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mochte.

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

den Anderen, den der Tod wohl abgerufen haben Auch im Singen stand er noch seinen Mann; freilich Auch im Singen stand er noch seinen Mann; freilich mit einer Stimme, die durch das Alter etwas frähend geworden. Karl allerdings, der etwas zur Trägheit neigte, war von einem Stirchenschläfchen nicht abzu­halten. Bald nach dem ersten der drei angekündigten Theile der Predigt sah ihn Gustav bereits vor sich hinnicken.

Sein Blick schweifte auch gelegentlich nach dem Schiffe hinab, wo die Frauen saßen. Die bunten Kopftücher, Hauben und Hüte erschwerten es, das einzelne Gesicht sofort herauszuerkennen. Unter den Mädchen und jungen Frauen war manch Eine, mit der er zur Schule gegangen, Andere kannte er vom Tanzboden her.

Gustav Büttner hatte es bisher geflissentlich ver­mieden, nach einer bestimmten Stelle im Schiffe zu blicken. Er wußte, daß dort Eine saß, die, wenn sie überhaupt in der Kirche war, ihn jetzt ganz sicher beobachtete. Und er wollte sich doch um keinen Preis den Anschein geben, als fimmere ihn das nur im Geringsten. Wenn er dorthin blicken wollte, wo sie ihren Kirchenstand hatte, mußte er den Kopf scharf nach links wenden, denn sie saß seitlings von ihm, beinahe unter der Empore. Bis zum Kanzelvers that er sich Zwang an, dann aber hielt er es doch nicht länger aus, er mußte wissen, ob Katschners Pauline da sei.

Er beugte sich ein wenig vor, so unauffällig wie möglich. Nichtig, dort saß sie! Und natürlich hatte sie gerade auch nach ihm hinausblicken müssen.

Gustav war erröthet. Das ärgerte ihn erst recht. Zu einfältig! Warum mußte er sich auch um das Mädel kümmern! Was ging ihn die jetzt noch an! Wenn man sich um jedes Frauenzimmer fümmern wollte, mit dem man mal was gehabt, da konnte man weit kommen! Ueberhaupt, Katschners Pau­line! In der Stadt konnte man sich mit so Einer garnicht sehen lassen. In der Kaserne würden sie ihn schön auslachen, wenn er mit der angezogen käme. Nicht viel besser, als eine Magd war sie! wochen­tags womöglich barbuß und mit kurzen Röcken!

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Er nahm eine hochmüthige Miene an, im Geiſte die ehemalige Geliebte mit den Fräuleins" ver­gleichend, deren Bekanntschaft er in den Kneipen und Promenaden der Provinzialhauptstadt gemacht hatte. In der Stadt hatte, weiß Gott , das einfachste Dienst­mädel mehr Lebensart, als hier draußen auf dem Dorfe die Frauenzimmer alle zusammen. Er ver­Er achtete Katschners Pauline so recht aus Herzensgrunde.

Und einstmals war die dort unten doch sein Ein und Alles gewesen!

Auf einmal zog durch seinen Kopf die Erinne­rung an das Abschiednehmen damals, als er mit den Rekruten weggezogen in die Garnison. Da hatten sie gedacht, das Herz müsse ihnen brechen beim letzten Kusse. Und dann, als er wiederkam, zum ersten Urlaub, nach einjähriger Trennung. Was er da angestellt hatte vor Glückseligkeit! Und das Mädel! Sie waren ja wie verrückt gewesen, Beide. Was er ihr da Alles versprochen und zu­gesagt hatte!

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Er versuchte die Gedanken daran zu verscheuchen. Damals war er ja so dumm gewesen, so fürchterlich dumm! Was er da versprochen hatte, konnte gar­nicht gelten. Und außerdem hatte sie ihm ja selbst auch nicht die Treue gehalten. Was ging ihn der Junge an! Ueberhaupt, wer stand ihm denn dafür, daß das sein Kind sei! Er war ja so lange weggewesen.

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Na, mit der war er fertig! Mochten die Leute sagen, was sie wollten! Mochte sie selbst sich be­flagen und Briefe schreiben und ihm zu seinem Ge­burtstage und zu Neujahr Glückwunschkarten schicken

das sollte ihn Alles nicht rühren. So dumm! Er hatte ganz andere Damen in der Stadt, feine Damen, die gebildet sprachen und" Hochwalzer" tanzen konnten. Was ging ihn Katschners Pauline an, deren Vater armseliger Stellenbesizer gewesen war.

