Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
noch von unlängst vergossenen Thränen roth waren. Ihre klassischen Gesichtszüge gaben ihrer Schönheit einen würdigen und feierliten Ausdruck; aber durch diese Würde und Strenge, durch diese Traurigkeit schaute noch eine kindliche, unschuldige Seele hervor. Es war etwas so unberührtes, Unentwickeltes, Junges, was ohne Worte um Erbarmen zu flehen schien.
Ich hörte sagen, sie sei erst sechzehn Jahre alt. Ich sah den Bräutigam aufmerksam an und erkannte in ihm plößlich Julian Mastakowitsch, den ich genau fünf Jahre nicht gesehen hatte. Ich blickte genauer auf die Braut hin... mein Gott! Ich drängte mich schnell aus der Kirche.
In der Menge sprach man davon, daß die Braut sehr reich sei, daß sie fünfhunderttausend Nubel Mitgift habe... und für so und so viel Aussteuer...
„ Ja, die Rechnung war richtig gewesen," dachte ich, mich auf die Straße hinausdrängend.
punkt einer Kunstepoche nicht mehr die legten Ketten des Alten, Untergehenden mit sich schleppen zu müssen. Die ersten Spuren von Holbeins Thätigkeit finden wir um das Jahr 1514 zu Basel , wohin er bald mit seinem Vater übergesiedelt sein mochte. Seine erste bedeutsame Arbeit entstand im Jahre 1515: es sind zweiundachtzig Federzeichnungen zu Erasmus von Rotterdam „ Lob der Narrheit". In zehn Tagen führte Holbein diese zierlichen, geistvoll- wißigen Bildchen aus, welche schon den Stempel seines tiefen Lebenshumors und seiner gesunden, freudigen Weltanschauung tragen. Schon ein Jahr später malte der Künstler seine ersten Bildnisse, Porträts, in denen er seine Meisterschaft auf diesem Gebiete kund that. Im Jahre 1517 begab sich Holbein nach Luzern , wo er das Haus des Schultheißen Hertenstein von innen und außen mit Wandmalereien zierte: stein von innen und außen mit Wandmalereien zierte: seine erste monumentale Arbeit. Zwei Jahre später kehrte er nach Basel zurück, wurde nun in die Malerzunft aufgenommen und entwickelte in den nächsten sieben Jahren die reichste und mannigfaltigste Thätig
Streifzüge durch das Reich der bildenden Kunft. teit: Fassadengemälde, dekorative Arbeiten, Hand
II.
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it dem Beginn der Neuzeit und ihrer großen Umgestaltung alles geistigen Lebens erhielt auch die deutsche Kunst jenen bedeutsamen Aufschwung, welcher ihr eine gleichwerthige Stellung im gesammten Kunstleben jener Zeit sicherte. Scheu und unsicher aus den engen Fesseln heraustretend, in denen sie als Sflavin des romanischen Geistes durch Jahrhunderte geschritten war, entfaltete sie sich in jenem Sturme der Renaissance plötzlich zur vollen Eigenart und selbstschöpferischen Straft. Und allen Künsten voran ging die deutsche Malerei jene neuen Wege, die sie für immer von dem Banne Zwei Männer des romanischen Geistes trennten. Zwei Männer sind es, in deren Werken sich die Neugestaltung der Kunst in der Renaissancezeit voll und ganz wiederspiegelt: Albrecht Dürer und Holbein der Jüngere. Aber während Jener noch mit einem Fuße im Reich der Gothik stand und noch langsam den farbenprächtigen Vorhang der neuen Kunst über jene alte Kunstwelt herabzog, stand Dieser schon inmitten der neuen Welt und feine Erinnerung verfnüpfte ihn mehr mit der mittelalterlichen Sunst. In Dürer und Holbein haben wir die größten Meister der deutschen Renaissance vor uns. Freilich übertraf Dürer den jüngeren Zeitgenossen an Größe der Auffassung, au Tiefe und Kraft der Gedanken, an Reichthum der Phantasie und an Vielseitigkeit. Aber Holbein besaß, was Dürer sich nie erwerben konnte: Junigkeit des Gemüthes, äußere Anmuth und Farbenund Formengewandtheit. Und diese Eigenschaften machen ihn zu einem der größten Künstler aller Zeiten. Während Dürer die neue Natur, die er sah, und das Leben in die Ewigkeit seiner Gedanken hinaustrug, während er die neue Wirklichkeit( Realität) nicht blos in den äußeren Formen, sondern vielmehr im tiefsten Wesen aller Dinge aufsuchte, verförperte Holbein seine neue Wirklichkeit, die er schaute, im engsten Nahmen der Menschlichkeit und brachte das Wesen der Welt durch seine Seele der Seele aller Menschen näher. Es wäre eine interessante Aufgabe des Kunstkritikers, eine vollständige Parallele zwischen dem innersten Wesen dieser beiden Künstler und ihrer Werke zu ziehen, allein dazu mangelt es hier an dem Raum. Da ich denmächst an dieser Stelle den Lesern der„ Nenen Welt" einen furzen Bericht über Dürers Schaffen bringen werde, will ich mich heute auf das Leben und die Entwickelung Holbeins beschränken, dessen Antenfen wir Alle heute nach vierhundert Jahren ehren.
