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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbelage.

säglich poesielosen ,, Kampf mit dem Drachen", welch' lezterer freilich den zweifelhaften Vorzug hoher und höchster Idealisirungskunst hat.

Gottfried August Bürger   wurde zu Molmers­ wende   in Halberstadt  , wo sein Vater, Johann Gott­ fried  , Prediger war, in der Sylvesternacht von 1747 auf 1748 geboren. Die Zwistigkeiten im Vater­hause, hervorgerufen durch seine zanksüchtige und boshafte Mutter, mochten viel dazu beigetragen haben, die Jugendjahre Bürgers zu verbittern. Auch soll er daheim fast feinen Unterricht erhalten haben. Und so schien es ein Glück gewesen zu sein, daß Bürger zu seinem Großvater, dem Hofherrn Jakob Bauer, nach Aschersleben   übersiedelte, wo er die Stadtschule besuchte. Schon frühzeitig regte sich in dem Knaben die Lust zur Dichtkunst, und Althof, sein erster Biograph, berichtet von einem Spottgedicht, das Bürger auf den ungeheueren Haarbeutel eines Pri­maners verfertigt und das seine Ausweisung aus der Stadtschule zur Folge gehabt haben soll.

Im Jahre 1762 besuchte Bürger das Pädagogium in Halle und zwei Jahre später die Universität da­selbst, um, dem Wunsche seines Großvaters gemäß, Theologie zu studiren. Allein bald gab er dieses Studium auf, wandte sich den Geschmackswissen= schaften zu, verbrachte aber die meiste Zeit mit Tändeleien, ohne rechten Zweck. Hierzu kam, daß er in die Gesellschaft leichtsinniger Freunde gerieth, durch deren Umgang er sich sehr vernachlässigte. End­lich entschloß er sich dazu, Jurist zu werden und ging an die Universität zu Göttingen  . Dort fand er einen großen Kreis junger Literaten und schrieb seine ersten Gedichte. Ein von Boie begründeter Musen- Almanach, an dem die besten jungen Dichter der damaligen Zeit mitarbeiteten, gab auch Bürger Gelegenheit, seine Gedichte zu veröffentlichen, allein es blieb ihm keine Zeit, dem ,, Hain", der berühmten Vereinigung der Stürmer und Dränger, beizutreten, sondern er mußte darnach trachten, eine Stellung zu finden, und ergriff die erste Gelegenheit, die sich ihm darbot. In Gelliehausen bei Göttingen   wurde er von der Familie Uslar   zum Amtmann ernannt eine Stellung, die ihm Sorge genug brachte, da ihm der Senior der Familie, gegen dessen Willen er ernannt worden war, nach allen Richtungen das Leben saner zu machen trachtete. Gleichwohl gehörte die erste Zeit in Gelliehausen zur fruchtbarsten Periode des Dichters, denn gar bald brach Unglück auf Unglück über ihn herein und verließ ihn bis zu seinem Ende nicht mehr. Schon in Göttingen   hatte Bürger eine Uebersetzung von Homers Ilias begonnen und hier nahm er das Werk wieder auf. Allein er klagte oft in Briefen an seine Freunde, daß ihm bei den widerwärtigen Amtsgeschäften nichts vom Flecke nichts vom Flecke kommen wolle.

Im Frühjahr 1773 schrieb Bürger, angeregt durch den Gesang eines Landmädchens,

Der Mond, der scheint so helle, Die Todten reiten schnelle,

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seine schönste Ballade Lenore  " in ihrer ersten Fassung auf. Vollendet wurde sie erst im Herbst, und als sie nach langem Zureden seiner Freunde im Jahre 1774 im Göttinger   Musen- Almanach erschien, da ging ein Sturm von Begeisterung durch ganz Deutschland  .

Dieser erste und größte Erfolg ermuthigte den in seinem Beruf gedrückten Dichter und er schrieb der Reihe nach seine besten Balladen, wie Der wilde Jäger" usw.

