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Die Neue Welt. Illustrirte Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Er verließ die Stube, und von der offenen Thür aus rief er mir noch zu:„ Wenns Feuer wird brennen, so sezen Sie sich nur auf die Ofenbank, da werden Sie schneller warm!"
Die Frau, eine anscheinend noch rüstige Greisin, schlüpfte aus dem Bett und trat an den Ofen. Sie hatte offenbar im Laufe der Zeiten die züchtige Scham ihrer Mädchenjahre verlernt und verloren, doch nicht zum Schaden, sondern zum Nußen ihrer Frauenseele; denn mit jener süßen Unschuld, wie sie der Urmutter Eva vor dem Sündenfalle eigen gewesen sein soll, waltete die Alte, nur mit einem sehr spärlichen Hemd bekleidet, ihrer Pflichten am Feuerherde. Ich, der ich in Anschauungen erzogen worden war, laut denen der unverhüllte Frauenleib ein schändliches Lockmittel der Hölle ist, wandte verwirrt und beschämt die Augen ab.
Schade, daß Sie den August nich kennen!" sagte sie, während sie Holz spaltete." Is Trachen berg weit von dort weg, wo Sie her sind?" ,, ja, sehr weit!"
Ich denke, er wird bald heirathen. Eine Braut hat er schon, wie er schrieb.- - Sein Sie auch Schuhmacher?"
„ Nein, Tischler!"
Sie warf mir einen Blick der Ueberraschung zu. „ Tischler sein Sie? Da fönnten Sie ja zu meinem Bruder gehen! Der tischlert nämlich und braucht, glaub ich, einen Gesellen."
Ich spizte die Ohren.
,, Er hat neulich bei uns im Dorfe eine Delmühle gekauft, und nun will er sich noch eine Holzmillerei anlegen; da sucht er einen Menschen, der ihn in der Tischlerei vertritt."
" Da wird ich sehr gern..."
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,, Sie können ja dann mit meinem Manne einmal hingehen zum Bruder! Er wohnt zwar eine halbe Stunde weg von hier, aber er kommt fast alle Tage herauf... Herrjeh, ich muß mir ja was anziehen; Sie lachen mich sonst am Ende noch aus!"
Ach nein!" sagte ich verlegen.
Sie trat an einen Stuhl, auf dem ihre Gewänder lagen und kleidete sich an. Dabei lachte sie mich harmlos an und fragte:" Nicht wahr, an einer alten Frau ersieht man sich nichts?"
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Ich fand darauf keine Antwort; doch mir war zu Muthe, als ob ich auf die Alte zustürzen und ste küssen müsse aus Dankbarkeit für ihre Gastaus Dankbarkeit für ihre Gastfreundschaft, für ihr offenherziges, gütiges Wesen, und dafür, daß sie mir Hoffnung auf ein Winterquartier gemacht hatte.
Das Feuer im Ofen brannte, sie nahm einige Töpfe von der Ofenbank, wischte den Platz mit einem Hader ab und lud mich ein, dort Platz zu nehmen. Ich wankte hin und ließ mich nieder.
Donner und Doria, die Beine waren noch immer steif und die Füße schmerzten!... Was wäre geworden, wenn diese herrlichen Menschen mich nicht aufgenommen hätten!... Ich bat um die Erlaubniß, die Schuhe ausziehen zu dürfen. Sogleich holte die Frau ein paar große Filzschuhe herbei, und während ich mit Mühe mein zerrissenes Lederzeug von den Füßen streifte, erkundigte sie sich mit auf richtiger Theilnahme nach meinem Befinden und meinen Wanderschicksalen. Ich berichtete ihr über meinen Marsch mit den Oesterreichern, über meine Ausweisung und über meine nächtliche Wanderung. Dabei erfuhr ich aus ihrem Munde, daß es ihrem August nicht besser ergangen sei; er habe, als er im Brandenburgischen war, auch keine Sohlen an den Stiefeln gehabt. Und dabei sei der August Schuster.
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Da will ich nur schnell machen, daß Sie ein wenig Kaffee in den Leib kriegen!"
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Er wird wohl herkommen," meinte die Frau. , Der wird garnicht lange sein! Er ist vielleicht jetzt schon im Dorfe.... Ich hab mir die Stelle angesehen, wo Sie durch den Zaun gekrochen sind. Man siehts ganz deutlich. Eine Kaze kann kaum durch, aber ein Handwerksbursche kriecht durch alle Löcher! Sie müssen sich ja schrecklich geschunden haben!"
