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nur dort ist Rettung zu finden.
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
19.
Drunten lockte das Licht. Dort wohnen Menschen zu finden war, warf ich mich aufs Gerathewohl hin, zu finden war, warf ich mich aufs Gerathewohl hin, zwängte unten mit Todesverachtung den Kopf durch das dornige Gestrüpp und arbeitete mich mit fester Willenskraft langsam hindurch. Das Blut, das dabei fließen mochte, sah ich nicht, und aus den Schmerzen machte ich mir nichts. Ich hatte schon so viel erduldet, daß es auf einige Wunden nicht anfam.
Wenn ein gutherziger Samariter gekommen wäre und mir nur einen Bissen warmer Speise, oder nur einen Schluck warmen Getränkes dargeboten hätte, so wäre mir geholfen gewesen. Neu gefräffigt hätte ich dann den Rest der Nacht überstanden. Doch es fam fein gutherziger Samariter.
Gewaltsam zogs mich dem Lichte zu. Ohne recht zu wissen, was ich that, strebte ich dem leuchtenden Rettungszeichen entgegen. Zuerst bewegte ich mich friechend vorwärts, und kam jenseits des Grabens auf Haideland. Dort richtete ich mich auf, und taumelnd gerieth ich in eine junge Waldpflanzung. Die in Neihen gepflanzten Bäumchen reichten mir bis an die Kniee. Ein dunkler Streif, der sich vor meinen Augen erhob, offenbarte sich als dichtes Buschwerk. Ich zwängte mich hindurch, wurde dabei von Dornenranken erfaßt und an der Hand verwundet. Als ich mich von dem tausendkralligen Pflanzenscheusal, das meine Kleider vollends in Feßen reißen wollte, befreit hatte, machte ich einen herzhaften Vorstoß, und plöglich wich der Boden unter meinen Füßen. Ich stürzte und ehe ich einen Gedanken fassen konnte, rutschte und rollte ich an einem steilen Hange mit großer Geschwindigkeit hinab in die Tiefe. Just als mir der tiefgefühlte Gruß, Adieu Welt!" durch den Sinn ging, nahm der Sturz ein Ende. Ich lag auf dem Rücken; über mir sah ich ein Gewirr von Zweigen und den lieben Himmel. Zunächst zweifelte ich, daß ich noch alle Gliedmaßen beisammen hätte, und ich zögerte, mich zu erheben, aus Furcht, alsdann die Erfahrung zu machen, daß irgend etwas an meinem Körper gebrochen sei. Zu meiner frohen Ueberraschung gelang es mir jedoch, mich aufzurichten; die Arme und Beine mußten also unversehrt geblieben sein. Einen eigentlichen Schmerz empfand ich nicht; doch es war mir, als ob alle Glieder zerschlagen und abgestorben wären und als ob meine Seele einen todten Leib zu regieren hätte. Ob dieser Zustand durch den Fall erzeugt worden war, vermochte ich nicht zu beurtheilen; ich trug auch kein Verlangen, mir Klarheit darüber zu schaffen.
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Meine Müße, die ich vermißte, fand ich nach dem furzem Suchen, und num drang ich weiter Lichte zu. Dem Lichte?... Das war verschwunden. Aber ich wußte ja die Richtung, in der es geleuchtet hatte. Vorwärts!
Durch dichtes Strauchwerk hatte ich mich durchzuwinden. Dann kam ein Graben. Ich prüfte vorsichtig mit dem Stocke seine Breite und Tiefe. Er war nur schmal, doch breiter, als ich angenommen hatte, denn ich gerieth beim Ueberschreiten mit einem Beine ins Wasser. O, mein armer Fuß!...
Jenseits des Grabens kam wieder Gebüsch. Der Boden war sumpfig; ich fant mit den Füßen tief ein und sah abermals meinen Untergang vor Augen. Zum Glück fand ich einen Halt an dem Gesträuch, das auf dem Moorboden wucherte, und die Wurzeln gewährten den Füßen zuweilen festen Grund. Jedes Vorwärtsdringen war ein schwerer Kampf- ach! ach! und der Kämpfer glaubte jeden Augenblick, er müsse leblos hinfinken.
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Dao Frohlocken! ein Häuschen. Ganz nahe vor mir grüßte es mit weißen Wänden und hohem Giebeldach. Daß ich es nicht schon längst gesehen hatte! Ich stand vor einem Heckenzaune. Wie komme ich über den Zaun hinweg?... Und wenn ich drüben bin, was soll ich thun? Die Leute wecken? hezen.
