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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Thiire hereingekrochen sei, das Gitter zu durchfeilen und in den Hof hinabzuspringen. Joachim möge ihm eine Feile besorgen.
Dies sagte er oft, und Joachim versprach, es zu thun. Aber das schien dem Nath nicht mehr zu genügen. Eines Tages begehrte er aufs Heftigste, jezt auf der Stelle müsse er seine Feile haben. Die Kröte sammle ihr Gift furchtbar schnell, und er wolle nicht bis zur letzten Minute warten. Joachim hatte Mühe, ihn zu beschwichtigen.
Der Rath hatte bemerkt, daß die Kammer Joachims neben der seinigen gelegen sei. Wenn Joachim fortging, so schloß er die Thüre zum Gang ab. Wenn er aber blos am Gang zu thun hatte, so ließ er die Thüre halb offen stehen, um den Nath beobachten zu können. Schon zweimal hatte sich der Nath in solchen Augenblicken hinausgeschlichen und war in die Kammer Joachims gedrungen, unt eine Feile zu suchen. Mit kazenartiger Behendigkeit flüchtete er sich wieder in sein Zimmer zurück, ohne von dem Wärter gesehen zu werden. Ein drittes Mal gelang es ihm, ein Kästchen zu entdecken, in dem Eisenwerkzeuge lagen. Da kam Joachim den Gang zurück und der Nath mußte sich flüchten. Bald darauf aber stand Joachim am Fenster des Ganges und schaute hinaus. Unten war Lärm entstanden. Diese Gelegenheit benußte der Rath, und durch die halbgeöffnete Thür gedeckt, schlich er sich hinüber und nahm eine Feile heraus, die er in seinem Zimmer verbarg. Als Joachim wieder kam, stand der Nath im Zimmer und pfiff halblaut eine Melodie.
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Einige Tage später, an einem schwülen Nachmittag stand der Rath vor dem Fenster und sann.
Von Zeit zu Zeit schlich er zur Thüre und lauschte. Alles war still, und befriedigt lächelnd fehrte der Rath zurück.
In seinem Kopfe treuzten sich wirre Vorstellungsreihen.
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Er sann: die Stäbe find durchfeilt. Manchmal fühlte er vorsichtig mit der Hand an das Gitter, das lose war.
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Ja, die Stäbe sind durchfeilt, dachte er
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vergnügt und freute sich, daß er troz Joachims Aufpasserei so weit gefommen war. Der Spion! Wie er diesen Spion haßte! Diesen Kerl mit demt gekrümmten Rücken und den verlogenen Augen. Seine Augen erschienen ihm wie häßliche, neugierige Lichter, die in sein Dunkel starrten und Alles in ihm beleuchteten. Wenn er diese Lichter nur hätte ausblasen können
Er lauschte. Alles leer, leer und ausgestorben. Heute hörte er keine schlürfenden Tritte hinter den Thüren, kein Rascheln und Umhergehen. Auch die alte Kröte mußte fort sein hi, wie die lachen wird, wenn er auch fortgeht. Nein, sie wird nicht lachen, denn dann ist sie betrogen um den Spaß.- Hi, hi, Kröte Du! ficherte er.
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Aber doch sei es gut so, dachte er. An einem warmen Sommertag muß man es ausführen, an einem solchen, wie heute.
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Nebenan schlug die Uhr. In seinem Kopfe flangen die Schläge wieder, langsam und monoton. Er hörte eine Zeit lang nichts als das regelmäßige, einschläfernde Geräusch. Dann aber fing es zu knattern und rasseln an und schlug laut und schnurrend. Das störte ihn. Aber er konnte die Uhr nicht stehen lassen. Schade! Sie brauchte nicht zuzuhorchen, sie brauchte nichts zu wissen. Tif, tif, das klang wie eine ewige Wiederholung, wie das Memoriren desselben Wortes tit , tit. Unruhig horchte er auf. Die Uhr memorirte weiter. Dann wurde es eine Zeit lang flar in ihm. Er hatte das Gefühl der Ruhe und sah so rein, wie durch Glas. Er sah, daß Joachim nicht der Amtsdiener sei, sondern ein Spion, den das Gesindel angestellt habe, damit er nicht entrinnen könne.
dürren Zweig. Deshalb ließ man ihn ausgraben. Es sah nicht gut aus, besonders bei einem Ahorn, der im Hofe stand.
Es freute ihn, daß er sich auf Alles so besinnen konnte. Gertrud muß jest zwanzig Jahre alt sein. Und sein verstorbener Bruder hieß Egon und war Güterdirektor in Ebenhof. Güterdirektor Egon Johnmann in Ebenhof, das war die Adresse. Sein Gedächtniß aber sei wie Glas, ganz, ganz durchsichtig.
