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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

sie vergnügt, doch ohne militärisches Zeremoniell, und Einer fragte meinen Korporal lachend, was er da für ein seltenes Thier mitbringe.

" Der spaziert jezt über die Grenze," sagte der Korporal und reichte mir die Hand.

" Lassen Sie sichs gut gehn und machen Sie drüben gute Geschäfte!" sprach er zu mir und ge= leitete mich einige Schritt bis mitten auf eine kleine Brücke, unter der ein Wässerlein dahinfloß. Na, nu laufen Sie!"

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Ich rief den Jägern ein lautes Adje!" zu, das vielſtimmige Erwiderung fand, dann wechselte ich noch einen Händedruck mit dem Korporal, und festen Fußes schritt ich als freier Mann hinein in das deutsche Vaterland.

,, Halt doch, halt!... Sie, Ihre Schriften!" Richtig, meine Schriften! Der Korporal stand auf der Brücke und schwenfte die Papiere in der Luft. Ich ging hin und nahm sie in Empfang.

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Ohne die Dinger würden Sie nicht weit gekonimen sein!"

Ich danke bestens! Lassen Sie sichs gut gehn und denken Sie manchmal an mich!"

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Wollen wir thun! Gute Verrichtung!"

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Leb' wohl, mein Desterreich! In der Seele wogte, als ich einsam des Weges weiter ging, ein seltsames Gemisch von Empfindungen Wehnth, Stolz, Angst, Lebenslust, Bangigkeit, Glückeshoff­nung und düsteres Verzagen. Von Sekunde zu Sekunde wechselten sie die Herrschaft, und bald wünschte ich mir den Tod, um bald darauf in seliger Kampfbegier und Siegesgewißheit einen Hopfer zu machen. Mir war, als ich so über die Grenze zweier Reiche ging, als hätte ich ein bedeutsames Lebens­schicksal hinter mir und als begänne nun ein neues Leben für mich als hätte ich Abenteuer über­standen und Erfahrungen gesammelt, die einzig in ihrer Art seien, und als hätte ich dadurch das An­recht erworben, als ein weitgereister" und somit auch als ein grundgescheidter Mensch zu gelten. Das Bewußtsein, im Auslande gewesen zu sein und Bekanntschaft mit der österreichischen Armee gemacht zu haben, erfüllte mich mit freudigem Stolz und ließ mich in Selbstbewunderung erschauern. Die Welt, aus der ich schied, erschien mir plöglich in romantisch- schönem Lichte; ich vergaß die Qualen und Unbilden, die ich erduldet hatte, und dachte nur an die Minuten der Luft an den Offizier und seine Zigarre, an die gemüthlichen Soldaten, an die Schwelgerei auf dem letzten Marsch, an den freundlichen Korporal und seine Jäger. Wenn ich dagegen an Sachsen dachte, an das Land, das ich schon kannte und das mir jetzt in der Vorstellung wie herzlose Prosa vorkam, verfinsterte sich mein Sinn und die Seele erzitterte im Vorgefühl kom­menden Unglücks... Die Kleider waren abgenußt und gingen aus den Näthen; die Stiefeln ohne Sohlen und so schief getreten, daß ich auf dem Seitenleder ging; die Füße wundgerieben und schon halb erfroren, und der Winter mit seinen Schrecknissen konnte jeden Tag aubrechen. Daß die Spätherbsttage so schön waren, mußte ich als besondere Gnade empfinden. Zurück! zurück!"

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Ein sächsischer oder preußischer Soldat schrie mir diese Worte zu und winkte abweisend mit der Hand. Er stand, die Flinte unter dem Arme, mitten auf der Straße, etwa dreißig Schritt von mir entfernt. Ich blieb verwundert stehen und wir sahen einander forschend an. Was sollte sein Zuruf bedeuten? Der Mann konnte mich doch unmöglich hindern wollen, auf einer öffentlichen Chaussee zu gehen. Nach kurzer Pause machte ich versuchsweise einige zaghafte Schritte nach vorwärts. Sogleich aber erscholl wieder sein Zurück!", und er legte beide Hände an die Flinte, als sei er entschlossen, mich niederzuschießen, falls ich noch einen Schritt näher käme.

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Ich muß doch hier gehen können!" rief ich. Die Grenze ist gesperrt; hier darf kein Mensch durch!" gab er zur Antwort.

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grob.

