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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

der lieblichen Stadt der Blumen, nunmehr für neun Jahre niederließ.

Und Italien ist, wenn man von einem noch maligen längeren Aufenthalt in der Schwei ;( 1885) bis 1892) absieht, auch bis auf den heutigen Tag des Künstlers zweite Heimath geblieben. Hier ist die Mehrzahl der herrlichen Werke des Meisters entstanden, hier schafft er auch heute noch in un­unterbrochener Folge aus seinem innigen Verkehr mit der Natur heraus neue Gebilde seiner schier unerschöpflichen Phantasie. Damit haben wir aber auch gleich die letzten Wurzeln seiner Kraft, die unverfiegbaren Quellen seiner künstlerischen Persön lichkeit genannt: eben Natur und Phantasie.

Was man auch sonst zur Charakterisirung eines großen Landschafters sagen mag, wie, daß er die Natur beherrsche, daß er aufs Junigste mit ihr ver­traut, daß er ihre intimsten Reize empfunden und erlauscht habe, für Böcklin reichen derartige Be­zeichnungen doch kaum aus.

Denn mehr als dies Alles hat er die Natur gleichsam in sich aufgenommen, um aus der Tiefe feines Geistes heraus sie neu zu gestalten, die wieder­geborene mit seiner Seele zu beleben.

So kommt es denn auch, daß wir vor so manchem seiner Gemälde verwundert fragen, wo und ob es denn überhaupt eine solche Landschaft gebe, und daß wir auf der anderen Seite doch unwillkürlich empfinden: das, was wir da vor uns sehen, ist ein Stück Natur.

Vielen mag zur Erklärung dessen ja wohl die wenig bekannte Thatsache genügen, daß Böcklin nicht gleich den meisten Anderen im Freien nach der Natur selbst arbeitet, sondern daß er seine Bilder, wie man zu sagen pflegt, aus dem Kopfe", aus der Erinnerung ntalt.

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Und doch ist diese Erklärung fein zureichender Grund für die Eigenart Böcklinscher Kunst. Es bleibt trotz alledem für uns noch ein unauflösbarer Nest bestehen; aber dieser ist eben das lezte Geheimniß jedes künstlerischen Schaffens überhaupt. Dasselbe aber, was für die Landschaften des großen Meisters gilt, gilt auch für die von einem unendlichen Phan­tasiereichthum zeugenden Gestalten und Fabelwesen, mit denen er sie belebt. Die so häufig bei ihm wiederkehrenden Tritonen und Nereiden hat er gewiß nirgends aus den schäumenden Wogen des mittel­ländischen Meeres auftauchen sehen, die Wald- und Bergbewohner, wie Gentauren, Pane, Faune, sind ihm im Leben nie begegnet, und doch, auf seinen Bildern erscheinen sie uns nicht wunderbar, im Gegentheil fast selbstverständlich.

Es ist uns, als seien sie, gleich den Bäumen, aus dem Erdboden selbst hervorgewachsen, als müßte es in dieser oder jener Landschaft solche und gerade nur solche Fabelwesen geben. So erscheinen So erscheinen uns auch die Götter und Göttinnen des Meisters, die er nicht in die Natur hineinseßt, sondern aus ihr heraus entwickelt, so ganz anders als die Bilder, die z. B. die griechische Kunst uns von ihnen über­liefert hat. Sie sind bei Böcklin , ich möchte fast sagen: weniger zivilisirt, ursprünglicher; es haftet ihnen stets etwas von dem Element an, mit dem sie die naive Volksphantasie dereinst in Verbindung brachte.

Und nun das Hauptmittel, durch das der Meister bei allen seinen Werken die Stimmung, die er jeweils in der Natur erblickte und auf die Leinwand bannte, uns, dem Beschauer, gleichsam aufzwingt.

Es ist die Farbe.