Im November 1774 heirathete Bürger die ältere Tochter des Amtmannes Leonhard zu Niedeck, Dorothea Marianne, troßdem ihn schon damals, wie er später in einem Briefe an seine dritte Braut be= kannte, die Liebe zur jüngeren Schwester seiner Gattin, Auguste( Molly), erfaßt hatte- diese unglückliche Liebe, die ihn bald immer mächtiger mit sich fort­riß und die der Welt wohl die herrlichsten seiner Liebeslieder, ihm selbst aber Jahre lange Qualen brachte. Ueber das seltsame Verhältniß Bürgers zu diesen beiden Frauen, mit denen er thatsächlich in Bigamie lebte, ist fast nichts bekannt, es seien denn die Gedichte Birgers aus jener Zeit selbst, aus denen es oft wie wildestes Glück und wie ein Verzweiflungsschrei namenloser Qual hervorgellt.

Und zu diesem inneren Zwiespalt tamen stets neue äußere Sorgen, Verluste und Mißhelligkeiten aller Art. Nieten, nichts als falte Nieten," flagte Bürger, und um seiner traurigen Lage ein Ende zu machen, beschloß er, seinen Beruf und Alles, was ihn an Gelliehausen   fesselte, aufzugeben und wieder, als Privatdozent, nach Göttingen   zurückzukehren. Im Sommer 1784 starb Dorothea an der Lungen­schwindsucht und bald darauf führte Bürger seinen Vorsatz aus. Zugleich übernahm er die Leitung des Göttinger Musen- Almanachs, und dadurch, sowie durch die Hoffnung, mit Vorlesungen, Uebersetzungen usw. sich ein sorgenfreies Loos zu gestalten, schien sich seine Lage doch bessern zu wollen. Nachdem er den Winter noch unter Strankheit und allerlei Kummer zugebracht hatte, eröffnete er im Frühjahr mit gutem Erfolge seine Vorlesungen und verband sich zu Ostern 1785 mit seiner Schwägerin Molly.

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Aber es war ein kurzes Glück. Schon im Januar des folgenden Jahres starb Molly. Mein Haus dünkt mir eine fremde Wüstenei, in die ich nicht gehöre," schrieb damals Bürger. Ich laufe auf und ab, aus einem Zimmer ins andere, seze mich auf jeden Stuhl, lege mich hin und stehe wieder

Fried Bols fee. L

Gottfried August Bürger  .

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auf und kann nirgends Ruhe finden." Und er fand auch keine Ruhe mehr. Einen Antrag nach Preß­ burg   lehnte er ab. Keine Arbeit bereitete ihm mehr Freude. Auch das ergreifende Hohe Lied", in dem er Molly verewigte, gewährte ihm nur einen furzen Trost bis ihn die Freundschaft mit Schlegel wieder aus seiner Schwermuth herausriß. Im Jahre 1789 wurde er zum Professor in Göttingen   ernannt leider ohne Gehalt, und so nahm die Sorge ums tägliche Brot fein Ende. Ein Jahr später glänzte Ein Jahr später glänzte ihm noch ein matter Glücksstrahl. Auf seltsame Art lernte er eine junge Schwäbin kennen, Elise Hahn, und vermählte sich mit ihr im Herbst desselben Jahres. Wie wenig diese Wahl glücklich war, stellte sich bald Wie wenig diese Wahl glücklich war, stellte sich bald heraus, und auch Bürger blieb es nicht lange ver= borgen, daß seine Frau in Göttingen   den schlechtesten Ruf genoß im Jahre 1792 ließ sich Bürger von ihr scheiden.

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Dies war der letzte schwere Schlag für den unglücklichen Mann.- Die abfällige Rezension Schillers über seine Gedichte schien er mit größerem Schillers über seine Gedichte schien er mit größerem Gleichmuth zu ertragen: sprach doch, trotz des hohen Lobes, das Schiller   Bürgern zollt, gerade aus diesem Lob und aus dem kleinlichen Tadel der Neid und die Mißgunst. Den großen Realisten, dem die Wahrheit Schönheit war, konnte Schiller  , der nur das Schöne ohne die Wahrheit suchte, nicht begreifen; daß er ihn aber auch nicht achten fonnte, dies richtet die Kritik Schillers mehr, als die nicht glückliche Antifritif, die Bürger bald darauf nebst Epigrammen und Satiren im Musen- Almanach veröffentlichte.

Gleichwohl war es nach außen hin eine schwere Schädigung für Bürger, welcher eben seine Homer­Uebersetzung angekündigt hatte, von einem seiner bedeutendsten und einflußreichsten Zeitgenossen so ab­fällig beurtheilt worden zu sein.

