Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Wenn im Sommer ein heller Sonnenstrahl ins fihle, behaglich verdunkelte Zimmer fällt, sei es in der Großstadt, sei es in einer lauschigen Sommer­frische, so freut man sich über den lustigen Tanz der Sonnenstäubchen", ohne zu bedenken, daß diese fröhlichen Tänzer feine seltenen Gäste sind, sondern stete, wenn auch für gewöhnlich unsichtbare Haus­genossen, die der herrschende Sonnenstrahl nur an den Tag gebracht hat. Sie treiben allgegenwärtig ihr Wesen, in jedem Winkel des Hauses, wie im Freien, in der Stadt wie auf dem Lande, im Thal, wie auf dem Bergesgipfel. Wir können uns ihnen fast nimmer entziehen. Nun wird man fragen, warum die Sonne, deren Licht uns im Zimmer die Anwesenheit der Stäubchen anzeigt, dies draußen im Freien nicht thut, wo ihre Strahlen noch reich­licher hintreffen, wenn unsere Behauptung richtig ist, daß im Freien ebenso viel Stäubchen in der Luft schweben, wie im Hause. Das hat folgenden Grund: Was wir nämlich in dem in das verdunkelte Zimmer fallenden Sonnenstrahl als Stäubchen tanzen sehen, sind garnicht die Stäubchen selbst; diese sind viel zu klein, als daß wir sie mit bloßen Augen sehen fönnten. Aber sie haben glatte Flächen, mit denen sie die auf sie fallenden Sonnenstrahlen zurück­werfen oder reflektiren. Wenn diese Reflere statt in einem schmalen Lichtstreifen im weiten durch­leuchteten Raume im Freien vorhanden sind, so gehen dieselben für unser Auge verloren; nur wenn wir uns im Dunkeln befinden, fangen wir diese Reflexe mit unseren Augen auf. Die Sonnen­strählchen, die von den Stäubchen abgelenkt unser Auge treffen, beweisen uns, daß sich in der Richtung dieser Strählchen reflektirende Körper befinden, die aber in Wirklichkeit viel kleiner sind, wie sie uns erscheinen. Wenn wir im Freien aus der von der Sonne hell beschienenen Landschaft in einen Buchen wald treten, dessen Blätterdach das Eindringen direkten Sonnenlichtes hindert und es nur hier und dq in eine Lücke eindringen läßt, so sehen wir auch in diesen Lücken die Sonnenstäubchen, ein Beweis, daß auch im Freien die Luft ebenso staubhaltig ist, wie in unserem Zimmer.

Allerdings ist der Staubgehalt der Luft nicht überall gleich groß. Am wenigsten enthält die Luft über dem Meere Staub, wenn eine Zeit lang Wind­stille geherrscht hat, während deren sich der Staub allmälig auf die Oberfläche des Meeres nieder­gesenkt hat und von dieser zurückgehalten wird, dann entsteht jene wunderbare Klarheit auf dem Wasser, die unseren an die Staubatmosphäre ge= wöhnten Augen die Schäzung von Entfernungen sehr schwierig macht. Auf den Hochalpen ist ziemlich oft dasselbe der Fall. Wenn starker Wind weht, wird freilich diese Staubablagerung bei der Meer­passage gehenmt. Der schweizer   Geologe Escher v. d. Linth   hat die Natur des Staubes untersucht, der während des Föhns die Luft in Zürich   erfüllt, und konnte bestimmt nachweisen, daß dieser Staub mit dem in der Sahara   aufgewirbelten Wüstenstaub identisch ist. Er war also vom Südwind über das Mittelmeer   und die Alpen   getragen worden. Bei ruhigem Wetter fand sich aber keine Spur von Saharastaub in der Luft in der Schweiz  . Dann hatte derselbe Zeit gehabt, sich im Mittelländischen  Meere abzusetzen. Selbst das Inlandeis von Grön­ land   fand Nordenskjöld   mit feinem Staube bedeckt, der von den Winden in diese entlegenen Gegenden getragen worden war. Dieser sich überall hin ver­breitende Staub ist zum größten Theile harmlos, obwohl er zum Theil aus organischen Keimen be­steht, die überall, wo sie auf günstigen Boden fallen, üppig wuchernde Pilz- und Batterienkolonien er zeugen. Daher werden fast überall gährungs- und fäulnißfähige Stoffe, wenn sie der Luft ausgesetzt sind, nach kurzer Zeit von Gährung und Fäulniß er­griffen. Pasteur hat dies durch eine Reihe erafter Versuche erwiesen, indem er nur filtrirte Luft zu Nährlösungen treten ließ, worauf diese nicht in Gährung übergingen, ebenso der englische   Physiker Tyndall  , der die Keime nicht durch Filtriren aus der Luft entfernte, sondern sie auf Glycerin anhaften ließ. Er bepinselte einen vollkommen staubdicht schlie Benden Schrank inwendig ganz mit Glycerin. Der