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Er sann weiter: Darum hätten sie auch Angst vor ihm. Es treffe sich gut, daß Alle Angst haben. Er nicht. Er brauche keine Angst zu haben. Aber die alte Kröte die fürchtet, daß er ihre dicke Kehle zwischen seinen Fingern zerquetschen werde hi, hi. Aber er werde sich wohl hüten. Nun hat sie schon Gift gesammelt, das Gift, mit dem Genitiv, des Giftes. Als er noch auf der Schule war, war ihm das Dekliniren das Schrecklichste gewesen. So, wie die Uhr, tif, tif. Und das mochte wohl die Ursache sein: er hätte sich vor dem Dekliniren nicht so fürchten sollen,- ja, gerade so, wie Hertha auf ihrer Hochzeit, als ihr Bräutigam betrinken war
die Sonne: ja,
Da brach er ab und lauschte. Was wollte er denn nur? Heute, heute, heute war ein warmer Tag
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und Joachim ist fort.
Lautlos erhob er sich. Er blieb stehen, seine Augen waren auf die Thüre gerichtet. Jetzt fing es draußen zu kriechen anja, das ist sie! Entsetzliche Furcht malte sich auf seinen Zügen.
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Die Kröte, der Kröte, der Kröte, die Kröte- murmelte er mit klappernden Zähnen und schwang sich auf die Fensterbrüstung.
Das Gitter gab nicht sogleich nach. Die Stäbe waren stark. Er zerrte daran und keuchte: die Kröte, der Kröte,
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Nun fing er an sein Gedächtniß zu mustern. Er heiße Johannes und die alte Kröte heiße Bertha und die junge Gertrud. Sein Vorgesetzter hieß Stöckner, Gerichtspräsident Stöckner, mit zwei Orden Er fühlte, wie es langsam an der Thüre kroch. und einem rothen Punkt auf der Nase, der leuchtete, Da raubte ihm die Angst die letzte Besinnung. wenn er zornig war. Und seine Schwester heißt Heulend zerrte er am Gitter und schrie in tödtJohnmann, die hatte den Namen ge- lichem Entsetzen: nein, lichem Entsetzen: Kröte, Kröte!- wechselt und im Hof vor dem Hause seines Vaters stand ein Baum, ein Ahorn, das ist schon sechzig Jahre her. Der Ahorn hatte auf der linken Seite, nein, es war doch die rechte-- einen
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Aber es war Joachim, der hereingekommen war. Er öffnete die Thüre, sprang hinzu und riß den Wahnsinnigen herab, der fortwährend heulte und deklinirte. ( Schluß folgt.)
Zum Begnadigungsrecht der Monarchen. Nach der endgültigen Niederwerfung der Republik Rom durch die Schlacht bei Actium ( im Jahre 37 v. Chr.) und durch Beendigung des egyptischen Feldzuges kehrte Octavianus Augustus als Herr des römischen Reiches nach Rom zurück. Alle Priester erhielten die Weisung, für ihn dieselben Gelübde und Fürbitten zu thun, wie für das römische Volk, und in ihre Gebete und Gesänge seinen Namen aufzunehmen. An die Bürger erging das Gebot, bei festlichen Mahlen zu Octavians Ehren Trankopfer zu spenden. Die Vestalinnen( die jungfräulichen Priesterinnen der Vesta , der Herd- und Familienschüßerin unter den römischen Göttinnen), die Senatoren( etwa den Mitgliedern unserer Herrenhäuser oder ersten Kammern entsprechende Würdenträger) und das Volk sollten ihm bei seinem Einzug festlich entgegenziehen. Der Tag der Heimkehr selbst sollte fortan alljährlich als Fest begangen werden. Bei den Festlichkeiten sollte der„ neue Herr" des Reiches einen Purpurmantel tragen, das Portal seines Hauses mit Lorbeerzweigen und einer Bürgerfrone geschmückt werden. Die Bürgerfrone war eine Auszeichnung für Errettung römischer Bürger", eine etwas eigenthümliche Huldigung für den Mann, der bei Actium und sonst Bürgerblut in Strömen vergossen hatte.
