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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Inzwischen kam Karl Büttner, der nebenan die Kartoffeln anfuhr, herbeigelaufen. Der Vater sei draußen am Büschelgewende, erklärte er dem Fremden und wies mit dem Peitschenstiele in der Richtung nach dem Walde. Sam betrachtete sich den Hochgewachsenen jungen Mann, fragte, ob er der Sohn sei, und verlangte schließlich, über die Felder geführt zu werden.
besondere Niederträchtigkeit von Seiten seines Schwagers. Ein eingeschriebener Brief! Er hatte da dem Postboten sogar noch etwas unterschreiben müssen. Und dabei wohnte sein Schwager einige hundert Schritte von ihm. Man konnte sich vom Büttnerschen Gute zum Kretscham mit einigermaßen lauter Stimme etwas zurufen.
Wäre Kaschelernst an jenem Tage dem Schwager Karl rief seiner Frau zu, sie solle auf die Pferde in den Wurf gekommen, es hätte wohl ein Unglück aufpassen, dann folgte er dem Händler.
Sam umschritt die einzelnen Schläge, hier und da untersuchte er den Boden mit seinem Stocke, an dessen Ende sich eine lange metallne Zwinge befand. Zwischendurch richtete er Fragen an seinen Begleiter über die Grenzen des Gutes, über benachbarte Grundstücke, Wege, Fruchtfolge, Bewässerung, Aussaat und Erträge. Auch die Verhältnisse in der Familie schienen ihn zu interessiren. Karl wunderte sich zwar über die vielen Fragen des Fremden, aber auf den Gedanken, etwas zurückzuhalten, kam er nicht. Treuherzig gab er auf alle Fragen Antwort, so gut er es eben wußte.
So kam man in die Nähe des Waldes. Schon von Weitem konnte man den alten Bauern erblicken, auf lehnan gelegenem Feldstücke, wie er, einen grauen, bauschigen Sack vorgebunden, den Samen mit ge= messenem Wurfe ausstreute, den Acker hinab und hinauf schreitend.
Der verwilderte Zustand dieses Schlages, der Nähe des Waldes wegen das Büschelgewende benamst, das zwei Jahre lang brach gelegen, hatte dem alten Manne keine Ruhe mehr gelassen. So wie die Bestellung des übrigen Gutes beendet, war er daran gegangen, dieses Stück wieder urbar zu machen. Eigenhändig hatte er es umgepflügt und einen Theil davon für die Aussaat vorbereitet. Da es zu spät war im Jahre, um hier noch etwas Anderes zu erbauen, säete er jegt wenigstens noch Gemenge aus.
Im ersten Augenblicke erkannte der Büttnerbauer den Händler garnicht. Harrassowiß mußte sich ihm ins Gedächtniß rufen. Nun dämmerte es in den verdußten Mienen des Alten. Er schüttelte dem Händler kräftig die Hand. Herr Harrassowiß, ich hätt' Se, weeß der Hole, bale ne derkennt. Das is schene vun Sie, daß Sie och mal zu uns nausfumma das is racht!"
In der Freude des Bauern lag nichts Erheucheltes. Er rechnete es dem Städter hoch an, daß er ihn auf dem Dorfe aufsuchte, und war sogar, bis zu einem gewissen Grade, stolz auf diesen Besuch.
Der Bauer band sich den Sack ab und gab ihn Karl zum Tragen. Dann schritt man zu Dreien langsam auf dem Wiesenpfade dem Gehöfte zu. Karl ging in respektvoller Entfernung hinter dem Vater und dem fremden Herrn drein.
Harrassowitz lobte Alles, was er sah. Nach seinem Urtheil war der Boden ausgezeichnet, die Wiesen in bester Kultur und der Stand der Feldfrüchte ließ nichts zu wünschen übrig. Dem alten Bauern mundeten die Lobeserhebungen des Händlers wie Honigseim . Er schmunzelte vergnügt in sich hinein.
,, Sie werden eine glänzende Ernte machen, mein guter Herr Büttner!" sagte Harrassowiß.„ Ich gönne es Ihnen von Herzen, denn hier in dem Boden steckt Arbeit, das sieht man."
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Gab's Gott! Gab's dar liebe Gott!" erwiderte der Alte und bekreuzigte sich dabei. Es war ihm eigentlich nicht recht, daß der Andere eine solche Prophezeiung ausgesprochen hatte. Man durfte nichts berufen. ,, Gebraucha fennten mer schun ane gute Ernte. Aber, da kann Sie much Mancherlei für sich giehn, bis dohie." Er seufzte.