Mag er nun die in ihrer Mannigfaltigkeit schier unendliche See uns schildern, wie sie in wilden, schaumgekrönten Wogen hoch sich aufbäumt oder gleich einem stillen Spiegel sich wie todt ins Weite dehnt, mag er die geheimnißvolle Stille uralter heiliger Haine wiedergeben, oder die unter glühender Sonnenhige verschmachtende, öde Landschaft, das sanfte, weiche Blau des Frühlingshimmels, oder die Nacht mit ihren finsteren, vom Sturm getriebenen Wolfenzügen malen, überall weiß er die Farben­nuan en, die Töne zu finden, die die von ihm beabsichtigte Stimmung in uns auslösen müssen.

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Wie für Böcklin die Farbe so das Hauptmittel seiner Darstellung, das Geheimniß seiner tiefgehenden

Wirkung bildet, so war sie ihm aber auch zugleich innerstes Bedürfniß, und weil er sie nirgends in solcher Fülle, so intensiv, so glänzend finden konnte wie im Süden, darnm mußte Italien zur eigentlichen Heimath seiner Künstlerseele werden.

Ihr hat er, wie ein flüchtiger Blick auf die fast übergroße Zahl seiner Arbeiten lehrt, die meisten seiner Motive, seiner Gegenstände entnommen, und es bliebe nur noch die Frage übrig, welcher Art waren diese, was hat er gemalt.

Einfacher freilich wäre es, statt dessen zu fragen, was hat er nicht gemalt, welche Gebiete des Lebens gäbe es, die er dem Reiche seiner Kunst nicht ein­verleibt, um alle mit der gleichen Souveränität zu beherrschen.

Welchen Empfindungen, welchen Leidenschaften der Menschenseele hat er nicht Ausdruck verliehen, welche Farben der Natur giebt es, die er nicht auf seiner Palette gehabt, welche ihrer Stimmungen, die er nicht im Bilde festgehalten?

Bald sind es die Wunder des unendlichen Meeres, das er mit seinen idyllischen Wellenspielen, das er in seiner tobenden Brandung vor uns entrollt, bald das Schweigen im Walde, das in Gestalt einer Jungfrau auf sagenhaftem Einhorn den dunklen Tann durch­streift. Und neben, in finſtrer Nacht zum hohen Himmel aufragenden Palästen erblicken wir wieder liebliche grüne Auen, auf denen lächelnde Schönen sich im Ringelreihen ergehen.

Hier malt er uns das junge Sommersonnenglück zweier Liebenden, dort einen Mörder, dem am Wege die Nachegöttinnen auflauern; hier den armseligen Büßer, der sich vorm Kreuze seines Heilands blutig schlägt, dort, hoch über der Erde, in lichten Wolken thronend, die Göttin der Freiheit.

Und überall und in Allem ist Arnold Böcklin doch auch wieder Derselbe, derselbe große Künstler des Lebens, der Meister, der über die Wechsel und Zufälle des Schicksals erhaben ist, derselbe Riese, der aus der uralten Mutter Erde stets neue Kraft und Stärke schöpft, der Ewig- Junge, Lebensfreudige, dessen ganzes Sein und Wesen ausklingt in dem schönen Hymnus Karl Henckells auf den Meister, der da lautet:

Fluth und Fülle will ich preisen, Spiel und Ürkraft der Natur, Weltgelächter und der leisen Einsamkeiten Einhornspur, Wipfelwehn und Fabelweisen, Wahr dem Ewig- Jungen nur.

Aus dem Papierkorb der Beit.

Feine Gerechtigkeit. Einst lebte ein König Heraklius , der unter anderen Tugenden, die er besaß, auch sehr ge recht war und weder durch Bitten noch durch Geschenke sich bewegen ließ, die Gerechtigkeit nicht an jedem Ort und zu jeder Zeit zu üben. Nun begab es sich aber einmal, daß einige Leute bei ihm einen Ritter wegen der Ermordung eines anderen Ritters verklagten, und zwar auf folgende Weise: Beide zogen zu einem Kriege aus, und es war nicht zu einem Stampfe gekommen; gleich­wohl ist der eine Ritter ohne den anderen zurückgekommen, und deshalb sagen wir, daß er den anderen unterwegs erschlagen hat. Wie dies der König hörte, fällte er das Urtheil, der Ritter solle zum Tode geführt werden. Wie man ihn aber fortschleppte, sah man den anderen Ritter kommen, wegen dessen Jener zum Tode verurtheilt worden war, und zwar durchaus nicht verlegt, weshalb man Beide wieder vor den Richter führte. Der Richter aber sprach zornig zu dem ersten Ritter:" Ich befahl, daß Du getödtet wirst, weil Du bereits verurtheilt warst;" und zu dem zweiten sagte er dasselbe, weil er die Ur­sache des Todes von Jenem sei, und zu dem dritten sprach

er:

Auch Du mußt sterben, weil Du geschickt wurdest, den Ritter zu tödten und es nicht gethan hast."

