Die Neue Welt. Illustrirte Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
ebenfalls dem früheren Vagabunden widmen sollte; war er ihm nicht auch etwas Dankbarkeit schuldig? Er war eben ein anständiger Mensch.
Joseph hatte nur einen Kummer; in seiner Klasse saß der junge Siraud. Nun war der junge Siraud, obwohl er der Sohn des Gendarmerie- Brigadiers war, ein Lümmel, Faulpelz und Taugenichts ersten Ranges.
Eines Abends, als Joseph ihn wollte nachsißen lassen, erhob sich der junge Siraud und rief, seiner Sache sicher:
"
Wissen Sie, Sie jagen mir keine Furcht ein, Sie Mörder, Sie!"
Joseph, der leichenblaß geworden war, wagte tein Wort zu erwidern. Siraud setzte sich mit triumphirender Miene, während sich ein allgemeines Gemurmel erhob:
"
, Sein Vater hat es ihm gesagt... er kommt aus dem Bagno ... er hat im Gefängniß gesessen er hat seine Mutter getödtet..."
Der arme Schulmeister, der auf seinem Katheder noch kleiner aussah, fühlte sich von Gewissensbissen gequält. Er mußte doch wohl wirklich ein Verbrecher sein, da man ihn so oft bestraft hatte...
Als die Stunde schlug, nahm er sein Manuskript unter den Arm und ging auf die Straße. Er war wirklich verflucht, von Gott und den Menschen, und darum ging er in den Fluß...
XIV.
Kurze Zeit darauf fand ein Fischweiß zu ihrer größten Freude Josephs Manuskript, denn sie hatte fein Papier mehr, um ihre Matrelen darin einzuwickeln.
Josephs Hut schwamm noch immer auf dem Wasser. Zwei Jungen waren Steine hinein und brachten ihn dadurch zum Untergehen...
Nuf der Walze.
Aus den Papieren eines Fechtbruders. Von F. Riebeck. ( Fortsetzung.)
erzlich und dringend bat ich ihn, daß mein Schicksal dem Herrn Lieutenant gemeldet. werde. Er versprach mir, beim Unteroffizier ein gutes Wort für mich einzulegen, und gab mir das Versprechen, mir auf jeden Fall Bescheid zu bringen. Der Herr Lieutenant sei ein vernünftiger Mann, der mit sich reden lasse; er sei nicht, wie andere Offiziere. Wir redeten noch einige Minuten miteinander, und ich erfuhr, daß die sächsische Grenzwache in Sebniz stationirt sei, einem Städtchen, das ich am Tage in der Entfernung von etwa einem oder anderthalb Kilometer hatte liegen sehen.
"
Wann krieg ich Nachricht?" fragte ich, als er fich zum Gehen wandte.
" Das kann noch gut' ne Stunde dauern," er= widerte er.' kommt ganz darauf an, wann der Herr Lieutenant kommt!"
"
Gut eine Stundena, meinetwegen! Wenigstens doch eine stichhaltige Hoffnung.
Diese verwünschte Nebelnässe! Huh, wie michs schüttelte! Zum ersten Male drängte sich mir die Ueberzeugung auf, daß Unterhosen und Ueberzieher sehr nüßliche Einrichtungen seien, und ich beneidete alle Menschen, denen solche Dinge beschieden waren. hülflos Wie ein greiser Nachtwächter stand ich da- zum Erbarmen. Wenn ich nicht gar zu müde gewesen wäre, hätte ich mich durch kräftige Bewegung er wärmen können! Wohl hüpfte ich hin und her und schlug mit den Armen um mich, als ob ich fliegen wollte; doch ich mag dabei einem angeschossenen Storche geglichen haben, der verzweifelte Anstren gungen macht, in die Höhe zu gelangen, und zuletzt bor Mattigkeit nicht mehr stehen kann. Mein Körper war wie gelähmt, und in den Knochen summte das Verlangen nach Ruhe. Minuten lang lag ich auf dem Rasen, bis mich der Feuchtfrost wieder zum Aufstehen zwang; dann durchmaß ich mit aller Anstrengung im Laufschritt mein kleines Gebiet, um mich schließlich erschöpft an einen Baum zu lehnen.
Welch ein Schwächling war ich doch! O, die Mutter, die liebe Mutter hatte recht: ich taugte nicht in die Welt ich hätte zu Hause bleiben müssen.