Der Büttnerbauer hatte gerade in den letzten Tagen wieder schwere Sorgen durchzumachen gehabt.
Sein Schwager Kaschel hatte ihm durch eingeschriebenen Brief seine Hypothek von siebzehnhundert Mark gekündigt. Das hatte wie ein Blizz aus heiterem Himmel gewirkt. Woher das Geld herbeischaffen für diese an letzter Stelle eingetragene Hypothef! Mehr noch aber als die Kündigung hatte den Büttnerbauer ihre Form geärgert, ja geradezu in helle Wuth versetzt. Ein eingeschriebener Brief! War so etwas erhört! Darin erblickte er eine ganz
gegeben.
Und das war noch nicht einmal Alles. An verschiedenen Stellen drückte den Bauer der Schuh. Der Viehhändler, dem die Kuh immer noch nicht ganz bezahlt war, hatte gemahnt. Die Gemeindeanlagen waren fällig für mehrere Termine. Der Büttnerbauer hatte sein Baargeld immer und immer wieder überzählt und seinen Kopf angestrengt. Er wußte feine Hülfsquellen mehr. Er würde schuldig bleiben müssen, und in der Ferne drohte das Schreckgespenst der Pfändung.
,, Ist es nicht ein wahrer Segen Gottes?" rief Sam und blieb vor dem großen Kornfelde stehen, dicht am Hofe. Hier wächst doch wirklich das reine Gold aus dem Boden!"
Das Wort löste dem Büttnerbauer die Zunge. Natürlich fiel er nicht mit der Thiir ins Haus. Nach seiner bäuerisch verschlossenen, mißtrauischen Art fing er an ganz entlegener Stelle an und kam dann allmälig seinem Gegenstande vorsichtig näher.
Der Händler ließ sich erzählen. Mit theilnahmsvollem Gesichte hörte er zu. Als der Bauer schließlich so weit war, daß er ihm rückhaltslos seine mißliche Lage eröffnete, nahm Sam eine ernstlich betrübte Miene an. Das thue ihm von Herzen leid, sagte er.„ Ja, was wird denn da werden, mein guter Büti.ter? Die Gläubiger werden sich mit bloßen Versprechungen wohl nicht beruhigen. Was wird denn da werden?"
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" Ja, wißten Sie nich an Rath, Herr Harrassowiz?" " Ich?. Ich bitte Sie, mein Bester, wie könnte ich Ihnen da einen Rath geben; ich bin Kaufmann. In diesen ländlichen Dingen weiß ich gar keinen Bescheid."
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„ Ich meente ob Se nich vielleicht an Gelde..."
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wegen
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Nun, nun, mein Guter! Nur keine Aufregung!
Wir werden uns das nachher in aller Nuhe berechnen. Jetzt will ich mir mal Ihre Gebäude von Innen ansehen."
Man trat in die Ställe. Mit Kennerblick prüfte der Händler den Viehstand. Eine Kuh hatte die Trommelsucht. Sam gab gute Rathschläge für ihre Behandlung. Auch die Scheune besah er sich, prüfte das Gebälk. Selbst in den Schuppen warf er einen Blick. Er untersuchte, ob die Dingerstätte auch die Jauche halte. Jauche halte. Dann betrat er den Garten, pflückte sich im Vorbeigehen eine Narzisse, die er ins Knopfloch steckte, ließ sich einen Augenblick auf der Holzbank nieder, die um den alten großen Apfelbaum gegenüber dem Westgiebel des Wohnhauses angebracht war.
Nichts gehe ihm über die Traulichkeit des Landlebens, erklärte er, und musterte das alte, freundliche Haus mit empfindsamen Blicken; am liebsten gäbe er sein Geschäft auf und würde selbst ein Bauer.
Inzwischen hatte die Bäuerin drinnen einen Kaffee zurecht gemacht, wie er im Büttnerschen Hause noch nicht getrunken worden war. Die wohlbeleibte Frau erschien dann selbst im Garten und bat mit ihrem schönsten Knir den Herrn zum Vesper.
Es gab Butter, Quark und Honig zum Schwarzbrot. Sam kostete von Allem. Er schmeichelte sich dadurch, daß er so garnicht wählerisch war, nur noch mehr ins Herz der Wirthin ein.
Nachdem er sich satt gegessen und getrunken, lehnte er sich zurück und entnahm seiner Brusttasche ein Zigarrenetui.„ Es ist doch gestattet, zu rauchen?" fragte er lächelnd." Nach einer guten Tasse Kaffee gehört sich eine Zigarre!" Dann holte er aus seinem Rocke eine gewichtige Brieftasche hervor, die er vor sich auf den Tisch legte.
