Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Ich eilte nach Friedrichsburg, um von dort aus meinen Plan ins Werf zu setzen. Jezt war der große Augenblick zum Handeln gekommen. Drei Mann kamen schallenden Trittes daher gestampt; vorn Einer, hinten Zwei. Der Brobian stellte sich in Positur; auf ein Kommando präsentirten alle Vier das Gewehr; darauf trat der neue Bosten vor und der alte hüpfte hinter seinen Erlöser. Kühnen Fußes ging ich auf die Gruppe zu und verlangte, durch­gelassen zu werden. Sogleich nahmen alle vier Mann eine so drohende Haltung gegen mich ein, als wollten sie mir mit Gott für König und Vaterland eine Feldschlacht liefern. Fort!" befahl mir der Posten führer, hier herein dürfen Sie nicht!"

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,, Ich bin aber ein Deutscher und bin von drüben ausgewiesen worden!" rief ich. Die Oesterreicher haben mich über die Brücke gebracht und lassen mich nicht mehr zurück! Wenn ich hinkomme, legen sie die Gewehre auf mich an."

Der abgelöfte Posten erstattete dem Führer die Meldung, daß ich schon wiederholt versucht habe, durchzubringen und mich bereits seit Stunden auf der Straße aufhalte. Schweigend hörte der Führer ein Gefreiter zu und machte dabei ein rath­loses Gesicht. Ich suchte ihm aufs Neue klar zu machen, daß Deutschland   verpflichtet sei, mich auf­zunehmen; er aber schüttelte schließlich den Kopf und sagte kurz: Das geht wieder die Jnstruktion!"

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Er wandte sich ab, kommandirte ,, Kehrt marsch!" und tripp, trapp, zogen sie ab.

" Ich will mit!" schrie ich und wollte ihnen nach­eilen; doch der neue Posten trat mir entgegen und drängte mich mit dem Gewehrkolben zurück. Fort, fort, es hilft Alles nichts!" sprach er. Wir können's nicht ändern."

" So melden Sie doch, daß ich da bin!" rief ich den abmarschirenden Soldaten mit voller Lungen­kraft nach.

Sie hörten nicht auf mein Schreien; ohne sich umzublicken, schritten sie hinein in die abendliche Dämmerung.

war es nicht, denn er trng weder Gewehr noch Mantel. Ich sah an seinem rothen Kragen die Gefreitenknöpfe funkeln.

" Was is denn?" begann er, als ich vor ihm stand und ihm in das runde, fleischwangige, offene Dörflergesicht blickte.

Ich will fort von hier," sprach ich. Den ganzen Nachmittag schon steh' ich da und kann nicht von der Stelle."

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Der Unteroff'zier will wissen, was is!"

Mit eifrigen Worten berichtete ich ihm über das himmelschreiende Unrecht, an dem ich litt, und ver langte, daß mir, als Deutschem, der Weg ins deutsche Reich freigegeben werde. Das ist ja der reine Mord, der an mir verübt wird!" schloß ich in heiliger Entrüstung.

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Er hatte mir schweigend und mit sichtlicher Spannung zugehört, und ich wartete nun begierig auf seine Antwort. Zunächst wiegte er bedenklich den Kopf, dann sagte er: Es wird schwer halten, Sie werden nich durchkommen."

Warum nicht?" Seine Worte flößten mir ein gelindes Entsetzen ein.

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Es geht streng zu!" fuhr er fort. Gestern wollte ein Fleischer aus Schandau  , der in Geschäften drüben war, hier durchkommen, und er hat nicht gedurft... er hat auch zurück gemußt. Müssen Sie denn hier gehen? Es giebt ja sonst noch Wege. Da weiter hinauf is die Grenze frei."

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Ich will ja einen anderen Weg gehn; aber ich sage Ihnen ja: die Desterreicher lassen mich nicht zurück. Sobald ich dort der Brücke zu nahe komme, wollen sie schon schießen!"

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Die Oesterreicher sein Schweinehunde, aber so leicht schießen thun sie nicht," entgegnete er. Gehn Sie nur dreist hin; sie werden Sie schon durchlaffen."

,, Nein, sie thuns nicht! Kommen Sie doch mit und überzeugen Sie sich! Die Desterreicher haben mich ja ausgewiesen, weil ich feinen Auslandspaß habe."

,, Sie haben ja den Fleischer auch durchlassen

Gehn Sie fort!" sagte der Posten in rauhem müssen!" Tone.