Inzwischen hatte der Pastor zu predigen be­gonnen. Gustav versuchte nun, seine Gedanken auf das Gotteswort zu richten. Er war in der Garnison noch nicht gänzlich verdorben worden. Immer hatte er eine rühmliche Ausnahme vor den Kameraden gemacht, welche das Kirchenkommando meist zu Schlaf oder allerhand Unfug benutten. Er war vom Eltern­hause her an gute Zucht gewöhnt, auch in diesen Dingen. Der alte Bauer ging den Seinen mit gutem Beispiel voran; er fehlte kaum einen Sonntag auf seinem Plaze und verpaßte kein Wort der Predigt.

Nachdem der Gottesdienst vorüber, stand man noch eine geraume Weile vor der Kirchthür. Der Bittnerbauer sah mit Behágen, daß sein Gustav der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit war. Alte Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit war. Alte und junge Männer umftanden den Unteroffizier. Der Anblick der Uniform erweckte die Erinnerung an die eigene Dienstzeit oder auch bei den Aelteren an die Kriegsjahre. Der Büttnerbauer selbst führte die Denkmünzen der beiden letzten Feldzüge. Auch Karl Büttner hatte seine drei Jahre weggemacht", aber Büttner hatte seine drei Jahre weggemacht", aber bis zur Charge" hatte es bisher noch kein Büttner gebracht.

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Gustav mußte auf viele Fragen Rede und Ant­wort stehen. Ob ers nicht bald dicke habe, und wann er nach Halbenau zurückkehre, fragte man ihn. Der junge Mann meinte mit dem Selbstbewußtsein, das die Uniform den gewöhnlichen Leuten giebt, vorläufig gefalle es ihm noch so gut bei der Truppe, daß er nicht daran denke, den Pallasch mit der Mistgabel zu vertauschen.

Zwei Frauen famen auf die Männer zu, eine Aeltere, im bunten Kopftuch und eine Jüngere, mit einem schwarzen Hut, auf dem rosa Blumen leuchteten. Gustav hatte den Hut schon von der Empore aus wiedererkannt. Vor Jahren, als er noch mit Pauline Katschner gut war, hatte er ihr den Hut in der Garnison gekauft und, als er auf Urlaub nach Hause ging, mitgebracht. ging, mitgebracht. Die ältere Frau war die Wittwe Katschner, Paulinens Mutter.

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Gutentag och, Gustav!" sagte Frau Katschner. ,, Gutentag!" erwiderte er stirnrunzelnd, ohne ihr die Hand zu geben. Das Mädchen hatte den Kopf gesenkt und blickte erröthend auf ihr Gesangbuch. " No, bist De och wiedermal in Halbenau, Gustav?" meinte die Wittwe und lachte dabei, um ihre Ver­legenheit zu verbergen." Ja!" sagte Gustav fühl, und fragte einen der jungen Männer irgend etwas Gleichgültiges.

Die Frauen zögerten noch eine Weile, wohl eine Anrede von ihm erwartend. Dann zog das Mädchen, dem das Weinen nahe schien, die Mutter am Rocke : Kumm ack, Mutter, mir wollen gihn!" Darauf entfernten sich die beiden Frauen.

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,, Die kennst Du wohl garnich mehr, Gustav?" fragte einer der jungen Leute mit spöttischem Lächeln den Unteroffizier. Der zuckte die Achseln, wiegte sich in den Hüften und gab sich Mühe, so gleich gültig auszusehen, wie nur möglich.

Nun sezte man sich langsam in Bewegung, ein Trupp von zehn, zwölf jungen Männern, meist Schulkameraden Gustavs. Im Kretscham wurde ein Stehbier getrunken und die Zigarren in Brand gesetzt. Dann gings wieder auf die Dorfstraße hinaus. Einer nach dem Anderen suchte nun sein Haus auf, denn die Mittagsstunde war herangekommen. Abends wollte man sich auf dem Tanzboden treffen.

Das Büttnerſche Bauerngut lag am obersten Ende des Dorfes. Der Bauer und Karl waren bereits vorausgegangen. Gustav wollte in einen Feldweg einbiegen, der ihn in kürzester Frist nach Haus geführt hätte, da hörte er seinen Namen rufen.

Er wandte sich. Katschners Pauline war nur wenige Schritte hinter ihm. Sie feuchte, beinahe athemlos vom schnellen Laufen.

Er nahm eine finstere Miene an und fragte in barschem Tone, was sie von ihm wolle. Gustav!" rief sie und streckte ihm die Hand entgegen. Bis doch nicht so! Du thust ja gerade, als kennist De mich am Ende garnich."

Ich hab keine Zeit!" sagte er, wandte sich und wollte an ihr vorbei.

Aber sie vertrat ihm den Weg. Ne, Gustav! Aber, Gustav, bis doch nicht so mit mir!" Sie stand da mit fliegendem Busen und sah ihm voll in die Augen. Er hielt ihren Blick nicht aus, mußte wegsehen.