Blos am Kopfe ein wenig und an den Händen." " Mutter, da bringe doch den Lebensbalsam!... Nein, wie Sie blos das Loch in der Sehwand fertig gebracht haben!... Aber es freut mich, daß Sie sich Rath gewußt haben! Unser August hat es ebenso gemacht!"
Die Mutter brachte den Lebensbalsam und bestrich damit meine Wunden. Sie that das so liebevoll und zärtlich, daß ich die Finger meiner eigenen geliebten Mutter zu verspüren glaubte.
Bald darauf war der Kaffee fertig, und die Alte lud mich zu Tische. Nur eine Tasse stand dort, und da ich deshalb zögerte, mich auf den mir angewiesenen Plaz zu der Tasse zu setzen, erklärte die edle Greisin, daß sie zunächst nur für mich das Frühstück bereitet habe. Wir frühstücken erst, wenn das Vieh besorgt ist," fügte sie hinzu.„ Lassen Sie sichs nur gut schmecken!"
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Ein Töpfchen voll dampfenden Kaffees, schönes Brot, frische Butter, dazu noch eine bemalte Tasse mit der goldenen Aufschrift:„ Dem Geburtstagsfinde!", und mir zur Seite die beste aller Wirthinnen
wer je solche Gastfreundschaft genossen, als er in fremder Welt dem Verschmachten nahe war, der segnet seine Gastgeber Tag für Tag im Stillen und bewahrt ihnen ein Andenken, wie es schöner und reiner feinem Sterblichen zu Theil werden kann. Kein Geburtstagskind der Welt konnte glücklicher sein, als ich bei meiner Geburtstagstasse
Die beiden Alten waren noch in den Ställen
Den Sinn dieser Worte verstand ich nicht; doch ich deutete ihn zu meiner Beschämung dahin, daß ich nicht aussah, wie ein anständiger Mensch. Auch der Bauer faßte die Worte so auf, denn er übernahm meine Vertheidigung, indem er von seinem August sprach, der im Brandenburgischen nicht besser ausgesehen habe, und dennoch stets ein vorzüglicher Schuster und ein braver Mensch gewesen sei.
,, Ja, das is wahr!" stimmte die Alte andachtsvoll bei.
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Nun ja, da kann er mit rüber gehen! Wenn er sich einrichtet, kann ers gut bei mir haben!" sprach Herr Lorenz.
Mein Herz klopfte in jubelnder Erregung. Ich hatte ein Unterkommen gefunden.
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,, Und dente Dir nur, Lorenz," rief lustig der Alte, ich hätte ihn beinahe mit der Holzart erschlagen! Ich dachte, es wäre ein Räuber oder ein Raubthier."
Wie gut das war, daß Sie hergekommen sind!" sagte die Greisin, und ihre friedensheiteren Augen leuchteten voll Giite.„ Das müssen wir dem August schreiben."
Ich war Arbeitsgeselle...
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Nus dem Papierkorb der Heit.
Freiwillige vor!( Zu unserem Bilde.) Es ist nicht das erste Mal, daß diese sturmerprobten, kampfesmuthigen Männer der Küste ihr Leben wagen, um unglückliche Schiffbrüchige dem tobenden Element des Meeres zu entreißen. Sie werden es selbst kaum wissen, wie oft sie schon, unbekümmert um Weib und Kind, unbesorgt um ihr eigenes Wohl und Wehe, das- Boot hinausgesteuert haben durch die tosende Brandung.
Und doch, so oft, nachdem das Menschenmögliche ver
Ruf ertönt: Freiwillige vor! dann schlägt einem Jeden das Herz schneller, mächtiger in der Brust; ein leiser Schauer läuft selbst dem Muthigsten über den Rücken, denn Alle wissen: jest gilt es nur mehr einen Kampf auf Leben und Tod, und unter Hunderten ist kaum Einer, der glücklich aus der Brandung wiederkehrt.
Werden auch dieses Mal wieder Freiwillige fich finden, die dem sturmgepeitschten Meere fühnlich die Stirn bieten? Noch herrscht ein Augenblick stummen Schweigens, banger, erwartungsvoller Stille; aber dann wird es heißen:„ Hier, ich"-„ wer?" wer?"- Claas Nielsen" ,, und ich", wer?" „ Peter Braun". Und so folgt Giner dem Anderen und der letzte Appell an männlichen Heldenmuth war auch dieses Mal nicht vergebens.
