Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Die Anwesenden waren diesen Worten mit Span­nung gefolgt. Die Männer gaben ihren Beifall zu erkennen. Das war einleuchtend! Büttner hatte recht! Es war doch auffällig, daß die Leute in jener Gegend sich den Vortheil entgehen lassen sollten, der ihnen hier angepriesen wurde. Man war neu­gierig, was der Agent hierauf zu antworten haben wiirde,

Der zuckte die Achseln und lachte. Er schien der Sache einen harmlosen Anstrich geben zu wollen, indem er sie auf die leichte Schulter nahm. Ihr Leute!" rief er: Ihr müßt Euch das nicht so vor­stellen wie hier! Bei uns im Westen, das ist eben eine ganz andere Sache."... Dann erzählte er von der Fruchtbarkeit des Bodens und der intensiveren Wirthschaftsweise in jenen Distriften, welche eine große Menge von Menschenkräften erfordere, mehr als meist zur Hand seien.

Die Erklärung verfing nicht bei den Leuten. Der Mann mochte noch so schön und gelehrt sprechen, die klare Frage, welche ihm vorgelegt worden war, hatte er nicht beantworten können. Irgend einen Haken hatte die Geschichte also doch!

Gustav gab dieser Stimmung Ausdruck, indem er fragte, ob etwa die jungen Leute dort sich zu fein diinkten zur Feldarbeit, daß man so weit hin­ausschicken müsse, bis zu ihnen, nach Arbeitern.

Der Agent erklärte, die Leute dort seien durch­schnittlich wohlhabender als hier im Osten. Viele gingen auch in die Städte und widmeten sich anderen Berufen als gerade der Landwirthschaft.

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Da haben wir's!" rief Gustav, welcher den Mann nicht ausreden ließ. Da hört Ihr's! Wie ich gesagt habe! Die Sache ist genau so: Wir sollen eben das machen, was denen dort nicht paßt. Wozu die sich zu gut vorkommen, dazu werden wir geholt. Ne, das paßt uns auch nich nichwahr? Wir sind nich schlechter hier, als irgend wer andersch!"

Gustav sah sich fragend im Kreise um. Die Männer riefen ihm zu, daß er recht habe. Der Werber, welcher merkte, daß die Dinge eine ungünstige Wendung für ihn zu nehmen begannen, rief mit er= hobener Stimme: Man solle ihn nur anhören, er werde Alles haarklein erklären. Aber schon hatte er die Aufmerksamkeit verloren. Man schwaẞte laut durcheinander und murrte. Für dumm solle man die Halbenauer nicht halten, hieß es. Im Sacke wollten sie die Kaze nicht kaufen. Das sei der reine Menschenfang, der hier getrieben würde, rief einer von den jungen Leuten mit Militärmiize.

So flogen die Nedensarten hin und her. Jetzt redete Mancher von der Leber weg, der sich's zuvor nicht getraut hatte. Der Agent gab das Spiel noch nicht verloren, er trat an Einzelne heran, segte ihnen zu, eiferte, widersprach, wollte berichtigen. Er hatte gut sich abmiihen, er fand keinen Glauben mehr. In diesen einfachen Köpfen war das Mißtrauen rege geworden, und mit Engelszungen ließ sich ihnen der Argwohn nicht wieder ausreden.

Wer jetzt noch Luft hatte, den Kontrakt zu unter­schreiben, wagte es nicht mehr, aus Angst, sich vor den Dorfgenossen lächerlich zu machen. Die Mädchen gingen eine nach der anderen hinaus, besorgend, es möge hier wohl noch gar zur Rauferei kommen.

Agent Zittwiz packte schließlich mit ärgerlicher Miene seine Papiere zusammen und verschwand.

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Gustav

Die Männer blieben noch beisammen. Büttner war der Held des Tages. Das war etwas ganz Neues für ihn. Das Bewußtsein, von Seines­gleichen anerkannt zu werden, hob sein Selbstgefühl. Er war so ganz unvorbedacht dazu gekommen; er wußte selbst nicht, wie ihm geschehen. Der blaue Dunst, den dieser Agent den Leuten vorgemacht, hatte ihn verdrossen, und da hatte er frei heraus­gesagt, was er für recht hielt, ohne Haschen nach Bewunderung. Der Erfolg, den er gehabt, setzte ihn selbst in Erstaunen. Die Aufmerksamkeit, deren Gegenstand er gegen seinen Willen geworden, that ihm aber doch wohl, bekam schließlich etwas Prickelndes, Berauschendes für seine wenig verwöhnte Eitelkeit.