Sie würden mich mit Hunden fort
Nein, nein, sie dürfen mich nicht fortjagen sie müssen mir helfen, mich retten. Ich will sie beschwören, Mitleid zu haben mit einem Menschen, der dem Tode nahe ist. Und haben sie kein Gr barmen, so werfe ich mich auf ihre Schwelle und bleibe liegen. Mögen sie dann mit mir machen, was sie wollen!
Ich tappte am Zaune entlang, in der Hoffnung, einen Eingang ins Gehöft zu finden. Vergeblich! Ueberklettern konnte ich den Zaun nicht; dazu war ich zu schwach, und das dürre Holz war zu stachelig. Da suchte ich nach einem Schlupfloch, und da keins
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Ich war im Hofe. Zitternd stand ich vor der Hausthür. Wenn jetzt Jemand käme- er würde mich für einen Dieb halten, mich niederschlagen und die Polizei rufen... Wenn mich die Leute durchs Fenster sähen sie würden mit der Flinte auf mich schießen. Daß sie feinen Hund haben- wie unvorsichtig! Aber wie gut für mich, daß sie keinen Hund haben!... Wenn ich sie jetzt wecke und wenn sie Auskunft verlangen, wie ich in den Hof gelangt sei?...
Was soll ich anfangen?.
Forschend bewege ich mich, ganz leise und in Furcht bebend, ein paar Schritte am Hause hin. Da sehe ich, daß an der Mauer entlang eine dicke Wand von Moos, oder Torf, oder Waldspreu errichtet ist. Genau so, wie in meiner Heimath die Wände zur Winterszeit gegen den Einfluß der Kälte geschützt werden. Ich erinnere mich, daß ich als fleiner Junge in eine solche Wand eine Höhle gegraben habe und graben habe und mir kommt ein Gedanke. Ich kauere nieder und versuche, ob sich eine Höhle bereiten läßt. Die Wand ist aus diirrem Laub, und die Blätter geben der Gewalt der Hände leicht nach. Die Bresche ist gemacht; sie erweitert sich mit jeder Handbewegung, und je größer sie wird, desto rascher schreitet meine Arbeit fort. Ich scharre und wühle mit schmerzenden Fingern, voll Eifer, voll Ueberhastung und in zügelloser Gier nach Ruhe. Die Höhle ist noch unvollkommen; sie ließe sich leicht geräumiger machen, doch mein Friedenshunger kennt keine Geduld mehr. Ich dränge mich hinein, presse Kopf und Füße in das warmfeuchte Genist und suche, so gut es geht, mit der freigebliebenen Linken den der Luft ausgeseßten Theil des Körpers mit Laub zu bedecken. Die Linke arbeitet noch lange Zeit weiter; alle Glieder, die in Kälte erschauern, sucht sie durch Laub zu schützen.
Wie unbequem ich liege! Bügelfrumm! Ich fönnte hinaustriechen und das Nest vergrößern, aber ich bin zu müide... zu müde...
Vierunddreißigstes Kapitel.
Der Delmüller.
War das Schlaf oder Wachen? Ich glaube, daß ich geschlafen habe. Und dennoch weiß ich, daß unausgesetzt eine beklemmende Furcht wie ein Alpdruck auf mir lastete. Das mag die Furcht vor Entdeckung gewesen sein.
Die Ruhe war für mich eine unermeßlich süße Wohlthat. Ich genoß sie so ganz, wie ich sie nie wieder genossen habe. Trotz der gekrümmten Lage trug ich bald kein Verlangen mehr, anders zu liegen. Ich rührte kein Glied, ich spann keine Gedanken; ich schlürfte nur Frieden... Frieden..
Dann aber stellte sich jene unerklärliche Furcht, jener schlimme, bange Druck wieder ein. Vielleicht war es ein langwährender böser Traum, der mit dem Erwachen meinen Sinnen entschwand
Eine Stimme schreckte mich. Ich schlug die Augen auf. Ein winziger Lichtschimmer berührte mich, und ich wendete den Kopf nach der Seite, von der er kam. Nun drang eine Lichtfluth auf mich ein, doch der Kopf steckte noch so tief im Laube, daß mir die Aussicht versperrt war. Ich fragte mich verwundert, wo ich sei; fast gleichzeitig aber ward mir meine Lage entseßlich klar.
Was ist denn da drinn'?" hörte ich fragen, und als ich mein Schlummerbett verlassen wollte, fühlte ich einen harten Stoß an der Brust. Ich fuhr mit der Hand hinzu und bekam einen Gegenstand zu fassen. In demselben Augenblicke wurde mein Stopf frei, und ich sah einen alten Mann, der in der einen Hand eine dünne Stange und in der anderen eine Art hielt. Die Spize der Stange, mit der mich der Alte auf die Brust gestoßen hatte,
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hielt ich in der Hand. Kaum war ich mit dem Kopfe draußen, ließ der Mann die Stange fallen, schwang mit beiden Händen die Art zum Schlage und schrie:„ Liegen bleiben, oder ich hau Dir den Schädel entzwei!"
