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( Fortsetzung.)
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
—O. Der Büffnerbauer. W
chon seit einiger Zeit hatte Gustav, der die Zeitungen jezt eifrig nach Stellenangeboten durchforschte, gelesen, daß ein gewisser Zittwiß, der sich„ Aufseheragent" nannte, seine Vermittelung anbot für junge Leute, welche nach dem Westen auf Sommerarbeit gehen wollten. Durch Bekannte hatte er weiter gehört, daß derselbe Agent eine Art Arbeitsvermittelungsbureau in der Stadt aufgethan habe, daß er auch die Dörfer in der Nunde besuche, um Mädchen und junge Männer zu miethen.
In dieser Gegend war die Sachsengängerei noch unbekannt. Es war das erste Mal, daß ein Agent aus den westlichen Zuckerrübendistriften hier gesehen wurde. Die fabelhaftesten Gerüchte gingen dem Wanne voraus. Man versprach sich goldene Berge. Die Leute, welche nach Sachsen zur Rübenarbeit gingen, hieß es, fönnten sich im Laufe eines Sommers dort ein Vermögen erwerben. Andere wieder sagten, diese Agenten seien nicht besser als Sklavenhändler, und die Mädchen und Burschen, welche ihrem Lockrufe folgten, sähen einem schrecklichen Loose entgegen.
Gustav hatte, als er noch bei der Truppe war, die Sachsengänger alljährlich im Frühjahr durch die Stadt ziehen sehen, von einem Bahnhof zum anderen, auf Möbelwagen: Weiber und Männer zusammengepfercht mit ihren Ballen und Laden, oder auch heerdenweise durch die Straßen getrieben, wie Vieh. Fremdartige Gestalten waren das gewesen, Polacken, schmutzig, zerlumpt. Er hatte die Gesellschaft aus tiefster Seele verachtet, und nie bisher war ihm der Gedanke gekommen, sich diesen zuzugesellen.
Eines Tages mun fand er am Sprißenhauſe in Halbenan einen Anschlag, auf welchem der AufseherAgent Zittwiß mittheilte, daß er im Kretscham angekommen sei und Anmeldungen von Mädchen sowohl wie jungen Männern zur Sommerarbeit in Sachsen annehme.
Gustap, der eigentlich auf dem Wege zu seiner Braut begriffen war, las den Anschlag ein paar Mal aufmerksam durch. Sich anbieten! Nein, das wollte er nicht. Er hätte Den schön geführt, der ihm, dem geweſenen Unteroffizier, hätte zumuthen wollen, unter die Runkelweiber zu gehen. Aber anhören konnte man sich schließlich doch mal, was der Agent zu sagen hatte, das verpflichte ja zu nichts.
Vor dem Kretscham schon merkte man, daß hier etwas Besonderes heute vor sich gehe. Leute gingen und kamen. An der Thür stand ein Haufe junger Burschen, Hände in den Taschen, Zigarren im Munde, welche die Mädchen, die zahlreich in den Gasthof strömten, bekrittelten und verhöhnten. Gustav schloß sich dieser Gruppe an. Jezt hineinzugehen, schämte er sich doch.
Er stellte sich also zu den Burschen. Es wurde viel gespuckt, bramabasirt und geflucht. Der Kerl da drinnen mache die Mädel ganz verrückt, hieß es. Das Blaue vom Himmel liige er herunter, und Einige habe er auch schon bald so weit, daß sie unterschreiben wollten. Er suche sich die Jungen und und Hübschen aus. Verheirathete wolle er garnicht haben. Da könne man sich ja ungefähr vorstellen, was er im Schilde führe. Es folgten düstere Andeutungen. Einer wollte in einer Zeitung gelesen haben, wohin derartige Mädchen verschwänden.
Gustav hörte sich das Gerede eine Weile mit an, dann meinte er, man solle doch lieber hineingehen und dem Burschen auf die Finger sehen bei seinem Geschäft. Sie würden wohl noch Mannes genug sein, ihn, falls er im Trüben fische, aus dem Orte hinaus zu besorgen.
Einige von den jungen Leuten folgten ihm in den Kretscham.
Die große Gaststube war gedrängt voll Menschen. Dem Eingange gegenüber saß der Agent an seinem Tische mit Schreibzeug und Papieren. Um ihn her standen und saßen alte und junge Männer. Die Mädchen hielten sich mehr an der Wand, sie schienen verschüchtert und wollten sich nicht recht herantrauen.
