Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Gebrauch zu machen. Wenn Sie sich von Neuem der Prüfung an der Normalschule unterziehen wollen, So bleiben Sie ein Jahr als Hülfslehrer in Paris ; ich kann Sie leider an unserer Anstalt nicht nehmen, weil ich keinen Plaz leer habe und Sie auch in eine schiefe Stellung fämen, wenn ich Sie veranlaßte, Ihre früheren Mitschüler zu überwachen. Doch ich bin überzeugt, daß Sie anderswo leicht einen Posten finden werden. Adien und viel Glück, mein Freund..."

Umsonst flopfte Joseph an alle Thüren der Lyceen und Unterrichtsanstalten des Stadtviertels. Man wußte nicht, was man mit Hülfslehrern an­fangen sollte; junge Doktoren warteten bereits auf cine Vakanz. Und konnte denn dieser bartlose, linkische Mensch mit dem affenartigen Gesicht über­haupt eine Klasse leiten?

Joseph war zwanzig Jahre alt; und aus Ver­zweiflung ging er zum Militär. In der Kaserne hatte er wenigstens Obdach, Bett und Suppe.

( Schluß folgt.)

Der Wille zur That.

Ein Mahuruf von Richard Dehmel . ( Abdruck aus der Wiener Wochenschrift Die Zeit".)

er größte lebende Dichter Italiens hat mit Berufung auf die Kraft scines Geistes von seinen Landsleuten eine bürgerliche Macht verlangt", und die Bauern seiner heimathlichen Gegend haben Vertrauen gefeßt in seine ungewöhn­liche, erhabeдe und bilderreiche Rede und ihn ins Barlament gewählt. Und so stark war die bildliche Gewalt dieser Nede, daß ein lebender deutscher Dichter, der wie kaum ein zweiter vorsichtig mit dem öffentlichen Wort umgeht, sie hingerissen in unsere Sprache übertrug und einen Rahmen darum fügte, der ihren fenerblumigen Reiz noch glänzender und glühender erscheinen läßt.

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Das Wort ist eitel, das nicht zur That be­so scheinen Gabriele d'Annunzio und geistert Hugo v. Hofmannsthal den nüchternen Lenten ins Gewissen zu rufen, die an den Dingen nichts sehen als das Vorderste", die um des trägen Wohlbehagens willen den einzig noch anbetungswürdigen Dingen Gewalt anthun", die vor dem Marktlärm der Menge den unsichtbaren Geist der Völker nicht spüren. Hier nun ist endlich That: die männliche That, nach der es unsere Seelen verlangt. Es ist nicht mehr die Zeit, einsam im Schatten des Lorbeers und der Myrthe zu träumen. Es ziemt von nun an, jedem Zwiespalt zwischen Denken und Thun ein Ende zu machen. Die Geistigen müssen den Plaz erringen, der ihnen gebührt zu oberst in der Ordnung der Stände. Den Waffen, den Religionen, dem Reich­thum folge in der Herrschaft die Kaste, in der sich die Bedingungen des höchsten geistigen Daseins einen." Und mit Stolz und Unmuth erfüllt es die beiden Dichter, daß noch kein Name geprägt" sei für dieses neue Ziel.

Ist es so ner? Hörten wir nicht schon auf der Schulbank von einem Dritten Reich, von einem Geiſt des Heils und einer Gemeinschaft der Heiligen? Lernten wir diese Worte nicht längst werthvoller deuten, als die Scheinheiligen und geistig Armen? Haben die Lehrer der Menschheit, die großen Zweifler wie Glaubensmänner, je Anderes gewollt, als daß es endlich komme, das Reich des heiligen Geistes, der alle Triebe klar und einig macht, das Reich der Kraft und Herrlid feit? Hat nicht schon Platon einen Staat gepredigt mit einer Herrschaft der Geistigen?

Hat er die Dichter nicht daraus ver­bannen wollen, diese heillosen, unklaren Träumer? Oder wars nur Ironie, und ist die sogenannte Utopie des weisen Atheners nur die entschleierte Wirklichkeit, die aller Orten hinter dem Selbstbetrug des Alltagtreibens vor sich geht?!

