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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

ja nicht einmal zum Ehestande zugelassen. Ueber seinem Haupte schwebte drohend die Landesverweisung, und seiner wartete nach einem sündhaften, unbuß­fertigen Leben der schimpfliche, ungeweihte Plaz hinter der Kirchhofsmauer. Wie einen Aussäßigen, wie einen von Gott   gezeichneten Verstoßenen sollten die Gemeindemitglieder den Abendmahlsverächter fliehen, und deshalb warnte im brandenburgischen Gebiete ein Edift von 1701 alle Gemeindeangehörigen vor vertraulichen Freundschaften mit derartigen fluchwür digen Menschenkindern.

Eine schwere Geißel in den Händen der Geist­lichkeit war die Kirchenbuße. Sie ward unter ganz eigenartigen Formen ausgeübt. In Mecklenburg  , in der Nemeroner Gegend, mußte der Büßende noch

Die Kirchenbuße traf die Ehebrecher, Huren, Kuppler, Gotteslästerer, die Flucher, Sabbathschänder, Kuppler, Gotteslästerer, die Flucher, Sabbathschänder, die Diebe, Säufer, Fresser, die ungehorsamen Kinder, kurz ganze Klassen von Frevlern gegen menschliche und göttliche Gebote. In Holstein gehörte das Hals­eisen zu den kirchlichen Bußmitteln. In Sachsen   eben­falls. Hier vollzog man in dem Dörfchen Barthels­dorf die Strafe des" Halseisens" an Sonntagen nach beendigtem Gottesdienst; in der Nähe des Kirchhofeinganges fettete man an einer Säule die Sünder und Sünderinnen mit schweren Halseisen fest. Ihre Verbrechen fündete eine Tafel über ihren sündhaften Häuptern. Ein weißes Tuch, ein Sinnbild verlorener Unschuld, wehte über dem Kopfe des ge­fallenen Mädchens. Im Jahre 1719 am 28. Ja

liche Frist von vierundzwanzig Stunden versäumte, eine Geldstrafe von fünf bis zehn Thalern zudiftirt. Damit die schwachen, lebensunfähigen Kinder der großen Gnadengüter der Taufe theilhaftig würden, damit sie sich aus den Klauen des Teufels erretteten, wurden sie noch vor der völligen Geburt und vor der Ablösung von den Hebammen getauft.

Eine unermeßliche Machtfülle ruhte im Schooße der protestantischen Kirche. Von ihr redeten laut die staatlichen Sonn-, Bet- und Feiertagsordnungen. Um die Herrschaft der Kirche über die Geister richtig zu erfassen, müssen wir einen Blick in diese Ord­mungen werfent.

Die Gräflich- Wied- Nunkelische Polizey- und Nigerichtsordnung" vom 11. Februar 1765 schreibt

Maimorgen. Nach dem Gemälde von Ernst Hildebrand  .

im 17. Jahrhundert mit einem Wachslicht in der Hand knieend. vor dem Altare seine Sünde bekennen und die Gemeinde, die er geärgert hatte, um Ver­zeihung bitten.

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In anderen deutschen Landstrichen nöthigte man die Sünder zu einem demüthigenden Gange in die Woh­nung der Prediger. Von hier aus folgten sie in be­sonderer Kleidung dem Seelenhirten in die Kirche. Dort nahmen sie auf einem allen Gemeindemitgliedern sichtbaren Sünderbänkchen Plaz. Auf dem Bänkchen mußten sie nun eine tiefe Zerknirschung äußern, wahre Neue und Buße aber ohne Affettation zeigen". ,, Es ist ja besser," sagt ein Berliner   Reglement von 1716, daß der so übertreten hat, durch solche Be­kenntniß allhier vor den Augen der Menschen scham­roth wird, als daß er an jenem großen Tage vor dem Angesichte des majestätischen Gottes, aller heiligen Engel und Auserwählten seine Sünde alsdann erst recht bekenne und darüber in Ewigkeit zu Schanden und verdammet werde."

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( Photographieverlag der Photographischen Union in München  .)

muar ließ ein fleischlich gesinntes Ehepaar schon elf Wochen nach der Verheirathung taufen. Zu dieser großen Sünde bemerkt das Kirchenbuch: Diese beiden sind die ersten, die ohne Kirchenbuße, d. i. des Hals­eifens Strafe und Knieen vor dem Altare drei Sonn­tage nacheinander( wie vor undenklichen Jahren all­hier gebräuchlich gewesen), sind losgelassen worden, welches aber Gott an einem herrschaftlichen Be­dienten 1719 den 6. Mai nicht ungerochen gelassen, davon diese Gemeine Nachricht geben kann, und ein Verbrecher selbsten 1720 durch eine abscheuliche Krankheit, daran er am 23. Februar gestorben."

Zu den Sündern und Sünderinnen redete da mals die Kirche in einer anderen Sprache als heute. Sie wetterte drein mit Halseisen und strenger Landes­verweisung. In einigen Territorien sollte der laue, schwankende Christ, der sein Kind hartnäckig von der heiligen Taufe fernhielt, mit Landesverweisung und dem Staupbesen bestraft werden. Im Herzogthum dem Staupbesen bestraft werden. Im Herzogthum Gotha   erhielt Jeder, der bei der Taufe die gesez­

den Ehren- Pfarrern" vor, eine Spezifikation der Huren und frühen Beischlafsfälle" einzusenden.

Die Fürstlich- Hessen- Hanauische Sonn-, Bät­und Feyertagsordnung" vom Jahre 1748 hielt die Unterthanen fleißig zum Gebrauch des Abendmahls und des Kirchenbesuchs an. ,, Muthwillige Verächter" des Gottesdienstes und der Sakramente unterstanden der strengen Kirchenzensur. Der starke Arm der weltlichen Gerechtigkeit strafte diese gottlosen Böse= wichter ebenfalls hart. Der niedrige Späherdienst über die äußeren Religionsübungen der Unterthanen fand eine entschiedene Begünstigung und lebhafte Förderung bei den geistlichen und weltlichen Autori­täten. So wurden in der Hessen  - Hanauischen Ord­nung die Unterthanen, die Zeugen von unterlassenen Religionsübungen gewesen waren, zur Denunziation derselben verpflichtet.

Derartige Frevel mußten den Geistlichen oder Beamten angezeigt werden. Der Bier- und Brannt­weinschank war an vielen Orten während der Predigt