Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
acht Tagen wohnten sie sich in der engen Dorfstraße gegenüber. ©o-L   Man nahm nicht viel Notiz voneinander. Doktor Dorn lag am Morgen im Fenster und sah ihr nach, wenn sie rasch die Gasse hinunterschritt. Er fand, daß sie eine schlanke Gestalt hatte und einen sesten Nacken das war Alles. Sie anzn- reden, hatte er keine Lust; was sollte er mit Frauen- zimmern? Die kurze Ferienzeit wollte er genießen und nicht den Galanten spielen wozu? Man muß im Leben immer fragen:Wozu?" War sie nicht amüsant, so langweilte er sich mit ihr, war sie zu amüsant, verliebte er sich am Ende gar in sie hier in dieser Einsamkeit nicht unmöglich und wozu Beides? Doktor Dorn pfiff leise und betrachtete sinnend den goldenen Verlobungsring an seinem Finger; nein, er liebte die Braut nicht, die ihm nun einmal das Geschick in die Arnie getrieben hatte! Aber trotzdem, das junge, gesunde Mädchen würde eine gute Mutter seiner Kinder abgeben sie würden deren eine Menge in die Welt setzen, ruhige, gesunde Kinder, nicht aus der Leidenschaft geborene; normale Menschen, aus verständiger Ueberlegung gezüchtet. Nebenbei war Fräulein Anna Bröker in besten Vermögensverhält- nissen, und er brauchte Geld. Er wußte, was es heißt, rechnen müssen, er war damit aufgezogen; Philosophie ist kein Brotstudium, das Privatdozenten- thum keine fette Pfründe.Du mußt ein ver- wögendes Mädchen Heirathen," hatten seine Eltern gesagt; jetzt waren die lange todt, aber ihr Wort war geblieben. Er würde nun reich Heirathen selbstverständlich nur noch ein bischen warten, ein bischen warten! Ihm graute mitunter vor dem hübschen Puppen- gesicht seiner Braut; das würde er dann sein ganzes Leben lang neben sich sehen, tagsüber an seinem .Tisch, selbst des Nachts im Schlaf an seiner Seite. Man gewöhnt sich fteilich an so etwas. Und doch war ihm ordentlich leicht, die acht Tage allein hier in dem verlorenen Bergnest. Eine verrückte Idee, sich hier festzusetzen! Aber daß andere Leute ebenso verrückt waren, das zeigte drüben die schlanke Braune; jedenfalls hatte sie kein Geld, sonst wäre sie in einen Kurort gegangen, Frauen lieben die Einsamkeit nicht. Und doch schritt sie so fest und sicher auf ihren Füßen über das holprige Pflaster, als sagte jeder Tritt:Ich bin allein auf mich angewiesen, ich brauche auch Niemand!" Wer war sie eigentlich? In einer Nacht träumte Dorn, er wußte ani Morgen selbst nicht mehr recht, was; er besann und besann sich, er brachte den Traum nicht niehr zu- sammen. So viel war gewiß, ein ungeheures Etwas hatte sich im Schlaf über ihn gesenkt; mit sesten, raschen Schritten war's auf ihn �gekommen, hatte eine Hand nach ihm ausgestreckt groß, gespenstisch und doch greifbar er hatte sich geschüttelt und gewehrt: nein, nein! Das Etwas blieb. Lastend wie ein Schicksal drückte es ihm auf die Brust, auf die Stirn mit einem Schrei war er emporgefahren. Diese verfluchten Nerven! Er biß sich auf die Lippen und zwirbelte den Schnurrbart. Er war ärgerlich und stand zerschlagen auf mit einem lahmen Gefühl in den Gliedern; dann setzte er sich hin und schrieb seiner Braut in's Seebad, keinen feurigen Bräutigamsbrief, aber sie war ja zufrieden so. Sie war durchaus ein verständiges Btädchen, ein Mädchen, mit dem sich eine gute Ehe führen läßt. Draußen war's heiß, in dem niedrigen Zimmer eine unerträgliche Schwüle. Matte Fliegen krochen über den Tisch und klebten sich an Händen und Stirn fest. Drüben, jenseits der Gasse im Schnlhaus, sagten die Kinder alle zusammen eintönig einen Vers her, sie plärrten ihn larmoyant im Kirchenton; da- zwischen schlug der Lehrer auf den Tisch und schrie: Deut li cher! Noch einmal, noch einmal!" Ein Karren, mit Dung beladen, holperte vorbei;