"
Zu Beginn des Jahres 29 v. Chr. schwuren die Senatoren und höchsten Beamten des Reiches einen Treueid, allen Verfügungen Octavians zu gehorchen. Zugleich übertrug man diesem das Amt eines Volfstribunen auf Lebenszeit. Mit dieser ursprünglich ganz demokratischen Würde eines Schüßers der bürgerlichen Freiheiten und Rechte der Plebejer, d. H. der Nicht- Vornehmen, war heilige Unverletzlichkeit der Person verbunden. Octavianus wurde dazu noch das Recht verliehen, diese Eigenschaft auf jeden Menschen zu übertragen, dem er seinen Schutz zu Theil werden lassen wollte.
Dem
Hier ist der Keim des Begnadigungsrechtes. Weiter ausgebildet ward dasselbe schon unter Octavianus Augustus . Eine alte Sage des griechischen Götterglaubens ward
Aus dem Papierkorb der Zeit.
dazu verwendet. Orestes , der Sohn Agamemnons , hatte seine Mutter getödtet, welche ihren heimkehrenden Gemahl umgebracht hatte, und war damit der Strafe der Unterwelts- und Rachegöttinnen, der Eumeniden, verfallen. Von diesen verfolgt, war er von dem Gott Apollo ge= sühnt und dem Areopag, ein Höchstgerichtshof des ältesten Athens , überwiesen worden zur Aburtheilung. Die Abstimmung ergab Stimmengleichheit. Die Göttin Athene , welche die Sache vor den Areopag gebracht hatte, warf nun einen weißen, d. h. freisprechenden Stimmstein in die dazu bestimmte Urne und entschied so die Sache zu Orestes Gunsten.
In Anfnüpfung an diese Sage wurde jetzt beschlossen, daß Octavianus Augustus in Kriminalfällen die Entscheidung zu Gunsten der Angeklagten durch seine Entscheidung herbeiführen sollte. Die Tempel und Standbilder Octavians wurden dem= entsprechend für Asyle erklärt, für Zufluchtsorte, welche jedem Verfolgten Sicherheit und Unverletzlichkeit seiner Person gewährten.
Hiermit ist das Begnadigungsrecht theologisch- juristisch in den römischen Staat und sein Rechtswesen gebracht worden und hat sich erhalten bis auf den heutigen Tag.
Geldherr oder Feldherr. Denkt Ihr, daß die alte Art, daß„ wer Gewalt hat, nehmen, und wer die Macht hat, behalten sollte", weniger ungerecht ist, wenn sich die Gewalt zur Gewalt des Kopfes aus der der Faust um= gestaltet hat?... Ich bitte Euch, zu beachten, daß ein großer Unterschied darin besteht, ob man Führer oder Beherrscher der Arbeit ist, oder ob man ihren Nutzen einsteckt...
Rustin.
Das Depeschenfälschen ist durchaus keine Erfindung der Neuzeit, sondern ein ziemlich altes Mittel der Regier funft. Als Octavianus die römische Republik in eine Monarchie umwandelte, ließ er nach dem Sieg bei Actium ein paar Jahre verstreichen, ehe er nach Rom zog, um die Wucht seines Sieges von ferne dorthin wirken zu lassen. Er konnte das leicht riskiren; zwei ganz ergebene
Parteigänger von ihm, Mäcenas und Agrippa , waren Konsuln und thaten Alles, was im Interesse des an= gehenden Autokraten Octavianus lag, so gut, wie wenn dieser selbst zur Stelle gewesen wäre. Octavianus schenkte Beiden auch unbedingtes Vertrauen. Das bewies er damit, daß er ihnen anheim gab, seine eigenen Depeschen an sie, welche dem Senat kund gegeben werden mußten, je nach ihrem Ermessen so zu„ redigiren", wie sie es für die Sache Octavians für ersprießlich oder nöthig hielten. Beide Herren fälschten also Depeschen in höherem Auftrage. Da man im Alterthum die Echtheit einer Urkunde nach dem Siegel beurtheilte, mit welchem der um die Wachstäfelchen geschlungene Faden gefiegelt war, händigte Octavianus seinen beiden Handlangern" je einen Siegelring aus von der Art, wie er ihn eben führte. Sucton berichtet, daß Octavianus anfangs ein Petschaft führte mit dem eingeschnittenen Bilde einer Sphinx, d. i. eines Löwenleibes mit Kopf und Bruſt einer Jungfrau, dann ein solches mit einem Alexanderkopf, endlich mit seinem eigenen Bildniß. Mäcenas und Agrippa waren die Bindter Octavians, fie bearbeiteten die öffentliche Meinung der friedebedürftigen Römer, organisirten die Ergebenheitsausdrücke an Octavianus und die Berathungen und Abstimmungen des Senats im„ staatserhaltenden" Sinne. Mit welchem, für Octavianus wenigstens günstigen, Erfolg, ist geschichtsbekannt.
Schnihel.