Schrank war so eingerichtet, daß man hineingestellte Lösungen von außen, ohne den Schrank zu öffnen, zum Sieden erhizen konnte. In diesen Schrank stellte er verschiedene gährungs- und fäulnißfähige Flüssigkeiten, wie Bouillon, Malzauszüge und Frucht­säfte, und ließ sie einige Stunden ruhig stehen. Dann wurden die Lösungen zum Sieden erhißt, um sie zu sterilisiren und konnten darauf Monate lang in dem Schrank bleiben, ohne daß sie in Fäulniß oder Gährung geriethen. Wurde der Schrank aber nicht mit Glycerin ausgepinselt, so trat bald Gährung resp. Fäulniß ein, auch wenn anfangs die Lösungen durch Erhizen sterilisirt waren, ein Beweis, daß, nur wenn der in dem Schrank vorhandene Staub vom Glycerin festgehalten wurde, er nicht durch unver­meidliche Erschütterungen aufgewirbelt werden und in die Lösungen gelangen konnte. In Helgoland  und an der norwegischen Küste können frisch ge= fangene Fische ohne Räucherung an der Luft ge­trocknet werden, ohne daß sie faulen, weil der hier meist herrschende Westwind die dem amerikanischen Kontinente entnommenen Bakterien während seiner Passirung über den Atlantischen Ozean   fast sämmt lich in denselben abgesezt hat. Im Inlande ist das natürlich nicht möglich wegen der hier in größerer Menge in der Luft enthaltenen Bakteriensporen. Hier werden wir den Staub nicht los, und wenn wir uns in Glasschränke einschließen wollten. Doch sollen wir deshalb die staubigen Verunreinigungen der Luft unbeachtet lassen? Keineswegs. Aber wo sich der Staub als schädlich erweist, ist es nicht der allgemeine Erdſtaub, sondern es sind besondere durch Gewerbebetriebe verursachte Beimischungen zu dem­selben, die die zahlreichen Staubinhalationskrankheiten verursachen, und die allerdings in Großstädten wegen der dort vorhandenen Konzentration der Industrie sich weit mehr bemerklich machen, als in kleineren Orten. Dieser industrielle Staub ist je nach der Industrieart vorwiegend mineralischer, metallischer, vegetabilischer oder animalischer Natur. Die Wirkung der ersten Arten auf unsere Athmungsorgane ist der ersten Arten auf unsere Athmungsorgane ist mehr eine mechanisch verlegende, die der letteren dagegen eine vorwiegend infektiöse. Allerdings giebt es auch metallischen Staub, der giftig ist; hierher gehört vor allen der Bleistaub, von dem namentlich die Arbeiter in Bleibergwerken, in Bleifarbenfabriken, die Bleilöther, Schriftseßer und Schriftgießer, Feilen­hauer, Maler und Anstreicher zu leiden haben, wäh­rend die Lungen der Eisenarbeiter, wie Schmiede, Schlosser, Schleifer, Klempner, Maschinenbauer durch die scharfen Splitter der Eisentheile vorwiegend mechanisch verlegt werden, ebenso wie der Kupfer­schmiede, Gürtler, Bronzeure von Kupfersplittern. Dasselbe ist bei den mineralischem Staube ausgeseßten Arbeitern der Fall, von dem die Steinmeßen am meisten zu leiden haben und daher am frühesten daran zu Grunde gehen. Aber auch die Arbeiter in Cement  -, Porzellan- und Glasfabriken, die Litho­graphen, Töpfer und Maurer   leiden unter der Ein­wirkung der sie belästigenden Staubarten empfindlich. Als weniger schlimm erweist sich der Kohlenstaub, dem die Kohlenbergleute und Schornsteinfeger aus­dem die Kohlenbergleute und Schornsteinfeger aus gesetzt sind; wenigstens gehen sie weniger häufig an Lungenkrankheiten zu Grunde, obgleich ihre Lunge und ihr Auswurf meist eine schwarze Färbung durch denselben erhalten. Dagegen wirft direkt giftig und außerdem mechanisch verlegend der beim Mahlen der Thomasschlacke entstehende Staub, an dem jedes Jahr zahlreiche fräftige Arbeiter zu Grunde gehen.