Und die Umgebung sorgte dafür, daß dieses Ge­fühl sich steigerte. Man feierte den Sieg, brüstete

sich damit, dem Aufseher- Agenten das Geschäft gründlich gelegt zu haben. Ja, wir Halbenauer!" hieß es. Die Begebenheit wurde noch einmal durch lebt, breit getreten, ausgeschmückt. Die Schnaps­flasche machte die Runde. Bier wurde bestellt; bald gab Dieser, bald Jener eine neue Auflage zum Besten. Auch Gustav durfte sich nicht lumpen lassen, er ließ anfahren. Dabei machte er sich's zum beson­deren Scherz, jedes Glas einzeln heranbringen zu

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verdungen. Bald darauf war Streit ausgebrochen und er hatte seinen Stab weitersehen müssen. Einige Monate lang hatte er beim Nordostsee- Kanalban Arbeit gefunden. Nachdem er den Winter über in einer Posenschen Zuckerfabrik als Heizer Verwendung und Unterschlupf gefunden, lag er jetzt wieder auf der Landstraße. ( Fortsetzung folgt.)

laſſen, nur um das Vergnügen zu haben, seinen Aus dem kirchlichen Leben des achtzehnten

Better Richard Kaschel auf seinen Wink springen zu sehen. Hinter dem Schänktisch erschien jetzt auch Ottilie. Sie schielte nach dem Better hinüber und lächelte ihm mit schiefem Munde zu. Er hob das Glas, und ihr zutrinkend, rief er: Auf Deine Schönheit!" Ein schallendes Gelächter der Burschen antwortete. Ottilie zog sich, scheinbar gekränkt, von der Bierausgabe zurück.

Während man noch den schlechten Wiz bejubelte, trat ein Fremder in's Zimmer. Seinem Aufzuge nach war er ein wandernder Handwerksbursche, auf dem Rücken den Berliner  ", den Stenz" in der Hand.

"

Kenn Kunde!" begrüßte ihn einer von den jungen Leuten, der auch einmal auf der Walze ge= wesen war und die Kundensprache   beherrschte.

Kenn Kunde!" kam es aus dem Munde des Wandersmannes zurück.

Na, Kunde, wie ist der Talf gewesen?" Denkst De, ich wer' Klinken pußen? Ne, dazu is meinen Ollen sei Sohn zit nobel."

"

Na, Kunde, nobel siehst De grade nich aus. Du wirst wohl schmal gemacht han! Oder bist De gar verschütt gegangen?"

Ich und verschütt gehn! Nich mal Knast ge­macht ha'' ch. Mei Lebtag nich! Ich hab' freilich meine Flebben in Ordnung. Willst se sehn?"

Jahrhunderts.

Von Paul Kampffmeyer  .

on der sagenreichen Insel Riigen her rauscht an unser Ohr noch so mancher längst ver= hallte Klang, und mit ihm werden dann Zeiten lebendig, die andere Sitten, andere Gebräuche fannten. Hier auf der meerumschlungenen Insel schauen wir noch ein Völklein mit ganz origineller Sprache, mit einer besonderen Tracht und mit eigen­artigen Lebensgewohnheiten. Es ist das Volk der weit berühmten Mönchsguter, das sich hier ein Stück Sonderthum eigensinnig bewahrt hat. Auf diesem Boden altväterlicher Sitte hat sich noch fest das Andenken an den Bußplaß erhalten, auf dem einst völlig zerknirscht die jungen Mädchen standen, die in überschäumender Liebeslust dem theuren Manne nichts versagt hatten.

Und diese Bußpläße fanden sich einst fast überall in den deutschen   Gemarken. Sie gaben Kunde von der weitreichenden Macht der Kirche, die streng ihr Zensoramt über die sündhafte Menschheit ausübte. In diesem unserem Zeitalter der Weltfinder und Spötter hält es schwer, sich vorzustellen, wie tief in die Geheimnisse des Privatlebens der Alles strafende Blick der Geistlichkeit drang. Erst dann, wenn wir das straffe Leitseil gesehen haben, an dem die Geist­

" Ich bin keen Teckel nich! Laß Deine Flebben, wo se sind. Willst' en Soruff, Kunde?" " Freilich mecht'ch ä Nordlicht pußen. Hier is lichkeit unser individuelles Empfinden, Denken und aber, weeß der Hole, ene dufte Winde."

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Hast wohl lange Leg' um fauen müssen?"

Pitus machen fann mer nich alle Tage auf der Walze. Meine Kluft is och mieß, die Trittchen hier sind ganz verrissen und' ne reine Staude hab' ich vor drei Wochen angehabt."

Na, laß Dich vom Bruder schmieren, Kunde!" Wenn ich man Messume hätte!" " Hier, trint mal!"

