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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Unteroffiziersabtheilung keinen schneidigeren Reiter als ihn. Remonte dressiren", das war seine Lust. Und dabei konnte er so weich sein, daß ihn der Wachtmeister schon einmal einen„ nassen Waschlappen" genannt hatte. Das war damals gewesen, als seine Charge, die„ Kastanie", den Spat bekommen und zum Roßschlachter gemußt. Da hatte er geweint wie ein kleines Sind.
Pauline schien sich darauf zu verstehen, ihm beizukommen. Sie konnte, wenn sie wollte, so etwas recht„ Bethuliches" haben. Sie that, als habe es niemals eine Abkühlung zwischen ihnen gegeben. Kein weiteres Wort des Vorwurfes tam über ihre Lippen. Um feinen Preis wollte sie ihn in schlechte Laune versezen. Ihr Bestreben war, ihn garnicht erst zur Besinnung kommen zu lassen. Sie erzählte von der Mutter, von ihrem Jungen allerhand Lustiges und Gutes, brachte ihn so mit kleinen Listen, deren sie sich kaum bewußt wurde, bis vor ihre Thür.
Pauline wohnte mit ihrer Mutter, der Wittfrau Katſchner, in einer ſtrohgedeckten Fachwerkhitte, einem der kleinsten und unansehnlichsten Anwesen des Ortes. Es war nur eine Gartennahrung, nicht genug zum Leben und zu viel zum Sterben. Die beiden Frauen verdienten sich etwas durch Handweberei. Früher war Pauline zur Arbeit auf das Rittergut gegangen, aber in lezter Zeit hatte sie das aufgegeben.
Pauline hatte ihr eigenes Stübchen nach hinten hinaus. In Gustav rief hier jeder Schritt, den er that, Erinnerungen wach. Durch dieses niedere Durch dieses niedere Thürchen, das er nur gebückt durchschreiten konnte, war er getreten, als sie ihn in einer warmen Julinacht zum ersten Male in ihre Kammer eingelassen. Und wie oft war er seitdem hier aus und ein gegangen! Zu Tag- und Nachtzeiten, ehe er zu den Soldaten ging und auch nachher, wenn er auf Urlaub daheim gewesen war.
In dem kleinen Naume hatte sich wenig verändert während des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlichste Ordnung herrschten hier. Er fannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort stand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade.
Der Spiegel
mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neujahrstarte gesteckt war, hing auch an seinem alten Plaze.
Unwillkürlich suchte Gustavs Blick das Zimmer spürend ab. Aber er fand nicht, was er suchte. Pauline folgte seinen Augen und lächelte. Sie wußte schon, wonach er sich umsah.-
Sie ging auf das Bett zu und drückte die bauschigen Kissen etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief versenkt in den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles.
Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er herantreten solle. Er begriff, daß der Junge schlafe und bemühte sich infolgedessen, leise aufzutreten, den Pallasch sorgsam hochhaltend.„ Das is er!" flüsterte sie und zupfte glückselig lächelnd an dem Kissen, auf dem der Kopf des Kleinen lag.
Der junge Mann stand mit verlegener Miene vor seinem Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den Helm abzuseßen hatte er Zeit ge= funden. Hinzublicken wagte er kaum. Das sollte sein Sohn sein! Er hatte ein Kind! Gedanke hatte etwas eigenthümlich Bedrückendes; etwas Dumpfes und Beengendes legte sich auf ihn, wie eine große noch unübersehbare Verantwortung.
Der
Sie half ihm, nahm ihm zunächst den Helm ab, riickte das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es besser sehen solle, führte selbst seine große Hand, daß er sein eigenes Fleisch und Blut betasten möchte. Dann fragte sie, sich an ihn schmiegend, wie es ihm gefalle.
Er erwiderte nichts, stand immer noch rathlos, bestürzt vor seinem Sprößling.
Jezt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens. Nun erst begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges Wesen sei, was da lag. Der Gedanke riihrte ihn auf einmal in tiefster Seele. -So ein kleines Ding, mit solch winzigen Gliedmaßen, und das lebte doch und war ein zukünftiger Mensch, wiirde ein Mann sein sein Sohn! Pauline und er hatten es hervorgebracht; aus seinem
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und ihrem Gebein stammte dieses neue Wesen. Das ewige Wunder des Werdens trat vor ihn in seiner ganzen unheimlichen Größe.
Gustav merkte, wie ihm die Thränen in die Augen traten, es würgte ihn im Halse, es fiẞelte ihn an der Nase. Er biß die Zähne fest auf= einander und schluckte die Nührung hinunter; weinen wollte er um feinen Preis.