Tief entrüstet über meine beiden Nachbarreiche und die wahuwißigen Instruktionen, die sie ihren Grenzsoldaten ertheilt hatten, ging ich zurück in das Bereich meiner Städte. Der lang und bang erwartete Entscheidungskampf war für mich verloren; alle meine Weisheit war erschöpft, und mir blieb nichts übrig, als in Geduld das Erlöschen der Rinderpest ab= zuwarten oder, wenn mir die Zeit zu lang werden sollte, ins Gras zu beißen.

Wieder besuchte ich meine Städte und wieder blickte ich sinnend den Raben nach, die Tags über drüben in den sächsischen Dörfern dem Fraße nach­gegangen waren und nun am scheidenden Tage still. heimflogen in die böhmischen Wälder. Für dieses geflügelte Räuberpack gab es keine Reichsgrenzen; nach ihnen schielte und zielte kein Posten, und sie 30gen in stummer Verachtung über das tief unter ihnen liegende Narrenland hinweg. Ich Unseliger nur, dem feine Flügel gewachsen waren, obgleich ich in meiner Kindheit fest darauf gerechnet hatte, stand hier wie ein gefangenes Raubthier... Wie ein Ranbthier? Die Sachsen   mußten mich wohl in ihrer Helligkeit zu einer anderen Klasse der Zoologie rechnen, denn sie fürchteten, ich könne ihnen die Rinderpest in ihr dreieckiges Königreich einschleppen.

Die Sonne war prunklos in starrgrauen Nebel­massen versunken, ohne einen einzigen verklärenden Abschiedsstrahl zurückzusenden; die Himmelskuppel schimmerte smaragdgrün in jenem unbestimmten Lichte, das weder Tag noch Nacht bedeutet. Die letzten Raben waren längst dahin, und rings auf den Feldern machte sich ein wunderzarter weißer Nebelflor be­merklich. Mir schauerten die Gebeine vor Kälte.

Ich war im Begriff, mir mit dem Messer ein Denkmal in einen jungen Baumstamm zu schneiden, als ich einen Ruf vernahm. Dort an der West­grenze meines Reiches stand ein Soldat und richtete seine Blicke auf mich. Heda!" rief er, als er sah, daß ich ihn bemerkt hatte.

Gin Retter!" flang es in mir, und aller Freuden voll rannte ich auf ihn zu. Der Posten

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,, Mich aber lassen sie nicht durch! Bitte, kommen Sie mit; Sie sollen sehen, daß ich recht habe!"

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Sie sein Schweinehunde," wiederholte er. Aber bei uns werden Sie auch nicht durchgelassen. Denken Sie doch wenn selbst ein Fleischer aus Schandau  nich herüber darf!"

Aber, was soll ich denn in der Nacht hier anfangen? Wenn ich wenigstens warme Kleider hätte! Oder ein paar Decken, damit ich mich ein­hüllen und schlafen kann!... Decken müssen Sie mir herschicken, wenn ich nicht hinüber darf. Und Abendessen!"

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" Ja,' s is traurig!" sagte er lächelnd. Viel­leicht meldet's der Unteroff'zier dem Herrn Lieut'nant."

( Fortsetzung folgt.)

Post festum.

Ein Erinnerungsblatt. Don Detlev Roberty. ( Zu unserem Bilde.)

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or wenig Monden durfte die freie Republik der Schweiz   den siebzigsten Geburtstag eines Herrschers feiern, wie sie seines Gleichen so bald nicht wiedersehen wird. Die freie Schweiz  so bald nicht wiedersehen wird. Die freie Schweiz  und einen Herrscher ehren? Je nun, es ist kein Potentat auf goldenem, sichtbarlichem Throne, denn einem solchen würde der Stolz des freien Schweizers sich nicht beugen, und doch ein Herrscher, aber einer anderen Welt, ein Herr und Mächtiger im Reiche des Geistes, im Reiche der Kunst- Arnold Böcklin  .

Und ihm wollen, ihm dürfen auch wir deutsche Kämpfer für eine neue Welt, die deutschen Prole­tarier, die Huldigung nicht versagen.

Freilich, noch sind ihrer nicht Viele, die den Meister kennen, die wissen, warum eigentlich sie ihn ehren sollen; allein, so sicher die Kulturerrungen­schaften der Vergangenheit, der Gegenwart dereirast das Erbe des gesammten Volkes werden müssen, so sicher wird auch Arnold Böcklin   und seine Werke dereinst Gemeingut Aller, Gemeingut auch des heute

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noch von so unendlich vielen Gütern, der Kunst vor Allem, ausgeschlossenen, arbeitenden Volkes sein.