Ich fuhr zurück in mein Versteck.
„ Wer bist Du?" fragte der schreckliche Mensch. „ Ein Handwerksbursche bin ich! Seien Sie nur gut! Ich will die Wand schon wieder in Ordnung bringen."
Wie bist Du hier herein gekommen?"
" Durch den Zaun bin ich gekrochen. Ich konnte nicht mehr weiter und ich wäre in der Nacht erfroren, wenn ich nicht ein Quartier gefunden hätte."
„ Wo bist Du her?"
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Ich schob den Kopf wieder hinaus und erzählte dem Manne in furzen Zügen meine Erlebnisse. Er unterbrach mich mit den Worten:" Das hättest Du ja bald sagen können! Da mach' nur, daß Du heraus kommst!"
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Ich kroch hervor, doch o Entsetzen! ich konnte mich nicht aufrichten. Die Kniegelenke wollten sich nicht bewegen, und der Versuch, die krummen Beine gerade zu richten, verursachte mir brennenden Schmerz. Der Mann fragte besorgt, ob ich krank sei, warf die Art hin und faßte mich unter den Schultern an, um mir beim Aufstehen behilflich zu sein.
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Es wird schon gehen," sagte ich entschuldigend, Die Beine sind mir blos steif geworden; wahrscheinlich von der Kälte."
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Mit vieler Mühe gelangte ich auf die Füße, und dann fühlte ich, daß dieselbe Steifheit sich des ganzen Körpers bemächtigt hatte. Ich war kaum fähig zu gehen, und der Mann mußte mich stüßen.
" Da fomm nur in die Stube!" sagte er und geleitete mich in das Haus.
Wir traten in einen vom Frühlicht mäßig erhellten Raum, der Wohnstätte und Schlafzimmer und Küche zugleich war. Mein Begleiter setzte mich auf eine Bank, die an einer der Wände lang hinlief. Was is denn?" fragte Jemand im Tone ängstlicher Verwunderung.
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Komm raus, Mutter, und mach Feuer, daß uns der Mensch dort aufthaut!" sagte der Bauer und wandte sich der dunkelsten Ecke des Zimmers zu, die von einem ungeheuren Kachelofen beschattet wurde. In jener Ecke stand ein breites Bett, und ich sah, daß eine weibliche Person sich in den Federn halb aufgerichtet hatte und voll gespannter Neugier zu mir herüber blickte.
" Was is denn?" wiederholte sie.
Der Mann gab ihr Auskunft und berichtete ihr lachend und in spaßiger Weise, daß ich in der Nacht die Laubwand eingerissen, mir ein Loch zurecht gemacht und das Haus bewacht hätte. Er ist aus Schlesien ," fügte er hinzu.
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„ Aus Schlesien ?" rief die Frau lebhaft.„ Unser Junge ist ja auch in Schlesien ! Vielleicht kennt er ihn?"
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Ach wo, Schlesien ist groß!" entgegnete der Mann, und zu mir gewendet, fügte er erläuternd hinzu:„ Wir haben nämlich auch einen Jungen in der Fremde, der ist Schuhmacher und arbeitet jetzt in Trachenberg . Baumert heißt er, wenn Sie ihn vielleicht kennen."
Ich bedauerte, ihn nicht zu kennen.
Bis dahin hatte der Mann mich gedust, jezt ließ er mir das ehrende„ Sie" zukommen.
" Ihnen scheints auch schon flunkerig gegangen zu sein," sprach er und betrachtete mit spöttischem Lächeln meine Gewandung.„ Na, unser August hat auch so ausgesehen, wie er im Brandenburgischen gewalzt ist. Vater', schrieb er von Jüterbogt aus, , Vater, wenn Du mir keine Hosen schickst, muß ich mit bloßen Beinen nach Berlin gehn!"
Er lachte so vergnügt, als habe der August mit dieser Briefstelle einen prächtigen Wiz geleistet. " Heute aber gehts ihm schon besser," ergänzte die Frau den Bericht." Heute ist er ein großer Herr. An der Kirmeß hat er sein Bild geschickt... Schade, daß Sie ihn nicht kennen!"
„ Na, Alte, mach, daß Du raus kommst!" mahnte der Mann.„ Ich werde gehn Holz hacken!"