Noman von Wilhelm von Polenz .
Der Aufseheragent war ein Mann von behäbigem Aeußeren mit braunem Vollbart, in einem Anzug von brauner Jäger"-wolle, der ihn wie ein Sack einschloß und nichts von weißer Wäsche sehen ließ. Auffällig an ihm waren die großen lebhaften schwarzen Augen.
Er war soeben im Wortwechsel mit ein paar jungen Männern begriffen, welche Soldatenmüßen trugen und die, wie Gustav schnell erkannte, nicht aus Halbenau waren. Die jungen Leute behaupteten, das seien Schundlöhne, die Jener anböte, dafür brauchte Niemand die weite Reise zu machen. Verhungern könne man hier so gut wie anderwärts, umsonst.
Der Agent ließ die Beiden eine Weile reden. Er saß an seinem Tische mit gelassener Miene, er schien seiner Sache sehr sicher zu sein. Er gebrauchte seine Augen, indem er die einzelnen Gesichter um sich her scharf beobachtete.
Jezt schlossen sich auch Einheimische den beiden auswärtigen Schimpfern an. Für solche Löhne könne auswärtigen Schimpfern an. Für solche Löhne könne man faum sein Leben fristen, hieß es, geschweige denn etwas verdienen oder zurücklegen. Da wolle man doch lieber daheim bleiben bei sicherem Brot.
Nun erhob sich der Agent von seinem Plaze, er ging unter die Leute. Vor einem der HauptKlugredner blieb er stehen. Er solle ihm doch einmal erzählen, was er verdiene, sagte er in vertraulichem Tone. Der junge Mensch war etwas verblüfft und wollte nicht recht mit der Sprache heraus, dann nannte er einen Saz; Andere widersprachen, so viel verdiene der nicht, hieß es. Es gab darüber ein Hin und Her. Der Agent ließ die Leute ausreden und blickte mit überlegenem Lächeln drein. Dann griff er wieder ein; den Widerspruch, in den sich der junge Mann verwickelt hatte, geschickt be= nutzend, machte er ihn lächerlich, so daß er die Lacher auf seiner Seite hatte.
Eine ernſtere Miene auffezend, hielt er darauf eine kleine Ansprache. Die Leute sollten nur Vertrauen zu ihm fassen, sagte er. Er sei als Freund zu ihnen gekommen. Er wisse, wie es dem kleinen Manne um's Herz sei in diesen schweren Zeiten; sei er doch selbst aus dem Arbeiterstande hervorgegangen, habe sich durch seiner Hände Werk emporgearbeitet. Aber stolz sei er nicht geworden.
Der Mann besaß eine gewisse breite Gemüth lichkeit, etwas volksthümlich Biedermännisches in Worten und Gebärden, das zum Herzen des kleinen Mannes sprach und ihm auch hier schnell die Gemüther eroberte.
Unter den Anwesenden waren viele Tagelöhner, Dienstleute, kleine Stellenbesizer, lauter armes Volk, das um seine Eristenz rang. Auch ein paar Armenhäusler waren zur Stelle. Die meisten hatten sich wohl nur des Zeitvertreibs wegen hierher begeben, um' mal zu sehen, was ein„ Aufseheragent" eigentlich für ein Ding sei, und ,, ob der Karle wos lus hatte.'
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Getrunken wurde viel. Hinter dem Schänktisch stand Kachelernst, der die Pfennige eben so gern von den Armen nahm wie von den Reichen.„ Kleinvieh macht och Mist," pflegte er philosophisch zu sagen. Richard ging umher an den Tischen und nahm die leeren Gläser in Empfang, setzte volle auf und kassirte. An den erhizten Gesichtern und den lauten Stimmen konnte man merken, daß Einzelne schon zu viel des Guten gethan hatten.
Agent Zittwiz hatte sich inzwischen in eine abgelegenere Ecke des Raumes begeben, wo mehrere Mädchen beisammen saßen, ängstlich und rathlos, Mädchen beisammen saßen, ängstlich und rathlos, wie ein Völkchen junger Hühner. Der AufseherAgent pflanzte sich vor sie hin und suchte sie durch freundliche Blicke und Worte zu firren. Er pries ihnen die Vorzüge seines Kontraktes. Seine An preifung war geschickt auf den weiblichen Sparsamkeits- und Ordnungssinn berechnet. Sie könnten ihren ganzen Lohn zurücklegen, da sie Alles geliefert bekämen und keinerlei Ausgaben hätten. Die meisten Mädchen brächten im Herbst ihre dreihundert Mark
zurück; er kenne auch welche, die es bis fünfhundert gebracht hätten. Viele Mädchen verdienten sich auf diese Weise ihre Ausstattung.
