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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

In der folgenden Nacht sah man große Mengen ärmlich gekleideter Leute mit arbeitgeschwärzten Ge­sichtern, meist ohne Waffen, ruhig und in geschlossenen Reihen durch die Straßen marschiren: das Aufgebot des Proletariats rückte an. Munizipalgarden zu Pferde sprengten durch die Straßen. Die soeben aufgebotene Nationalgarde sympathisirte mit dem Volke. Die Lage wurde immer besorgnißerregender.

Jetzt sah selbst der König ein, daß es ihm nichts half, den Bürgerfönig gespielt zu haben, daß selbst die Bourgeoisie abfiel. Er griff zu dem alten, schier abgebrauchten Mittel eines Ministerwechsels. Das Volk rief: Nieder mit Guizot  ! Der König ließ ihn fallen und beauftragte den Grafen Molé mit der Bildung eines neuen Kabinets. Derselbe Mann war schon 1836, 1838 und 1839 in ähnlichen Lagen als Nothnagel verwendet worden.

Die Bourgeoisie sah in dem Ministerwechsel Gott   weiß welchen Erfolg der honneten" Revolution und überließ sich aufgeregtester Freude: die Nevo­lution schien vorüber zu sein.

Der Platz vor den Tuilerien war von Truppen besetzt, den Palast selbst bedrohte kein Mensch, und nur in entfernteren Stadttheilen lärmten Volkshaufen, die jedoch keinerlei ernste Besorgnisse erregten.

Vor dem Palais Guizot   drängte sich eine große Menge von neugierigen, unbewaffneten Leuten, als ganz plöglich ein Schuß fiel, der das Pferd eines Offiziers verwundete. Wer den Schuß abgefeuert, blieb unbekannt: mit aller Bestimmtheit wurde be­hauptet, daß er aus dem Garten des Minister­hotels gekommen sei.*

Die Truppen, welche vor dem Palast standen, feuerten nun eine volle Salve in die Volksmenge, diese stob, Nache und nach Waffen rufend, aus einander.

Der Tanz begann von Neuem. Es machte gar feinen Eindruck, als am 24. Februar eine von Thiers und Odilon Barrot   gezeichnete Proklamation Auf­lösung der Kammer, Gewährung der Wahlreform und Einstellung der Feindseligkeiten zusagte. Eintausend fünfhundert Barrikaden entstanden während der fol­genden Nacht und die Aufregung wuchs fortwährend.

Da dankte der Bürgerfönig zu Gunsten seines Enkels, des Grafen von Paris  , ab, er selbst entwich nebst Familie und Werthpapieren nach St. Cloud, dann nach England.

Die Kammer seßte eine improviſirte Regierung, ein, zu der zum ersten Male als Vertreter des vierten Standes" die Sozialisten" Louis Blanc  , Ledru- Rollin   und der Schlosser Albert** gehörten.

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Am 27. Februar wurde auf dem Bastilleplay die Republik   ausgerufen, nachdem Tags vorher durch die Arbeiter der Regierung ein Tekret bezüglich des Rechts auf Arbeit" abgenöthigt worden war. In demselben hieß es:" Die provisorische Regierung der französischen Republik verpflichtet sich, die Eristenz des Arbeiters durch die Arbeit zu garantiren; sie verpflichtet sich, allen Bürgern Arbeit zu garantiren; sie erkennt an, daß die Arbeiter sich assoziiren müssen, um den legitimen Ertrag ihrer Arbeit zu genießen. Die provisorische Regierung giebt die fällige Million der Civilliste zurück an die Arbeiter, denen sie gehört."

Wie diese schönen Versprechungen ebenso wie die eines Arbeiterministeriums und vieles Andere durch Lahmlegung Blancs und Alberts seitens ihrer Kollegen in der Regierung zu Wasser gemacht wurden, wie die berühmten ,, Nationalwerkstätten" zum reinen Hohn auf Das gemacht wurden, was Louis Blanc   durch sie schaffen wollte, sollte ausführlich erzählt werden, wozu aber hier der Raum nicht ist; vielleicht ein anderes Mal.

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Die weltgeschichtliche Bedeutung der Februar­revolution ist aber die, daß hier das moderne Prole­tariat zum ersten Male Klassenbewußt und bis zu einem gewissen Grade selbstständig in die Welt­geschichte der Neuzeit eingreift.

* Solche Mißverständnisse und Räthsel für den Ge­schichtsforscher finden sich öfter in den Revolutionszeiten. Man denke an die Berliner   Vorgänge im März 1848. ** Geboren 1815, Mitglied der provisorischen Regie­rung, dann Deputirter, zur Deportation verurtheilt, erst 1859 durch die Amnestie befreit; er starb erst 1894.