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So trieb ich es eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden lang ich weiß nicht, wie lange! Nur das weiß ich, daß mich ein fabelhafter Gleichmuth beseelte. Was mit mir geschehen würde und könnte, ob der Gefreite Botschaft bringen und wie sie lauten werde alles Das war mir einerlei geworden; ich dachte nicht darüber nach. Ich dachte überhaupt nicht mehr, und selbst die Gewißheit, daß ich in der Nacht erfrieren werde, hätte den Stumpfsinn, der über mich gekommen war, nicht gestört. Mich beherrschte das Gefühl großen Unbehagens, doch ich ertrug es ohne Wunsch und Jammer. Die Seele war so ermattet wie der Körper, und in ihrer Unklarheit und Verworrenheit kannte ich fein Begehren mehr.
Als ich wieder einmal auf dem Ohr im Graben lag, berührte mich der Schall von Fußtritten. Deutlich hatte ich die Vorstellung, daß nun der Posten abgelöst werde; doch dem Geiste mangelte so gänzlich die Spannkraft, daß er bei diesem Vorgange weder an Erlösung, noch an die versprochene Botschaft dachte. dachte. Deutlich auch vernahm ich das Kommando " Halt!" und das scharfe Aufſtampfen der Füße. Ich hörte, daß die Soldaten zueinander sprachen und hörte dann abermals Schritte
Wo steckt er denn?... Er ist fort! Hol ihn der Popelmann!"
Ganz nahe meiner Lagerstatt erschollen diese Worte, und ich raffte mich auf, ganz unwillkürlich, ohne zu wissen, ob ich wache oder träume.
Dort wackelt er ja!... Das ist ein Besoffener!... Du, Audiat!"
Meine Sinne hatten sich rasch gesammelt, und ich sah in der Dunkelheit die Umrisse mehrerer Soldaten. Auch kam mir schnell mein Elend zum Be= wußtsein, und ich nahm an, daß die Soldaten mich abholen wollten.
Na, wie stehts? Willst Du nach Sachsen oder nach Desterreich?"
" Dann komm mit! Aber ein bissel plötzlich, sonst kannst Du hier liegen bleiben, bis Dir Gras aus dem Kopfe wächst!... Solche Schlunken kommen überall durch; anständige Leute nicht!"
Die fünf Mann starke Truppe machte kehrt und marschirte ab, und ich humpelte und lief mühselig daneben her. Als die schnell ausschreitenden Krieger einige Zoll Vorsprung gewonnen, wendete sich der Führer um und sagte:„ wenn ich wolle, könne ich ruhig zurückbleiben; den Sachsen läge nichts daran; ihr Bedarf an Landstreichern sei reichlich gedeckt."
Ich schwieg und bewegte mich ein wenig rascher, um seinen Unmuth zu beschwichtigen.
Die Reise war kurz. Wir gelangten in jenen Ort, der mir von dem Gefreiten als Sebniß bezeichnet worden war, und mitten auf der Straße wurden wir von einem Soldaten angehalten, der, wenn ich mich in der Finsterniß nicht geirrt habe, im Range eines Unteroffiziers stand. Er wechselte mit dem Postenführer einige Worte, trat zu mir und sagte kurz:" Papiere her!"
Hurtig zog ich meine Zeugnisse aus der Tasche und gab sie ihm. Er winkte, und wir folgten dem Postenzuge nach, schlugen aber bald einen anderen Weg ein. Einsam stand dicht an der Chaussee ein kleiner Holzbau, der einer staatlichen Obstwärterbude glich. Dort blieben wir stehen. Der Unteroffizier öffnete eine Thür und befahl mir, einen Augenblick auf der Straße zu warten. Er zündete drinnen ein Licht an; der Schein fiel durch die Rizen der Bretterwand. Nach wenigen Minuten fehrte er zurück; in der Hand hielt er eine brennende Laterne. Gehen Sie' rein!" sprach er und schob mich in den finsteren Raum. Dort hinten sehen Sie? ist ein Loch in der Wand; dort stecken Sie den Kopf hinaus!"
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Er schloß die Thür hinter mir zu, und ich guckte hinten durch das kreisrunde, fußgroße Loch hinaus in die nächtige Landschaft. Jezt tauchte die Gestalt des Unterof ziers vor mir auf. Er sah mich an und rief ärgerlich:" Immer den Kopf durch den ganzen Kopf durch!"