Von vegetabilischem Staube ist der leichteste der Mehlstaub, dem hauptsächlich Müller, Bäcker und Konditoren ausgesetzt sind. Aber mit der Zeit erzeugt auch dieser hartnäckige, chronische Katarrhe. Schlimmer ist der Holzstaub, dem Tischler, Drechsler, Stell­macher und Zimmerleute, und der Faserstaub, dem Seiler, Weber, überhaupt alle Tertilarbeiter aus­gesezt sind. Die Straßenfeger haben von einem gemischten, aber darum nicht weniger lästigen Staube zu leiden, zumal sie auch den Unbilden der Witte­rung sehr ausgesetzt sind. Von spezifischer Schäd­lichkeit ist der Tabakstaub in den Zigarrenfabriken und der Perlmutterstaub in den Perlmutterfabriken. Letzterer ist ein animalischer Staub. Von animalischen Staubarten werden in ähnlicher Weise belästigt die

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Tuchmacher, Tuchscheerer, Wollarbeiter, Hutmacher  , Tapezierer, Friseure und wesentlich die in Bürsten­und Pinselfabriken und beim Zerreißen und Sortiren von Lumpen beschäftigten Personen. Alle diese einer spezifischen Staubatmosphäre ausgesetzten Arbeiter und Arbeiterinnen sind Erkrankungen der Athnungs­organe vom einfachen Lungenkatarrh bis zu tief­greifenden Veränderungen der Lunge, Lungenemphysem, chronischer Lungenentzündung und Lungenschwindsucht ausgesetzt. ausgesetzt. Die von Bürsten- und Pinselmachern und von Lumpenfortirern verarbeiteten Materialien sind oft mit spezifisch giftigen Keimen behaftet, wie Milzbrandsporen, und sie können, wenn Arbeiter mit dem Staube derselben infizirt werden, in kür­zester Zeit den Tod derselben herbeiführen. Solche Todesfälle ereignen sich jedes Jahr, da man die Mühe scheut, das Material vor der Verarbeitung ordentlich zu desinfiziren. Außer durch gewerblichen Staub wird die Gesundheit der Arbeiter und Arbei­terinnen in vielen Industriezweigen durch bei der Fabrikation entstehende giftige Dünste und Gase auf das Empfindlichste geschädigt, so in Gummi­waarenfabriken durch Schwefelfohlenstoffdämpfe, in Bleichereien und Papierfabriken durch Chlordämpfe, in Dynamit- und Nitrocellulosefabriken durch Unter­salpetersäuredämpfe, in Zündholz- und Holzstoff­fabriken und in Zinkhütten durch schweflige Säure­dämpfe. Von schwefliger Säure haben überhaupt die in der Nähe von viel Kohle verbrauchenden In­dustrien Wohnenden viel zu leiden. So ist durch die Gewerbeaufsichtsbeamten festgestellt, daß in der in einem langgestreckten Thale   bei Aachen   liegenden Stadt Stolberg   von 28 Fabriken auf einem Raume von 650 Heftaren in 24 Stunden 85 838 Kilo­gramm schweflige Säure entwickelt werden und außerdem 650 Kilogramm Salzsäure, und daß darunter nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung auf das Empfindlichste leidet, sondern auch die um liegende Vegetation sichtlich geschädigt wird. Eine unschädlichmachung dieser kolossalen Menge in die Luft geführter schwefliger Säure scheiterte bis jetzt an den Kosten. Aber wir sollten doch meinen, daß die Gesundheit einer ganzen Bevölkerung mehr zu gelten hat, als die Gewinne und Renten der be­treffenden Fabrikbesizer. Die Verhütung dieser jährlich viele tausend Menschen in meist jungem, arbeitskräftigem Alter hinraffenden Staub- und Dunst- Inhalationskrankheiten ist eine der wichtigsten Aufgaben der Gewerbehygieine. Nothwendige Vor­sichtsmaßregeln gegen die Gefahren des Staub­einathmens sind: häufige Besprengung und Reinigung der Arbeitsstätten, Vermeidung von unnöthigem Sprechen während des Aufenthalts in denselben und wirksame Ventilation. Aber letztere darf nicht nur in einer Entfernung der in dem ganzen Arbeits­raum verbreiteten staubigen Luft bestehen, sondern die Hauptsache ist, daß der Staub unmittelbar an seiner Entstehungsstelle durch Exhaustoren und zwar am besten nach unten abgesaugt wird. Dies Verfahren ist weit wirksamer, als das Tragen von Respiratoren, die zwar hiermit nicht ganz und nicht für alle Fälle verworfen sein sollen, obwohl sie in den meisten Fällen den Arbeitern recht lästig sind. Durch Einführung dieses Verfahrens, des Absaugens des entstehenden Staubes direkt an der Entstehungsstelle nach unten, haben verschiedene Be­rufe, wie Metall- und Porzellanschleifereien, viel an ihrer Gefährlichkeit verloren, und durch ein ener­gisches weiteres Einführen dieser allerdings auch Kosten verursachenden Einrichtungen könnten noch jedes Jahr viele Tausende von meist jungen Menschen­leben erhalten werden, zugleich auch den Kranken­kassen Millionen erspart werden. So lange jedoch hier nicht allgemein geltende, wirksame Anordnungen durch die Behörden getroffen werden, heißt es für viele Tausende unserer Mitmenschen nicht nur:

sondern auch:

,, Von Staub bist Du, Zu Staub wirst Du",

,, Von Staub bist Du Und durch Staub stirbst Du!"