Wanderungen durch Beit und Raum. Muscheln finden, ward der Gegenstand völlig von

Von Th. Overbeck.

XIII.

Die Ablagerungen der Urzeiten und die ein­geschlossenen Reste alter Lebensformen.

nsere letzte Betrachtung hatte uns noth­gedrungen auf ein höchst dunkles Gebiet geführt, dunkel in erster Linie, weil das größte Räthsel des Alls, die Frage nach dem Ur­sprung und dem Wesen des Lebens, in den Kreis der Betrachtung gezogen werden mußte, dann aber auch, weil älteste Lebensformen zu schildern waren, von denen Reste in den Schichten der Grdrinde, wegen der meistens gallertartigen und weichen Konsistenz dieser Urformen, nur äußerst selten erhalten sind.

Bevor wir jedoch zur Schilderung der Natur­verhältnisse und der organischen Formen der Urzeiten unseres Erdballs übergehen, ist es geboten, kurz die Grundlagen zu betrachten, auf denen das gewaltige Gebäude der modernen Geogenie( Lehre von der Entstehung der Erde  ) und Geologie( Lehre von dem Erdförper in seiner jetzigen Erscheinungsweise und seiner allmäligen Entwickelung) errichtet ist, da sonst vermuthlich Vielen die späteren Erörterungen theil­weise unverständlich bleiben dürften.

Die Erde hat ihre Geschichte seit den urältesten Zeiten, als noch kein menschlicher Fuß sie betreten, genau verzeichnet, und zwar belegt mittelst unwider­leglicher Dokumente, allerdings nicht aus vergäng­lichem Pergament und Papier gebildet, sondern aus nahezu ewigem Fels bestehend, dessen organische Ein­nahezu ewigem Fels bestehend, dessen organische Ein­schlüsse eine Schriftsprache bilden, dem Eingeweihten ebenso verständlich wie das geschriebene und ge­druckte Wort.

Diese Felsmassen der Erdrinde sind nun im Wesentlichen auf die Thätigkeit zweier Faktoren zurückzuführen: auf die des Feuers und des Wassers. Ersteres schuf die alten plutonischen Gesteine: Granit, Syenit, Serpentin, Diorit, Porphyr und Melaphyr, sowie die jüngeren vulkanischen: Basalt, Trapp, Dolerit, Trachyt und Lava, welche sämmtlich ur­sprünglich in glühend- flüssigem Zustande den Erd­fern bildeten und meistens durch Krater, Schlote und Spalten aus dem Erdinnern hervorbrachen; das Wasser dagegen löste große Massen dieser feuer­gebildeten Stoffe wieder auf, zerschlemmte sie und lagerte sie dann später, infolge der Schwerkraft, in ursprünglich wagerechten Schichten wieder ab, welche horizontale Lagerung durch vulkanische Erschütterungen horizontale Lagerung durch vulkanische Erschütterungen allerdings meistens bald wieder gestört, zerrissen und verworfen wurde.

Derartige Wasserablagerungen sind Gneis, die meisten Kaltgesteine, Thonschiefer und Sandsteine.

Mit Ausnahme des Gneises, in welchem orga= nische Einflüsse noch nie mit Bestimmtheit nach­gewiesen wurden denn das in voriger Abhandlung erwähnte älteste Lebewesen, das Eozon, findet sich nicht im Gneis selbst, sondern in Kalkfnollen ein­gebettet im Gneis, weisen die meisten dieser Wasser­bildungen organische Einschlüsse auf, d. h. meistens in Stein verwandelte Neste ehemals lebender Thiere, Pflanzen und Protisten.

Diese uralten Neste früherer Lebensformen sind nun auf verschiedene Weise der Nachwelt überliefert worden, und zwar als echte Versteinerungen, als Abdrücke, Abgüsse, verkohlt, mumifizirt, oder auch die jüngsten noch in ihrer ursprünglichen Substanz.

Bei den richtigen Versteinerungen ist die ganze Masse der erhaltenen Gegenstände in Stein um= gewandelt, meistens infolge Durchtränkung mit mineralischen Lösungen, die Abdrücke dagegen sind in der Weise entstanden, daß Organismen, vor­züglich Pflanzentheile, Blätter( doch auch zuweilen Thierfährten), sich auf feuchtem Boden oder in Schlamm abprägten und die Form dann allmälig zu Stein erhärtete, während der abformende Gegen­stand zerfiel. Auf feuchten, lehmigen Wegen des herbstlichen Waldes wird man derartige, allerdings noch nicht verſteinte Abdrücke erblicken, wenn man auf den Boden festgetretene Blätter aufhebt.

