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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
fraft belebender Träume, ob auf dem Umweg, lebensunwürdige Schwächen zu spiegeln. Niemand verdenkt es dem Dichter, wenn seine Wege nicht die der Menge sind; mengt er sich aber in ihren Lärm und strebt nach Macht auf dem Markte, so nehme er auch die Waffen zur Hand, die auf dem Markte zum Siege führen, und kämpfe für Ziele der Herrschaft, die Allen gemeinsame Freiheit verbürgen! Sonst wird nicht blos Platon, sondern das Leben selbst ihn verbannen aus jenem Staatsrath des Geistes, der die Geschichte der Menschheit lenkt. Es ist nicht mehr die Zeit, mit zweierlei Wirklichkeit schönzuthun; die Weltgeschichte geht nicht doppelt vor sich. Was dem Geiste recht ist, das ist dem Körper billig. Zu den Bedingungen des höchsten geistigen Daseins" gehört vor Allen der höchste Wohlstand des Leibes, und was der leibliche Arbeiter will, das mußten von je auch die geistigen wollen. Es hilft nichts, sich dagegen zu sperren. Mit allen Kräften müssen wir es wollen, ob nun auf einfamer, ob auf ge= meinsamer Bahn. Wir müssen es wollen selbst um den Preis, uralte Heiligthümer einzelner Stände der neuen Heilsthat für Alle zu opfern. Es ziemt von nun an, jedem Zwiespalt zwischen Denken und Thun ein Ende zu machen."
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So möchte ich dem Dichter ins Herz rufen, der so hinreißend zu reden weiß. Den Männern aber, zu denen er redete, möchte ich Folgendes sagen: Ihr Bauern eines fremden Landes, hört auch meine ,, wahrhaftige Rede"! Auch ich bin ein Dichter" und ,, rühme mich", für alles Leben ein Herz zu haben. Und Euer Leben ist mir nicht fremd; denn ich bin eines Försters Sohn und habe seit frühester Kind- heit gesehen, wie sich in Wald und Feld die Menschen plagen. Ich kenne die Tagelöhner, die schen und gebückt und mit verbissenem Ekel zur Arbeit gehen; ich kenne die Bauern, denen ihr Tagewerk ein Freuden wert ist, weil sie den eigenen Acker bestellen; und ich kenne auch die Bauern, die noch gebückter gehen als die Tagelöhner, weil sie sammt ihrem Acker unnüßen Wucherern dienstbar sind. Sie Alle arbeiten mit gleichem Fleiß, aber mit ungleichem Lohn, und deshalb ist„ Neid" zwischen den Menschen. Des halb kann ihre Seele nicht aufrichtig werden und ihr Geist nicht aufrecht, und Einer freut sich am lebel" des Anderen. Helft dieses ändern! Verhelft Jedwedem zu einen Eigenthum, Jedem nach seiner Kraft; macht alles Land zum Gemeinbesib, und Jeder empfange sein Nöthiges, als anvertrautes Ehrenpfand, womit er frei zum Ueberfluß schalten fann! Vertraut dem gemeinsamen Willen! Fürchtet nicht, daß Eure Hecken alsdann verdorren! Immer wird der Mensch die fruchtbare Erde bestellen müssen, und wird der Nachbar vom Nachbarn sich scheiden,
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und wird der Sohn die Hecke des Vaters pflegen. Sehr recht hat jener längst verstorbene Dichter Hesiod ", daß„ manches Mal die Hälfte mehr werth ist als das Ganze"; dies aber gilt nicht Denen, die garnichts haben. Denn jener längst verstorbene Ackersmann Perses", zu dem er diese Wahrheit sprach, war sein unehrlicher, habgieriger, verschwenderischer Bruder, mit dem er um sein väterliches Erbtheil prozessirte und es ist wenig angemessen, daß Euer dichtender Landsmann Euch diesem Bruder gleichsetzt. Fürchtet auch nicht, daß Ihr„ der Stimme Eures Blutes, der Seele Eures Stammes" durch solchen Willen zuwiderhandelt! Denn jenes tief= sinnige Fest der Grenzsteine", das Eure Urväter feierten, das eben stammte aus einer Zeit, als noch fein Einzelner Eigenland hatte. Damals entschied noch die Gaugemeinde über die Grenzen der Feldmark, und im Besitz der Geschlechtsgenossen war nur ihr Haus und ihr Viehstand; wenu Euer Dichter dies anders ausmalt, so kennt er die Geschichte seines eigenen Volkes nicht. Damals besaß fein Mensch mehr, als ihm zukam nach seiner Kraft. Damals lebte noch Jeder in Eintracht mit der Gewalt, die aller That und alles Willens Mutter ist: in Eintracht mit der Natur. Aber es war ein rohes Leben, roh wie das Leben der Thiere, und der Mensch hat den Willen zur Menschheit. So fam es, daß er mit der Mutter eine Tochter zeugte: sie heißt Kultur und Mutter und Tochter ge= riethen in Zwietracht. Denn um der Tochter willen
