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Die Neue Welt.

der Wand. Kostete wieder Geld, das herstellen zu lassen! Die neue Kuh war auch noch nicht voll bezahlt. Zu alledem rückte der Halbjahrstermin heran, wo wiedermal die Zinsen fällig waren. Wo­her das Geld dazu nehmen? Hafer, Roggen, Stroh, das vorjährige Heu, Alles war schon verkauft, Schüttboden und Banse waren leer.

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Auf den Feldern standen ja schöne Früchte. Wenn das Wetter weiterhin günstig war, würde er fogar eine ausgezeichnete Ernte machen. Der Bauer wandte seine Schritte unwillkürlich dem oberen Hofthore zu, von wo aus man die Felder des Gutes in ihrer ganzen Ausdehnung überblicken konnte.

Er deckte die Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen. Im flaren Mittagslichte lagen die­Fluren vor ihm. Das Kornfeld wogte wie ein grünlicher See mit silbernen Wogenfämmen. Un­absehbar schien die Menge der Aehrenhäupter, die sich da im Winde beugten und hoben in lang­gezogenen schwellenden und sinkenden Wellen. Und der Hafer, der eben die Schoßhalme treiben wollte, stand in dichten Beeten, eine dunkelgrüne, lebendige Matte, von ungezählten schlanken, spißen Hälmchen. Und die Kartoffeln mit saftigem Straut, kraftstroßend, in langen, geraden Reihen, sorgsam gefätet und an­gehäufelt, daß es eine wahre Lust war für das Auge des Landmanns.

Das war doch sein Eigenthum! Hundertfach hatte er es dazu gemacht, durch die Arbeit. Da war nicht ein Fußbreit Land, den er nicht gepflegt hätte mit seinen Händen. Sein Acker war ihm ver­traut, wie ein Freund. Er kannte alle seine Eigen­arten, seine Schwächen wie Vorzüge, bis ins Kleinste hinein. Er stand zu diesem Boden, dessen Sohn er war, doch auch wieder wie die Mutter zum Kinde; er hatte ihm von dem Seinen gegeben: seine Sorge, seine Liebe, seinen Schweiß.

Und nun drohten sich zwischen ihn und dieses Stück Erde  , aus dem er und die Seinen Kraft und Nahrung zogen, mun drohten sich Fremde zwischen ihn und sein Eigenthum zu drängen. Seinem schlichten, ungeschulten Verstande stellte sich die Ge­fahr dar, wie eine Verschwörung teuflischer Mächte, gegen ihn und sein gutes Necht. Von der Macht und Bedeutung des mobilen Kapitals, von jenen ehernen Gesezen, nach denen ganze Stände und Geschlechter dem Untergange verfallen, Andere empor hebend durch ihren Sturz, ahnte er nichts. Eines nur hatte er am eigenen Leibe erfahren: er kämpfte und rang durch ein langes Leben gegen eine Last, die auf ihn gelegt war, er wußte nicht von wem. Und je verzweifelter er sich aufbäumte gegen das unsichtbare Joch, desto schwerer und drückender wurde seine Wucht.

Konnte ein Mensch das ahnen, der diese lachenden Fluren ansah?

Gottes Segen schien auf ihnen zu ruhen. Der Acker wollte seinem Pfleger so gerne zurückerstatten mit Zinsen, was er an Liebe auf ihn verwendet. Der Boden wollte Dem die Treue halten, der ihm treu gewesen war.

Halm an Halm drängte sich. Konnte Der, dem solche Ernte in die Scheuer lachte, nicht gutes Muthes sein? Durfte es denn wirklich eine Macht geben auf der Welt, die ihm diesen Erntesegen, den der liebe Gott doch für ihn hatte wachsen lassen, streitig machte.

