Diorene Welt

Nr. 18

Bllustrirte zunterhaltungsbeilage.

Der erste Mai. Der

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Von Ludwig Lessen.

Der erste Mai!- Vom Glockenthurm kein Lauf, Den großen Weltenfeiertag zu künden! Noch liegt die Erde kalt und nachtbethaut, Das Haar zerzauft von milden Frühlingswinden. Und doch so feierlich in Wald und Feld, So feftlich scheu und ahnungsvoll beklommen, Als ging ein Flüstern durch die weite Welt, Dah heut der Völkerfrühlingstag gekommen.

Der Morgen naht. Der Nebel, der die Welt In graue Schleier hüllte, ist zerstoben.

Das Weiß wird gelb... Dann hat am Himmelszelf Der junge Tag die bluf'ge Stirn erhoben. Und immer weiter wächst am Firmament Die rothe Gluth, wie eine Riesenwelle, Bis dah der Himmel und die Erde brennt, Dann triff die Sonne in die Tageshelle.

Nun jubelt laut das Lerchenvolk zum Licht, In tausend Halmen kochen junge Säfte. Die Halter Hattern, Käfer kriechen dicht Den Schaft empor und saugen neue Kräfte.

Wie weiße Blütheninseln in der Luft

Des Faulbaums Hefte weit verzweigt sich recken, Vom Licht umschäumt, umhaucht von weichem Duft, Und in den Zweigen gelbe Sonnenflecken.

Ganz hinten nur ein ruh'ger Riesenschlot Und graue Dächer, halb im Dunft verschwommen Heut' tönt kein Hammer, keine Esse loht, Kein Stampfen der Fabriken wird vernommen. In Feierkleidern zieht es rings einher, Was sonst im Frohndienst keuchender Maschinen: Der harten Arbeit stirngefurchtes Heer

Mit schwiel'gen Händen und vergrämten Mienen.

حال

Heut' wird die Noth gebannt in's enge Haus, Heut' find vergessen alle schweren Sorgen. Und mit der Jugend stürmt der Greis hinaus In's Maiengrün am Völkerfrühlingsmorgen. Dein Heft begehen wir mit freud'gem Sinn Als Bukunftsfest und Denktag unfrer Todten, Und deinem Dienst, du Himmelskönigin, Erhab'ne Freiheit, sind wir heut' entboken!

Wir fahen dich: Bu deinen Füßen lag Die weite Welt, von deiner Macht bezwungen. Um deinen Scheifel kreisten Nacht und Tag, Und zu dir riefen sie in tausend Bungen. Kein Diadem hielt deine Stirn umspannt, Kein Purpurmantel fiel in folgen Halten Um deine Schultern; deine weiße Hand, Nicht Schwert noch Szepter hatte sie gehalten.

Du landeft da, das Haupt gehüllt in Licht, Und segnend ausgebreitet beide Hände. Por dir dein Volk der Arbeit, arm und schlicht, Doch freud'gen Herzens, zahllos, ohne Ende. Ihm wiesest du die Bahnen und das Biel  , Und deine Stimme klang, wie Siegfrohlocken. So flandeft du, bis daß die Dämm'rung fiel, Und fernher drang ein Klang von Abendglocken.

Da war es uns, als ob ein Windhauch leis Bu unsern Häupten fäuselnd sich erhoben, Und rings umher erschauert' Blatt und Reis, Und blutroth lag der Abendhimmel droben. 50 schied der Tag... Blak sah'n vom Himmelszelk Die ersten Sterne, als wir heimwärts gingen Und dort im Nebel lag die dumpfe Welt, Die Welt   zum Kämpfen und zum harten Ringen!

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1898