Pauline eilte derweilen geschäftig auf und ab im Zimmer. Sie hatte den schwarzen Hut mit den rosa, Blumen abgelegt, die Aermel ihres Kleides aufgeknöpft und bis an die Ellenbogen zurückgeschlagen und eine weiße Schürze vorgesteckt. Ohne Hut sah sie noch hübscher aus. Ihr blondes Haar, von selten schöner Färbung, kam jetzt erst zur Geltung, sie trug es nach Art der Landmädchen, schlicht in der Mitte gescheitelt und hinten zu einem Nest von vielen kleinen Flechten verschlungen. Das schwarze Kleid war ihr Konfirmationskleid. Nur durch Auslassen und Anfeßen hatte sie es zu Wege gebracht, daß es ihre frauenhaft entwickelte Fülle
auch jetzt noch faßte.
Jeßt eilte sie wieder an das Bett. Sie meinte, der Junge habe nun genug geschlafen, er müsse die Flasche bekommen. Sie weckte den kleinen, indem sie ihn sanft aus den Kissen hob und ihn auf die Stirn füßte. Das Kind schlug ein Paar große, dunkle Augen auf, sah sich verwundert um, und begann sofort zu schreien. Der Vater, der an solche Töne noch nicht gewöhnt war, machte ein ziemlich verdubtes Gesicht hierzu.
Pauline meinte, das sei nicht so schlimm, das Kind habe nur Hunger. Sie nahm eine Blechkanne aus der Röhre. Das Zimmerchen hatte keinen eigenen Ofen, sondern nur eine Kachelwand, mit einer Röhre, die vom Nebenzimmer aus erwärmt wurde. In der Blechkanne befand sich ein Fläschchen Milch. Pauline, auf dem einen Arm das Kind, führte die Flasche zum Munde, kostete schnell, stülpte einen Gummizulp über den Flaschenhals. Dann legte sie den Kleinen wieder aufs Bett, dessen Blicke und Hände begierig nach der wohlbekannten Flasche strebten. Nun endlich steckte sie dem Schreihals den Zulp zwischen die Lippen. Sofort verstuminte das Gezeter und machte behaglich glurksenden Lauten Platz.
Gustav athmete erleichtert auf. Der ganze Vorgang hatte etwas Beklemmendes fiir ihn gehabt. Während Pauline voll Wonne und Stolz war, konnte er sich einer gewissen Gedrücktheit nicht erwehren. Mit dem Ausdrucke einer Zärtlichkeit, wie sie nur eine Mutter hat, beugte sich das Mädchen über das kleine Wesen, dessen ganze Kraft und Aufmerksamkeit jetzt auf den Nahrungsquell gerichtet war, und richtete ihm die Kissen.
Erst nachdem der Kleine völlig glücklich zu sein schien, kam Gustav wieder an die Reihe für Pauline. schien, kam Gustav wieder an die Reihe für Pauline. Sie wischte ihm einen Stuhl ab mit ihrer Schürze und bat ihn, sich zu setzen. Er hatte noch immer kein Wort über den Jungen geäußert; jezt nöthigte sie ihn geradezu, sich auszusprechen.
Er meinte, das Kind sehe ja soweit ganz gesund und träftig aus. Aber das genügte ihrem mitterlichen Stolze nicht. Sie begann, ihrerseits das Lob des Jungen zu singen, wie wohlgebildet er sei und ſtart. Ja, sie behauptete sogar, er sei ein Wunder an Klugheit, und führte dafür einige seiner kleinen Streiche an. Groß sei er für ſein Alter wie kein anderes Kind, schon bei der Geburt sei er solch ein Riese gewesen. Und sehr viel Noth habe er ihr ge= macht, beim Stommen, setzte sie etwas leiser mit gesenktem Blicke hinzu. Dann erzählte sie, daß sie ihn bis zum sechsten Monate selbst genährt habe.
Er hörte diesem Berichte von Dingen, die für sie von größter Bedeutung und Wichtigkeit waren, nur mit halbem Ohre zu. Er hatte seine eigenen Gedanken bei alledem. Was sollte nun eigentlich werden? fragte er sich. Er hatte sich zu diesem Kinde bekannt. Als anständiger Mensch mußte er nun auch dafür sorgen. Burschen, die ein Kind in die Welt sezen, sorgen. Burschen, die ein Kind in die Welt sezen, und dann Mädel und Kind im Stiche ließen, hatte er immer für Lumpe gehalten. Einstmals hatte Und er Paulinen ja auch die Ehe versprochen. wenn er sie so ansah, wie sie hier schaltete und waltete, sauber und nett, geschickt, sorgsam und dabei
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immer freundlich und voll guten Muthes, da konnte ihm der Gedanke einer Heirath schon gefallen. Daß sie ein durch und durch braves Mädel sei, das wußte er ja.