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Es tam wie ein großes, dunkles Gespenst über die Felder gehuscht, ohne Beine, und doch schnell­füßig der Schatten einer treibenden Wolfe. Es löschte allen Glanz von den Aehrenwellen, es wischte die Farbenpracht der bunten Fluren aus, es legte sich wie ein düsterer Ton über Alles. Der Schatten eilte über Haus und Hof, über die Feldmark in ihrer ganzen Breite, dem Walde zu.

( Fortsetzung folgt.)

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

auf Friedrich den Großen, der auch bezüglich eines seiner Vorfahren sagt, er sei zu dem Beinamen Nestor gekommen, wie Ludwig XIII  . zu dem des Gerechten  , oder wie der Blinde zur Ohrfeige, wie wir sagen würden, d. h. sans qu'on pénètre la raison," Mit solchen ohne daß man den Grund einsicht. ehrenden Beinamen geht es auch heute noch so, und der alte Frig fönnte, wenn er davon vernähme, immer und immer wieder seinen eigensinnigen Kopf schütteln und sich absonderliche Gedanken machen.

Joseph Marie Jacquard  .

( Zu dem Artikel: Auch ein Revolutionär".)

Der geistreiche Schlingel der athenischen goldenen Jugend, Alcibiades  , der eines Tages seinem Pracht­hund die Nuthe   abhackte und dann zu Sokrates ins Kolleg ging, Weisheit zu hören, gilt im Gesammt­urtheil der Geschichtsschreiber für einen ruhelosen, wankelmüthigen Projektenmacher und unzuverlässigen Kantonisten. Das mag irgend einen der humanistisch

Jacquardweber.

( 8u dem Artikel: Auch ein Revolutionär".)

gelehrten Zeitgenossen Albrechts, die sich und alle Welt gern lateinisch- griechisch umtauften, veranlaßt haben, den steten Landfriedensbrecher im großen Stil, Albrecht, nach jenem Athener   zu benamsen.

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Rösel meint, verständlicher wäre es gewesen, wenn man diesem wilden Schößling am Stamm der Hohenzollern  " einen Beinamen gegeben hätte wie: Höllenbrand, Würgengel, Unhold, Mordbrenner und

Ein deutscher Raubfürft des 16. Jahrhunderts. dergleichen, das wäre bezeichnender gewesen.

Von Ernst Wahrmund.

udwig Nösel wundert sich in dem Kapitel seines hübschen Buches über Alt- Nürnberg, welches von dem Markgrafen   Albrecht Alci­ biades   handelt, warum dieser aufrührerische Fürst den Beinamen Alcibiades   führte. Er bezieht sich

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Rösel, der Alt- Nürnberg behandelt und mit Liebe ich weiß nicht, ob er sogar ein Nürnberger  Kind ist umfaßt, ist natürlich, ebenso wie seiner zeit Hans Sachs  , nicht ganz unparteiisch. Aber auch der nüchterne, parteilose Geschichtsbetrachter muß seinem harten Urtheil über den hohenzollerschen Raub­fürsten zustimmen.