Titus herrschte im römischen Reiche und gab ein Gesez, daß der Geburtstag seines Erstgeborenen von Allen heilig gehalten werden sollte und daß, wer diesen Ehren­tag seines Sohnes durch eine niedrige Arbeit beflecken: würde, des Todes sterben müßte. Als er dieses Gesetz hatte bekannt machen lassen, rief er seinen Meister Virgilius zu sich und sprach:" Mein Lieber, ich habe zwar ein solches Gesetz gegeben, allein dem ohngeachtet können doch oft im Geheimen Vergehen begangen werden, zu deren Kenntniß ich nicht gelangen kann. Wir bitten Dich also, daß Du vermöge deiner Weisheit ein Mittel findest, durch welches ich Tie enigen erfennen fann, welche gegen das Gesez fehlen." Jener aber sprach:" Herr, Tein Wille geschehe." Alsbald ließ Virgilius mitten in der

Stadt durch seine Zauberkünfte eine Bidsäule entstehen, welche den Kaiser alle au jenem Tage heim.ich begangenen Sünden sehen ließ, und also wurden auf die Auslage dieses Standbildes unendlich viel Menschen verurtheilt. Nun gab es aber in der Stadt einen gewissen Hand­werksmann, Namens Focus, der an jenem Tage wie an den übrigen arbeitete. Als er aber einstmals auf seinem Lager hingestreckt lag, dachte er bei sich darüber nach, wie so viele Menschen durch die Anklage jener Bildsäule ums Leben kamen. Frühe nun stand er auf und begab sich zur Bildsäule und sprach also zu ihr: O du Bid­säule du, viele Menschen werden auf deine Anklage hin gerichtet! Ich gelobe aber meinem Gotte, daß, so du mich verklagen wirst, ich dein Haupt zerbrechen werde." Als er so gesprochen hatte, machte er sich wieder nach seinem Hause auf den Weg. In der ersten Stunde aber schickte der Kaiser nach seiner Gewohnheit seine Boten zu der Bildsäule, um sie zu befragen, ob Jemand gegen das Gesetz gethan hatte. Wie die aber zu der Bildjän e gekommen waren und ihr den Willen des Kaisers hinter­bracht hatten, sprach diese:" Ihr lieben Leute, hebet Eure Augen auf und sehet, was auf meiner Stirn geschrieben steht." Wie Jene aber ihre Augen erhoben hatten, er­blickten sie auf ihrer Stiru ganz deutlich folgende drei Sätze: Die Zeiten ändern sich."

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Die Menschen werden immer schlimmer."

" Wer die Wahrheit sagen wird, wird seinen Kopf gebrochen sehen."