begann der Mensch dem gemeinsamen Mutterboden Gewalt anzuthun, und Bruder begann den Bruder zu knechten, und immer häßlicher wurde die Zwietracht. Und unter dieser Zwietracht leidet der Mensch, wie unter einer Blutschande; drum ward es der Wille der Menschheit, zurückzukehren aus Herz der Natur und Mutter und Tochter auszusöhnen und all ihre Kräfte einig zu machen. Wenn dem nach Euer Dichter Euch räth, vor einer Heilslehre Furcht zu haben, die ebenso alt wie jene schmähliche Zwietracht ist, so frevelt er wider den Willen der Menschheit, und seine That wird zur Unthat. Dies aber sage ich nicht, damit Ihr ihm mißtrauen sollt; denn seine Seele ist edel und glüht vom Willen zur That. Es ist ein guter Wille, wenn auch ein blinder. Neicht drum dem Dichter die Hände, und öffnet ihm die Augen für Eure Noth, daß ihn die krasse Wirklichkeit mit kaltem Schauer durchfährt, daß seine glühende Seele nicht zerschmilzt und ihm sein männlicher Wille" nicht vor die trägen Füße fällt"!
Dir aber endlich, Du mein deutscher Landsmann, Dichter wie ich, Dir rufe ich Dieses zu: Auch ich bin durch Venedig gegangen und habe den ,, immerwährenden unsichtbaren Dogen" erlebt. Aber ich fand ihn nicht im stickigen Lärm der Gassen und Kanäle; da fand ich nur die„ unsichtbaren Heiligen", und keine Heiligen des Geistes, sondern einer dumpfen Sinnlichkeit. Doch eines Nachmittags stieg ich auf den Glockenthurm, und in dem Augenblick, als ich hinauftrat und jenseits der Kuppeln des Markusdomes die sinkende Sonne über das Meer die sterbensfranke Farbenpracht herbststiller Wälder ausbreiten sah, und jenseits des Meeres die strahlenden Gipfel der istrischen Berge aufsteigen sah: in diesem Augenblick fing unten auf der Piazza die Militärkapelle zu spielen an: den Trauermarsch aus der Götter dämmerung " dämmerung" und Thränen überwältigten mich. Da sah ich ihn, den Geist des unsichtbaren Dogen; aber es war fein lebendiger Geist, es war ein Sputgeist traurigster Art, fein„ Herr" mehr des ge= flügelten Löwen. Nur den zu Einsamen erscheint er noch, nicht mehr der wimmelnden Menge dort unten, und einer hat ihn klarer geschaut als jener deutsche Dichter, der mit todsiecher Brust„ das Herz Venedigs durch die Stille bluten" hörte: Graf Strachwiz in den klagenden Terzinen: ,, Mich aber packt ein innerstes Erbeben, Seh ich um dieses wimmelnde Gewürme Die alte Pracht ihr fürstlich Haupt erheben. Wie dumpfer Vorwurf tönt der Mund der Thürme, Und von dem Meere durch des Löwen Mähne Ergeht ein Wehen längst verbrauster Stürme."
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Macht begehrt, daß Ihr die Stürme wieder entfeifelt Seht zu, Ihr Dichter, die Ihr eine bürgerliche in der Menge! Sie werden auch Euch die Flügel
entfalten! Es ist nicht mehr die Zeit, einsam zu träumen!
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Auf der Walze.
Aus den Papieren eines Fechtbruders. Von F. Riebeck. ( Fortsetzung.)
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ei der österreichischen Armee gefiel es mir nun so vortrefflich, daß ich mich am liebsten nicht mehr von ihr getrennt hätte. Aber ach! Meine Militärzeit ging zu Ende und die Abschiedsstunde schlug, bevor ich sie erwartet hatte.
Gegen ein Uhr Mittags wars, als wir nach dreistündigem Marsche zum zweiten Male Halt machten. Die Abtheilung bezog in einem großen Dorfe Bauernquartiere. Wir standen auf einem Gänseanger, am Rande eines schmutzigen Teiches, als die Quartierzettel vertheilt wurden. Ich sagte zu einem Soldaten, der ein Ausbund von Gutmüthigfeit war, daß ich mit ihm ins Quartier gehen wolle, und Anton Grizinger so hieß der Gute bereit, mich unter seinen Schuß zu nehmen. Da ertönte der Ruf des Riesen:„ Riebeck! Wo ist der Lump?"