Die Mädchen sagten nicht viel, aber ihren Mienen war es leicht abzusehen, daß sie große Lust hatten, der Lockpfeife des Fremden zu folgen.
Gustav hatte sich anfangs nicht viel darum ge= fümmert, was in jener Ecke vorgehe. Er war darüber, den Kontrakt durchzulesen, welchen der Agent ausgelegt hatte. Es befanden sich noch keine Unterschriften darunter. Als er dann nach der Mädchenecke hinüber blickte, erkannte er zu seiner nicht geringen Verwunderung seine eigene Schwester Ernestine, die sich in der Gruppe befand. Sie saß unter den Vordersten und folgte den Neden des Werbers mit gespannter Aufmerksamkeit. Wollte die sich etwa gar verdingen? Er trat hinter den Agenten; er wollte doch einmal genauer feststellen, was der den Mädeln eigentlich vorschwazze.
Der Werber war gerade dabei, auseinanderzusetzen, welche Lebensweise ihrer in Sachsen harre. Sie wohnten gemeinsam in besonderen Häusern, auch Kasernen genannt. Ihre Betten und Kleider konnten sie sich mitbringen, für alles Andere sei gesorgt. Die Lebensmittel bekämen sie geliefert. Früh, ehe es zur Arbeit ging, seze man sich seinen Topf an. Ein Mädchen bleibe zurück, um nach dem Feuer zu sehen und die Töpfe zu rücken. Den Abend hätten sie ganz für sich, ebenso den Sonntag.
Der Mann verstand es, das Leben der Sommerarbeiter in der angenehmsten Weise zu schildern. Dann begann er von der Arbeit zu sprechen, für die sie gemiethet würden. Er meinte, die sei leicht, jedenfalls ein Kinderspiel im Vergleich zu Dem, was man in dieser Gegend von den Frauen verlange. Rüben hacken und verziehen, zur Erntezeit Getreide abraffen und binden, und im Herbste Kartoffeln ausmachen und Rüben roden. All' die schweren und unappetitlichen Verrichtungen, die sie zu Haus thun müßten, wie: misten, jauchen, graben, dreschen, melken, karren und die Egge ziehen, fielen da weg. Auch würde meist in Afford gearbeitet, ohne Aufsicht von Seiten der Dienstherrschaft. Ganz frei sei man und ungebunden. Könne es etwas Schöneres geben? Und im Herbste kehre man dann, mit dem ganzen reichen Lohn des Sommers, frohen Muthes in die Heimath zurück.
Der Werber machte eine Pause. Er hatte die Stimmung so gut vorzubereiten verstanden, daß er nur noch die Hand auszustrecken brauchte, und er hatte die Mädchen alle.
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Da trat Gustav vor und sagte, er wolle' mal ein paar Fragen stellen. Bitte schön!" meinte der Agent." Dazu bin ich hier, um Rede und Antwort zu stehen. Je mehr Sie fragen, desto angenehmer ist es mir." Er sagte das mit größter Zuvorkommenheit, betrachtete sich den jungen Mann jedoch gleichzeitig mit forschenden Blicken, die nicht frei von Argwohn waren.
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Wir haben ja hier Alle gehört," begann Gustav und wandte sich mehr an die anwesenden Männer, als an die Frauen, wie schön dort Alles ist, wo der Herr uns hinbringen möchte, und wie dort Alles gut ist, viel besser als hier bei uns." Er stockte. Das freie Sprechen war ihm etwas völlig ungewohntes. Einen Augenblick lang gingen ihm die Gedanken aus. Du bleibst stecken!" dachte er bei sich. Dann nahm er alle Willenskraft zusammen und fand das verlorene Gedankenende wieder. Solch ein Land möchten wir wohl Alle kennen lernen, wie es der Herr da beschreibt. Aber ehe ich den Kontrakt unterschreibe und mit dem Herrn AufseherAgenten dorthin gehe, da möchte ich doch vorher von ihm noch Eins wissen: nämlich, warum denn die Leute dort, die Burschen und die Mädel aus dem Lande, von dem uns der Herr erzählt, warum die denn nicht auf Arbeit gehen wollen und sich das Verdienst mitnehmen? Oder giebt's dort etwa keine Arbeiter nicht? Das glaub' ich doch nicht!"