beschäftigt und ich schwelgte noch beim Frühstück, sucht, die letzten äußersten Kräfte aufgeboten worden, der als ein anderer Gast in die Stube trat. Er war ein Mann von etwa vierzig bis fünfzig Jahren, klein, breitschulterig und gut genährt; sein Kopf war auffallend groß; das Gesicht unrasirt und von gutmüthigem, spöttischem Ausdruck, und über einer fulpigen Schnupfernase blinzelten vergnügt und listig zwei schmale Aeuglein. Mitten in der Stube blieb er überrascht stehen und sah mich betroffen an. Ich erwartete, daß er grüßen werde, doch er blieb den allerorten üblichen Morgengruß schuldig. Auch ich schwieg. Nach einer geraumen Pause ging er hinaus. Sollte das etwa der Mann sein, der mir als Meister zugedacht worden war? Ich hätte ihn grüßen und anreden sollen. Meine Unklugheit verdroß mich. Bald darauf ertönten draußen Stimmen und Schritte... Du hast Glück, Du brauchst nur zu pfeifen und Alles ist da!" hörte ich den Bauern lachend sagen. Hier drin sizt Dein Geselle."
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Die beiden Männer traten in die Stube und die Frau folgte nach.
" Ich habe eine Falle aufgestellt, und da hat er sich gefangen," scherzte der Alte weiter.„ Draußen die Segwand war die Falle, und da ist er in der Nacht hineingekrochen. Was zahlst Du, so verkaufe ich ihn Dir?"
,, Es kommt ganz auf die Papiere an, die er hat," sagte Herr Lorenz fühl und ernst, und ich las deutlich in seinen Schligäuglein, daß er starkes Mißtrauen gegen mich hegte.
Auch meine Gastgeber wurden bei seinen Worten plötzlich ernst und nahmen eine erivartungsvolle Haltung ein. Ich erhob mich, zog meine Papiere aus der Tasche und überreichte sie Herrn Lorenz mit der Bitte, Einsicht zu nehmen. Zögernd nahm er sie und trat damit ans Fenster. Dort zog er eine Brille aus der Tasche, setzte sie langsam und be
Welche wonnige Wohlthat, am warmen Ofen hutsam auf und begann zu studiren. Eine lange, zu sizen, mit Filzschuhen an den Füßen!
Der Mann kam herein und brachte Holz. Sie theilte ihm mit, daß ich Tischler sei, und machte ihm den Vorschlag, daß er mit mir zu ihrem Bruder gehen solle. Er betrachtete mich schweigend ein Weilchen mit ernstem Gesicht, als trüge er Bedenken; dann aber sagte er zu meiner Freude:„ Das geht! Der Lorenz sucht so einen Menschen."
bange Weile studirte er, und endlich fällte er sein Urtheil:„ Die Papiere sind gut!"
Ich sah, daß es über meine Wirthsleute wie eine Erleichterung kam. Beide lächelten vergnügt.
" Die Papiere sind gut!" wiederholte Herr Lorenz, trat an mich heran, betrachtete mich, als wolle er prüfen, ob auch der Mann gut sei, und sagte schließ= lich:„ Er sieht garnicht so aus!"
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Todesmuthig steuern sie hinaus in die tobende See was auch das Ende sei. Würdige Helden der alten Wikinger mögt Ihr glücklich fahren!
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Aus dem Notizbuche eines Betrachtenden.
Wenn der Stolz aus der Natur heraus irgend eine Berechtigung hat, so ist es der Stolz des Starken und Gesunden gegenüber den Schwächlichen und Verkümmerten einer Rasse, nach unseren bestehenden Begriffen also der Stolz der Gesunden und Kräftigen aus dem Volke gegenüber dem Ungesunden der herrschenden Gesellschaftsklassen. Allein in ihrer unglückseligen Glanzperiode auf Erden haben die herrschenden Gesellschaftsklassen Alles umgekehrt. Und so kommt es, daß eine ungesunde, in Laster und Lurus verkommene Generation verächtlich auf die kraftund vollen Riesen aus dem Volke herabsehen darf daß der Niese dies so lange geduldet hat.
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Von zwei im Kampfe befindlichen Individuen geht das schwächere zu Grunde. Dasselbe gilt von Gattungen, dasselbe gilt von Völkern. Es ist ein Gesetz der Menschheit überhaupt. Nur die Starken, die Geschlechter der höheren Kraft bleiben übrig; die Schwachen sterben aus. Aber wie es bei Völkern ist, so auch bei Gesellschaftsklassen: oft führen sie noch Jahrzehnte, Jahrhunderte lang nach ihrer Kraft- und Glanzperiode ein Scheinleben weiter. Jeden dagegen, der einen Einblick in die natürliche Entwickelung gewonnen hat, wird dieses oft glanzvoll sich äußernde Scheinleben nicht täuschen über Sen wirklichen und stetigen Verfall.