Sein einziger Verdienst in dieser leßten Zeit, in der Bürger krank an Leib und Seele darniederlag, waren seine Uebersetzungen, und troß der Krankheit mußte er aufs Angestrengteste thätig sein, um nicht in das bitterste Elend zu gerathen. Und als sich ihm die Aussicht auf eine bessere Lage und auf ein festes Professorengehalt eröffnete, starb er, der lezte Ritter aus dem Freiheitskampf der deutschen   Poesie. ,, Bis zu seinem Tode," schreibt sein Biograph Nichard Maria Werner, glaubte dieser starre Realist fest daran, daß gerade das Eigenthümliche, das streng Individuelle das Schöne sei, idealisirte Empfindung dagegen ein Unsinn."

Fast keinem deutschen   Dichter waren wie Bürger so wenig Freuden, fast keinem in einem langen Leben so viel Leid beschieden, daß sein Genius im Kampf um das Dasein unbarmherzig niedergestampft wurde. Von ihm gilt das Wort: Ohne Glück feine Ent­faltung der Kraft." Wie ganz anders hätte sich Birgers Lebenswerk gestalten können, wie ganz anders hätte er in die Periode des deutschen   Klassizismus treten können, als der Gewaltigsten Einer mit seiner großen Kraft vielleicht als der Gewaltigste.

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Auf der Walze.

Aus den Papieren eines Fechtbruders. Von F. Riebeck. ( Schluß.)

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ie beängstigend, wie furchtbar sah er aus, der Unglückselige!... Fort, fort von hier!... Jezt ist es gewiß Mitternacht... Er hat Weib und Kind verloren wo soll er sie erfragen, wo finden in der weiten Welt. Von rauhherzigen, verständnißlosen Bütteln wird das heimathlose Menschenwild von Grenze zu Grenze gehezt; und jenseits der Grenzen beginnt eine neue Hezze, von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt, bis abermals zur Grenze. In den tiefsten Einsamkeiten der Wälder, in den Schluchten der Berge, im Dickicht des Ufers und unter öden Brückengewölben werden die rastlosen Irrfahrer aufgescheucht und durch plumpe Schergenwalt mit pöbelgemeinem und schurkenhaftem Gebahren vertrieben. So geht die Jagd von Land zu Land, und die zerlumpte Horde findet kaum Zeit, die Leichen der zu Tode gehezten Gefährten in Frieden zu verscharren

Wo soll er die Seinen finden? Vielleicht weiß ihm Einer seines Stammes in fernen Jahren ihre Gräber zu nennen... Fort, fort!. fort!...

Und all das mitleidlose Volt bekennt sich mit Prunk und Schall zu dem Namen und den Lehren des Erlösers. Heiland, vergieb mir, wenn ich mich im Herzen abwende von der Gemeinschaft Deiner Gläubigen!...

Woher kam mir die neue Kraft, das neue Leben? Mit morgenfrischer Behendigkeit legte ich eine gute Strecke Weges zurück, während ich mich in Gedanken mit dem Zigeuner und seinem Schmerze beschäftigte. Doch als ich dann thalwärts ein Licht schimmern sah, dachte ich unwillkürlich daran, daß ich der Ruhe bedürftig sei, und sogleich kam eine Erschöpfung über mich, die ich trotz des Aufgebotes aller Willensstärke nicht zu überwinden vermochte. Wieder knickten bei jedem Schritte die Kniee zusammen, und wieder mußte ich meine Zuflucht zu den Bäumen und den Straßen­steinen nehmen. steinen nehmen. Ich wollte mich zwingen, wieder an den Zigeuner und nur an den Zigeuner zu denken, in der Hoffnung, auf diese Weise nochmals eine Strecke weiter zu kommen, doch die Versuche miß­langen. Die Kraftlosigkeit nahm so sehr überhand, daß ich am Graben hinſank.

Daß der Morgen nicht kommen wollte! Eine unendliche Nacht!

Sollte wirklich der Frost meinem elenden Leben ein Ende machen? Kaum saß ich, so faßte er mich mit wilder Gewalt, schüttelte mich und griff mir ans Herz. Er war noch rauher, schneidender und durchdringender als am Abend.