,, Machen Sie, daß Sie fortkommen!" schrie er " Dieser Weg ist gesperrt!" , Welchen Weg soll ich denn gehen?"

oder eine Grenztafel war nirgends zu erblicken. Ich wich zurück, bis ich seinen Augen entschwunden war und überlegte, was zu thun sei. Das war

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" Das geht mich nichts an! Aber fort, sonst ja die richtige Mausesalle, in die ich getrieben worden fnalle ich Sie über den Haufen!" war. Ueberall ein Draht, und das ist schad! Ueberall ,, Na, meinetwegen", dachte ich. ,, Da gehe ich ein Gitter, und das ist bitter!" wie es so er= einfach zu meinen Oesterreichern zurück." greifend traurig vom gefangenen Mäuschen im Kinderliede heißt.

Die Brücke, hinter der die Oesterreicher standen, war ungefähr anderthalbhundert Schritt entfernt. Als ich ihr nahe fam, traf mich abermals ein Donner­wort." Zurück! Hier darf Kaner drüber!" schrie einer der Jäger, mit denen ich in diese verherte Gegend spaziert war.

Die Sachsen lassen mich nicht durch!" klagte ich ihm. Sie sagen, die Grenze wäre gesperrt." ,, Hier is die Grenze a g'sperrt!"

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Jezt erschienen noch mehrere Jäger auf der Brücke, darunter der Korporal. Ich wollte auf ihn zuteilen, doch Alle erhoben plötzlich ein mörderliches Ge chrei des Juhaltes, daß ich nicht nahe kommen solle, da soust geschossen werde. Nach einer solchen Drohung blieb mir nichts übrig, als aus der Ferne mit ihnen zu verhandeln. Ich berichtete dem Kor­roral über meine Begegnung mit dem sächsischen Grenzposten und bat ihn, mir einen anderen Weg über die Grenze zu zeigen.

" Für Sie giebts feinen anderen Weg!" er­widerte er.

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Aber wenn mich die Sachsen nicht durchlassen!" ,, Dafür können wir nicht. Sie sind ausgewiesen, und Sie dürfen nicht mehr nach Lesterreich herein." und Sie dürfen nicht mehr nach Desterreich herein."

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Wie können Sie mich denn ausweisen, wenn Sie wissen, daß die Sachsen die Grenze gesperrt halten!" " Was geht das mich an! Sie gehören zum deutschen Reich, und die Sachsen müssen Sie durchlassen!"

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Sie thuns doch nicht! schieße mich todt, wenn ich

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Der Posten sagt, er ihm zu nahe komme." Dafür fann ich nicht! Hier werden Sie auch todtgeschossen, wenn Sie auf die Brücke kommen. Von hier aus darf Jeder drüber, aber zurück darf er nicht. Das ist Befehl."

Alles Bitten half nichts; der Korporal zog sich zurück hinter das Buschwerk, das am Wege wucherte, und der auf der Brücke zurückgebliebene Posten deutete mir durch Winke und Geberden an, daß ich mich entfernen solle. Unschlüssig und unmuthig ging ich zurück. Ich überlegte, ob es gerathen sei, quer über die Felder zu gehen und irgend einen Schleichweg aufzusuchen, auf dem ich nach Sachsen oder zurück nach Desterreich gelangen könne; allein ich vermuthete, daß die Grenze überall durch Militär besetzt sei, und außerdem wäre ich ja von den auf der Straße postirten Soldaten ge ehen worden. Der Teufel traue den Flinten der Wachtposten!

Der Weg war ungerade, und zu beiden Seiten befand sich ästereiches Baumwerk, so daß ich den sächsischen Posten erst wieder sehen konnte, als ich ihm auf Sprechweite nahe gekommen war.

,, Zurück!" schrie er abermals, und diesmal legte er sofort beide Hände an die Flinte. Hörst Du nicht, daß hier kein Weg geht?"

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Jetzt duzte mich der Grobian sogar. Fahr' ihm der Geier ins Genick! Aus heiligem Respekt vor seiner Flinte hemmte ich sogleich den Fuß.

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Aber heraus muß ich! Ich müßte ja soust während der Nacht auf diesem vom Satan geseg= neten Fled Erde erfrieren! Unter freiem Sternen himmel würde ich zwar auch übernachten müssen, wenn ich bei Zeiten aus der Mausefalle heraus­käme; doch ich könnte mich dann wenigstens bewegen könnte laufen und so dem Froste Troz bieten. Hier aber durfte ich mich nur wie ein Streisel unt mich selbst drehen; denn wenn ich zu laufen begänne, käme ich überall den Flintenläufen zu nahe.

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Ein Gedanke! Ich warte, bis der Posten ab­gelöst wird denn ewig wird er doch nicht dort stehen bleiben und dann wende ich mich an den Unteroffizier oder den Gefreiten, der die Wache au­führt. führt. Dieser muß Rath schaffen. Ein anderes Mittel weiß ich nicht..