" Prost, edler Menschenfreund!"

Gustav hatte sich den Mann, der eben das Glas zum Munde führte, inzwischen mit Aufmerksamkeit betrachtet. Den mußte er doch kennen. Himmel­betrachtet. Den mußte er doch kennen. Himmel­donnerwetter! war das nicht..

Wenn das

nicht Häschke war, wollte er sich hängen lassen! Häschke, mit dem er zusammen eingetreten war bei der zweiten Schwadron. Freilich, der Vollbart ver­änderte ihn, und die Vagabundenkleidung. Aber an den lebhaften Augen, der Stimme und den Be­wegungen erkannte er den ehemaligen Kameraden wieder.

Handeln hielt, können wir die Schwierigkeiten ahnen, die wir auf unserem Gange zum Licht und zur Freiheit zu überwinden hatten.

Nun denn, kriechen wir einmal wie die Krebse rückwärts in jene Epoche hinein, in der die pro­testantische Geistlichkeit noch mit wirksamen Zwangs­und Machtmitteln ausgerüstet war, um die vielen, vielen Vergehen des leider ach so schwachen mensch­lichen Herzens empfindlich zu treffen.

In den Zeiten, als der Großvater die Groß­mutter nahm, war das Leben noch viel inniger von der Kirche und ihren Gebräuchen umschlossen als heute. Der Geistliche war der Vertraute unserer Altvorderen bei allen ihren wichtigen Lebensschritten. Er setzte seinen Fuß oft in die Häuslichkeit seiner Pfarrkinder, und er erlauschte ihre Herzensgeheim­nisse durch das Institut der Privatbeichte. Der ehrsame Pastor Matth. Mich. Kümmelmann stellte noch im Jahre 1734 das Anfinnen, daß Scherze, Spaßreden, unzüchtige Gedanken und Werke, ja sogar die harmlosen, verschwiegenen Kirchenschläfchen den Predigern gebeichtet werden sollten. Den offenbaren Sündern versperrten die Geistlichen den Zutritt zum Büttner! heiligen Abendmahl, wenn ihre frommen und erbau­lichen Reden so garnichts gefruchtet hatten. Ein zelotischer Pfarrer in Leipzig   Namens Töllner ließ seine Bauern nicht zum Tische des Herrn zu, denn die Sündigen hatten sich allen geistlichen Ermahnungen zum Troß ihres geliebten, viel gefeierten Pfingst­bieres" erfreut. Der fromme Pastor Zopf in Essen  ergrimmte in tiefster Seele über die lästerliche Tanz­sucht seiner Schäflein, und er reichte daher den Tänzern nicht das heilige Abendmahl. Bei der Kon­firmation mußten die Kinder dem gestrengen Herrn versprechen, niemals das Tanzbein zu schwingen.

Häschfefor!!" rief Gustav und unterbrach damit die Unterhaltung der beiden Kunden. Der Handwerksbursche fuhr herum. Hol' mich der Teufel. Bittnerguſt!"

"

Gleich noch ein Bier für meinen Kameraden!" rief Gustav nach dem Schänktisch hinüber.

Nun ging ein eifriges Fragen los von beiden Seiten. Drei Jahre und ein halbes war es jetzt her, daß sie einander nicht gesehen hatten. Denn Häschte war nach beendeter Dienstzeit herausgegangen, während Büttner fapitulirt hatte.

Häschke hatte sich neben Gustav setzen müssen. Nun mußte er von seinen Erlebnissen berichten. Er war von der Truppe zunächst in seine Heimath, das Königreich Sachsen, zurückgekehrt. Von Pro­fession war er Schlosser und hatte für's Erste bei einem Meister seines Handwerks Arbeit genommen. Dort war seines Bleibens aber nicht lange gewesen. Er hatte Strach bekommen mit dem Meister. Nun war er gewandert, hatte dabei einen guten Theil Deutschlands   gesehen. Im Westfälischen war er hängen geblieben, eines Mädels wegen, sagte er. Dort hatte er sich in eine Maschinenwerkzeugfabrik

"

Die Privatbeichte räumte den Geistlichen eine große Macht über die Seelen ihrer Pfarrkinder ein. Daher hielten sie mit äußerster Strenge an dem Beichten und dem Abendmahle ihrer Gemeinde­ritglieder fest. Eine strenge Stontrole übte man in Württemberg   über die Beichtzettel der Kirchfinder. Die Superintendenten   forderten sie bei den Lokal­visitationen ein. In Quedlinburg   wurde der Abend­mahlsverächter" zu feiner christlichen Ehrenverrichtung,