Vor Thau und Tag. Von Clara Vicbig. gerade vorm Hans blieben die zwei mageren Ochsen stehen und brüllten, die Niider quietschten, der Dung­geruch zog in's offene Fenster unerträglich! Doktor Erich Dorn griff nach Hut und Stock: in's Freie! Es war schon spät, kein Morgen mehr, heißer verschlafener Vormittag. Grell beleuchtet gucken die Berge über die Häuserdächer, am Himmel runde, weiße Wolkenballen; die Augen thun einem weh, und doch ist keine Sonne. Die Luft dick, die Kohl- blätter und das Kartoffelkraut in den Gärten schlaff wie schmutzige Wäsche. Hinter'm Dorf, wo der Wald anfängt, stand der Mann slill und wischte sich den Schweiß von der Stirn; langsam setzte er dann Schritt vor Schritt, es ging steil bergan. Auch hier keine Kühlung; die Bäume so dicht, daß kein Himmel hindurch sieht, und doch lastende Schwüle. Träg kriechen schwarze Käfer und große Ameisen über den Weg, sie sind nicht so eilig wie sonst, sie scheinen matt; an den Tannenstämmen sickert zäh ein Harztropfen nach dem anderen herunter. Endlos dehnt sich der Weg, immer wieder steigt er; der Gipfel des Berges scheint heute unerreichbar, und doch würden oben vielleicht frischere Lüfte wehen, Dunst und Hitze unten geblieben sein aber vielleicht nur, vielleicht! Wozu dann die Anstrengung? Müde ließ sich Dorn auf eine Bank am Weg fallen. Den Kopf lehnte er hintenüber an den Stamm der alten Buche und schloß die Augen. Es summte ihm in den Schläfen und im Herzen hatte er ein merkwürdiges Nagen. Er dachte an seine verstorbene Mutter; er entsann sich wohl, er hatte ihr als Kind einmal im Schooß gelegen's war ein heißer Tag wie heut' erst hatte er gedankenlos in den blauen Himmel gestiert, und dann waren ihm die Augen zugefallen. Leise hatte sie gesungen und ihn eingelullt mit einer schläfrigen Melodie. Die Worte hatte er ganz vergessen, kindische Worte jedenfalls, nur der Refrain einer jeden Strophe schwebte ihm unklar vor: Und wenn das Kind erwacht, Dann dann" Ja, was dann?! Ein Stück Kuchen wohl oder sonst etwas Schönes, wie man es eben Kindern verspricht. Der Mann lächelte; das Lächeln kleidete seinem weichen Mund gut, unter den Augen hatte er dann Fältchen wie eine nervöse Frau. Er lächelte und seufzte und öffnete die Lider nicht; die Stille umher hatte etwas Süßes, Erwartungsvolles. Sein Herz pochte wie vor einem seligen Augenblick, matt senkte es sich ihm auf den Leib, lässig zugleich und un- Widerstehlich, angenehm und peinlich; er mochte nicht aufblicken, den Zauber nicht zerstören: Gleich mußte die Melodie anheben, sie zitterte heinilich in der Luft, sie bebte im eintönigen Zirpen der Grille still, still! Und wenn das Kind erwacht, Dann dann" Halt, was war das?! Ein Schritt, rasch, fest! Er öffnete die Augen. Vor ihm stand die Nachbarin von jenseits der Dorfgasse. Der Hut hing ihr im Nacken, unter dem einfachen Kleid steckten die Füße in derben Leder- schuhen. Sie kain ihm so groß, merkwürdig hoch vor; verlegen sprang er auf, einGuten Tag" und eine Entschuldigung murmelnd. Ohne Verwirrung, ruhig, mit einem lässigen Kopfneigen dankte sie ihm, dann sagte sie:Sie erlauben wohl?" und ließ sich am anderen Ende der Bank nieder, den Arm auf die Lehne gestützt. Er sah sie von der Seite an nicht mehr jung, die Augen dunkel unischattet, garnicht schön und doch anziehend, der Mund herb und doch mit vollen Lippen. Sie saß regungslos, ihr gerades Profil hob sich, scharf wie eine Gemme, vom dunklen Blätterhinter- grund ab; es reizte ihn, sie immer wieder anzusehen; er mußte an die Sphinx denken, deren räthselhafter