Ich wählte eine Stelle, von der aus ich den sächsischen Posten sehen konnte, und setzte mich hinter einen Baum. Er bemerkte mich sogleich und beob achtete mich mit strengem, mißtrauischem Blick, ver­hielt sich aber ruhig. Da er mich sizen ließ, nahm ich an, daß ich mich nicht im deutschen Reiche, sondern im österreichischen Kaiserstaate besand. Ich war doch aber aus Desterreich ausgewiesen! Wes­halb duldeten mich da die Oesterreicher in ihrem Lande? Oder sollte der Boden unter mir neutral sein? Ich konnte das nicht ergründen; hingegen erfuhr ich bald, daß er recht falt war und das Rasten auf ihm für die Dauer fein Vergnügen sei. Ich erhob mich, und aus Langerweile spazierte ich ein wenig auf die Brücke zu, in der leisen Hoffnung, mit meinen dortigen Freunden einen Gruß aus­tauschen zu können. Aber ach! Die Herren waren, seitdem sie mich verstoßen hatten, rauhhaarig gegen mich geworden und wollten nichts mehr von mir wissen. Schon aus beträchtlicher Entfernung winfte mir der wachthabende Flintenmann energisch ab, so daß ich es für gut hielt, mich nicht mehr mit ihm einzulassen. einzulassen. Ich wandte mich wieder dem theuren deutschen Vaterlande zu, bis ich die heimathlich traute Pickelhaube funkeln sah; dann ließ ich mich abermals am Grabenrande nieder, zählte zum Zeit­vertreib die Straßenbäume und die Raben, die über den Weg flogen, und machte darauf eine neue Pro­menade durch mein neutrales Reich. Es umfaßte neun Bäume, und ich legte, da ich nichts Dümmeres zu thun wußte, jedem der Bäume einen Namen bei. Das waren die nenn Hauptstädte meines im Kriegs­zustande befindlichen Landes; wagte ich mich über die äußeren Städte hinaus, so wurde ich vom Feinde bedroht auf der einen Seite von den Türken, auf der anderen von den Hottentotten. Als ich wieder einmal in der Grenzstadt Friedrichsburg weilte, die zugleich meine Residenzstadt war, sah ich, daß die Hottentotten einen zweiten Posten vorgeschoben hatten. Der Neuling stand etwa fünfzig Schritt hinter meinem Erzfeinde, der mich, so oft ich nach

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Wieder kam er mir drohend näher, und noch Friedrichsburg fam, fortwährend lauernd betrachtete. mals erscholl sein Zurück!"

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Was soll ich denn anfangen?" fragte ich ihn. Zurückgehn sollste, woher Du gekommen bist, verfluchter Lump!"

,, Das Schimpfen ist überflüssig!" rief ich empört. " Ich will, daß Sie mich bei Ihrem Offizier oder Unteroffizier melden, wenn er kommt, oder wenn Sie abgelöst werden. Die Desterreicher haben mich ausgewiesen und lassen mich nicht über die Brücke ausgewiesen und lassen mich nicht über die Brücke zurück."

Er ließ mich kaum ausreden, sondern drohte mir aufs Neue mit Erschießen, wenn ich nicht mache, daß ich von sächsischem Boden herunterkomme. Gegen Er kam mir ein wenig näher und forderte mich diese Antwort gab es feinen stichhaltigen Einwand, nochmals auf, zurückzugehen. und so suchte ich mich durch das Sprüchwort zu trösten, laut welchem der Kluge nachgiebt.

Ich kann nicht!" sagte ich trozig. Die Defter reicher haben mich nach Sachsen ausgewiesen, weil ich ein Preuße bin!"

Wie fonnte ich wissen, wo der sächsische Boden aufhörte und der böhmische begann! Ein Grenzpfahl

Vielleicht war Jener schon längst zur Stelle gewesen, und ich hatte ihn nur vorher nicht bemerkt.

Trotz der reichen Unterhaltung, die ich mir da­durch verschaffte, daß ich mit närrischer Phantasie ein richtiges Königreich gründete, in dem ich als absoluter Herrscher regierte, war das Warten lang= weilig und die Ungewißheit, in der ich schwebte, beängstigend. Sollte denn der Posten gar nicht abgelöst, werden? Nach meiner Berechnung wartete ich schon zwei bis drei Stunden auf dieses sür mich hochwichtige Ereigniß. Die Sonne neigte sich bereits ganz bedenklich dem Untergange zu. Daß der arme Schlucker nicht müde wurde, oder gar den Verstand verlor bei dem ewigen Herüber und Hinübergehen von einem Straßenrande zum anderen!...

Noch unzählige Male bereiste ich mein König­reich und besichtigte genau meine Städte, als endlich -o Frohlocken! die Ablösung anmarschirt kam.

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