Doch glauben wir nicht, daß diese Güter uns darum auch gleich als reife Früchte in den Schooß fallen werden; nein.

Wenn es ein Gebiet menschlichen Schaffens giebt, das erst errungen, erst erobert sein will, so ist es das Gebiet der Kunst. Und von keinem anderen gilt so sehr das göthliche Wort:

Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen.

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Also: Wer ist Arnold Böcklin  ?

Heute der größte deutsche Maler unseres aus­gehenden neunzehnten Jahrhunderts, vor siebzig Jahren nichts als der unbedeutende Sohn eines Baseler   Bürgers und Kaufmanns, wie hundert und tausend Andere auch.

Aber sobald das Kind zum Jüngling heran­gewachsen, erwachte in ihm auch bereits der Trieb zu künstlerischem Schaffen, und so bezog Böcklin  , nachdem er sich die wissenschaftlichen Kenntnisse des Gymnasiums angeeignet, im Jahre 1846 als Neun­zehnjähriger die damals vielberühmte Akademie in Düsseldorf  .

Freilich hielt es ihn hier nicht allzu lange. Auf den Rath des eigenen Lehrers, des bekannten Land­schaftsmalers Schirmer, wandte er sich zwei Jahre später nach der alten Kunststadt Brüssel, wo er, die Niederländer des siebzehnten Jahrhunderts studirend, so recht aus dem Vollen, aus der Quelle der Kunst zu schöpfen in der Lage war. Darnach finden wir ihn im tollen Jahre 1848 in Paris  , wo er die Kunstschäße des Louvre kennen lernte, und nachdem er in der Heimath als schweizer Soldat seiner Dienst­pflicht genügt hatte, 1850 endlich im Lande seiner Sehnsucht Italien  .

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Was dieses Land für Böcklin   und seine Kunst bedeutet, wollen wir weiter unten sehen, und vorerst dem Meister nur flüchtig auf seinem ferueren Lebens­wege folgen.

Glücklich gestaltete sich dieser unter dem reinen Blau des südlichen Himmels zunächst nur insofern, als Böcklin in einer bildschönen Italienerin, Auge­lina Pascucci, das Weib seiner Wahl, das Weib seines Herzens fand, das ihm noch heute, im Greisen­haar, als treue Lebensgefährtin zur Seite steht.

Lohn und Anerkennung waren ihm dagegen damals noch versagt und des Lebens Noth und Sorge seine ständigen Begleiterinnen.

Und auch in München  , wohin er im Jahre 1856 übersiedelte, wäre in dieser Beziehung kein Umschwung eingetreten, wenn nicht der bekannte Dichter und Kunstfreund, Graf Schack  , sich seiner angenommen und ihm allerlei Aufträge ertheilt hätte, die ihn doch wenigstens sein tägliches Brot finden ließen.

Auf den Münchener   Aufenthalt folgt alsdann ein zweijähriges Wirken als Lehrer an der Weimarer Kunstakademie, wo neben ihm damals der größte Portraitmaler unserer Zeit, Franz von Lenbach  , und der Berliner   Bildhauer Reinhold Begas   thätig waren. Daß es Böcklin   in der thüringischen Musenstadt an der Ilm   nicht länger als zwei Jahre aushielt, wird man begreiflich finden, wenn man weiß, mit welch vollen Zügen der Künstler die italische Luft und Sonne eingesogen hatte, wie sehr er in der Farben- pracht der südlichen Landschaft schwelgte, die seine eigentliche Heimath, der Nährboden seiner Phantasie und Gestaltungskraft war und auch für die Zukunft bleiben sollte.

So sehen wir Böcklin   denn auch im Jahre 1861 aufs Neue jenseits der Berge im sonnigen Italien  , das er bis nach dem Bella Napoli und den Trümmern der alten Römerstadt Pompeji   hin durchstreifte und dem er 1866 wohl nicht schon wieder den Rücken gewandt hätte, wäre ihm damals nicht von seiner Vaterstadt der Auftrag geworden, das Treppenhaus des Baseler Museums mit den Gebilden seiner Phan­tasie zu schmücken.

Diese Arbeit aber nahm den Künstler volle fünf Jahre in Anspruch, und erst nach weiteren drei, die er in München   zubrachte, war es ihm möglich, wieder nach dem Süden zurückzukehren, wo er sich in Florenz  ,