicher Form bei den verschiedensten europäischen ölkern; daß das eine sie vom anderen erlernte, ist unmöglich, da sie, obzwar dem Sinne nach ähnlich, doch auch wieder nationale, besonders nach ähnlich, doch auch wieder nationale, besonders sprachliche Eigenthümlichkeiten aufweisen. Sie sind sprachliche Eigenthümlichkeiten aufweisen. Sie sind also entschieden aus der Urheimath herübergerettet. Ruft das deutsche Kind dem Maikäfer und Johanniswürmchen zu:
,, Diaikäfer, fliege!
Dein Vater ist im Kriege, Deine Mutter ist in Engelland, Engelland ist abgebrannt, Maifäfer, fliege!"
Die Indianerfinder amüsiren sich wie ihre Väter am liebsten mit Fischfang und Jagd. Sie sind sehr so mahnt der kleine Engländer: liebenswürdige Gesellschafter und selten nur stört ein Streit ihr fröhliches Spiel.
Bei den Motu, einem Stamm in Neu- Guinea , fertigen sich die Knaben Windmühlen aus Kokosblättern, fliegende Blasen und Kreisel, doch üben sie sich nebenher im Speerwerfen, Schwimmen und allerlei Jag spielen.
Die Basutos besigen das musikalische Tempe= rament der Neger in ausgeprägter Weise, sie be= gleiten ihre sämmtlichen Spiele mit hellem Gesang. Ebenso tritt die angeborene Mutterzärtlichkeit der schwarzen Rasse in der innigen Liebe zu Tage, die das Regermädchen seiner primitiven Burpe entgegenbringt.
Der Orient bevorzugt das Würfelspiel in seinen verschiedenen Variationen, auch in Italien sind die Knichel und Würfel sehr beliebt. Außerdem kultivirt die italienische Jugend mit Vorliebe das„ Banditenspiel". Die Rä berbanden ihrer engeren Heimath dienen ihnen dabei als wenig empfehlenswerthes Vorbild.
In Piemont kennt man ein Kinderspiel, das die Brautwerbung der Piemontesen in genauester Kopie wiedergiebt und in der Form unserem:„ Es kommen orei Herren aus Wohrenland, schönste Antjeduse" ziemlich ähnlich ist.
Bei jenen Völkern, die durch ihre natürliche Veranlagung in der Ethnographie als Reitervölker" regiſtriren, findet man wieder die alten Knie- und Neiterlicdchen in den mannigfachsten Variationen. So ist z. B. unser Schocke, schocke Reiterlein" in Deutschland , Desterreich, Frankreich und Italien
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Frauenvöglein( Ladybird), flieg nach Haus, Dein Haus steht in Flammen, Deine Kinder sind todt!"
Der Zigeuner bittet:
,, Marienwürmchen glüh!
Wir haben nicht Schweine, wir haben nicht Küh; Marienwürmchen, sei uns hold
Und verbrenne rasch zu Gold. Kaufen uns dann eine Kuh und ein Schwein, Laden zum Schmause Dein Kindchen auch ein." Unser Schneckenlied," Schnecke, Bumpecke, steck Deine sieben Hörner' raus," ist sowohl den Italienern und Engländern, als auch den Polen geläufig. Ebenso muß das reizend melodiöse Kinderlied:" Mariechen muß das reizend melodiöse Kinderlied:" Mariechen faß auf einem Stein und fämmte sich ihr blondes Haar", sehr alter Herkunft sein. Man findet es nach Tendenz und Inhalt wieder in der altenglischen Ballade von der nußbraunen Braut und der blonden Nannett". Auch das schottische Lieb' Wilhelm und schön' Grethchen" erinnert daran.
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Ebenfalls sehr alt sind unsere Fingerliedchen und Zählreime, auch die Tanzlieder blicken auf eine hohe Vergangenheit zurück. Wenn sich Jungfrauen und Jünglinge des Mittelalters zum Reigen unter der Linde zusammenfanden, hielten sie eine Guirlande von Blumen, die von Hand zu Hand lief. In der Schweiz flechten die Kinder noch jezt eine Sette von Löwenzahnstengeln, halten sich daran und singen: ,, Trettet uf das chettemli, Daß es soll erklingele, Wer die schönste Jumfer si I dem ganze Ringele."