Aber, überhaupt heirathen! Er dachte an das Elend der meisten Unteroffiziersehen. Da hätte man sich ja schütteln mögen bei dem bloßen Gedanken.
Und dann gab es da noch Eines: er hätte mit verschiedenen Frauenzimmern in der Garnison brechen müssen.--Das Alles machte ihm den Kopf schwer. ( Fortsetzung folgt.)
Gofffried Auguft Bürger.
Gedenkblatt zur hundertfünfzigsten Wiederkehr seines Geburtstages. Von G. Macasy.
ie Wogen des„ Sturmes und Dranges" hatten sich gelegt. Die deutsche Dichtkunst hatte sich frei gerungen von den Fesseln mittelalterlicher, wunderlicher Regeln einerseits, französischer Künstelei andererseits. Mit dem Beginn der Neuzeit war eine Renaissance durch das gesammte Kunstleben gegangen, an der die Dichtkunst am spätesten theilnehmen sollte. Aber um die Mitte des vorigen Jahrhunderts begann auch hier der Umschwung. Die Natur, die man fast vergessen hatte, sollte in der Poesie wieder zur Geltung kommen, die Persönlichkeit, die das Neue in der Außenwelt schauen und wiedergeben lernte, nicht nach steifen Geseßen, sondern in freier, selbst geschaffener Form, sollte wieder ihre Rechte erhalten. Von der Bühne herab sprachen nicht mehr die plumpen Hanswurstiaden und ledernen Hauptund Staatsaktionen, sondern das echte, psychologische Drama, wie es Shakespeare , das Vorbild der Stürmer und Dränger, geschaffen hatte. Und in der Lyrik sprach nicht mehr das hohle Pathos erkinstelter Gefühle, sondern die einfache Innigkeit und Wirklichkeit eines künstlerischen Seelenlebens. Dies waren die Ziele des„ Sturntes und Dranges" gewesen, aus welchem sich die große klassische Periode der deutschen Dichtkunst entwickelte, bis zuletzt von dem breiten, überschäumenden Strome nichts übrig blieb, als das dürre Wässerlein eines falschen Idealismus, dessen Schöpfer Schiller war und dessen Nachbeter und Nachahmer noch über die Romantik hinaus bis tief in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts ihr färgliches Dasein fristeten.
Einer der eifrigsten Vorkämpfer und der letzte Vertreter des Sturmes und Dranges war Gott fried August Bürger . In ihm kamen die Hauptmomente dieser Kampfperiode der Dichtkunst zur Geltung: der neue, ursprüngliche Realismus, der die Kunst nicht von der Natur trennt, sie nicht über die Natur stellt, sondern Kunst und Kunstempfinden aus der Natur und der Anschauung der Natur entwickelt. Und zweitens die Individualität, die zu ihrer Bethätigung der freien Entfaltung bedarf, die sich nicht in vorgeschriebenen Kunstbahnen bewegen kann, sondern sich ihre Bahn selbst zeichnet. Daher der gewaltige Unterschied in den Gedichten eines Realisten, wie Birger, und eines Idealisten, etwa Schillers. Dort die freie, klare Form, die Knapp= heit der Gedanken und Gefühle, die Ursprünglichkeit
des Ausdruckes: hier schwere, einengende Formen, Breite und Weitschweifigkeit der Bilder und Ver gleiche, welche die fehlende Natürlichkeit ersetzen müssen, und Vergewaltigung des Ausdruckes. Dort der Dichter, der die Schönheit in der Außenwelt und in sich sieht und zur Schönheit der Kunst macht, hier der Dichter, der die Natur in ein vorgefaßtes Schönheitsideal hineinzwängt, um sie als Gegenstand der Kunst gebrauchen zu können. Darum erscheinen uns viele, ja die meisten Gedichte Bürgers, zumal seine kurzen Liebeslieder und großen Balladen, trob ihres Alters noch heute so verwandt und innig, als ob sie aus dem Born der Moderne geschöpft wären, während uns die Gedichte Schillers mit ihrer breiten Sprachverschwendung, ihrem hohlen Pathos fremd, ja lächerlich vorkommen. Man halte die wunderherrliche„ Lenore" Bürgers gegen Schillers un