Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

untersagt. Wurde ein Zecher beim Glase Bier wäh­rend der Predigt betroffen, so mußte er in vielen Gemarken einige Gulden Strafe zahlen. So lange in der Kirche Gottesdienst abgehalten wurde, hatten alle Kartenspiele zu ruhen. Der harmlose Spazier­gänger, der Sonntags über Land gehen wollte, mußte in einigen Territorien dem hochwürdigen Herrn Pfarrer diese seine Absicht vorher mittheilen. In den Garnisonstädten pflegten häufig Wachen umzugehen, welche

die gottsträflichen, während der Predigt zechenden Wirths­hausgäste aufhoben und in die Haupts wache brachten.

An den Sonn­tagen duldete man die Spazier und Lustfahrten nicht. Zu diesem Zwecke blieben die Thore Sonntags von Mor­gens friih bis Abends fiinf Uhr geschlossen.

In die Vorstädte durften die Birger wohl aus- und ein­gehen, aber bei Leibe nicht während des Gottesdienstes. In einer branden­burgischen Kirchen­ordnung waren Sonntags die Hoch­zeiten verboten;

,, ferner sollen am Sonntage feine Luft- und Spazier fahrten, es sei von königlichen Bedien­ten, Offizieren oder Bürgern, angestellet, auch die Thore zu dem Ende von Mor­gens früh bis Abends

um fünf Uhr ge= schlossen gehalten und Niemand geöff= net werden, außer den Posten und fremden Reisenden. Diejenigen, welche im Frühling oder Sommer sich der Gartenluft bedienen, sollen gleichfalls des Sonntags nicht eher als um fünf Uhr Nachmittags heraus­gelassen werden, auch hernach bei guter Zeit sich nach Hause wieder verfiigen.

Des Sonntags soll durchgehends alles Spielen, so vom Glück dependiret, es habe Namen, wie es wolle, gänzlich verboten, abgeschafft und eingestellet, und

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absonderlich keine Zusammenkunft zum Spiele, es habe Namen, wie es wolle, in einer Schenke, Kruge  , Wirthshaus, als welches zum Trunke und anderer Ueppigkeit nur Anlaß geben würde, verstattet werden"( 6. September 1714). Hier war auch die Feier der Fastnacht durch Spiel, Aufzüge, Mummereien, Musik und Bratwürsten" verboten: es solle ein Jeder vielmehr den Gottesdienst fleißig abwarten, fein Aergerniß geben und sein Ge­schäft nicht versäumen. In Chursachsen ward das Kegelspiel an den Sonntagen in Acht und Bann gethan. Der Kegelspieler, der sich gegen die Sonn­

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tagsheiligung verging, wurde mit acht Tagen Ge­fängniß bestraft. Die württembergische Sabbath­ordnung" zählt zu den bei Strafe der Kirchenbuße verbotenen Bewegungen":" Reisen, Auslaufen über Feld, unnöthiges Fuhrwerk, weltliches Amten, Befehl publiziren, Jungen aufdingen und lossprechen, Tanz, publiziren, Jungen aufdingen und lossprechen, Tanz, Weinschank, Spiel, Trinken, Mahlen( vom Müller), Viehhüten, Grafen  , Fischen, Arbeiten, Roßbeschälen, Kühe und Schweine anlaufen lassen."

Frühlingsblüthen. Von C. Banter.

Die vielfachen harmlosen Verlegungen der Sonn­tagsruhe setzten ganze Schwärme böswilliger Denun­zianten in Thätigkeit. Geistliche, wie der fromme Spener, mußten sich verantworten, weil sie am Sonn­tage Briefe geschrieben hatten, und ein Prediger in Brieg  , Heinrich Johann Sommer, büßte sogar sein Amtwegen seines Briefwechsels mit einigen sächsischen Pietisten ein. Die Kirchenglocken riefen damals noch weit zahlreichere Schaaren Gläubiger in die Gottes­häuser als heute. Deshalb fiel der lässige Kirchen­besuther direkt den Geistlichen auf, die nun sein ver­stocktes Innere durch Kirchenbußen zu läutern suchten.

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Zu dem Katechismuseramen an den Sonntag­nachmittagen fanden die Prediger noch die ganze Gemeinde andächtig zu ihren Füßen versammelt. In Holstein ward die Versäumniß, der Kirchen­versammlungen mit Geldstrafen bedacht, die zum Theil in den Säckel der Geistlichkeit flossen. Lässige Kirch­kinder setzten sich in Chursachsen einer Gefängniß­strafe aus, und im brandenburgischen Gebiete hielten Geld und Leibesstrafen die Bauern zu den Katechi­

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sationen an. Für wahr, die alte Kirche hielt ihre Schäflein in harter, geistiger Knechtschaft! Und dennoch sollten auch diese knechtischen, scheinbar unzerstör­baren Fesseln der Kirchenherrschaftzer-­sprengt werden.

Die Lichtstrahlen des Zeitalters der Aufklärung und der Humanität fielen auch in das Halb­dunkel der Kirche. Vor diesem Licht ver­blaßten die Schemen der geoffenbarten Ne­ligionen. Im Schooße der Kirche selbst brachen sich Ström­ungen Bahn, die mit

den Waffen der Ver­nunft und Wissen­schaft die Welt der religiösen Wunder heftig befehdeten.

Der harte, grau­

ſame Geist Der Kirchenbußen konnte nicht mehr vor der werdenden humanen Gesetzgebung stehen. War nicht

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die Folge jener ent­ehrenden Kirchen­buße, die zahlreiche unglückliche Mädchen dem boshaften Ge­spött ihrer Mitmen schen aussetzte und zu niedrigen Dirnen herabwürdigte, der Kindermord und die Fruchtabtreibung? Das mußte damals selbst dem beschränk­ten Kopfe eines Polizeibüttels ein­Leuchten. Daher schritt die Gesetz­gebung überall zur Abschaffung der Kirchenbuße. Klar sprach sich nament­lich ein mecklenbur ger Edift im Jahre 1753 über die schreck­lichen Folgen der Kirchenbuße aus. es: Dort heißt

Demnach es sich aus vielfacher Erfahrung bestärket, daß die in unserer Kirchenordnung wider die Uebertreter des sechsten Gebots verordnete Kirchenbuße dem Laster der Unzucht nicht gewehrt, noch überhaupt der damit abgezielte gute Endzweck erreicht werde, sondern wir dagegen vielfach vernehmen müssen, daß, um derselben zu entgehen, zum öfteren leichtfertige, aus unzüchtigem Beischlafe gebährende Personen sich in noch größere Verbrechen so weit versündigen, daß sie sogar keinen Abscheu tragen, auf die unnatürlichste Weise an ihre natürliche Leibesfrucht gewaltsam Hand zu legen und Kinder- Mörderinnen zu werden...

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