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Ebendahin gehört unfer Ringel, Ringel, Rosenfranz", das offenbar noch auf ehemalige Frühlingsspiele zurückzuführen ist. Von deutschen Kinderspielen aus älterer Zeit haben wir zwei sehr ausführliche Verzeichnisse in einem mittelhochdeutschen Gedicht:„ Der Tugenden Schatz" und in Fischarts„ Gargantuar.", die beide dem sechzehnten Jahrhundert entstammten. Da wird schon erwähnt„ Die blinde Kuh" oder„ Blinzemans", das Hafen- oder Topfschlagen, Kämmerchen vermiethen( 3wei sprachen: der Plaz ist mein), Versteckspiel usw.„ Fuchs im Loch" erwähnt Fischart als Wolf, beiß mich nicht!"„ Der Abt ist nicht zu Hause" wird von ihm unter dem Namen„ Der Abt und seine Brüder" angeführt. Auch unser ,, Pinte; ant, wo steckt der Schraut, unten oder oben?" sowie das„ Klukern" mit Marmorkügelchen, das Holzprellen und Räthselrathen diente den Kindern jener entlegenen Tage zu fröhlicher Unterhaltung. Eins unserer hübschesten Räthsel von Schnee und Soune stamnit noch aus dieser Zeit, es ist das altbekannte: Es kam ein Vogel federlos,
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Saß auf dem Baume blattlos,
Da kam die Jungfer mundlos, Fraß den Vogel federlos.
In lateinischer Fassung findet es sich bereits in einer Reichenauer Handschrift aus dem Anfang des zehnten Jahrhunderts.
Auf ein noch höheres Alter sieht das Berliner Fasseln oder Fascheln zurück, es ist nichts Geringeres, als ein Nachklang des Klassischen Astragalispiels, nur daß die Kinder bei uns die Steinchen statt der Knöchel benußen. Bei Wernigerode im Harz sind die letzteren noch heute im Getrauch. In den märkischen Dörfern kennt man das Spiel als Grapschen" oder" Grapsch- Stein."
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In der neuesten Zeit hat das Kinderspiel viel von seinen alten intimen Reizen verloren. Das Leben der Großstädte hat sie vernichtet, wie es so. Vieles vernichtet hat. Das Wort: Wir haben. feine Kinder mehr", ist ein stehendes geworden und hat leider nur allzu Recht. Nein, wir haben feine Kinder mehr", weil wir nämlich selbst nicht mehr kindlich denken und fühlen fönnen, weil wir blasirte Fin de siècle - Menschen sind. Die Kinder spielen, was die Alten leben: laßt uns selbst wieder an Herz und Geist zu Kindern werden, und wir werden auch wieder Kinder haben, Kinder, die spielen können, die sich freuen und tummeln in lebensfrischer überschäumender Jugendlust.
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Bu unserem Bilde.
Portrait des Metzgers X. Wir haben unseren Lesern in legter Zeit genug Stoffe ernsten Inhalts geboten, als daß wir ihnen heute zur Abwechselung nicht einmal ein Bild voll köstlichsten Humors vorführen sollten.
Und sprächen die Züge unseres Meggermeisters nicht für sich selbst, der Name Ed. Harburgers, des weltbekannten Mitarbeiters der Fliegenden Blätter ", des Schöpfers unzähliger komischer Typen aus dem Voltsleben, böte uns Gewähr dafür, daß unsere Lachmuskeln in Bewegung gerathen werden.
Und welche prächtige Realistik, die der Künstler, wie in allen seinen Gestalten, auch in diesem Kopfe wieder an den Tag legt! Oder wem ginge es nicht wie mir, daß er nach diesem Kontersei Herrn X leibhaftig vor sich sähe? Ja, ich möchte sogar darauf schwören, daß ich mit ihm schon mehr als einmal in derselben Kneipe am selben Biertische gesessen habe. Schwören? Ich erinnere mich jezt sogar ganz deutlich, wie ich mir jüngst vor Lachen den Bauch gehalten, als ich den pustenden und prustenden Herrn Jnnungsmeister unter donnernden Faustschlägen die unabweisliche Nothwendigkeit einer Flottenvermehrung beweisen hörte.
Und wie er dann über den letzten großen Streif herzog und über die verwünschte Rotte der Umstürzler, die er vor Wuth am liebsten gleich mit unter seine Wurst hacken möchte!
Und wie ich ihm dann nedisch über den Tisch zurief: Also mich auch, Herr Innungsmeister?" da riß er blos seine Aeuglein auf und glogte mich voll stummen Erstaunens so ungläubig an, wie just auf unserem Bilde.
Aber ich trank ihm nur lachend meine frische Blume zu und sagte:„ Prosit und auf ein gutes, nächstes Schlachtfest, wenn ich es vielleicht auch nicht mehr mit erleben soll."
Nachdruck des Juhalts verboten!
Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man au Edgar Steiger , Leipzig , Elisenstr. 90, richten.