Im Jahre 1497 wurde Holbein zu Augsburg geboren, wo er durch seinen Vater den ersten fünftlerischen Unterricht genoß. Da schon sein Vater ganz auf dem Boden der Renaissance stand, hatte Holbein das seltene Glück eines Künstlers, an dem Wende
zeichnungen, Entwürfe, Porträts und Tuschzeichnungen, die als Entwürfe zu Glasfenstern dienten. In allen diesen Gebieten war er in gleicher Weise Meister. Wenn auch, besonders in den Entwürfen zur Glasmalerei, unter denen sich zehn Darstellungen der Leidensgeschichte Christi befinden, seine Phantasie ihn stets im gleichen Rahmen der Stoffe hielt, so wußte er diesen Mangel doch durch tiefe Kraft, edle und plastische Darstellung und Neichthum neuer Formen und Verzierungen auszugleichen. Auch in Del malte er die Passionsgeschichte zweimal, und die zweite Passion galt lange als sein größtes und vollendetstes Werk. Viel werthvoller aber als diese Arbeiten ist sein todter Christus im Sarge, welches Gemälde in der Amerbachschen Sammlung zu Basel angeführt ist als„ Todtenbild mit dem Titel Jesus angeführt ist als„ Todtenbild mit dem Titel Jesus Nazarenus". Dieses Gemälde Holbeins , das einen langausgestreckten Leichnam zeigt, ist eines der größ ten und herrlichsten Meisterwerfe realistischer Darstellungskunst. Thatsächlich soll das Modell zu diesem Christus ein todter Baseler Jude gewesen sein, den man aus dem Wasser gezogen hatte. Aber wie wundersam verstand es Holbein , die grausenhafte Natürlichkeit des Todes mit seinen Verwesungsspuren zu Kunst und Schönheit zu verarbeiten. An diesem Gemälde sowie an der Madonna des Bürgermeisters Me er, von welcher eine gute Reproduktion die heutige Nummer schmückt, können wir am besten in das Wesen Holbeinscher Darstellung und Auffassung eindringen.
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Holbeins Realismus ist nicht das Werk eines langen Suchens und Studiums, ist überhaupt kein beabsichtigter Realismus, der sich seine Stoffe auswählt. Nein, es ist das ungewollte Finden der äußersten Natürlichkeit: ein im Wasser zersetzter Leichnam, die Madonna mit dem Kinde und, um noch von einem dritten Gemälde zu sprechen, Holdas sind beins Gattin mit seinen zwei Kindern, die Stoffe, die er braucht, um zur innigsten Natürlichkeit zu gelangen. Und so verschiedenartig die Stoffe, so verschiedenartig die Manier der DarSo malte Holbein seine Frau: ein stellung. alterndes, verblühtes Weib mit müden, seltsam ausdrucksvollen Augen, und zwei Kinder, ein älterer Knabe, ein kleines Mädchen, beide nicht schön und nicht einmal anziehend, und doch! wer dieses Gemälde betrachtet, in dessen Herz zieht es wie ein wundersamer Friede von Familienglück ein und er bewundert die Meisterhand, die aus dem groben, gewöhnlichen Vorwurf des Alltages ein so unsäglich schönes Bild zu schaffen wußte. Und daher, daß Holbein seine Stoffe nie suchte, daß er ungewollt in Allem, und sei es das Unschönste, die Schönheit sah, kommt es, daß wir diese und ähn= liche seiner Bilder so selbstverständlich finden, daß wir lange schauen müssen, che wir überhaupt die Kunst daran sehen, erst begreifen lernen müssen, daß das Natürliche selbst darin, diese Wiedergabe daß das Natürliche selbst darin, diese Wiedergabe des Natürlichen die Stunst sei und eine tiefe, innigere Kunst, als diejenige, welche ihre Straft an großen titanischen Stoffen zeigt. Einen gewaltigen Vorwurf gewaltig ausführen ist schwer.