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Ich stellte mich auf die Zehen und steckte den Kopf hinaus.
" So!... Und nun die Augen zudrücken!" Ein gräßlicher Gedanke durchzuckte mich und ließ mir das Blut erstarren. Den Kopf heraus und die Augen zugedrückt!... Das war das Schaffot! Mich, den Naubmörder, sollte der Todesstreich treffen, und dort stand der Henker... Und von oben mußte das Fallbeil niedersausen und mir mit falter Schärfe in den Nacken schneiden... Ich spürte das entsetzliche Eisen, sah das Blut sprizen... der Kopf zog sich trampshaft an die Schultern... .. Hülfe, Hülfe!
Ein Angstschrei hatte sich mir entrungen Kopf war in die Bude zurückgefahren.
"
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der
Sie sind wohl verrückt?" ertönte die Stimme des Unteroffiziers.
" Narr, Narr, wie kannst Du so einfältig sein!" schrie es tonlos in meinem Innern.„ Du bist ja nicht verurtheilt- wie kannst Du geköpft werden! Feigling Du!"
Bebend vor Erregung stand ich in der unheimlichen Finsterniß, und troß der Selbsterkenntniß hielt mich eine unbezwingliche geheime Macht ab, den Kopf abermals durch das Loch zu stecken. Plötzlich zuckte hinter mir ein Lichtschein auf, darauf folgte ein Zischen, und augenblicklich umgab mich ein dichter, warmer, schrecklicher Qualm. Er blendete mich, drang mir in die Lungen, und ich glaube, ich wäre erstickt, wenn ich nicht schnell das Gesicht an die Oeffnung gehalten hätte. Wenige Sekunden nur währte das Schreckniß, dann erklang die Stimme des Unteroffiziers: Fertig! Kommen Sie heraus!"
Er stand bei der Laterne, schlug mein Arbeitsbuch auf und las darin. Dann zog er einen Zettel aus der Tasche und frißelte einige Worte darauf. ,, Hier! Nun können Sie gehen! Aber diesen Zettel heben Sie gut auf, damit Sie ihn vorzeigen können, sonst werden Sie von den Gendarmen an= gehalten!"
"
Was war denn das da drin?" fragte ich zaghaft, auf die Bude deutend.
Geräuchert sind Sie worden, damit Sie die
Rinderpest nicht einschleppen!"
,, Wo geht denn jetzt der Weg?" Wohin?"
"
" In Sachsen sind Sie ja! Hier gehts nach Böhmen , dort ins Gebirge!"
Er blies die Laterne aus, verriegelte die Thür und entfernte sich schweigend. Ich aber schwankte dem Gebirge zu....
Preiunddreißigstes tapitel. Auf der Bergstraße.
Bergan geht der Weg.
In verworrenes Sinnen versunken, tief den Kopf gesenkt, langsam, schwer, stumpf und träge, wie ein frankes Zugthier, ziehe ich aufwärts. Finster und feucht ist die Nacht; überall in der Runde ragt es in ungeheuerlichen schaurig- schwarzen Massen, deren Grenzen hoch oben mit dem Schmelz der schwarzsilbernen Himmelstuppel verfließen. Sind es Wolfen, Wälder, Gebirge?- ich weiß es nicht. Kein Licht, fein Dämmerstreif läßt die Ferne ahnen; eingeengt bin ich in öden, seelenlosen Finsternissen... Hufschlag. Ein Reiter.
Ich suche vorsichtig den Rand des Weges auf, um nicht überritten zu werden, und taste mit dem Stocke, um nicht in einen Abgrund zu sinken. Das Gefühl beschleicht mich, als müßten zu beiden Seiten dieses steil aufsteigenden Weges schreckliche Schlünde fein.
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" Halt! Wer da?"
Der Reiter zügelt sein Noß.
"
Ein reisender Handwerksbursche."
Das Pferd kommt auf mich zu.
Wie sind Sie über die Grenze gekommen?"
"
Hier auf diesem Wege."
"
Das ist nicht wahr! Sie sind durch den Wald
gekommen!"
Nein, ich habe einen Zettel."
" Einen Zettel? Zeigen Sie!"