Doch wenn die Lehre nicht neu ist, die uns die beiden Dichter bringen, vielleicht ist umsomehr die Zeit gekommen, daß sie herabsteigt aus jener höheren Wirklichkeit und sich in Thatsachen umsetzt, die auch den Niedrigsten erheben. Vielleicht ist dies das

Neue in der Heilsbotschaft des italienischen Dichters, dieser Wille zur zeitumwälzenden That, daß sich die dum fen Seelen seiner heimischen Bauern und ein entwickelter Geist wie der des deutschen Dichters so einmüthig ergreifen ließen. Es mag wohl sein, daß jenen einfachen Männern ein nie erlebter Schauer der Kraft durch ihre arbeitsamen Glieder fuhr, als ihnen der Redner sein Buch pries, worin er mit grausamister Kühnheit" seinen entnervten Bildungs­genossen das langsame Sterben eines der Liebe und des Lebens unwürdigen" Schwächlings vor­gehalten hat. Und wer in unserer Zeit, wer vor Allem von uns Deutschen , ist so gefühllos, daß er nicht erschüttert würde durch die Klage des Dichters über jene Vorfämpfer der italienischen Freiheit, denen nach vollbrachter Einigung des Vaterlandes ,, ihr eigener männlicher Wille vor die trägen Füße fel"! Wahrlich, es wäre besser gewesen, die Männer, die man Befreier nannte, zu nehmen und 31 opfern, und aus den Falten der Verge die schwersten Blöcke über ihre Gräber zu wälzen: dann sähen wir sie mit den Augen der Seele immerfort vom Flammenwirbel der Revolution umgeben, und ihre schöne Geberde wäre uns von Weitem eine heroische Mahnung fürs Leben!"

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O herrlicher Dichter: wie wurde meine Seele weit, als ich das las! O Mensch des Alltags, Redner vor der Menge: wie schnürte mirs das Herz zusammen, als ich weiter las! Denn wohin mündet dieser feurige Strom des Willens, dies überschäumende Lob der That: in einen schillernden seichten Teich, mit blühenden Heden am Rande, in deren Schatten sich sänftlich träumen läßt. Es mag den Bauern sehr süß geklungen haben, als ihnen der Dichter ihre" Hecke pries, die ihren" Acker umschließt, und sie ermahnte, zäh ihr" Eigenthum festzuhalten; nichts Lieberes hört der Bauer, selbst Und mancher seine Wucherer födern ihn damit.

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gute Europäer wird sehr behaglich gelächelt habe, als er die Worte las, die über diesem Theil der Sede der deutsche Nachdichter eingefügt hat: hier erwähnt der Redner eine scheinbar neue, in Wahr­heit uralte Lehre, die Kraft und Besiz des Einzelnen völlig dem Gemeinwesen unterordnen will, und ver= wirft sie." Ich aber fühlte mit Grauen: unter der blühenden Hecke schläft die giftige Schlange Selbst­betrug.

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ja, sie ist sehr alt, die scheinbar neue Lehre vom Besitzrecht Aller auf den gemeinsamen Mutter­boden, wohl ebenso alt wie die Lehre vom Herr­Aber sollte darum nicht schaftsrecht der Geistigen. die Zeit gekommen sein, daß endlich auch sie herab­steigt aus der Luft des Gedankens und zur hand­greiflichen Thatsache wird? Ist es nicht vielleicht derselbe unsichtbare Geist des Heils, derselbe Wille zur That, der den einsamen Dichter eine öffentliche Macht verlangen ließ und der die Arbeitermassen Europas die Umwälzung der herrschenden Macht­zustände fordern läßt? Sollte nicht Eines ohne das Andere unmöglich sein?! Um so viel tugendhafter ist ein Mensch, als er sich mer bemüht, sein Dasein zu steigern." Was wollen die Tausende Anderes, als ihr verkümmertes Dasein steigern, wenn sie emporrerlangen aus ihrer leiblichen Abhängigkeit vom Reichthum weniger Einzelnen! Wie will der Dichter die Herrschaft des Reichthums aufheben", wenn nicht durch Aufhebung des leichthums selbst, nämlich des Reichthums der Wenigen! Wie den Kult des ungebrochenen Willens wieder herstellen", wenn nicht durch Wegräumung der Lasten, die alle Volkskraft zu zerbrechen drohen, sogar mit eigener Waffengewalt! Wie kann der geistige Mensch zur Herrschaft kommen, wenn er umgeben bleibt von Menschen, die nicht einmal dem Adel ihres Leibes Zeit genug widmen können! Kann denn das geistige Dasein sich steigern, wenn alle Sinne voll leiblicher Mühsal sind? Und kann der Geist des Einzelnen wachsen, wenn fein gemeinsamer Boden sich bildet, der seine Seele zum Wachsthum reizt?