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Ich trat vor, und als er mich erblickte, winkte er mit der Hand und bedeutete mir, an der Front der Abtheilung entlang zu gehen. Er ging hinter der Abtheilung entlang zu gehen. Er ging hinter
mir her und sagte:" Nun machst, daß Du fort„ Nun kommst! Ane Affenschand' für uns, so' ne Nummer mitzuschleppen! Und sag' den Sachsen , sie soll'n Dich aufhängen!"
Diese Worte ließen mich vermuthen, daß wir an der Grenze seien und ich nun ausgewiesen werde; doch es bot sich mir eine andere Ueberraschung. Hinter unserer Abtheilung standen etwa zwanzig Soldaten, die nicht zu uns gehörten. Sie trugen andere Uniformen, als die unseren, und ich hielt sie für Jäger. Vorher hatte ich sie nicht bemerkt, und ich wunderte mich, wo sie so plötzlich hergekommen waren. Abseits von der kleinen Truppe redete unser Offizier mit einem Korporal der Jäger und überreichte ihm ein blaues Büchlein und mehrere Papiere. Mit sicherem Blick erkannte ich, daß das meine Legitimationsschriften waren.
Der Niese schob mich zu den Jägern hin und redete sie folgendermaßen an:" Dös is a feiner Rekrut, den schenk i Euch! Wenn der in a Schmelzofen g'steckt und umgeschmolzen wird, giebts was Gediegenes!"
Die Jäger empfingen mich mit Gelächter; doch rührte sich keiner aus dem Gliede. Jezt kamen der Korporal und der Offizier an mich heran. Dieser lächelte freundlich und sagte:„ Gute Reise! Nun gehts nach Sachsen !" und der Korporal lud mich mit den Worten ein:„ Kommen Sie,' s geht schon los!"
Ein kurzer Kommandoruf; die Jäger machten eine Schwenkung und marschirten ab.
,, Adje, meine Herren!" rief ich meiner alten Abtheilung zu, während ich an der Seite des fremden Korporals von dannen zog.
Der Gruß blieb unerwidert; die Kriegsleute dachten jetzt nur an ihre Cuartiere, und mein Abschied war ihnen gleichgültig. Mir aber war zu Muthe, als schiede ich auf ewig von lieben Kameraden, und daß ich von ihnen in der Scheideminute keine Beachtung fand, that mir weh. Gern hätte ich den Anton Grizinger gesehen, mein Gruß wäre nicht unerwidert geblieben doch die Jäger hatten lange Beine und machten rasche Schritte, und mein Korporal drängte mich vorwärts.
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" Ist der Weg weit, den wir jetzt zu laufen haben?" fragte ich voll Besorgniß.
,, Keine Angst! Sie halten's schon noch aus," gab er freundlich zur Antwort.
Endlich wieder Einer, der mich nicht verächtlich mit Du" anredete.
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" Was geschieht denn an der Grenze mit mir?" fragte ich weiter.
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„ Garnichts! Sie sind dann frei und können machen, was Sie wollen."
" Ich wäre lieber hier geblieben! Bei den Lesterreichern muß man ja schrecklich laufen! So viele Meilen am Tage, das hält kein Teufel aus!"
„ Die Lesterreicher haltens schon aus; das sind stramme Soldaten," sagte er im Tone stolzen Selbstbewußtseins. Die Oesterreicher halten noch viel mehr aus."
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Er war ein angenehmer, lieber Mensch, dem nichts anhaftete von dem bekannten Tressendünkel. Unermüdlich und stets gleichmüthig gab er Bescheid auf meine vielen Fragen, ohne dabei gesprächig zu sein. Zuweilen, wenn unsere Unterhaltung ins Stocken gerieth, nahm er selbst das Wort und erzählte von seiner Vergangenheit. Er sei ein halber Preuße; seine Mutter stamme aus Leobschüß, und er habe vier Jahre in Preußen gearbeitet; zuerst in Magdeburg in einer Zuckerfabrik und dann in Berlin als Haushälter in einem Gasthause. Von dort sei er zum Militär gekommen. Mit seinen Untergebenen schien er freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten; er redete bald diesen, bald jenen Jäger an, und der gegenseitige Verkehrston kam mir zutraulich vor. Nu sind wir schon da!" " An der Grenze?"
„ Ja, dort ist die Grenze."
Wir waren kaum eine halbe Stunde gelaufen. Wenige Sekunden später gewahrte ich zwei öfterreichische Soldaten, die mitten auf dem Wege Posten standen, und bald darauf traten noch andere Soldaten aus dem Gebüsch hervor, das sich zu beiden Seiten des Weges befand. Bei unserer Annäherung grüßten