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Man ist seitens der offiziösen Hofhistoriker und ,, objektiven" Geschichtsprofessoren, der zünftigen Ver­treter der freien deutschen Wissenschaft", schnell damit bei der Hand, die Laster und Verbrechen von Fürsten   und anderen hohen Herrschaften vergangener Jahrhunderte aus den rauhen Sitten jener Zeiten" zu erklären und sie nach Kräften weiß zu brennen. Da sind die Verhältnisse" daran schuld, welche geradezu mit Nothzwang auf die hohen Herren ein­Bei etwaigen bedeutenden gewirkt haben sollen. Thaten derselben Leute aber läßt man die Umstände und Verhältnisse nicht als bestimmend und ausschlag­gebend gelten, da sollen diese Helden ihrer Zeit vorausgeeilt sein" und durch ihre persönliche Vor­trefflichkeit Alles höchst eigenhändig herrlich ange­fangen und ausgeführt haben. Dann kommt als Entschuldigung von etwaigen Scheußlichkeiten und Schurkereien noch die Staatsraison hinzu, welche die im Grunde so ehrsamen Herren genöthigt hätte, mit blutendem Herzen wider ihr Gewissen und besseres Wissen greifbare Verbrechen und Rechtsbrüche aller Art zu begehen im Dienste des höheren Interesses". Das fonnte Herr von Tausch ebenso gut sagen- hat es auch gesagt und auch Glück damit gehabt und seine Freisprechung erzielt. Der ernste und aufrichtige Geschichtsfreund und Geschichtsforscher muß sich aber von einer solchen doppelten Buchführung in sittlichen Dingen entrüstet abwenden. Er fann jene Schönfärber auch mit ihrer eigenen Theorie schlagen, nach welcher ja die großen Persönlich­feiten", wie man sagt, ihrer Zeit ihren Stempel aufdrücken", wenn das nämlich der Fall ist, so müssen diese Herren auch verantwortlich sein für die Zustände zu Zeiten des Verfalls und der allgemeinen Verlotterung.

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Albrecht war der Sohn des Markgrafen Kasimir und 1522 geboren; sein Vater starb, als der Junge erst fünf Jahre alt war. Die Mutter und ebenso erst fünf Jahre alt war. der Vormund, Markgraf Georg der Fromme  , nahmen es nicht sehr genau mit ihrer Erzieherpflicht. Man erzog Albrecht mit zwei Grafen von Leuchtenberg  zusammen und gab ihm dreizehn Edelknaben zur Bedienung. Rösel berichtet:" 3um Lernen hatte der junge Herr Anlage genug( wieder ein Zug, den er mit dem athenischen Alcibiades gemein hatte!), Lust dazu jedoch um so weniger, die hatte er blos zum Reiten, Jagen und Saufen." Seine Hofmeister und wissenschaftlichen Lehrer hatten ihre liebe Noth; einer von ihnen, Beck mit Namen, wurde gezwungen, auf einer fürstlichen Hochzeit sich so voll zu trinken, daß er einige Tage darauf starb. Der junge Albrecht selbst that bei derselben Gelegenheit des Guten so viel, daß er ein Jahr lang siechte. Seine Oheime wollten mun, daß er entweder eine Hochschule be­suchte oder nach Polen   ziehe, wo die lateinische Sprache zu Hause sei, um dort sich wissenschaftlich­lateinischen Schliff zu holen. Der Herr Neffe zog es vor, feines von Beiden zu thun, sondern wie bisher ritt er mit seinen Genossen im Lande herum, jagte, würfelte und zechte.

Gleich und gleich gesellt sich gern; so wundern wir uns nicht, als Albrechts Kumpan den wilden Sigmund von Heßberg genannt zu finden, und seit seiner Mündigkeitserklärung, 1540, den übel genug beleumundeten Wilhelm von Grumbach  , den Helden" der berüchtigten Grumbachschen Händel.

Zunächst drang Albrecht auf Theilung des Landes und erhielt das obergebirgische Fürstenthum. Sein Vater Kasimir hatte die Landesschuld seinerzeit verdoppelt, so daß die Einkünfte kaum reichten, die Zinsen zu decken, und selbst die der Kirche bei der so lukrativen Einführung der Reformation abgenom menen vierundzwanzigtausend Gulden waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein. 1529 schon machten die obergebirgischen Stände den Vorschlag, ein paar Aemter an die reiche Stadt Nürnberg   zu verkaufen, um nur etwas Luft zu bekommen.

Unter sothanen Verhältnissen entschloß sich Albrecht, nicht daheim still zu liegen, sondern als reislaufender Soldat sein Glück zu versuchen.

Zunächst ging der lutherische Markgraf in die Dienste seiner kaiserlich katholischen Majestät Karls V. und bezog als kaiserlicher Feldoberst gegen den Schmalkaldischen Bund   monatlich dreißigtausend