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Ausdruck den Forscher lockt. Hinter dieser breiten Stirn, unter diesen schweren Lidern mußten Ge- danken wohnen; das war kein Puppengesicht. Artig wendete er sich ganz nach ihr hin und lüftete den Hut:Gestatten Sie, mein Name ist Dorn, Erich Dorn, Privatdozent!" Irene Lang!" Wie tief ihr Organ klang! Es war etwas Müdes, Verhaltenes drin; oder war's die Hitze, die den Ton drückte? Irene Lang?! Es ging ihm im Kopf herum, wo hatte er den Namen doch schon gehört, diesen etwas gesuchten Vornamen und den ganz gewöhn- lichen Nachnamen? Richtig! Zu Hause hatte ihm ein literarisch angehauchter Freund begeistert von dem Novellenband einer jüngst aufgetauchten Schrift- stellerin erzählt man versprach sich viel von ihr und seine junge Braut, die zufällig zugegen gewesen, hatte ihm nachher erröthend gestanden, daß auch sie das Buch gelesen.Aber nur die erste Geschichte," versicherte sie mit allerliebster Verschämtheitda halte ich genug. O Gott im Himmel, wie kann eine Fran nur solche Geschichten schreiben so was zu denken, ist schon zum Todtschämen!" Es ist der Nothschrei eines verlangenden Her- zens," so hatte der Freund gesagt. Irene Irene Lang also das war sie?! Eine Art Scheu kam über Erich Dorn, eine unan- genehme Empfindung; das plötzlich erwachte Interesse an der Fremden erlosch jäh, wie es gekommen. In seinen Mußestunden gab er sich auch mit Belletristik ab, daher waren ihm schriflstellernde Weiber von vornherein unsympathisch.Ich könnte nie eine Frau heirathen, die besser schreibt als ich," hatte er sich oft gestanden. Nun, bei seiner kleinen Braut kam er wohl nicht in die Verlegenheit Herr des Himmels, wie trocken waren deren Briefe! Es ist heiß heute," sagte die Fremde jetzt,ich bin müde!" Man konnte es ihr glauben; sie war bleich, die Mundwinkel etwas schlaff heruntergezogen, auf der Stirn unter dem weichen, braunen Haar perlten große Schweißtropfen. Sie kommen vom Berg herunter?" fragte er. Ja, ich war oben!" Ihr matter Blick belebte sich plötzlich, ein Ausdruck von Spannung trat in ihr Gesicht, langsam stieg die Röthe in die blassen Wangen.Der Tag ist so wolkeuverhangen und drückend, die Nacht lag es mir wie ein Alp auf der Brust; ich sehnte mich, die Sonne zu sehen, drum kletterte ich auf den Berg als ob die da oben schiene, wenn sie hier unten nicht scheint! Ich stand und stand oben und sah mich vergebens um!" Sie lachte kurz.So wartet man und wartet man; man verwartet sein ganzes Leben!" Eigenthiimlich betroffen sah Dorn sie an; hatte er selbst nicht auch den ganzen Morgen die gleiche Empfindung gehabt? Eine wahre Sehnsucht empfunden, aus den Wolken heraus die Sonne zu sehen, eine Spannung auf das, was kommen mußte! Und wenn das Ltind erwacht, dann dann Wie sie dasaß, den Oberkörper leicht vorgeneigt. den Mund halb geöffnet, die Hände lässig im Schooß! So sitzt man in lauschender Erwartung. Sie schien ihm schön, ohne daß sie es war; ein geheimnißvoller Faden spann sich von ihr herüber zu ihni; er fühlte es und freute sich dariiber. Es würde sich gut mit ihr verkehren lassen hier in den einsamen Tagen; auch gut mit ihr wandern, sie war keine Zierpuppe, sondern von kräftigem Wuchs, und die Falte zwischen den dunklen Brauen sprach von Nachdenken. Das war ein Kamerad! Doktor Dorn ärgerte sich, daß er die Schlanke hatte acht Tage die Gasse vor sich herschreiten lassen, ohne ihr in den Weg zu treten. Wir sind ziemlich allein hier in dem entlegenen Bergnest," meinte er.Menschen, die Amüsement suchen, sind auch nicht am Platz. Ist es Ihnen nicht einsam hier, Fräulein Lang?" Einsam?" Sie sah ihn groß an.Nein! Nicht einsamer als sonst immer."