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Gehet hin und meldet Eurem Herrn, was Ihr ge­sehen und gelesen habt." Also machten sich die Boten auf und hinterbrachten ihrem Herrn Alles. Als das der Kaiser gehört hatte, gebot er seinen Soldaten, sich zu waffnen und nach der Bildsäule zu gehen, und so gegen sein Geheiß irgend Jemand etwas wider dieselbe vornähme, sollten sie ihn gefesselt an Händen und Füßen vor ihn führen. Die Soldaten also begaben sich zu jener Bildsäule und sprachen zu ihr:" Es gefällt dem Kaiser also, daß du ihm Diejenigen anzeigest, welche gegen das Gesez gethan haben, und so auch, wer Die waren, welche dich bedrohten." Da sprach die Bildsäule:" Holet den Schmied Focus, denn dieser sündigt nicht allein alle Tage wider das Gesez, sondern hat gegen mich auch Drohungen ausgestoßen." Da ergriffen ihn Jene und führten ihn vor den Kaiser. Da sprach dieser zu ihm: Mein Lieber, was ist es, was ich von Dir höre? Warum verlegest Du denn das gegebene Gesetz?" Jener aber versezte: Herr, ich fann das Gebot nicht halten, denn ich brauche jeden Tag acht Denare, und ohne zu arbeiten fann ich selbige nicht verdienen." Da versezte der Kaiser: ,, Und weshalb acht Denare?" Der aber sprach: Ich bin gehalten, jeden Tag im Jahre zwei Denare zu bezahlen, die ich in meiner Jugend geliehen habe, zwei verleihe ich, zwei verliere ich und zwei gebe ich aus." Da sagte der Kaiser: Du mußt Dich hierüber deutlicher gegen mich aussprechen." Darauf versezte der Schmied: Zwei Denare muß ich jeden Tag meinem Vater auszahlen, weil der­selbe, da ich noch ein kleiner Stuabe war, jeden Tag zwei Denare für mich ausgegeben hat. Nun befindet sich mein Vater jetzt in Dürftigkeit, also befiehlt mir meine Vernunft, daß ich ihm alle Tage zwei Denare gebe. Zwei andere Denare leihe ich meinem Sohne, der jetzt noch in der Lehre ist, auf daß, wenn es mir geschieht, daß ich in Armuth gerathe, er mir einst jene zwei Denare wiedergeben kann, wie ich es jetzt mit meinem Vater mache. Zwei andere Denare bezahle ich jeden Tag für meine Frau. Da dieſe mir aber entgegen, eigenwillig und hinterlistig ist, so verliere ich aus diesen drei Gründen Alles, was ich ihr gebe. Zwei andere Denare gebe ich für mich selbst in Speisen und Getränken aus. Leichter kann ich also auf gute Weise durchaus nicht durchkommen und ebenso wenig diese Denare ohne bestandige Anstrengung erhalten. Ihr habt jezt meinen Grund gehört, fället also ein gerechtes Urtheil." Da sagte der Kaiser: Mein Lieber, Du hast Dich gut ver­antwortet, gehe hin und arbeite treulich nach Deiner Weise." Nach er starb aber der Kaiser schnell und der Schmied Focus ward von Allen wegen seiner Klugheit zum Kaiser erwählt und er verwaltete auch sein Reich auf ganz verständige Weise; als er aber gestorben war, so wurde auch sein Bild mit unter den anderen Kaisern abgezeichnet, über seinem Kopf aber seine acht Denare.

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Thales von Milet , einer der sieben Weisen Griechen­Yands, galt trotz oder vielleicht eben wegen seiner emsigen Studien über das Weltall usw. bei seinen Landsleuten für einen armen, unpraktischen und darum dummen Teufel. Das wurde eines schönen Tages plöglich anders, als er nicht eine neue große Entdeckung machte, eine neue tief­eine glückliche Del­sinnige Lehre anfündigte, sondern spekulation machte. Seine botanischen oder aber meteo­rologischen Kenntnisse hatten ihn dazu geführt, bei e- obachtung der einschlägigen Verhältnisse und Dinge eine Mißernte in den Olivenpflanzungen vorauszusehen Nun faufte er alles Del auf, dessen er habhaft werden konnte. Die Olivenernte schlug wirklich fehl, die Preise schlugen enorm auf und Thales machte mit seinen Celauffäufen ein brillantes Geschäft, und die Spießbürger von Milet schüttelten die Köpfe und sagten: Ei, wer hätte das ge­dacht, daß dieser dumme Teufel ein so geriebener, ge scheidter Kerl ist." Die Moral von der Geschichte: Mache ein gutes Geschäft, und die Spießer werden Dich für cinen der sieben Weisen Griechenlands erklären.

Nachdruck des Jnhalts verboten!

Verantwortl. Redakteur: Edgar Stetger, Leipzig.- Berlag: Hamburger Buchbruckeret u. Verlagsanstalt Auer& Co., Hamburg.- Druck: Mar Bading, Berlin.