Bei Abgüssen, welche sich vorzugsweise von

Schlamm, Thon, Kalt oder Sand umhüllt und dadurch abgeformt. Darauf zerfiel und verschwand die organische Substanz, einen Hohlraum hinter­Lassend, welcher sich später wieder mit mineralischem Stoffe füllte, der, zu Stein erhärtend, die genaue Form des Gegenstandes dauernd aufbewahrte.

Die Abgüsse der inneren Windungen und Formen der Schnecken und Muscheln bilden die Steinkerne benannten Objekte, welche sich in Kalfgesteinen oft in zahllosen Mengen finden. Für die Verkohlung bieten Graphit, Anthracit und Steinkohle Beiſpiele; Mumifizirung zeigen Braunkohle, Torf und die Beutel von Tintenfischen aus den alten Liasschichten von Lime- Regis.- In ursprünglicher Substanz erhalten sind Zähne von Haifischen, Muscheln und Schnecken junger Ablagerungen und Zähne und Knochen der meisten Säugethiere des Tertiärs und Diluviums, 3. B. des Mammuth und Mastodon. Das relative Alter dieser Ueberreste längst verstorbener Thier­und Pflanzenformen ergiebt sich nun aus ihrer Lagerung; das Tiefliegende ist das ältere, das diesem Aufgelagerte ist jünger.

Nur äußerst selten findet man Ablagerungen, bei denen vulkanische Erschütterungen das Oberste zu unterst gekehrt haben.

Von diesen durch das Wasser abgelagerten Ge­steinen mit organischen Einschlüssen, den Sediment­gesteinen, giebt es eine erhebliche Anzahl, doch wiirde es hier zu weit führen, näher darauf einzugehen.

Die ganze Entwickelungsperiode unserer Erde zerlegt nun die Geologie in verschiedene Epochen, in deren jede die derzeit eristirende Lebewelt in großen Zügen einen gewissen gemeinsamen Charakter besaß.

Die ältesten, den plutonischen Urgesteinen, den vermuthlich ersten Erstarrungsprodukten des erfaltenden Erdballes auflagernden Massen, repräsentiren die Primordialepoche oder Urzeit der Erde.

Diese Urmassen zerfallen in drei Hauptgruppen, deren älteste, die Laurentische Formation, vorzugs­weise aus Gneis gebildet ist und in deren untersten Lagen sich die Knollen von Urkalf mit dem ältesten Lebewesen, dem besprochenen Eozoon canadense, fanden.

Darüber lagert die Cambrische Formation, eine mächtige Schieferbildung mit einzelnen Spuren von Seepflanzen.

Dann folgt die Silurformation, Grauwacke oder älteres Uebergangsgebirge, welche bereits eine große Anzahl oft äußerst formschöner Thierreste enthält, alle jedoch nur niedrigstehenden Formen angehörend, Korallen, Muscheln, Schnecken und Krebse, vereinzelt auch höchst einfach organisirte Fische.

Hierauf folgt die Primärepoche mit sich langsam höher und höher entwickelnder Lebewelt, zerfallend in die Devonische, Carbonische und Vermische For­mation, benannt nach dem Hauptauftreten der Ge­steine in Devonshire   in England und Perm in Ost­Rußland, die Carbonische nach den in ihr sich vor­zugsweise findenden Steinkohlen.

Auf diesen Primärschichten lagert die nächst­jüngere, die Sekundärformation, zusammengesetzt im Wesentlichen aus einer Reihe verschiedener Kalf, Thon- und Sandgesteine. In diesen Ablagerungen erhebt sich das Thierreich bereits zu einigen niedrig stehenden Säugethierformen, ähnelnd unseren heutigen Beutelthieren.

Die nun folgende Tertiär- Epoche, die Molasse ( abgeleitet von mollis, weich, da die meisten Tertiär­gesteine weich find) oder das Braunkohlengebirge, nähert sich bereits hinsichtlich seiner organischen Welt sehr der Jeztzeit und fanden sich in ihr auch vor etwa zwei Jahren die ersten zweifellosen Spuren des Urmenschen( Pithekantropus erectus), einer genau in der Mitte zwischen dem Affen und dem Menschen stehenden Uebergangsform.

Auf dieser Tertiärschicht lagert nun noch das Quartär, zusammengesezt aus dem älteren Schwemm­land oder Diluvium, gebildet aus noch nicht in Stein verwandelten Sand-, Kies- und Thonmassen, und das Alluvium oder jüngere Schwemmland, letzteres im Wesentlichen die heutige Erdoberfläche darstellend, obgleich auch das Diluvium vielfach direkt zu Tage tritt.

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