Sie griff nach seiner Hand und meinte:" Ene

Hand hätt'st De mir immer geben kennen, Gustav!"

Das sei gar keine Manier, ihm so nachzulaufen und ihn am hellen lichten Tage anzureden, sagte er, und sie solle sich wegscheeren. Er gab sich alle Mühe, entrüstet zu erscheinen.

Pauline schien keine Furcht vor ihm zu haben. Sie stand dicht vor ihm. Eine Bewegung seines Armes hätte genügt, sie bei Seite zu schieben. Aber er hob die Hand nicht.

Jber Johr und Tog is es nu schon, Gustav, daß mer uns niche gesehn haben! Und geontwortet hast Du och nich, suviel ich Dir och geschrieben habe. Du thust doch gerade, als wär'ch a schlechtes Madel, Gustav!" die Augen standen ihr auf einmal ganz voll Thränen.

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Heulen! das hatte grade noch gefehlt! Weiber­thränen waren für ihn etwas Entseßliches. Er war ja sowieso schon halb gewonnen durch ihren bloßen Anblick, durch den vertrauten Klang ihrer Stimme. Was für Erinnerungen rief ihm dieses Gesicht zurück! Er hatte so glücklich mit ihr gelebt, wie noch mit feiner Anderen. Sie war doch seine Erste gewesen. Es lag in dem Gefühle so etwas ganz Besonderes, so etwas wie Heimweh, wie Dankbarkeit für ihre Güte gegen ihn. Daß sie jest weinte, war schlimm! Er kam sich schlecht vor und grausam. Das verdroß ihn. Nun wiirde er das Mädel schwer wieder los werden, fürchtete er.

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Sie wischte sich die Thränen mit einer Ecke ihrer schwarzen Schürze ab, und fragte: Was hast De denn eigentlich gegen mich, Gustav? Sag mersch nur a enzigstes Mal, was De hast, daß De so bist!-"

Er faute an seinem Schnurrbarte mit verdisterter Miene. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihr auf den Kopf zuzusagen, sie habe es inzwischen mit einem Anderen getrieben. Aber, in diesem Augenblick, unter den Blicken ihrer treuen Augen, fühlte er mit einem Male, auf wie schwachen Füßen dieser Ver­dacht eigentlich stehe. Er hatte ja die ganze Ge­schichte, die ihm von Anderen hinterbracht worden war, nie recht geglaubt. Das war ja nur ein will­kommener Vorwand für ihn gewesen, auf gute Art von ihr los zu komment.

Als sie nun jetzt so vor ihm stand, einen Kopf kleiner als er, frisch und gesund, wie ein Apfel, mit ihren guten großen Augen und den leuchtenden Zähnchen, da befand er sich wieder ganz unter ihrem Banne.

" Ich habe mich su ärgern müssen über Dich!" sagte sie leise und schluchzte auf einmal auf. Die Thränen saßen sehr locker bei ihr. Zwischen dem Weinen durch konnte sie so lieb und schmeichelnd dreinblicken, wie eine zahme Taube. Niemand hatte dem Mädchen diese Künste gelehrt, aber, die raffi­nirteste Stofette hatte keine wirksameren Mittel, das Herz eines Mannes zu bestricken, als dieses schlichte Naturkind.

Plöglich senkte sie den Kopf, erröthend und noch leiser als vorher meinte sie:" Willst De Dir nich Deinen Jungen ansehn, Gustav? Er is nu bald een Jahr!"

Der junge Mann stand unschlüssig, im Innersten bestürzt. Er fühlte sehr deutlich, daß dieser Augen­blick für ihn die Entscheidung bedeute. Wenn er ihr jetzt den Willen that, mit ihr ging und sich den Jungen ansah, dann bekannte er sich zur Vaterschaft. Bisher hatte er das Kind nicht als das ſeine an­erkannt, sich hinter der Ausflucht verschanzend, daß man ja garnicht wissen könne, von wem es sei.

Pauline hatte den Kopf wieder aufgerichtet und bat ihn mit den Augen. Dann mit ihrer weichen Mädchenstimme: Ich ha' dem Jungen nu schun su viel vun Dir vorderzahlt. Er kann noch ne raden. Aber Papa! das kann er duch schun fagen. Komm ac, Gustav, sieh der'n wenigstens a Mal an!"

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Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn nach der Richtung, wohin sie ihn haben wollte. Komm ac, Gustav, komm ack mitte!" so ermunterte sie den immer noch Zaudernden.

Er folgte ihr schließlich. Dabei ärgerte er sich über sich selbst, daß er so nachgiebig war. Er ver­stand sich darin selbst nicht. Es gab in der ganzen