Aber zehnmal
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schwerer ist es, aus dem Kleinen und Nichtssagenden das Große und Ewige herauszugestalten. Aber das Schwerste vielleicht ist es, das Größte und Unendlichste dem Menschen nahe zu bringen, das tiefste Wesen so in die engste Wirklichkeit hineinzubringen, daß man über der Nähe und Wirklichkeit das tiefe Wesen vergessen kann. Daß Holbein auch diese schwerste Arbeit zu vollbringen vermochte, daß er dem ungeheuren Probleme, das Ewige menschlich zu machen, gewachsen war, dafür ist seine Madonna des Bürgermeisters Meyer der trefflichste Beweis.
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Zu allen Zeiten christlicher Kunst war es einer der dankbarsten Vorwürfe der Maler, die Madonna mit dem Kinde darzustellen. Bald geschah dies vom rein religiösen, bald man möchte sagen vom philosophischen Standpunkte aus, in dem der Künstler entweder das Bildniß der Madonna als Gegenstand christlicher Verehrung und Anbetung oder aber als den Typus der ewigen Weiblichkeit auffaßte. Und so haben wir die verschiedensten Madonnenbilder und trotz der Gleichheit des Gegenstandes war der Geist, der darüber schwebte, stets ein anderer. Betrachten wir heute vier Madonnenbilder, die man als die bekanntesten annehmen mag: 1. Martin Schongauers Madonna im Rosenhag, von welcher sich in der ersten Nummer dieses Jahrganges eine Reproduktion sammt einer vorzüglichen begleitenden Erklärung befand. 2. Raffaels berühmte Sirtinische Madonna". 3. Die Madonna des Spaniers Murillo und 4. Die Holbeinsche Madonna.
Martin Schongauers Madonna ist noch die primitivste Art der Darstellung. Trotz des veränderten Hintergrundes bleibt die Madonna hier noch das alte Heiligenbild, dessen einziger Zweck ist, der Anbetung der Menschen zu dienen und ein Schmuck der Kirche zu sein. Die Natürlichkeit der Umgebung bringt uns das Heiligenbild um keinen Schritt näher, sie verhindert aber auch, daß wir es in den weitesten Fernen der Ewigkeit sehen können. Nichts ewig Fernes, nichts menschlich Nahes ist diese Madonna, sondern eben ein Heiligenbild und nur insofern ein Kunstwerk, als zu jener Zeit Kunst, das heißt neue Kunst dazu gehörte, von der alten Heiligendarstellung auch nur in den äußeren Formen abzuweichen.
Raffaels Sirtinische Madonna ist die Wiedergabe höchster Schönheit und höchster Weiblichkeit durch die Mittel religiöser und künstlerischer Verflärung. Weit draußen im blauen Raume, mit den Füßen die Erdkugel berührend, schwebt das unnachahmlich schöne Weib mit dem wunderlieblichen Kinde im Arm. Anbetend knieen zu beiden Seiten ein Papst und eine Heilige. Unten aber über den Nand Ingen zwei Engel, halb sinnend, halb neugierig, in diese Welt herein. Und sie sind das Einzige, das als Bindeglied zwischen dem Beschauer und jenem Bilde dient: hier das ruhlose, irrende Menschenthum, dort die ewige Ruhe und Schönheit. Das ist der tiefe Gedanke des Bildes, den der Künstler in vollstem Maße gerecht wurde. Und nur der religiöse Stoff ermöglicht es, in diesem Kunstwerk ein religiöses Kunstwerk zu sehen, das es an sich garnicht ist.
Noch mehr tritt das religiöse Moment in den Hintergrund bei der Madonna Murillos. Wir sehen keine Madonna mit dem Kinde, sondern ein Weib, wir sehen feine Päpste und Heiligen mehr, nur einige kleine Engel, welche die Wolfe und Mondsichel tragen, auf der die Madonna in den Himmel hineinschwebt. Und diese Madonna ist kein ruhiges, schönes, unnahbares Weib, sondern es ist Leben, Verzückung und Seligkeit, es ist das Menschliche ins Ewige getragen, ein Bild des Lichtes und der jubilirenden Freude. Es ist kein Gegenstand der Frömmigkeit mehr und zum wenigsten der Aubetung. Es ist ein Kunstwerk, das nur mehr den Namen mit der religiösen Kunst gemeinsam hat.
Und nun treten wir zur Madonna Holbeins. Was wir hier sehen, hat keine Achulichkeit mit den vorher besprochenen Madonnenbildern. Was wir hier sehen, hat auch keine geistige Gemeinschaft mit jenen. Es ist die ewige Weiblichkeit und tiefste Anmuth ins Menschliche zurückversezt, nicht aus