Es zeugt nicht von Vertrauen in den unsicht­baren Geist der Völker, daß man die Augen ver­Es zeugt schließt vor ihrem offenkundigen Willen. auch nicht von Glauben an die Thatkraft der Einzel­seele, daß sie sich einpferchen soll in blühende Hecken,

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um sich nicht völlig" dem Gemeinwesen unter­zuordnen". Wer will sie denn unterordnen? und wer gar völlig? Solches hat noch keine Lehre ge­wollt, keine alte noch neue. Solches vermöchte auch fcine Lehre, denn es wäre wider die Natur. Solches befürchten nur die Leute, die auf dem Markte tie Glocken länten hörten und an den Dingen nichts 311 sehen wissen als das Vorderste". Einordnung will die Lehre der Reichthumsgemeinschaft, ganz wie die Lehre der Geistesgemeinschaft, und alle Unter­ordnung höre auf! Dieser Dichter, der seinen Lands­leuten ihre" Hecke und ihren" Acker pries: weiß er denn nichts von der entsetzlichen Unterordnung, in der die Vauern seines Vaterlandes leben? In jedem volkswirthschaftlichen Handbuch kann er es nachlesen, daß diese Hecken und diese Aecker nicht ihr eigen sind, daß sie den Pachtzins und die Stenern kaum erschwingen können, die ihnen die Großgrund­besizer und der Staat aufbürden, daß kaum in Irland die Bevölkerung von solchem Schweiß und schmußigem Elend trieft wie in dem Garten Europes. Ich bin zu Fuß durch dieses Land gereist und habe Felder gesehen, wo das Korn auf dem Balm und die Trauben am Stock verfaulten, weil die Pacht­bauern lieber unthätig hungern wollten, als feinen Ertrag aus ihrer Arbeit ernten; und Bürger dieses Landes, die hinter die Dinge zu sehen wissen, haben mir gesagt, daß dieses Bild der Verzweiflung fein seltenes sei.

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Wohl klingt es hinreißend, wenn ein Dichter ,, des Lachens der Philister mit großer Verach­tung bewußt"- den Willen zur That vor seinem Volke verherrlicht. Aber ist es That, wenn er nichts Anderes thut als jeder Philister und ütel berüch=" tigte Bourgeois? Auch dieser preist, wenn er des Sonntags spazieren geht, den Schimmer der länd lichen Hecken, weil er die Knechtschaft nicht sieht, die hinter der Blüthenpracht wuchert. Darf denn ein Dichter so sich selbst betrügen? Wie will er ,, die Schönheit, deren Mutter Italien ist", in seinent Volte wieder auferwecken, wie dem lateinischen Geist zum Heile der anderen Völker die Vorherr­schaft zurückgewinnen", so lange ties Volk noch in hißlichster Ohnmacht um ein nothdürftiges Dasein ringt? Es giebt kein Heil und keine Schönheit außerhalb des Ringens, worin ein Mensch, ge= badet in Freiheit, alle Kräfte seines ganzen Wesens hergiebt." Ist denn ein Arbeiter, der nur dem Wort nach kein Sklave ist, gebadet in Freiheit"? Und wenn in der Heimath des Dichters, in seiner engeren Heimath, wirklich noch freie Bauern auf eigenem Ackergrund ſizen sollten: weiß er nicht, daß jener Reichthum, dessen Herrschaft er vernichten will, ge­fräßiger als ein Naubthier ist, und daß in wenigen Jahrzehnten der Latifundien- Moloch auch sie ver= schlingen wird?! Wäre es da nicht heilsamer ge­wesen, den einfachen Männern, deren Geist noch zu unselbstständig, um dem Auprall gewaltiger Worte Stand zu halten, die Mahnung aus Herz zu legen: schließt Euch zusammen mit Euren städtischen Brüdern, sie arbeiten wie Ihr, sind Knechte des Neichthums wie Ihr, in ihren Zukunftsträumen lebt die be= freiende That! Und wäre es nicht geistesklarer, die Sträfte dieser Ginzelnen selbst völlig" dem Ge­meinwesen einzuordnen, als sie den Ordnungsgelüften einer Staste preiszugeben, deren langsames Sterben" der Dichter, mit grausamster Kühnheit" geschildert hat?

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Ich frage diesen Dichter: Sind es nicht einzig noch anbetungswürdige Dinge": der Winth der Be­drückten und die Hoffnung der Betrogenen?! Fürchtet er ihnen nicht Gewalt anzuthun", wenn er an einem Wochentage die Armen des Geistes von der Arbeit ruft und ihre zerschundenen Hände lobt?! Fürchtet er nicht, den unterirdischen Göttern zu verfallen," wenn er die Seelen der Hungernden mit einem Becher voll Wein berauscht, der nur ein Schlummertrunk für sie ist, um ränzt mit üppigen Sedeblumen?! Thun solches nicht des Sonntags auch die Priester, deren Herrschaft er brechen will?! Wahrlich, es wäre besser, er bliebe im Schatten des Lorbeers und der Myrthe" und schriebe Bücher, die Thaten sind. Dann wäre seine schöne Geberde uns von Weitem ein heroischer Weckruf fürs Leben", und sein Geist käme über uns, ob mit der Leucht­