" Nun vielleicht zum Geschäftlichen, Herr Büttner, wenns recht ist?"
Der Bauer hatte inzwischen in einer Ecke des Zimmers sein Wesen für sich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide schrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wischte er die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus und trat zu dem Händler. ,, A Märker dreihundert wer'ch brauchen," sagte er mit gedämpfter Stimme, was blußig de Hand
Aber mein verehrter Freund! Wofür halten schulden sen." Sie mich denn?"
„ Ich dachte ack weil Sie mer duch schun eemal, und Se han mir dunnemals so freindlich gehulfa!"
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Ach, Sie meinen damals mit Schönberger! Ja, sehen Sie, da lag die Sache günstiger. Da war einfach eine todsichere Hypothek zu besezen aber hier... nein, das sind Sachen, mit denen sich ein reeller Geschäftsmann nicht gern abgiebt."
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Er
Man ging fortan schweigend nebeneinander her. Der alte Bauer in stummer Verzweiflung. hatte bei all den Sorgen der lezten Tage im Stillen immer auf Harrassowiz gehofft. Wenn alle Stränge rissen, wollte er sich an den wenden, der würde schon einspringen. Nun war es damit auch nichts!
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Schon war man an das Gehöft herangekommen und ging an der hinteren Wand der Scheune entlang, da machte der Händler plößlich halt.„ Büttner," sagte er, ich habe mir die Sache überlegt: Ihnen muß geholfen werden. Einen Mann wie Sie, der sich so redlich müht, in der Klemme ſizen zu lassen, das bringe ein Anderer übers Herz, ich nicht! Ich werde Ihnen das Geld verschaffen, obgleich ich selbst noch nicht weiß, wo hernehmen. Denn ich habe Alles im Geschäft festgelegt. Unsereiner kann auch nicht immer so, wie er gern möchte. Aber geschafft muß es werden. Erst mal Ihre laufenden Schulden, die missen Ihnen zunächst vom Halse geschafft werden. Später wird dann auch für die Hypothek Nath werden. Sagen Sie mir, wie viel die Läpperschulden ausmachen."
Dem alten Manne zitterten die Hände vor freudigem Schreck. Das Glück kam so überraschend, daß es ihm für Augenblicke das Denkvermögen völlig benahm. Er rechnete, nannte einige Zahlen, widersprach gleich darauf und faselte unsicher zwischen seinen eigenen Angaben hin und her.
Sam klopfte ihm beschwichtigend auf den Rücken.
Der Händler Klappte die Brieftasche auf und blätterte darin.
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De Weibsen megen a mal nausgihn!" sagte der Bauer, als er bemerkte, daß Ernestine und Therese lange Hälse machten und die Köpfe zu= ſammenſteckten. Mutter, Du kannst bleba und Karle och!" Die drei jüngeren Frauen entfernten sich darauf schleunigst.
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Sam hatte der Tasche ein Packet blauer Scheine entnommen.„ Ein glücklicher Zufall!" sagte er, „ daß ich gerade heute Geld einkassirt habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht so viel bei mir zu tragen." Er legte drei Hundertmarkscheine nebeneinander auf den Tisch und behielt die übrigen in der Hand. ,, Hier wäre das Gewiinschte, fieber Bittner! Soll ich Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's einmal hier habe?"
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Der Bauer starrte mit großen Augen auf das Geld, rührte aber keinen Finger und sagte auch nichts,
" Ihnen gebe ich Kredit, so viel Sie wollen, Büttner. Ein so tüchtiger Wirth wie Sie, mit solch einer Ernte auf dem Felde! Ihre Unterschrift ist mir so gut wie baar Geld."
Dem alten Manne drehte sich Alles vor den Augen. Er sah bald den Händler, bald seine Frau an, die neben ihm stand. Durfte er denn seinen Sinnen trauen? War das nicht etwa ein Sput? Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch mehr, auf der Tischplatte, so viel, um ihn aus allen seinen Nöthen zu reißen. Hier saß Einer, der ihm die Hülfe geradezu aufnöthigte. Was sollte man davon denken?
In seiner Rathlosigkeit wollte er schon den ältesten Sohn um seine Meinung befragen. Aber Karl sah dem ganzen Vorgange mit einer so völlig verständnißleeren Miene zu, daß der Alte diesen Gedanken schnell wieder fallen ließ. Er blickte fragend nach seiner Lebensgefährtin hinüber.